Was sind Steuern: Geschenke, Diebstahl, Preise oder Mitgliedschaftsbeiträge?

Guido Westerwelle lief am Tag der drei Könige, die dem Heiland Gold, Weihrauch und Myrrhe darbrachten, besonders an einer Stelle zur Hochform auf: „Was ist das für ein dekadentes Staatsverständnis, dass Steuererleichterungen für den Normalbürger ein Geschenk des Staates sind! Der Steuerzahler schenkt dem Staat etwas Geld – und nicht umgekehrt, meine Damen und Herren!“ (Zu finden im nachfolgenden Video bei 25.40 Minuten).

In der Tat: unser Bild vom Staat hängt besonders auch davon ab, wie wir es mit den Steuern halten. Verstehen wir sie als Geschenke, als Diebstahl, als Preis oder als Mitgliedschaftsbeitrag? Je nachdem, welche dieser aus dem privaten Erleben entliehenen Metaphern wir für das bestehende oder für das gewünschte Transferverhältnis wählen, wählen wir auch das Bild, das wir uns vom Staat machen.

Steuern als Geschenke?

Die Metapher der Steuer als „Geschenk“ ist die scheinbar abenteuerlichste. Jüngst hat sie der „poetische Philosoph“ (Axel Honneth über) Peter Sloterdijk als „Phantasma über eine freiwillige Steuerabgabe der Wohlhabenden“ (Karl-Heinz Bohrer) ins Spiel gebracht. Sloterdijk stellt zunächst eine „Tendenz zur Ausbeutungsumkehr“ fest: das alte Ausbeutungsschema Kapital gegen Arbeit gelte schon lang nicht mehr und könne sich alsbald dahin umkehren, „dass die Unproduktiven mittelbar auf Kosten der Produktiven leben“ – was sich zumindest als numerisches Verhältnis zwischen fiskalischen Nettozahlern und Nettoempfängern in vielen Europäischen Wohlfahrtsstaaten nicht nur poetisch, sondern auch empirisch durchaus abzeichnet.

Sloterdijk treibt die Poesie aber zwei Schritte weiter, indem er erstens die „nehmende Hand“ auf dem Weg in eine immerhin noch „rechtlich gezügelte Staats-Kleptokratie“ sieht und feststellt: „Ein moderner Finanzminister ist ein Robin Hood, der den Eid auf die Verfassung geleistet hat“, die es ihm erlaubt, ohne einen „antifiskalischen Bürgerkrieg“ riskieren zu müssen, „jeden Finanzminister des Absolutismus vor Neid erblassen zu lassen“, da er es schafft, „jedes Jahr die Hälfte aller Wirtschaftserfolge“ für sich, den Staat, zu reklamieren. Auch dies ist ebenso poetisch packend formuliert wie empirisch nüchtern nicht ganz zu leugnen. Der zweite Schritt freilich führt aus dem Reich der fiskalischen Realität und Notwendigkeit in ein recht phantastisch gezeichnetes Nirvana: Sloterdijks Forderung nach einer „Revolution der gebenden Hand“. Diese setze eine „sozialpsychologische Neuerfindung der ,Gesellschaft“˜“ voraus und „führte zur Abschaffung der Zwangssteuern und zu deren Umwandlung in Geschenke an die Allgemeinheit.“

Spätestens hier wird es selbst einem („ordo-„) liberalen Katholiken etwas unheimlich. Sicher ist der „Geist des Schenkens“ (Papst  Benedikt, „Caritas in Veritate“: 37) – freiwillige Zahlungen an die vor dem eigenen Gewissen identifizierten Bedürftigen – von einem höheren moralischen Wert als etwa ein „Solidaritätszuschlag“, den der Staat zwangsläufig von jedem Bruttoeinkommen „einbehält“. Sankt Martin sollte deshalb unter klassisch-liberalen Christen höheres Ansehen genießen als Robin Hood – obgleich beide ihr legendäres Talent im Sinne des „Sozialen“ wohl besser als unternehmerische Arbeitgeber denn als selbst- oder fremdenteigende Umverteiler hätten nutzen können (Homann, S.7).

