Die „Grundrente“ der GroKo: Keine gute Idee

CDU/CSU und SPD haben in ihrem jüngst ausgehandelten Koalitionsvertrag zur Bildung einer Großen Koalition vereinbart, dass Versicherte in der Gesetzlichen Rentenversicherung unter bestimmten Bedingungen eine „Grundrente“ von zehn Prozent oberhalb des Niveaus der Grundsicherung erhalten sollen (Koalitionsvertrag 2018, Ziffer 4253ff.). Hiermit soll zum einen drohender Altersarmut vorgebeugt werden, zum anderen aber auch die „Lebensleistung“ von Versicherten mit geringen eigenen Rentenansprüchen honoriert werden. Anspruchsvoraussetzung für die geplante Grundrente ist eine Beitragszeit von wenigstens 35 Jahren; Zeiten der Kindererziehung oder Pflegezeiten werden dabei einbezogen. Außerdem soll der Bezug einer Grundrente von einer vorherigen Bedürftigkeitsprüfung abhängig gemacht werden. Als Beitragszeiten gelten nach den einschlägigen Regelungen des SGB VI auch Zeiten der Arbeitslosigkeit, wenn hierfür von der Bundesagentur für Arbeit Rentenversicherungsbeiträge gezahlt wurden.

Auf den ersten Blick scheint das Vorhaben einer Grundrente zeitgemäß, soll damit doch die von vielen Beobachtern befürchtete Zunahme von Altersarmut angegangen werden. Diese dürfte in der Tat in den nächsten Jahrzehnten, wenn eine größere Zahl von Arbeitnehmern mit unterbrochenen Erwerbsbiografien ins Rentenalter kommt, zu einem immer drängenderen sozialpolitischen Problem werden. Diese positive Bewertung hat aber nur auf den ersten Blick Bestand, denn auch das bestehende Instrument der Grundsicherung im Alter (die unabhängig von den individuellen Rentenansprüchen ein Alterseinkommen in Höhe des ALG-II-Satzes garantiert) zielt ja bereits auf die Vermeidung von Altersarmut ab: Wenn die Höhe der Grundsicherung als nicht ausreichend angesehen wird, Altersarmut zu vermeiden, dann wäre es sicherlich sinnvoller, deren Niveau anzuheben als mit der Grundrente eine zusätzliche Sozialleistung einzuführen, die wegen der hohen Anspruchsvoraussetzungen nur einer verhältnismäßig kleinen Gruppe der von Altersarmut bedrohten Menschen zugutekommen dürfte. Die Grundrente ist hier viel zu wenig zielgenau, als dass sie als vernünftiges sozialpolitisches Instrument empfohlen werden könnte.

Bleibt als Argument, dass die Politik die Lebensleistung von Personen mit geringen eigenen Rentenansprüchen honorieren möchte. Da die „Anerkennung von Lebensleistung“ (außer bei der Verleihung von Orden und Ehrenzeichen) dem Rechtssystems der Bundesrepublik Deutschland fremd ist, kann es hier offenbar nur darum gehen, die Bezieher von Grundsicherung im Alter, die wenigstens 35 Jahre lang Rentenversicherungsbeiträge gezahlt haben, gegenüber solchen Personen besser zu stellen, die diese Mindestbeitragsdauer nicht erreichen. Warum man das machen sollte, weshalb also die „Lebensleistung“ von Versicherten mit wenigstens 35jähriger Beitragsdauer einen höheren Wert haben sollte als jene von Rentnern mit einer kürzeren Beitragszeit erschließt sich nicht. Vielleicht geht es den Koalitionären aber auch um die Anreizwirkungen: Immerhin ergibt sich für derzeit noch im Erwerbsleben stehende Personen mit Beitragszeiten von weniger als 35 Jahren durch die Einführung der Grundrente ein Anreiz, die Beschäftigungszeit auf eben diese 35 Jahre (auf mehr allerdings auch nicht) auszudehnen. Sie ist aber gerade kein Anreiz, sich dann auch um einen besser bezahlten Arbeitsplatz zu bemühen, denn der im derzeitigen System geltende Grundsatz der Äquivalenz von Beiträgen zu späteren Rentenansprüchen wird dadurch ausgehebelt. Und von diesen (unklaren) Wirkungen auf die individuelle Arbeitsangebotsentscheidung einmal ganz abgesehen: Für die heutigen Bezieher von Grundsicherung im Alter wäre die Einführung der Grundrente ohnehin nur ein zusätzlicher Einkommenstransfer, der keine Verhaltensänderungen mehr auslösen dürfte. Offenkundig haben sich hier wieder einmal die Robin-Hood-Reflexe der Sozialpolitiker in den großen Volksparteien durchgesetzt.

