Ordnungspolitischer Kommentar
Arbeitslosenquote auf Rekordtief

Die Arbeitslosenquote ist im Oktober unter 5 Prozent gesunken und hat sich im November weiter verringert. Seit der Wiedervereinigung hat die amtliche Statistik in Deutschland keine so geringe Arbeitslosigkeit ausgewiesen. Grundsätzlich spiegelt die geringe Arbeitslosenquote eine vergleichsweise gute wirtschaftliche Lage wider. Es lohnt sich jedoch in mehrerlei Hinsicht, weitere Maße für den Zustand des Arbeitsmarktes in die Betrachtung einzubeziehen. Andernfalls droht die Unterschätzung des ungenutzten Arbeitsmarktpotentials. Zudem sollten die guten Nachrichten nicht darüber hinwegtäuschen, dass es weiterhin viele Langzeitarbeitslose bei gleichzeitigem Fachkräftemangel gibt.

Was die Arbeitslosenquote (nicht) misst
Verschiedene Institutionen berechnen die Arbeitslosenquote nach unterschiedlichen Definitionen. Die aktuellen Rekordmeldungen beziehen sich auf die Arbeitslosenquote, die die Bundesagentur für Arbeit veröffentlicht. Sie setzt die Anzahl der Arbeitslosen ins Verhältnis zu der Anzahl der Erwerbspersonen, also grob gesprochen all denjenigen, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Für die Interpretation der Arbeitslosenquote sind vor allem folgende Präzisierungen relevant:

In der Arbeitslosenstatistik tauchen nur jene auf, die sich zuvor bei der Bundesagentur für Arbeit als arbeitssuchend gemeldet haben. Arbeitslose, die sich nicht registrieren lassen, werden also von der Statistik nicht erfasst. Ebenfalls nicht in der Arbeitslosenstatistik enthalten sind jene, die nicht mindestens 15 Stunden pro Woche arbeiten wollen oder können. Dementsprechend gelten unter anderem Rentnerinnen und Rentner sowie Studierende aufgrund ihres geringen Arbeitsangebots meist nicht als arbeitslos.

Darüber hinaus führen folgende weitere Kriterien zur Nicht-Berücksichtigung in der Arbeitslosenstatistik: Nicht als arbeitslos gilt, wer sich nach Maßstäben der Bundesagentur für Arbeit bei der Arbeitssuche nicht ausreichend bemüht hat. Wer 58 Jahre oder älter ist, seit mindestens zwölf Monaten Arbeitslosengeld II bezieht und seitdem kein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis angeboten bekommen hat, zählt ebenfalls nicht mehr zur Gruppe der Arbeitslosen. In der Arbeitslosenstatistik fehlen zudem auch all jene, die an Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik teilnehmen, sich also zum Beispiel in Weiterbildungsprogrammen befinden.

Aufgrund dieser Einschränkungen spiegelt die Arbeitslosenquote die Anzahl der dem Arbeitsmarkt potentiell zur Verfügung stehenden Personen nicht vollständig wider. Deshalb weist die Bundesagentur für Arbeit zusätzlich eine Unterbeschäftigungsquote aus, die momentan zwei Prozentpunkte über der Arbeitslosenquote liegt.

Ist der Preis für die niedrige Arbeitslosigkeit eine Dualisierung des Arbeitsmarktes?
Der Rückgang der Arbeitslosigkeit ist nicht mit einer Zunahme der Vollzeitbeschäftigung gleichzusetzen. Vielmehr wird in der Literatur auf die gestiegene Verbreitung atypischer Beschäftigungsformen und eine damit einher- gehende Dualisierung des Arbeitsmarktes hingewiesen. Gemeint ist eine Zweiteilung in reguläre Beschäftigung mit unbefristeten Verträgen einerseits und Beschäftigungsformen wie Zeitarbeit, Mini- und Teilzeitjobs, welche oftmals befristet und mit geringerer Entlohnung verbunden sind, andererseits.

Quantitative Anhaltspunkte bietet zum Beispiel eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) aus dem vergangenen Jahr. Sie beruht auf Daten zum deutschen Arbeitsmarkt seit 2005 – also seit einem Zeitpunkt, zu dem die Arbeitslosigkeit in Deutschland einen Höhepunkt erreicht hatte, bevor sie sich in den da- rauffolgenden Jahren mehr als halbierte. Die Studie dokumentiert die Entwicklung der damaligen Kohorte der Arbeitslosen für vier Jahre. Knapp 40 Prozent waren am Ende dieses Zeitraums noch oder wieder in Arbeitslosigkeit. Ein knappes Viertel war aus dem Erwerbsleben ausgeschieden, zum Beispiel auf Grund von Verrentung oder Mutterschutz. Ungefähr zehn Prozent befanden sich in marginaler Beschäftigung oder in Teilzeit. Übrig bleibt ein gutes Viertel, das sich in einer Vollzeitbeschäftigung befand.

Die Autoren setzen diese Entwicklung in engen Zusammenhang zu den Hartz-Reformen. Der Hintergrund ist, dass im Zuge der Hartz-Reformen sowohl arbeitsnachfrageseitige Anreize zur Schaffung atypischer Beschäftigungsverhältnisse als auch arbeitsangebotsseitige Anreize zur Aufnahme einer entsprechenden Beschäftigung gesetzt wurden. Unklar ist allerdings, ob alternative institutionelle Rahmenbedingungen vorrangig zu mehr Vollzeitbeschäftigung oder vor allem zu einer geringeren Reduktion der Arbeitslosigkeit geführt hätten.