Weder mit wohlmeinendem Raub noch mit wohltätigen Geschenken lässt sich ein legitimer, auch liberaler, Staat finanzieren oder „machen“. Paul Kirchhof hat deshalb durchaus recht, wenn er (staatrechtlich tragende in ökonomische nüchterne Diktion übersetzt) darauf verweist, dass in einem freiwillig durch „Geschenke“ finanzierten Gemeinwesen Gefangendilemma-Situationen und Trittbrettfahrerprobleme auftreten. In einem Almosen-Staat müssten Privatrechtsgesellschaft und Rechtsschutzstaat, um im Interesse aller finanziert werden zu können, genau von ihrem konstitutiven Primat der Gleichheit von Rechten und Pflichten abrücken. Der Fiskus wäre genötigt, entweder selbst (auf Kosten der Privatrechtsgesellschaft) erwerbswirtschaftlich tätig zu werden oder (auf Kosten des Rechtsstaats) vorrangig „Großeigentümer“ zu „umwerben und umschmeicheln“. Der „Preis der Freiheit“ – der Abwesenheit von Feudalismus, Staatswirtschaft oder „rent-seeking“ – ist also der allgemeine Steuerzwang.

Obwohl deshalb die Idee von „Steuern als Geschenken“ als Ideal unter realistischen Bedingungen wenig taugt, hat sie doch einige Berechtigung als Beschreibung der Realität unter weniger idealistischen Bedingungen. Versteht man unter „Geschenk“ einen geld- oder glückswerten Vorteil für Andere, dessen Leistung man durchaus vermeiden kann, so findet man auch im Steuerstaat allerorten Schenkungen! Da sind einmal die ehrlichen und loyalen Steuerzahler: wenn deutsche Finanzämter eine der letzten Unternehmenssteuerreformgesetze ihren Computern seit Jahren nicht beibringen konnten und deshalb zur Selbstanzeige auffordern, ist man vom Ideal der freiwilligen Steuerzahlung schon nicht mehr weit entfernt. Ähnliche St. Martins-Motive könnten dem Steuerzahler unterstellt werden, der den Verlockungen der Schatten- oder Auslandswirtschaft widersteht: er entrichtet aus „Loyalität“ eine Art „Geschenk“ an den Rechtsstaat oder das Heimatland, wenn er auf legale oder illegale Steuervermeidung verzichtet, obwohl sie preiswerter käme.

Der Begriff „Steuergeschenk“ ist mindestens ebenso relevant auf Seiten des Staates selbst. Der Staat (konkret: der jeweils von einer Parteienkoalition unterstützte, gedrängte, oder durch Koalitionsverträge gebundene Finanzminister) vergibt laufend Privilegien, die als Steuerminderungen bestimmten Einkommens- oder Vermögensarten „geschenkt“ werden. Der Geist des Schenkens ist freilich schon im Rahmen der privaten „Wohltätigkeit“ nicht frei on Eigennutz. Wohltätigkeit (anders als Gerechtigkeit) definierte schon Adam Smith (Theory of Moral Sentiments, Section II., ch.1) damit, dass sie nicht erzwungen werden kann. Und anders als Gerechtigkeit erwartet Wohltätigkeit Dankbarkeit. Je mehr zwischen Steuerzahler und Steuereintreiber hin und her „geschenkt“ wird und die „Geschenke“ die Form von Dankesbeweisen annehmen, desto mehr kann man auch von der Steuer als „Preis“ reden.

Steuern als Preise?