Sinnvoller aus anreiztheoretischer Sicht und mit Blick auf die Bekämpfung von Altersarmut zielführender wäre ohnehin ein System, bei dem eigene Rentenanwartschaften unabhängig von den individuellen Beitragszeiten nur noch teilweise (statt wie bisher vollständig) auf den Anspruch auf Grundsicherung im Alter angerechnet werden. Vergleichbar dem System des „Aufstockens“ von niedrigen Arbeitseinkommen durch ALG II würden damit für Bezieher niedriger Renten die Grundsicherungsleistungen degressiv abgeschmolzen. Das käme letzten Endes zwar deutlich teurer als der jetzt im Raum stehende Vorschlag einer pauschalen Grundrente, wäre aber eher geeignet, Altersarmut zu verhindern und gleichzeitig die Anreize für mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu erhöhen.

Positiv ist hingegen zu werten, dass die von CDU/CSU und SPD vereinbarte Grundrente nur nach vorheriger Bedürftigkeitsprüfung gewährt werden soll – damit wird ein grundlegender Konstruktionsfehler ihres Vorläufers, der „Rente nach Mindestentgeltpunkten“ nach § 262 SGB VI beseitigt, denn ausgeschlossen werden damit Zahlungen an Personen, die anderweitig (z.B. über Ehepartner oder über Vermögenseinkünfte) abgesichert sind. Allerdings kann die eine solche Überprüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse auch Stigmatisierungseffekte auslösen, die möglicherweise gerade die besonders bedürftigen Personen davon abhält, die Grundrente zu beantragen.

Eine Grundrente (wie auch die hier vorgeschlagene Degression der Grundsicherung im Alter in Abhängigkeit von der Höhe der jeweiligen Rentenanwartschaften) ist in jedem Fall eine versicherungsfremde Leistung, da den erhöhen Ansprüchen keine eigenen Beitragszahlungen gegenüberstehen. Sie sind somit gemäß der Logik des deutschen Sozialversicherungsrechts aus Steuermitteln, nicht aus den beitragsfinanzierten Einnahmen der Rentenversicherung zu zahlen. Auch wenn der Kreis der Zahler damit weiter gefasst ist als im Falle einer Beitragsfinanzierung, ist es letzten Endes immer die Gruppe der Erwerbsfähigen, die durch Verbesserungen bei der Rente belastet wird. Zwar sollen die Sozialversicherungsbeiträge nach den Vereinbarungen von CDU/CSU und SPD nicht über 40% steigen sollen, aber dennoch wird die Belastung der heute im Erwerbsleben stehenden Personen direkt (über höhere Steuerzahlungen) oder indirekt (über verringerte öffentliche Leistungen) somit zunehmen. Unredlich wäre es deshalb, würde eine künftige Große Koalition diesen Zusammenhang gegenüber dem Wähler verschweigen und sich nur darin sonnen, weitere sozialpolitische Wohltaten zugunsten der Rentner vereinbart zu haben.

Blog-Beiträge zur „Grundrente“:

Norbert Berthold: Das Gespenst der Altersarmut. Lebensleistungsrente, „Grundsicherung plus“ (Grundrente) und anderes Gedöns

Eine Antwort auf „Die „Grundrente“ der GroKo: Keine gute Idee“

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