Viele Köche verderben den Brei
ARGEn, Arbeitsagenturen, Optionskommunen und wettbewerblicher Föderalismus

„Gesetze sind wie Würste, man sollte besser nicht dabei sein, wenn sie gemacht werden.“ (Otto von Bismarck)

Das BVerfG hat am 20. Dezember 2007 entschieden, ARGEn aus kommunalen Trägern und der Bundesagentur für Arbeit sind verfassungswidrig. Langzeitarbeitslose dürfen nicht in einer Mischverwaltung betreut werden, in der Handlung und Haftung nicht klar zugeordnet werden können. Damit muss der organisatorische Kern der Hartz-IV-Reform bis zum 31. Dezember 2010 reformiert werden. Die neue Arbeitsministerin will nun endlich Nägel mit Köpfen machen und Arbeitsagenturen und Sozialämter zwar unter einem Dach arbeiten aber eigenverantwortlich agieren lassen.

Wie alles anfing

Die Arbeitsmarktpolitik für Langzeitarbeitslos ist seit langem ein Ärgernis. Bis zu den Hartz-Reformen war diese Arbeitsmarktpolitik aus Nürnberg grottenschlecht. Die Arbeitsämter hatten die Langzeitarbeitslosen faktisch aufgegeben, die Kommunen versuchten, den größten Flurschaden zu beseitigen. Der Schritt war überfällig, Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenzulegen. Viel geholfen hat es nicht. Der Anteil der Langzeitarbeitslosen ist zwar leicht gesunken. Ein Durchbruch zum Besseren steht aber immer noch aus. Hartz IV wirkt auch deshalb nicht, weil die organisatorische Struktur nicht stimmt.

Ein Wunder ist das nicht. Die Politik hat gravierende Fehler gemacht. Sie hatte die Wahl zwischen zwei Organisationsmodellen, einem zentralen und einem dezentralen. Die damalige rot-grüne Bundesregierung wollte eine zentrale Lösung. Nach wie vor sollte die Bundesagentur das Sagen haben. Sie sollte die Langzeitarbeitslosen vermitteln und betreuen. Der Bund sollte allein für die finanzielle Seite verantwortlich sein. Das hätte allerdings eine Umverteilung finanzieller Mittel von den Ländern zum Bund bedeutet.

Die damalige CDU-CSU-Opposition und die Mehrheit der unionsregierten Länder setzten dagegen auf dezentrale Lösungen. Kommunen seien vor Ort besser in der Lage, Langzeitarbeitslose in Lohn und Brot zu bringen und sie wirksam zu betreuen. Ihr organisationspolitisches Credo lautete: eine Behörde, ein Betreuer, ein Geldtopf. Der institutionelle Wettbewerb mache es möglich, von den Besten zu lernen. Eine dezentrale Lösung ist allerdings nur effizient, wenn der Bund die Kommunen ursachenadäquat und anreizkompatibel finanziell ausstattet.

Ein Gleichgewicht des politischen Schreckens führte zu einem faulen organisatorischen Kompromiss. Als Regelfall wurden die ARGEn geschaffen. Unter einem gemeinsamen Dach nehmen Bundesagentur und Kommunen arbeitsmarktpolitische Aufgaben gemeinsam wahr. Ihre Zuständigkeiten sind getrennt, die Finanzierung ist aber gemischt. Daneben wurde eine arbeitsmarktpolitische Experimentierklausel eingeführt. 69 Optionskommunen können sechs Jahre lang Arbeitsmarktpolitik in eigener Regie gestalten, allerdings nur soweit es das SGB III zulässt.

Warum es scheiterte

Die bisherige Erfahrung mit den ARGEn bestätigt, was die Theorie lehrt: Viele Köche verderben den Brei. Trotz vieler Verbesserungsversuche gibt es immer wieder oft verbissenen Streit von Arbeitsagenturen und Sozialämtern, wer für das Personal, das Budget und das Sachvermögen zuständig ist, die Bundesagentur oder die Kommunen. Die Gemeinden beklagen, die Bundesagentur ziehe sie nach wie vor in wichtigen Bereichen wie Finanzen, IT und Rechtsfragen über den Tisch. Mit der lokalen Autonomie sei es nicht weit her. Vorgaben auf Bundesebene hebelten örtlich vereinbarte Ziele faktisch aus.

Mit den ARGEn hat sich die Politik organisatorisch vergriffen. Die Bürokratie wird weiter gestärkt, die Verantwortung noch mehr verwischt. Auch in der Arbeitsmarktpolitik ist ein wirksamer institutioneller Wettbewerb notwendig, um effiziente Ergebnisse zu erzielen. Das BVerfG hat recht, ARGEn sollten schleunigst abgeschafft werden. Noch besser wäre es allerdings, die Optionsklausel für alle Kommunen zu öffnen. In den Gebietskörperschaften, die nicht optieren, sollte die Bundesagentur wieder ohne „Wenn und Aber“ das alleinige Sagen haben. Lokale und zentrale Arrangements stehen dann im Wettstreit um die besten arbeitsmarktpolitischen Lösungen.

