Der Deutsche Ethikrat, dessen Vorläufer von Altkanzler Gerhard Schröder 2001 als Nationaler Ethikrat initiiert worden ist, hat die Zielsetzung, als unabhängiger Sachverständigenrat die, so heißt es, „ethischen, gesellschaftlichen, naturwissenschaftlichen, medizinischen und rechtlichen Fragen sowie die voraussichtlichen Folgen für Individuum und Gesellschaft zu verfolgen, die sich im Zusammenhang mit der Forschung und den Entwicklungen insbesondere auf dem Gebiet der Lebenswissenschaften und ihrer Anwendung auf den Menschen ergeben“.
Der Ethikrat besteht aus 26 Mitgliedern, die jeweils zur Hälfte von Bundesregierung und Bundestag vorgeschlagen und vom Bundestagspräsidenten berufen werden. Wer darf Mitglied in diesem sehr ehrenwerten Rat werden? Es sind nach eigenen Angaben nur Biologen, Physiker, Juristen, Philosophen, Religions-Vertreter und Ärzte. Ökonomen fehlen gänzlich. Offensichtlich meinen die Berufungsinstanzen, dass Ökonomie und Ethik miteinander nichts zu tun hätten. Vielleicht überwiegt sogar die Ansicht, dass ökonomisches Räsonnement der eigentlichen, der hehren Ethik abträglich sei.
Ein fundamentaler Irrtum, der in der bisherigen Berufungspolitik angesiedelt ist und damit einem Gremium wie dem Ethikrat keine genügend hohe Ehre zuteil werden lässt, weil er sich als eine die individuelle oder auch kollektive Ethik definierende Institution unter totaler Ausklammerung der Wirtschaftsethik verstehen muss, die schon seit über zweitausend Jahren in der Menschheitsgeschichte gesellschaftlicher Analytik eine bedeutende Rolle gespielt hat und auch heute in den gesellschaftlichen Debatten der Lebenswissenschaften in Deutschland, in Europa und weltweit in oberster Relevanz anzusiedeln ist. Wer die Ethik ökonomischer Institutionen und deren Funktionen ausblendet, wie dies im Ethikrat gepflegt wird, verfehlt in beachtlichem Masse den Anspruch auf Relevanz-affine Lösungsvorschläge für die Gesellschaft.
Dabei beantwortet der Ethikrat die Frage „Was ist Ethik“? Mit der einfachen Antwort: „Wissen, wie man sich gut verhält“. Und in Bezug auf die „Aufgabe der Ethik“ formuliert der Rat: „Regeln machen, die für alle Menschen gelten. Diese Regeln helfen den Menschen. Sie geben ihnen Sicherheit. Mit den Regeln kann jeder besser entscheiden: Was ist gut und was ist schlecht? Was ist richtig und was ist falsch? Und jeder weiß dann: Das passiert, wenn ich mich so verhalte. Das ist verboten und das ist erlaubt“.
Der Ethikrat ahnt offensichtlich nicht, dass er in diesen seinen Formulierungen implizit und fast treffsicher die Axiomatik der Institutionenökonomik sowie der Verhaltensökonomik anspricht, deren zentraler Analysegegenstand die Ökonomik der Anreizwirkungen (incentives) von Regeln in Bezug auf das individuelle Verhalten von Menschen und Organisationen ist. Da ist man dann mittendrin im fundamentalen Gedankengebäude des Wirtschaftsnobelpreisträgers Friedrich August von Hayek, eines der überragenden Ökonomen und Sozialphilosophen des letzten Jahrhunderts. Und die Mitglieder des Ethikrates, auch wenn sie keine professionellen Ökonomen sind, mögen in Bezug auf die Anreizwirkungen von Ordnungsregeln (ordo), wie sie der Ethikrat dominant herausstellt, die Freiburger Denkschule der Ökonomik zur Ahnung bringen, die ja bekanntlich als eine der zentralen Fundamente der als soziale Marktwirtschaft auch heute noch so bezeichneten Wirtschafts- und Gesellschaftsform in Deutschland vor rund 70 Jahren konzipiert worden ist.
Nun haben Ökonomen in der deutschen Öffentlichkeit dennoch einen schweren Stand, wenn sie die Dinge dieser Welt auch mit dem Instrumentarium der ökonomischen Analytik zu erklären versuchen. „Ökonomischer Imperialismus“ heißt die gemeinhin abwehrende Vokabel. Wenn dies bedeuten soll, dass es auf dem Gebiet der Lebenswissenschaften unstatthaft sei, sich der Lebensbereiche auch mit der ökonomischen Analytik zu bemächtigen, die im Kern auf menschliches Handeln in Bezug auf grundsätzlich knappe Mittel, konkurrierende Ziele und Entscheidungszwang abstellt, dann liegt hier ein fundamentales Missverständnis vor. Denn menschliches Verhalten hat in allen Lebensbereichen vielfältige Perspektiven.
Wenn Menschen zum Beispiel Straftaten begehen, so hat dieses Handeln nicht allein juristische Dimensionen, sondern enthält auch psychologische, soziologische, anthropologische, medizinische, theologische, pädagogische und mitnichten zuletzt auch ökonomische Aspekte. Das ist nicht anders, wenn es um die ethischen Implikationen von Impfzwang, Sterbehilfe, Abtreibung und jeden anderen Lebensbereich geht. Zu heiraten, eine Familie zu gründen und Kinder in die Welt zu setzen, entzieht sich ebenfalls neben der psychologischen, juristischen, theologischen, soziologischen, familienpolitischen usw. nicht einer offensichtlich handfesten ökonomischen Dimension.
