Eigentlich wollten die europäischen Staats- und Regierungschefs auf ihrem Gipfeltreffen am 28./29. Juni konkrete Beschlüsse zur Vollendung der Europäischen Bankenunion fassen und insbesondere grünes Licht für die Einführung einer gemeinsamen Banken-Einlagensicherung als eine weitere, dritte institutionelle Säule geben. Das Ganze wurde jedoch vertagt auf den nächsten regulären Europa-Gipfel im Dezember. Bis dahin soll der ECOFIN-Rat einen Fahrplan erarbeiten, auf dessen Basis die notwendigen politischen Entscheidungen getroffen werden sollen. Diese Verzögerung muss kein Nachteil sein, im Gegenteil, der persistenten Grundprobleme wegen, deren Lösung noch aussteht.
Regelbindung: ernst nehmen
Die bisher eingerichteten zwei tragenden Säulen der Bankenunion, die zum 1. Januar 2016 in Kraft gesetzt wurde, sind ordnungspolitisch fundiert. In der ersten Säule unterstehen rund 130 große Kreditinstitute mit (wahrscheinlicher) Systemrelevanz (darunter 24 deutsche Geldhäuser) einer einheitlichen mikro- und makroprudenziellen Aufsicht, die bei der Europäischen Zentralbank angesiedelt ist (in der Annahme, dass es nicht zu Interessenkonflikten mit der zur Preisstabilität verpflichteten Geldpolitik kommen möge und die Unabhängigkeit der EZB gewahrt werde). Da für die Bankenaufsicht nunmehr europaweit einheitliche Regeln aufgestellt wurden, sind die früher vorhandenen Anreize zur Regulierungsarbitrage zwischen den Euro-Ländern verschwunden.
Die zweite Säule beinhaltet u.a. ein Modell der Haftungskaskade für die geordnete Sanierung oder Abwicklung taumelnder Banken. Es wurde das Prinzip des Bail-in von privaten Kapitalgebern etabliert, demzufolge anders als vorher nicht der Staat (Steuerzahler) als erster, sondern gegebenenfalls als letzter zur Hilfe eilt, nachdem zunächst die Eigentümer (Aktionäre) und dann große Einleger und Anleihegläubiger mit eigenen Kapitalzuführungen eingesprungen sind. Dieses Prinzip entspricht dem Euckenschen Gebot eines Einklangs von Handeln und Haftung, der für eine funktionierende Markwirtschaft konstitutiv ist.
Regeln sind das eine, ihre Umsetzung das andere. Sich nicht an Vereinbarungen zu halten, die im Europäischen Rat einstimmig beschlossen worden waren, ist im Zuge der jüngsten Staatsschuldenkrise im Euro-Raum zur Routine geworden. Warnungen der Ökonomen vor den Problemen des Moral Hazard in der Konsolidierungs- und Reformpolitik werden wider jede empirische Evidenz als akademische Petitesse abgetan. Auch die Europäische Bankenunion erlebte gleich bei ihrer ersten Bewährungsprobe einen gravierenden Regelbruch – in Italien 2016/17. Verschiedenen von Insolvenz bedrohten Geschäftsbanken (Banca Monte dei Pschi di Siena, Veneto Banca, Banca Popolare di Vicenza) ist die Regierung mit milliardenschweren Beihilfen in die Bresche gesprungen, gebilligt durch die Europäischen Kommission und die EZB. Keine dieser Krisenbanken hat eine Systemrelevanz. Und nun hat auch noch die neue Koalitionsregierung aus europaskeptischen Rechts- und Linkspopulisten verlauten lassen, dass sie sich im Falle von Schieflagen bei inländischen Banken den Regeln der Europäischen Bankenunion widersetzen, nationale Interessen vor europäischen Vorschriften walten lassen und gegebenenfalls private Kapitalgeber von einer Verlustbeteiligung ausnehmen werde. Mehr Chuzpe geht nicht!
Als ein Hoffnungsschimmer mag gelten, dass es Spanien besser gemacht hat. Vor einem Jahr wurde die sechsgrößte Bank des Landes, Banco Popular, vor dem Zusammenbruch gerettet, indem die bis dahin zweitgrößte (und nunmehr größte) Bank des Landes, Banco Santander, das angeschlagene Kreditinstitut in einer Nacht-und-Nebel-Aktion für einen symbolischen Kaufpreis von einem Euro übernahm. Anschließend wurde eine Kapitalerhöhung um 7 Milliarden Euro durchgeführt, um zukunftsträchtige Geschäftssparten der insolventen Bank wieder flott zu machen. Alle Aktionäre des Banco Popular verloren ihre Anteile. Die Anleihegläubiger mussten ebenfalls entschädigungslos Verluste hinnehmen. Steuergelder sind nicht geflossen. Dies sollte Schule machen, nicht der italienische Sündenfall.
Europaweite Einlagensicherung: Solidität vor Solidarität
Bekanntlich sehen die nationalen Systeme der Einlagensicherung einen gesetzlichen Schutz für natürliche Personen vor. Doch könnte dieser Schutz, so fürchtet die Europäische Kommission, von den Bankkunden als nicht ausreichend angesehen werden, wenn zeitgleich mehrere Kreditinstitute straucheln und länderübergreifende Ansteckungen drohen. Es käme zu panikartigen Anstürmen auf Banken, was unweigerlich Turbulenzen auf den Finanzmärkten und gravierende Verwerfungen in der Realwirtschaft auslösen würde. Das sind alles Vermutungen. Gleichwohl hat die Kommission einen detaillierten Plan für das sog. European Deposit Insurance Scheme (Edis) entwickelt, das in einer ersten Phase als kreditbasierte Rückversicherung für die nationalen Sicherungssysteme in Notfällen fungieren und in einer späteren Phase in einen allgemeinen Fonds mit gemeinsamer Risikoteilung bei Bankenverlusten überführt würde. Der Fonds wäre mit risikoorientierten Beiträgen der Banken zu dotieren.
