Und nun ein Soft-Brexit?
5 Thesen zu mehr Freihandel

1) Die britische Regierung unter Theresa May strebt einen Strategiewechsel in den Brexit-Verhandlungen an: Der Austritt aus der EU soll nun doch nicht vollständig und ohne Rücksicht auf heimische Wirtschaftsinteressen vonstattengehen. Vielmehr will Großbritannien (GB) für Industriegüter und Landwirtschaftsprodukte nunmehr eine Freihandelsposition gegenüber der EU einnehmen. In dieser neuen Austrittsstrategie spiegeln sich die traditionellen Determinanten der britischen Politik wider: die atlantische Gemeinschaft mit den USA mit ihrer engen Kooperation der Finanzmärkte London und New York sowie die liberale Freihandelstradition des 19. Jahrhunderts, die dem kontinentalen Protektionismus, Etatismus und Zentralismus entgegensteht.

2) Ein harter Brexit hieße für GB, Protektion im Handel mit der EU wieder einzuführen, die EU als handelspolitische Präferenzzone mithin insgesamt zu verlieren. Nicht zuletzt aus den positiven Erfahrungen mit der 1932 in Ottawa gegründeten freihändlerischen Commonwealth-Präferenzzone, die GB mit Waren aus aller Welt versorgte und an der das Land sein Exportportfolio signifikant ausrichtete, sowie auf den jetzigen Druck der Londoner City ist der partielle Schwenk in der Austrittsstrategie begründbar.

3) Entgegen den vielfältigen Modellansätzen in der Theorie Strategischer Handelspolitik, wie man sie in allen handelspolitischen Textbüchern studieren kann, ist die These realiter robust, dass Freihandel im Regelfall die beste aller handelspolitischen Welten ist, weil sie den internationalen Warentausch auf der Basis komparativer Produktionsvorteile störungsfrei erlaubt. Davon profitieren die beteiligten Handelspartner, wenn auch nicht unbedingt in gleichem Ausmaß. Donald Trump und die Chinesen geben mit ihrer schadenverursachenden Strategie der sich aufschaukelnden Zollbarrieren den hervorragenden Beweis für die Richtigkeit dieser These, wobei die EU in diesem Show-Down schon seit Jahren mitten im protektionistischen Glashaus sitzt: Auch die EU muss ihre zoll- und subventions-protektionistische  Außenhandelsphilosophie revidieren. Das ist eine alte Forderung, derer sich aus aktuellem Anlass zu widmen ein polit-ökonomisches Gebot der Stunde sein müsste.

4) Protektion ist für alle Beteiligten wohlstandsmindernd, sie ist eine Verarmungsstrategie. Insofern repräsentiert der neue britische Vorschlag zur Bildung einer (partiellen) Freihandelszone mit der EU einen wohlstandserhöhenden Schwenk nicht nur für GB, sondern auch für die EU. Im Freihandel, aber nicht in der Abschottung, gewährt sie nicht nur Vorteile an GB, sondern bekommt sie auch von GB. Es ist deshalb völlig unverständlich, dass die EU, repräsentiert durch den französischen EU-Verhandlungsführer Barnier und den Kommissionspräsidenten Juncker, ebenso wie die deutsche Bundesregierung schon jetzt zurückhaltend bis ablehnend reagieren, anstatt die neue Richtung zu mehr Freihandel im Grundsatz zunächst hoch zu begrüßen, auch wenn die auszuhandelnden Details noch nicht bekannt sind. Wie man die institutionellen Arrangements zwischen einer Zollunion und einer Freihandelszone gestaltet, ist beileibe kein neues Terrain ohne Erfahrung. Man denke nur an die Arrangements mit der EFTA, deren alleiniges Ziel die „negative Integration“ durch Abschaffung aller tarifären und nicht-tarifären Handelshemmnisse ist, und auch aller anderen Assoziierungsabkommen mit Drittländern.

5) Das in dieser Diskussion öffentlich vielfältig vorgebrachte Argument des „Rosinenpickens“, das man Großbritannien nicht erlauben dürfe, ist schlicht und einfach unsinnig und zeugt von integrationstheoretischer Unkenntnis, die alle schon längst breit diskutierten Alternativen der „differenzierten“ Integration negiert. Strategisches Verhalten ist im polit-ökonomischem Spielkontext auf die Realisierung eigener Vorteile ausgerichtet. Das freiwillige Aushandeln der Regeln für protektionslosen Tausch zwischen freiwillig Handelnden ist für alle Tauschhändler von Vorteil. Großbritannien will sich nicht mehr dem regulierenden politisch-institutionellen Überbau der EU unterwerfen, dessen Philosophie im Kern den Weg zu einer „ever closer union“ beinhaltet und den Freihandelskern des Binnenmarktes überlagert. Das Land ist traditionell vor allem an negativer Integration durch Freihandel interessiert, da möchte es mit der EU zu beiderseitigem Vorteil verbunden bleiben, ohne EU-Mitglied zu sein. Mehr (auch nur partieller) Freihandel zwischen EU und GB ist besser als weniger oder gar kein Freihandel. Und er nützt beiden.

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