Zudem sind die Gründe für die Zunahme der atypischen Beschäftigungsformen vielfältig. So ist der Anstieg der Teilzeitquote zum großen Teil durch die gestiegene Erwerbsbeteiligung von Frauen zu erklären, weil Frauen zu einem deutlich höheren Anteil in Teilzeit beschäftigt sind. Die Motive für die Wahl einer Teilzeitbeschäftigung sind vielfältig, sie reichen von unzureichenden Kinderbetreuungsmöglichkeiten bis hin zu den steuerlichen Anreizen eines Zweitverdieners. Neben solchen Aspekten, die vor allem unter sozialpolitischen Gesichtspunkten relevant sind, gibt es auch Hindernisse, die in der Arbeitsmarktlage begründet liegen. Hat jemand unabhängig von persönlichen Umständen keine Möglichkeit, seine Arbeitszeitwünsche am Arbeitsmarkt zu realisieren, könnte man von einer weiteren Form der Unterbeschäftigung sprechen, die bisher nicht im Indikator der Bundesagentur für Arbeit berücksichtigt wird. Aufgrund der bereits bestehenden Arbeitsmarktbindung besteht bei unfreiwillig in Teilzeit Beschäftigten ein leicht zu mobilisierendes ungenutztes Potenzial.

Langzeitarbeitslosigkeit bei gleichzeitigem Fachkräftemangel
Gut ein Drittel der Arbeitslosen ist bereits seit mehr als einem Jahr nicht erwerbstätig. Zwar hat sich im Zuge der sinkenden Arbeitslosigkeit auch die Anzahl der sogenannten Langzeitarbeitslosen verringert, dennoch gibt es weiterhin knapp 800.000 Menschen in Deutschland, denen die Aufnahme einer Beschäftigung seit mindestens 12 Monaten nicht gelungen ist.

Die Chance, aus Arbeitslosigkeit heraus in den ersten Arbeitsmarkt einzutreten, stellt sich für verschiedene Personen sehr unterschiedlich dar. Während nach Daten der Bundesagentur für Arbeit beispielsweise arbeitslose 15- bis 25-Jährige noch eine Chance von 12,7 Prozent haben, die Arbeitslosigkeit im nächsten Monat zu verlassen, liegt die Wahrscheinlichkeit bei mindestens 55-Jährigen nur bei 3,5 Prozent. Für jemanden aus dieser Altersgruppe, der bereits seit mindestens einem Jahr arbeitslos ist, beträgt die Wahrscheinlichkeit nur noch 0,9 Prozent. Fehlt darüber hinaus eine abgeschlossene Berufsausbildung, liegt die Chance, die Langzeitarbeitslosigkeit im nächsten Monat wieder zu verlassen, nur noch bei 0,6 Prozent.

Auch die Gründe für Langzeitarbeitslosigkeit können vielfältig sein. Sie können von fehlenden oder nicht mehr vom Arbeitgeber nachgefragten Qualifikationen über mögliche Fehlanreize im Mindestsicherungssystem bis hin zu den unterschiedlichsten persönlichen Gründen reichen. Die Persistenz von Langzeitarbeitslosigkeit lässt sich unter anderem durch den Verlust von Humankapital und Stigmatisierungseffekte erklären: je länger die Dauer der Arbeitslosigkeit, desto mehr schwinden beschäftigungsrelevante Fähigkeiten, desto mehr werden Qualifikationen entwertet und desto stärker interpretieren potentielle Arbeitgeber die längere Phase der Arbeitslosigkeit als Anhaltspunkt für Beschäftigungsschwierigkeiten.

Fehlende Qualifikationen sind eine der Ursachen dafür, dass es in Deutschland weiterhin viele arbeitslose und unterbeschäftigte Personen gibt, obwohl in vielen Unternehmen Fachkräfte fehlen. Ein Anhaltspunkt dafür ist, dass die durchschnittliche Zeit, die eine Stelle vakant bleibt, in den letzten Jahren deutlich gestiegen ist. Vor diesem Hintergrund hat der Sachverständigenrat in seinem kürzlich erschienenen Jahresgutachten den drohen- den Fachkräftemangel als eine der zentralen Herausforderung für die deutsche Wirtschaftspolitik hervorgehoben.

Fazit
Dass der Anteil arbeitsloser Menschen kleiner geworden ist, ist eine gute Nachricht – dahinter verbergen sich viele Schicksale, für die eine positive Wendung eingetreten ist. Viele, die ehemals arbeitslos waren, gehen allerdings auch heute keiner Vollzeitbeschäftigung nach. Wenn die realisierten Arbeitszeiten nicht den Präferenzen der Arbeitnehmer entsprechen, sollte dies ebenfalls in Analysen der Arbeitsmarktlage einbezogen werden. Zudem ist ein differenzierter Blick auf die Gruppe der Arbeitslosen notwendig: Je weniger die Qualifikationen der Arbeitslosen den am Arbeitsmarkt nachgefragten Fähigkeiten entsprechen, desto wahrscheinlicher ist erstens, dass viele Menschen gerade keine Perspektiven am Arbeitsmarkt sehen und zweitens, dass Fachkräfte in Unternehmen fehlen. Die rekordtiefe Arbeitslosenquote sollte nicht über Probleme hinwegtäuschen, die sich voraussichtlich mit fortschreitendem Strukturwandel verschärfen werden.

Theresa Markefke und Rebekka Rehm
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