Vernetzung, Big Data, Künstliche Intelligenz und vernachlässigbar geringe Grenzkosten gehören zu den Triebfedern des digitalen Umbruchs. Wie passen diese Merkmale beziehungsweise Eigenarten der Digitalökonomie zu unserer marktwirtschaftlichen Grundordnung?
“The winner takes it all”-Märkte
Die Digitalisierung schreitet mit hohem Tempo voran. Dies liegt vor allem daran, dass die Bereitstellung der Produkte plattformorientierter Unternehmen (Google, Facebook, Amazon, Uber) praktisch keine Grenzkosten verursacht.[1] Ist die Plattform erst einmal entwickelt und marktreif, kann sie global und unbegrenzt zur Verfügung gestellt werden. Es fallen also hohe Fixkosten für die Entwicklung der Plattformen an, aber nur sehr geringe Grenzkosten im laufenden Betrieb. Gemäß volkswirtschaftlichem Lehrbuch fördert eine derartige Kosten-Konstellation das Entstehen natürlicher Monopole. Das Phänomen war bereits vor dem Aufkommen der Digitalökonomie bekannt. War es aber in der Vergangenheit eher ein Ausnahmefall für ganz spezielle Industriezweige, besteht in der Digitalwirtschaft die Tendenz, dass natürliche Monopole zum Normalfall werden.
Unternehmen, die einen Markt als Erste besetzen, haben damit im Rahmen der Digitalökonomie gegebenenfalls aussichtsreiche Chancen auf eine sogar weltweit marktbeherrschende Stellung („The winner takes it all“). Diese Aussicht führt zu intensivem Wettbewerb und einem harten Innovations- und Investitionswettlauf. Die Digitalisierung aller Lebensbereiche wird dadurch rasant vorangetrieben, denn Schnelligkeit wird belohnt. Am Ende des intensiven Wettbewerbs um die Marktführerschaft steht dann nicht selten ein Markt mit monopolistischen Strukturen (oder zumindest einem engen Oligopol).
Dies ist prinzipiell ein Fall für die Wettbewerbspolitik, weil mit Monopolen traditionell höhere Preise, eine geringere Güterversorgung und eine erlahmende Innovationsbereitschaft assoziiert werden. Hinzu kommen Verteilungsprobleme, wenn sich die Wertschöpfung nicht auf mehrere Unternehmen einer Branche aufteilt, sondern im Wesentlichen nur von einem Großunternehmen erwirtschaftet wird. Eine besondere Herausforderung ergibt sich für die Wettbewerbspolitik, weil die Märkte der Digitalökonomie oft global sind, während die Wettbewerbshüter meist national oder regional agieren.
Nun stellt sich die Frage, ob die oben genannten, typischerweise mit Monopolen assoziierten Nachteile (höhere Preise, geringere Güterversorgung, mangelnde Innovationen) auf die Märkte der Digitalwirtschaft überhaupt übertragbar sind. Von höheren Preisen sind die Konsumenten zumindest nicht unmittelbar betroffen. Häufig sind die plattformbasierten Dienste für die Nachfrager kostenlos oder die über sie gehandelten Güter werden günstiger als in der traditionellen Wirtschaft verkauft.[2] Allerdings zahlen die Verbraucher oft indirekt durch die Datenspuren, die sie bei den Plattformunternehmen hinterlassen und die diese kommerziell verwerten. Zudem muss in die Gesamtbetrachtung der Markt für Werbung einbezogen werden. Plattformunternehmen können von Werbetreibenden höhere Preise verlangen, wenn sie in ihrem Segment eine Monopolstellung haben. Die Werbetreibenden – und letztlich deren Kunden – subventionieren dadurch die oft kostenlosen Plattform-Angebote.
Eine Verknappung des Angebots ist durch den Aufstieg der Digitalökonomie nicht zu erkennen. Im Gegenteil: Es entstehen immer neue Angebote und tendenziell führt die Digitalisierung – wegen geringer Grenzkosten – eher zum Überfluss, denn zur Verknappung. Und schließlich gibt es in der Digitalökonomie auch von Innovationsträgheit weit und breit keine Spur. Die Aussicht auf die Monopolstellung führt zu intensivem Innovationswettbewerb. Google, Facebook oder Amazon sind nicht gerade als Innovationsbremsen bekannt.
Kritisch zu sehen sind also insbesondere die Macht der großen Internet-Konzerne auf dem Werbemarkt, die Verfügungsmacht über die Kundendaten sowie die Effekte auf die Einkommensverteilung, die eine „The winner takes it all“-Wirtschaft mit sich bringt. Verteilungsfragen könnten künftig zur größten wirtschaftspolitischen Herausforderung werden.