„Ökonomischer Imperialismus“ oder auch „Nichtrelevanz“ als analytische Abwehrmechanismen unterliegen oft genug der verbreiteten Vorstellung, dass Ökonomen über ihr „eigentliches“ traditionell wirtschaftswissenschaftliches Problemfeld hinaus, in dessen Mittelpunkt speziell nur der Marktbereich stehe, nichts sinnvoll Erklärendes beizutragen hätten und sich mithin nicht in Dinge einmischen sollten, für die sie mit ihrer spezifischen Analytik gar nicht geeignet seien.
Eine solche Haltung ist zutiefst realitäts- und wissenschaftsfremd, weil sie sich als Feind der evidenzbasierten Interdisziplinarität in einer komplexen Welt zeigt. Sie ist empirisch nicht gehaltvoll, weil sie negiert, dass für alle Wahlentscheidungen, die stets Alternativen implizieren, die Phänomene Ressourcenknappheit und Zielkonkurrenz relevant sind. Insofern ist der „ökonomische Ansatz“ nicht aus seinem vermeintlich ausschließlichen Gegenstandsbereich (Wirtschaftswissenschaften) heraus definiert, sondern aus seiner gegenstandsneutralen Methodik. In diesem Sinne hat bereits der Wirtschaftsnobelpreisträger Gary Becker argumentiert, und es tun dies mit Vehemenz die deutschen und internationalen Vertreter der modernen Institutionenökonomik.
Der Analysequalität des Ethirates täte es mithin gut, diese Methodik in den Kontext seiner Interdisziplinarität zu stellen, indem er menschliches (und politisches) Handeln nicht nur nicht vom ökonomischen Räsonnement trennt, sondern dieses als explizit relevantes, wenngleich keineswegs dominantes modulares Erklärungssegment für die Ethik menschlichen Verhaltens integriert.
Bundesregierung und Bundestag (und indirekt auch der die Ratsmitglieder ernennende Bundestagspräsident) als politisch bestimmende Berufungsorgane sowie der Deutsche Ethikrat selbst mit seiner hohen Reputation sind gut beraten, durch eine überzeugende Berufungspolitik die ethical economics aktiv in den Rat zu integrieren, um seinem eigenen Anspruch, „unterschiedliche Ansätze und ein plurales Meinungsspektrum“ zu vertreten, gerecht zu werden.
- Ordnungsruf
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Die Ökologisten nutzen die Klimaprobleme, um für die Systemtransformation zu trommeln und Professor Schäfer sorgt sich um den Ethikrat!
Wie wenig derzeit auf ordnungspolitische Expertise geachtet wird, zeigt das Chaos um die sogenannte Energiewende:
https://www.welt.de/wirtschaft/article201256862/Klimapaket-Umsetzung-stellt-Gesetzgeber-vor-Herkulesaufgabe.html
In dem Beitrag wird zu evidenzbasiertem Vorgehen aufgerufen. Ja, darum geht es und dies einzufordern, muss in der Tat oberstes Ziel sein, wenn es um den Ethikrat geht. Aber das bedeutet gerade, dass die „Experten“, die dort versammelt wurden, alle nach Hause geschickt werden sollten. Sie sagen nämlich etwas zu ethisch richtig und falsch, zu dem es gerade keine Evidenz gibt, über deren Existenz ein Wissenschaftler mit wissenschaftlichem Anspruch berichten könnte.
Die im Beitrag benutzte Phrase, “Wissen, wie man sich gut verhält”, ist nicht Teil der Antwort, sondern, dass sie benutzt wird, ist Teil des Problems. Denn man kann wohl wissen, was nach herkömmlicher Auffassung für gut gehalten wird, wenn es um Verhalten geht. Aber wissenschaftliches, evidenzbasiertes Wissen zur Beantwortung der substantiellen Frage gibt es nicht. Diejenigen, die unsere Wirtschaftsethik dominieren, tragen kein Wissen, sondern nur Obsthandel mit Lesefrüchten und ihre eigenen Meinungen zur Debatte bei.
Wenn der Ökonomik je ein Kompliment gemacht wurde, dann besteht es darin, dass man bislang keinen Ökonomen in den Ethikrat berufen hat. Gut, weiter so! Wenn es eine Ökonomik-Aversion gibt, die wir endlich auch experimentell in der Verhaltensökonomik auf’s Korn nehmen könnten, dann ist das ein gutes Zeichen. Ich fürchte allerdings, dass die Ökonomen leider umgekehrt nicht so wie ich unter Ethik-Aversion leiden. Ich fürchte, sie wären alle auch gern Schlotterscheichs und würden gern wie der Karlsruher frankophile Käselutscher den Denker zu Themen geben, die gerade nicht wissenschaftlich evidenbasiert behandelt werden können…
Als jemand, der beides, Philosophie und Ökonomik, in der Lehre akademisch vertreten hat und der sich noch nie darum gekümmert hat, wer im Ethikrat vertreten ist, kann ich nur sagen, dass ich dem Kollegen Schäfer sehr dankbar für die Information bin, dass es keine Ökonomen im Ethikrat gibt. Aber anders als er bin ich erleichtert, dass man uns noch nicht so tief hat sinken lassen. Es scheint mir, dass die Ökonomen, deren reine Theorie ich mit Reinhard Selten für eine Art Theologie — rationology sagte Selten — halte, doch einmal etwas richtig gemacht haben könnten.