Der institutionelle Wettbewerb bleibt allerdings ohne eine Reform der Finanzierung der Arbeitsmarktpolitik für Langzeitarbeitslose nur Stückwerk. Optierende Kommunen und der Marktführer aus Nürnberg müssen finanziell gleich behandelt werden. Um die Anreize zu stärken, die finanziellen Mittel effizient einzusetzen, bieten sich „block grants“ an. Der Bund stellt den arbeitsmarktpolitischen Konkurrenten jährlich ein bestimmtes festes Budget pro Langzeitarbeitslosem zur Verfügung. Überschüsse dürfen behalten werden, Defizite werden nicht ausgeglichen.

Auch auf dem Felde der Arbeitsmarktpolitik sollte der institutionelle Wettbewerb dauerhaft sein. Das sinnvolle Experiment mit arbeitsmarktpolitischen Experimentierklauseln sollte nicht nur weiter geöffnet, es sollte auch zeitlich unbegrenzt weiter laufen. Zumindest eine Entfristung der Experimentierphase sieht der schwarz-gelbe Koalitionsvertrag vor. Die Anreize von Kommunen und Bundesagentur, die besten Lösungen für Langzeitarbeitslose zu finden, sollten dauerhaft gestärkt, private Konkurrenz verstärkt zugelassen werden. Dabei möge der Bessere gewinnen, zum Nutzen der Arbeitslosen.

Fazit

Die Arbeitsmarktpolitik für Langzeitarbeitslose ist ein Spiegelbild praktizierten Föderalismus in Deutschland. In Sonntagsreden hält die Politik das Prinzip der Subsidiarität hoch, oft empfiehlt sie es auch der EU zur Nachahmung. Deutschland selbst ist aber von einem wettbewerblichen Föderalismus noch Lichtjahre entfernt. Arbeitsmarktpolitische Experimente sind in der Politik verpönt, mehr Steuerautonomie dezentraler Gebietskörperschaften wird blockiert. Heterogenere Präferenzen der Bürger vor Ort werden aber über kurz oder lang zentralistische Tendenzen aufbrechen, auch in der Arbeitsmarktpolitik. Gegen ökonomische Gesetzte hat politische Macht keine Chance.

3 Antworten auf „Viele Köche verderben den Brei
ARGEn, Arbeitsagenturen, Optionskommunen und wettbewerblicher Föderalismus

  1. Der Kommentar von Stefan Dietrich in der FAZ vom 27. Januar 2010 zum Vorschlag von Arbeitsministerin von der Leyen zur Reform der Jobcenter triftt den Nagel auf den Kopf:

    “ … trägt das Papier aus dem Hause von der Leyen doch noch immer die Handschrift des früheren Hausherrn Scholz. Wie er gibt es den Kommunen, welche die Arbeitsverwaltung in Eigenregie betreiben wollen, keinen Fußbreit nach. Die willkürlich gegriffene Zahl von 69 Optionskommunen soll eingefroren werden. Wie Scholz plädiert auch Frau von der Leyen für mehr Zentralismus. Die Bundesagentur bekäme nach ihren Vorstellungen die Entscheidungskompetenz in allen wesentlichen Grundfragen, die Kommunen dürften nach deren Vorgaben gerade noch die Warmmiete für die Arbeitslosen berechnen. Der einzige Unterschied zu Scholz besteht darin, dass die SPD diese Manifestation des Misstrauens in eine bürgernahe Verwaltung auch noch ins Grundgesetz schreiben wollte. …“

    Die beiden Regierungsparteien CDU und FDP sollten sich vielleicht daran erinnern, dass sie vor nicht allzu langer Zeit mehr kommunale Verantwortung im SBG II gefordert haben. Das macht auch weiter Sinn. Wenn sich gegenwärtig von den 240 in ARGEn engagierten Landkreisen 171 dafür entscheiden wollen, Langzeitarbeitslose in eigener Regie zu betreuen und zu vermitteln, liegt die politische Antwort auf der Hand: Die Institution der Optionskommunen muss nicht nur entfristet werden, sie muss auch für alle offen sein.

    Update: Heute legt Stefan Dietrich in einem Kommentar noch einmal nach.

  2. Wettbewerb, auch der föderale, hat in Deutschland einen sehr schweren Stand. Einheitliche, zentrale Lösungen haben hierzulande einen besseren Ruf. Es ist deshalb zumindest ein Teilerfolg, daß die Kommunen in Zukunft maximal ein Viertel der Job-Center in eigener Regie führen dürfen. Mit der größeren Zahl an Optionskommunen wird nicht nur die kommunale Selbstverwaltung gestärkt. Der Wettbewerb hat auch in der Arbeitsmarktpolitik für Langzeitarbeitslose zumindest einen Fuß in der Tür. Besser wäre es allerdings gewesen, die Optionsklausel für alle Kommunen zu öffnen.

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