In seiner Reaktion auf Paul Kirchhof stellt Wolf Schäfer fest, dass auch die (Markt-) Preisanalogie des Steuerstaates heftig hinkt. Kirchhofs „Preis für die Freiheit“ wird schließlich monopolistisch gesetzt  und ist nicht, wie ein Marktpreis, „Ergebnis freiwilliger Tauschbeziehungen, also der zwangsfreien Äquivalenzbeziehung im Tausch zwischen Handelspartnern“. Steuern sind also keine Preise in diesem Sinne. Nur: wäre es wünschenswert, wenn sie es wären? Die „unsichtbare Hand“ des Marktes macht in der Tat dieses simple Angebot: „Gib mir, was ich wünsche, und du bekommst, was du benötigst … auf diese Weise erhalten wir nahezu alle guten Dienste, auf die wir angewiesen sind“ (Adam Smith, Wealth of Nations, Book I, ch.2). Die sichtbare Hand des Staates kann dieses Angebot aber nicht machen, ohne der Allgemeinheit schlechte Dienste zu erweisen. Der Staat als Monopol (möglichst) legitimen Zwangs bei der Herstellung kollektiv verbindlicher Entscheidungen darf keinen Handel mit Rechten und Pflichten treiben, will er gerecht handeln.

Je mehr Politiker wie Marktakteure handeln, die exklusive Leistungen an exklusive Gegenleistungen binden, desto mehr gerät Politik zum Basar. Es liegt in der Natur kollektiv verbindlicher Entscheidungen, dass eine Annäherung an die auf Märkten so sinnvolle und allgemein dienstleistende „Äquivalenz“ oder „Reziprozität“ in der Politik meist keine guten Dienste erweist. Es entsteht dann im besten Fall (wie bei den momentan diskutierten Parteispenden und dem Steuergeschenk an das Übernachtungsgewerbe) ein „Gschmäckle“. Je mehr „Reziprozität“ darüber hinaus an Direktheit und Konkretheit, an Vertragsähnlichkeit, gewinnt, desto eher gerät die Markt-/Preisanalogie in der Politik zur ökonomisch korrekten Beschreibung von Korruption, Bestechung oder „rent-seeking“. Freie Preisbildung und freier Marktzutritt auf Märkten für private Güter setzt also geradezu voraus, dass analoge Prinzipien des „do ut des“ auf „Märkten“ für politische (Gegen-) Leistungen unterbleiben.

Steuern als Mitgliedschaftsbeiträge?

Dennoch erwartet der „Normalbürger“ als Prinzipal seiner gewählten politischen Agenten zurecht „value for money“. Nicht als „Geschenk“ oder an den bestbietenden versteigertes Privileg, sondern als auf Märkten genau nicht (zu vergleichbaren Opportunitätskosten für jeden Bürger) zu „kaufende“ Leistung. In der Theorie kann man derlei „öffentliche“ Güter abstrakt definieren. In der Realität der Produktion „politisierter Güter“ bestimmt der politische Wettbewerb, was ein dem Zwangsbeitrag und Zwangskonsum unterliegendes Gut sein soll, wie viel davon für wen produziert und wie viel dafür von wem bezahlt werden muss.

Libertäre Markt-Anarchisten werden deshalb sagen, es gehe auch in der Demokratie um kollektiv verfügte Zwangsaneignungen von Einkommen und Vermögen Anderer zur Finanzierung des Zwangskonsums wiederum Anderer (kurz: organisierter Diebstahl zur Finanzierung paternalistischer Zwangsbeglückung). Liberale Verfassungsökonomen dagegen werden sagen, es gehe um einen Verfassungsvertrag, der „den Staat als einen freiwilligen Zusammenschluss von Bürgern versteht, durch den sie gemeinsame Vorteile erschließen wollen“ (Wolf Schäfer, op.cit). Steuern geraten dann zu „Mitgliedschaftsbeiträgen … als Gegenleistungen für die mit ihrer Mitgliedschaft verbundenen Rechte“ der Staatsbürger oder zu „Standortnutzungsbeiträgen“, die Fremde für die Nutzung der heimischen Infrastruktur entrichten (Vanberg 2008, S. 16).

Beide Staatsverständnisse sind ebenso radikal liberal wie radikal unterschiedlich. Nicht nur Guido Westerwelle muss sich fragen, wie das unter einen liberalen Hut passt. Vielleicht so: Man kann ja den kleptokratischen Staat als Gefahr anerkennen, ohne das Heil in einer von Geschenken oder Einzelpreisen finanzierten und damit letztlich korrupten Politik suchen zu müssen. Ebenso kann man einen als freiwillige Bürgergenossenschaft organisierten Staat als Ideal vor Augen haben, ohne den realen Steuer- und Schuldenstaat aus den Augen zu verlieren.