Vernetzung und Share-Economy
Möglicherweise verändert sich durch die Digitalökonomie auch die Einstellung der Menschen zum Privateigentum. Die sogenannte Share-Economy ist aus der Erkenntnis entstanden, dass viele Konsumgüter von den Konsumenten nur für kurze Zeit in Anspruch genommen, die meiste Zeit aber nicht genutzt werden. Daraus entstand die Idee, dass die Nutzungsmöglichkeit solcher Güter und der jederzeitige Zugang zu ihnen wichtiger sind, als deren Besitz. Die Güter zu teilen verspricht dann für die Beteiligten einen Wohlfahrtsgewinn. Unternehmen, die sich dieser Idee verschrieben fühlen, bieten hierfür die entsprechenden Plattformen an. Hierbei handelt es sich etwa um Carsharing-Dienste (DriveNow), Immobilienanbieter auf Zeit (Airbnb) oder Verleihnetzwerke für zahlreiche Gebrauchsgegenstände (Fairleihen). Die praktisch kostenfreie digitale Vernetzung ermöglicht dann wiederum eine reibungsfreie und zeitnahe Vermittlung zwischen Anbieter und Nachfrager des zu teilenden Objekts und stellt damit die Grundvoraussetzung für die Etablierung derartiger Konzepte dar. Auch wenn die Eigentumsverhältnisse bei vielen Plattformen dieser Art sehr wohl definiert sind und für die Überlassung der Güter in der Regel ein Entgelt verlangt wird, so gewöhnt sich der Konsument zunehmend daran, gewisse Dinge nicht mehr selbst besitzen zu müssen oder zu wollen. Sukzessive kann sich eine Mentalität entwickeln, bei der Gemeinschaftseigentum oder gemeinschaftliche Nutzung als wichtiger eingestuft werden, als das klassische Privateigentum. Das ist unproblematisch, solange sich Personengruppen freiwillig zu Eigentümer- und Konsumgemeinschaften zusammenschließen. Problematisch wird es aber, wenn eine solche Kostenlos- oder Gemeinschafts-Kultur dazu führt, dass die Bedeutung des Privateigentums für die Funktionsweise der Marktwirtschaft nicht mehr verstanden wird oder – im Extremfall – sogar Enteignungen als Mittel der Politik hoffähig werden.
Ausblick
Der digitale Wandel der Wirtschaft bringt ohne Zweifel zusätzliches Wachstum und mehr Wohlstand. Mit Hilfe der Digitalisierung können drängende Probleme der Menschheit gelöst werden. Gleichzeitig bringt der digitale Umbruch aber auch eine Reihe neuer Herausforderungen mit sich. Aktuell erleben wir politische Reflexe, die mit den bisher geltenden marktwirtschaftlichen Grundsätzen nur schwer vereinbar sind (Industriepolitik, bedingungsloses Grundeinkommen). Manche Beobachter erwarten wegen der neuen technologischen Möglichkeiten gar die Reinkarnation der Planwirtschaft in einem neuen digitalen Gewand.[3] Wohin der Weg führt, werden wir in einem eigenen Beitrag untersuchen.
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[1] hierzu auch HWWI/Berenberg (2015), Digitalökonomie, S. 14.
[2] Plattformen stellen häufig zwei- oder mehrseitige Märkte dar. Einerseits für den Nutzer der Plattform und andererseits für Werbetreibende, die den Nutzern personalisierte Werbung anbieten möchten. Durch die Bereitstellung der Daten und Werbeplätze generieren die Plattformanbieter Einnahmen. Da sie durch weitere Nutzer eine größere Attraktivität für Werbetreibende aufweisen, muss die Konsumentenseite in der Regel nicht für die Nutzung der Plattform zahlen. Vgl. hierzu auch HWWI/Berenberg (2015), Digitalökonomie, S. 15.
[3] Jack Ma, Gründer der Alibaba Group soll sich im November 2016 gemäß der chinesischen „Global Times“ auf der „World Zhejiang Entrepreneurs Convention“ dahingehend geäußert haben, dass Big Data es möglich machen könnte, die „unsichtbare Hand“ des Marktes zu finden und damit Planwirtschaft zu realisieren. Vgl. hierzu auch Global Times China (2016), Can big data help to resurrect the planned economy?, URL (abgerufen am 06.03.2019): http://www.globaltimes.cn/content/1051715.shtml.
Blog-Beiträge der Serie „Marktwirtschaft in Gefahr?“:
Jörn Quitzau: Marktwirtschaft in Gefahr? (1)
- Marktwirtschaft in Gefahr (3)
Kommt die digitale Planwirtschaft? - 7. Juni 2019 - Marktwirtschaft in Gefahr? (2)
Digitale Monopole - 8. Mai 2019
2 Antworten auf „Marktwirtschaft in Gefahr? (2)
Digitale Monopole“