Ordnungsruf
Der Bundesfinanzminister ist kein Freund des Steuerwettbewerbs
Er verkennt die Realität

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Bundesfinanzminister Scholz ist ein Vertreter der Einheitlichkeit, insbesondere der steuerlichen. Er plädiert für einen möglichst weltweiten einheitlichen Mindeststeuersatz und bemüht diesbezüglich das vieldiskutierte Argument des unerwünschten Steuerunterbietungswettbewerbs als „race to the bottom“: Wenn Steuern international im Wettbewerb stünden, würde dieser die Steuersätze so lange nach unten herabkonkurrieren, bis in diesem Wettlauf viele Staaten ihre öffentlichen Güter, zum Beispiel die Sozialinfrastrukturen, nicht mehr finanzieren könnten. Einen solchen „schädlichen“ Steuerwettbewerb gelte es deshalb zu verhindern, zum Beispiel mit Hilfe – spieltheoretisch ausgedrückt – institutionellen Drucks zur Kooperation durch Vereinheitlichung.

Dabei verkennt der Minister mit dieser Einschätzung die Realität: Es gibt ja den von ihm beklagten internationalen Steuerwettbewerb schon längst, er ist seit Jahren alltägliche Realität, aber es manifestiert sich in keinem Land eine diesem Wettbewerb signifikant zurechenbare Absenkung von Sozialstandards. Ganz im Gegenteil: In vielen Ländern etwa in der EU, wie vor allem auch in Deutschland, steigen die Sozialausgaben trotz internationalen Steuerwettbewerbs, in den die Länder und eben auch Deutschland eingebunden sind. Der „race to the bottom“ findet gar nicht statt, dessen Hypothese ist eine rein modelltheoretische Fiktion ohne signifikanten empirischen Gehalt. Das zeigen auch vielfältige Studien für die OECD und insbesondere für die Schweiz in Bezug auf deren kantonalen Steuerwettbewerb: Weder die Grenzsteuersätze noch die effektiven Durchschnittssteuersätze sind dort generell gesunken, es gibt vielmehr beides: Steigerungen und Senkungen, wobei Letztere durchaus auf die segensreichen Wirkungen des Steuerwettbewerbs in Bezug auf effizientere Steuer- und Ausgabenpolitiken der Kantone zurückgeführt werden können. Darüber hinaus zeigt sich, dass Unternehmen und Kapitaldisponenten nicht allein die Steuern alternativer Standorte vergleichen, sondern eher in Steuerleistungspaketen kalkulieren: Was muss ich dem Staat an Steuern und Abgaben zahlen, und was bietet er mir als staatliche Gegenleistung in Form von öffentlichen Gütern wie zum Beispiel Straßen, Schulen, Kultur, institutionelle Grundlagenforschung, freiheitserweiternde Deregulierung usw.?

Damit wird der Steuerwettbewerb eingebettet in den internationalen Standortwettbewerb als Wettbewerb von Steuer-Leistungspaketen, der in gar keiner Weise eine Verarmung eines Landes mit öffentlichen Gütern bedeutet, sondern eher wohl das Gegenteil befördert. Das passt zu der These, dass die Angleichung von Steuern, insbesondere der Kapitalertragsteuern, nach unten aufgrund von Agglomerationseffekten durchaus ihre Grenzen hat: Kernländer in einem Integrationsraum verfügen über Agglomerationsvorteile, die  zu standortspezifischen Renten führen, aufgrund derer diese Länder gegenüber den Peripherieländern höhere Kapitalertragsteuern erheben können. Das ist dann vorteilhaft für die Peripherieländer, die sich mit niedrigeren Steuersätzen attraktiv machen können.

Steuerharmonisierung im Sinne der Realisierung eines „level playing field“ würde diese Länder ihrer standortbedingten komparativen Vorteile berauben. Dies zu berücksichtigen ist auch und besonders in der Diskussion um die internationale Zuweisung von Besteuerungsrechten bezüglich der steuerlichen Behandlung von Digitalfirmen relevant.

Minister Scholz hat eine Initiative bei der OECD gestartet. Im Zentrum stehen Überlegungen, welche speziellen Besteuerungsprinzipien in der globalisierten Welt der internationalen Digitalisierung gelten sollen. Bis zum Sommer 2020 soll die OECD weltweit akzeptierte Standards für die Besteuerung von Digitalfirmen entwickeln. Auch die EU-Kommission hat für die internationale Zuordnung von Besteuerungsrechten bereits Richtlinienvorschläge veröffentlicht.