So kann man etwa eine Tendenz zu einer Art „summarischen Generaläquivalenz“ von Steuerlast und politischer Gegenleistung anstreben bzw. als durch Globalisierung und Standortwettbewerb durchaus in Teilen befördert feststellen und auch begrüßen. Gleichzeitig bleibt das verfassungsökonomische Problem schwer lösbar, dass sich die Bürgergenossen allzu leicht auf Kosten anderer bereichern können. Da ist etwa der von Hayek beklagte „fundamentale Mangel jeder progressiven Besteuerung … dass der Satz, zu dem eine Minorität diskriminativ besteuert wird, von einer Mehrheit festgesetzt wird, die diese Steuer nicht trägt“ (Hayek, 1952, „Die Ungerechtigkeit der Steuerprogression“). Hinzu kommt der ebenso fundamentale Mangel des Schuldenstaates. Im Gegensatz zum Steuerstaat gelingt es dem Schuldenstaat, Leistungen zu bieten, die nicht nur nicht freiwillig, sondern noch gar nicht bezahlt werden sollen. Für durch Schulden „finanzierte“ konsumptive Ausgaben stellen wir eine Rechnung aus, die erst spätere, ungefragte, Bürgergenossen bezahlen sollen. Welches Staatsverständnis werden die unverschuldet in die Verschuldung Getriebenen für „dekadent“ halten?

5 Antworten auf „Was sind Steuern: Geschenke, Diebstahl, Preise oder Mitgliedschaftsbeiträge?“

  1. „fundamentale Mangel jeder progressiven Besteuerung … dass der Satz, zu dem eine Minorität diskriminativ besteuert wird, von einer Mehrheit festgesetzt wird, die diese Steuer nicht trägt“

    Das kommt ganz darauf an, wer sich hinter dem Wort Minderheit verbirgt. Wenn damit tatsächlich sehr wohlhabende Menschen (vulgo Rentiers) gemeint wären, so hinkt dieses Argument ebenso fundamental, wie es auftritt.
    Zumindest heute gibt es nicht nur die Meinung, sondern auch die faktische Tatsache, dass die Spitze der Vermögensbesitzer sich nur allzu gut aussuchen kann, wo sie sich ihrer Steuern entledigen mag. Die Folgen dieser hohen Kapitalmobilität bei besagter Gruppe sind allerorten ersichtlich:
    – Die Progression der Einkommenssteuer flacht beileibe nicht nur in Deutschland bei einem bestimmten Schwellenwert ab;
    – bei Kapitalerträgen ist keine Progression in Sicht;
    – darüberhinaus gibt es eine ausgezeichnete „Infrastruktur“ von Anwaltskanzleien und Vermögensberatern, die speziell bei sehr hohen Vermögen excellente Services zur Steuerlastminimierung anbietet;
    Und über die Existenz von Steueroasen wollen wir außerdem wohl auch nicht streiten.

    „Für durch Schulden „finanzierte“ konsumptive Ausgaben stellen wir eine Rechnung aus, die erst spätere, ungefragte, Bürgergenossen bezahlen sollen.“

    Ohne Zweifel. Nur hat diese Medaille, wie so oft, ebenfalls 2 Seiten: Die „Bürgergenossen“ erben nicht nur Schulden, sie erben auch die Schuldscheine.

  2. Steuern sind sicher nicht Diebstahl. Diebstahl geschieht nämlich im versteckten, während Steuern ganz offen und unter Anwendung von Zwang – als einer besonderen Form von Gewalt – eingetrieben werden. Steuern sind deshalb Raub.

  3. @Friedrich:

    Zwangsabgaben, die durch das Gewaltmonopol des Staates erpresst werden.
    Klingt brutal, aber ist nun mal gesellschaftlich akzeptierte Realität…

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