Eine einheitliche Einlagensicherung, so sie denn kommt, kann nur nachhaltig sein, wenn mindestens vier Voraussetzungen erfüllt sind. Als erstes müssen im Bankensektor die vielerorts noch ausstehenden Strukturreformen konsequent durchgeführt werden. Erforderlich ist eine für die Risikovorsorge wirklich ausreichende Ausstattung mit bilanziellem Eigenkapital. Außerdem wird eine effektive Kontrolle der Kostenentwicklung gebraucht – bezüglich des Filialnetzes, das oft überdimensioniert ist, ebenso wie beim Personal, das viele Banken unnötig aufgebläht haben. Bei künftigen Stresstests sollte die EZB strengere Kriterien anlegen als zuletzt in 2014.
Die zweite Voraussetzung betrifft die Altlasten-Problematik. Die Bilanzen vieler europäischer Banken verzeichnen sehr hohe Bestände an notleidenden Krediten. Schätzungen zufolge beliefen sich Ende 2017 diese sog. Non-performing Loans auf knapp 760 Milliarden Euro (rund 30 Prozent des Eigenkapitals der Banken insgesamt, etwa 7 Prozent des gemeinsamen Bruttoinlandsprodukts). Innerhalb des Euro-Raums besteht ein steiles Süd-Nord-Gefälle. Es wäre absolut kontraproduktiv, eine europäische Einlagensicherung mit einem so großen Volumen an Problemkrediten zu belasten. Vertrauensfördernd unter den Bankkunden wäre das nicht. Eine Versicherung, und nichts anderes ist ihrer Natur nach die Einlagensicherung, deckt ja auch nur künftige Risiken ab und übernimmt keine aus der Vergangenheit. Folglich ist es unabdingbar, die Bankbilanzen vorab von den ausfallgefährdeten Krediten, die unter nationaler Aufsicht entstanden sind, zu bereinigen. Das Prozedere wären Rückstellungen und Abschreibungen oder der Verkauf direkt an private Investoren oder indirekt über eine Bad Bank. Die entstandenen Verluste müssen von den privaten Investoren – gemäß dem Bail-in-Prinzip – getragen werden. Die Risiken aus diesen Altlasten auf die europäische Ebene zu schieben, lässt sich nicht mit politischen Aufrufen zu Solidarität begründen. Es gehört sich einfach nicht, dass unter diesem wohlklingenden Wort einige Mitgliedstaaten, deren Bankensysteme strukturell fragil sind, nur im Sinn haben, Partnerländer mit stabilen Banken über den Tisch zu ziehen. Gemeinschaftliche Risikoteilung ohne nationale Eigenverantwortung würde Fehlanreizen Tür und Tor öffnen, zum Schaden aller.
Die dritte Voraussetzung: Die bestehende regulatorische Vorzugsbehandlung von Staatsanleihen in den Bankenbilanzen muss beendet werden. Die Zeiten, in denen Ausleihungen der Privaten an den Staat als absolut risikolos galten („mündelsichere“ Papiere), sind seit der jüngsten europäischen Staatsschuldenkrise endgültig vorbei. Folglich müsste künftig den Banken vorgeschrieben werden, den Erwerb von Staatsanleihen risikoadäquat mit Eigenkapital zu unterlegen. Dass dies die Finanzminister nicht mögen, weil die Refinanzierung der Staatsschuld verteuert würde, ist verständlich, aber unerheblich.
Viertens ist es eine ,conditio sine qua non“˜, dass die europäische Einlagensicherung anreizkompatibel ausgestaltet wird. Es muss sichergestellt werden, dass künftig die nationalen Regierungen, anders als in der Vergangenheit, mit ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik den heimischen Bankensektor nicht in die Bredouille bringen, d.h. nicht zu einem übermäßigen Kauf von eigenen Staatsanleihen oder zur Gewährung von Großkrediten an öffentliche Einrichtungen drängen, unbeschadet eventueller Zahlungsausfälle. Der Umfang solcher Aktiva im Bankenportfolio muss deutlich beschränkt werden, und zwar einheitlich in allen Mitgliedsländern. Im Nebeneffekt reduzieren sich so überall die Klumpenrisiken. Außerdem müssen vertraglich und glaubhaft maßvolle Grenzen für ein Eingreifen des Staates bei Überforderung des Einlagensicherungssystems gezogen werden (fiskalisches Backstop). Anfallende Entschädigungskosten sind vor allem vom Bankensektor zu tragen. Nur so lassen sich Fehlanreize eines Eurolandes zur Verlagerung von Risiken auf die europäische Ebene vermeiden. Der Weg in eine Haftungsunion wäre verbaut, und der Grundsatz der Eigenverantwortung souveräner Staaten und privater Banken würde gestärkt. Beides ist unerlässlich, damit die Europäische Bankenunion in einem von Fiskal- und Marktdisziplin geprägten Umfeld überhaupt stabilitätsfördernd funktionieren kann.
Hinweis: „Dieser Text ist auch als Ausgabe Nr. 07/2018 der Reihe Ordnungspolitischer Kommentar des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln und des Otto-Wolff-Instituts für Wirtschaftsordnung erschienen.“
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