Pro & Contra
Nationale Industriestrategie 2030 – Alter Wein in neuen Schläuchen?

Die industriepolitischen Pläne namens „Nationale Industriestrategie 2030“ von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier werden derzeit kontrovers diskutiert. Stark vereinfacht ausgedrückt sollen nationale Champions entstehen, einzelne Branchen strategisch gefördert und unerwünschte Investoren abgewehrt werden – etwa durch den Aufbau staatlicher Beteiligungsfonds.

Industriepolitik ist natürlich kein neues Phänomen. Es gab sie auch schon in den 1960er und 1970er Jahren. Doch die Welt hat sich zuletzt aufgrund der Digitalisierung und Globalisierung gleichermaßen stark gewandelt. Der Ökonom Jan Schnellenbach und der Politiker Oliver Wittke sind unterschiedlicher Meinung, ob Altmaiers Vorstoß als alter Wein in neuen Schläuchen zu betrachten ist oder ob er tatsächlich ein großer Wurf werden kann.

Pro: Jan Schnellenbach

Jan SchnellenbachProf. Dr. Jan Schnellenbach ist seit Oktober 2014 Professor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Mikroökonomik an der BTU Cottbus-Senftenberg. Von 2012 bis 2014 war Schnellenbach geschäftsführender Forschungsreferent des Walter-Eucken-Instituts in Freiburg sowie Privatdozent an der Universität Heidelberg, an der er auch 2009 habilitierte und kurz darauf eine Vertretungsprofessur erhielt.

Problem

Deutschland steht ein möglicherweise schwerwiegender Strukturwandel bevor. Nicht nur die Automobilwirtschaft wird sich absehbar stark wandeln. Was kann die Politik tun? 

Vorstoß 

Altmaier setzt auf eine Industriepolitik, wie man sie am ehesten aus Frankreich kennt. Sie beinhaltet staatliche Investitionslenkung, das Opfern von Wettbewerbsintensität, um „nationale Champions“ zu schaffen, sowie die Vorstellung, der Staat wisse am besten, wo sich Chancen für Innovationen bieten. Die Strategie fußt auf einer politischen Anmaßung von Wissen in großem Stil. Empirisch gibt es aber keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Art von planerischer Industriepolitik dauerhaft erfolgreich ist. 

Folgen

Die Strategie Altmaiers birgt die Gefahr, das dynamische, durch viele innovative Mittelständler geprägte deutsche Erfolgsmodell in eine sklerotische Rent-Seeking-Ökonomie zu transformieren. Staatliche Investitionslenkung verbrennt Geld in politisch interessanten, aber ökonomisch sinnlosen Projekten. „Champions“ mit staatlicher Bestandsgarantie verlassen sich darauf, vor Wettbewerb geschützt zu werden, der eigentlich Antrieb jeder nachhaltigen Wachstumsdynamik ist. Die Industriestrategie hat das Potential, Deutschland bis zum Jahr 2030 zum „kranken Mann Europas“ zu machen.

Lösung

Deutschland benötigt dringend eine Welle angebotspolitischer Reformen. Dazu gehören sinkende Steuern auf Einkommen und Gewinne, aber auch ein Abbau von Regulierungen, die gerade den Mittelständlern oft sehr hohe Bürokratiekosten aufbürden und ihr unternehmerisches Handeln erschweren.

Contra: Oliver Wittke

Oliver Wittke ist seit März 2018 parlamentarischer Staatssekretär von Minister Peter Altmaier im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie in Berlin. Zwischen 1999 und 2004 war Wittke Oberbürgermeister von Gelsenkirchen – und von 2005 und 2009 Minister für Bauen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen.

Ziel

Wir müssen jetzt die Weichen dafür stellen, dass unsere Wirtschaft und die Soziale Marktwirtschaft auch in zehn, fünfzehn Jahren noch erfolgreich ist.

Problem

Wir leben in unruhigen Zeiten: Digitalisierung und Globalisierung entwickeln sich rasant und stellen in kurzer Zeit etablierte Märkte auf den Kopf. Das gilt auch für vermeintliche universelle Gewissheiten wie den Nutzen offener und freier Märkte. Wirtschaftliche Interessen werden heute durch neue und alte Wirtschaftsmächte viel strategischer, häufig auch protektionistischer, verfolgt. Auf diese Entwicklungen müssen wir mit einer neuen Strategie reagieren! 

Folge

Deutschland und Europa drohen, trotz einer überwiegend guten wirtschaftlichen Ausgangslage, in wichtigen technologischen Schlüsselkompetenzen den Anschluss zu verlieren. Dies hätte möglicherweise schwere Folgen für unsere Volkswirtschaft, unsere Arbeitsplätze und die Finanzierung unseres Sozialstaats in der Zukunft. 

Lösung

Mit der Industriestrategie 2030 hat Bundeswirtschaftsminister Altmaier eine Diskussion über Industrie- und Wirtschaftspolitik in Gang gebracht. Denn wir brauchen sowohl auf nationaler wie auf europäischer Ebene eine Industriestrategie und eine Industriepolitik, die im Einklang mit den bewährten Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft steht und die richtigen Rahmenbedingungen für die Wirtschaft setzt, gezielt auf Schlüsseltechnologien wie die Künstliche Intelligenz, autonomes Fahren oder die Batteriezellfertigung setzt und sich auf globaler Ebene für freien Handel und gleichberechtige Regeln beim Marktzugang einsetzt.

Hinweis: Pro & Contra wurde zusammengestellt von Jörg Rieger, Würzburg. Es erschien in Heft 6 (2019) der Fachzeitschrift WiSt.

3 Antworten auf „Pro & Contra
Nationale Industriestrategie 2030 – Alter Wein in neuen Schläuchen?“

  1. „Digitalisierung und Globalisierung entwickeln sich rasant und stellen in kurzer Zeit etablierte Märkte auf den Kopf. Das gilt auch für vermeintliche universelle Gewissheiten wie den Nutzen offener und freier Märkte. “

    Das ist doch kein Argument. Das ist ein Glaubenssatz! Welcher Mechanismus führt dazu, dass „Digitalisierung und Globalisierung“ den Nutzen offener und freier Märkte reduziert haben? Könnte der Herr Wittke da vielleicht noch den Kausalzusammenhang nachliefern?

    Kann sich noch jemand an die „überaus erfolgreiche“ deutsche Strategie bei der vom Staat geförderten Ansiedlung einer Photovoltaik-Industrie erinnern?

    Wie Rent-Seeking Prozesse dazu führen, dass auch als falsch erkannte politische Eingriffe im Nachhinein nicht mehr korrigiert werden, kann man im Übrigen am „Biokraftstoffquotengesetz“ (einer der Hauptgründe für das weltweit beobachtbare Artensterben) derzeit sehr schön verfolgen.

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