Die Forderung nach einem „level playing field“, wie dies Minister Scholz vorschwebt, verkennt zudem einen zentralen Tatbestand: Institutionelle Regulierungen gehören – ebenso wie Boden, Realkapital, zum Teil auch Arbeit, aber auch Klima und Umweltstandards, Sprache, Kultur, Recht sowie Sitten und  Gebräuche – zu den eher immobilen Faktoren eines Landes. Wer käme schon auf die Idee, die institutionellen internationalen Unterschiede wie Bodenpreise und Mieten, Sprachen und Kulturen, Rechtssysteme, Sitten und Gebräuche sowie Vorräte an Wissen international zu vereinheitlichen? Abgesehen davon, dass dies global faktisch unmöglich ist, sind sie alle neben den Besteuerungsrechten Ausdruck unterschiedlicher standortspezifischer Faktorausstattungen und Bürgerpräferenzen, sie repräsentieren unterschiedliche komparative Vor- und Nachteile, die die Standorte besitzen oder auch selbst produzieren. Entsprechend unterschiedlich müssen sich die internationalen Spezialisierungsmuster für die Länder ausprägen. Ein künstliches „level playing field“ harmonisiert komparative Vor- und Nachteile administrativ weg. Eine solche Egalisierung widerspricht grundlegenden ökonomischen Prinzipien, die aus der Wachstumstheorie bekannt sind und die Produkt-, Prozess- und Standortinnovationen mit internationalen Vorsprüngen in der Produktion neuen Wissens als Treiber eines „uneven playing field“ in den Mittelpunkt rücken. „Level playing field“ kennzeichnet gegenwartsorientiertes stationäres Denken, „uneven playing field“ betont evolutorischen Fortschritt, wie er in den Denkkategorien etwa von Hayek und Schumpeter erfahrbar ist.

Zudem: An der administrativen Einebnung der komparativen Vorteile anderer Standorte haben vor allem die Länder mit institutionellen komparativen Nachteilen ein Interesse. Das entspricht einer Strategie des „raising rivals` costs“: Man will sich andere internationale Mitbewerber vom Halse halten, indem deren Wettbewerbsvorteile durch harmonisierte höhere Kosten vermindert und damit Exit- Optionen für heimische Unternehmens- und Kapitaldisponenten unattraktiv gemacht werden. Damit werden deren legitime und ökonomisch effiziente Standort- und Steuerarbitrage ausgeschaltet.

Aus dieser Sicht ist es schwer verständlich, wenn die OECD, und nicht nur sie, es prinzipiell als illegitim betrachtet, dass die Digitalfirmen wie etwa Google, Facebook, Amazon und Apple sich häufig eines rechtlich-administrativen Netzwerks aus Tochterfirmen bedienen, mit denen sie Gewinne aus den Märkten mit niedrigeren oder den niedrigsten Steuern verbuchen. Das schließt ja gar nicht aus, dass man, wenn hier aus institutionellen Wettbewerbsgründen in Bezug auf die Beschränkung wirtschaftlicher Macht dieser Firmen gesetzgeberische Veränderungen als nötig erachtet werden, die rechtlich-administrativen Verbindungen innerhalb der Firmenverflechtungen institutionell neu regelt. Dabei sollten nicht die prinzipielle Legitimität und ökonomische Wünschbarkeit der Standort- und Steuerarbitrage der daraus resultierenden neuen Konglomerate in Frage gestellt und durch den Versuch der Herstellung eines politisch durchgesetzten administrativen „level playing field“ gefährdet werden. In einer institutionell heterogenen Welt ist dies ohnehin nicht erfolgreich möglich und erst recht nicht zukunftsfähig. Die breite US-Steuersenkungsreform, die steuersenkungsrelevanten Folgen des bevorstehenden Brexit, die breite Spreizung und die vielfältigen Änderungen der Mehrwertsteuersätze in Frankreich sind nur einige Beispiele evidenzbasierter Erkenntnisse gegen den Wunsch des Bundesfinanzministers nach globaler Steuervereinheitlichung. Als Quintessenz gilt, dass in einer globalisierten Welt der Heterogenitäten nicht die harmonisierte Gleichheit, sondern die wettbewerbsorientierte Differenziertheit den Systemwettbewerb unterschiedlicher ökonomischer und institutioneller komparativer Vorteile von Jurisdiktionen kennzeichnen.

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