Aktuellen Verlautbarungen zufolge plant Bundesgesundheitsminister Jens Spahn MdB eine fundamentale Reform der Sozialen Pflegeversicherung (SPV). Für den stationären Bereich soll das bisherige Teilleistungssystem aufgegeben und die SPV in eine Vollversicherung umgewandelt werden, die sämtliche Pflegekosten deckt. Lediglich für die ersten drei Jahre der Pflegebedürftigkeit ist weiterhin ein von den Betroffenen zu tragender Eigenanteil an den Pflegekosten vorgesehen, der allerdings – anders als heute – auf 700 Euro pro Monat begrenzt wird. Weitere Elemente der geplanten Pflegereform sind eine bessere Entlohnung der Pflegekräfte im stationären Sektor (Tarifvertragspflicht) sowie dynamisierte Anpassungen bei den ambulanten Leistungen. Insgesamt sollen sich die Kosten nach Aussage des Bundesgesundheitsministers auf anfänglich 6 Mrd. Euro pro Jahr belaufen. Zur Finanzierung präferiert er einen dauerhaften Steuerzuschuss aus dem Bundeshaushalt.
Mit der Umwandlung in eine Vollversicherung greift die vorgeschlagene Pflegereform die seit einiger Zeit diskutierten Vorschläge für einen „Sockel-Spitze-Tausch“ auf, geht aber aufgrund der zeitlichen Begrenzung der Eigenanteile sogar noch darüber hinaus (vgl. Abbildung). Die bestehende Finanzierungslogik der SPV als Teilversicherung würde für den stationären Bereich auf den Kopf gestellt. Während heute die Pflegekassen einen festen Geldbetrag der Pflegekosten übernehmen und der individuell zu tragende Eigenanteil mit den Gesamtkosten der Pflege variiert, soll dem Reformvorschlag zufolge der Eigenanteil der Pflegebedürftigen sowohl zeitlich als auch in der Höhe begrenzt werden, so dass alle darüber hinausgehenden erforderlichen Pflegekosten von der SPV übernommen werden. Steigende Pflegekosten aufgrund von Preissteigerungen oder einer Ausweitung der in Anspruch genommenen Pflegeleistungen gingen dann zu Lasten der SPV.
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Der Vorschlag des Bundesgesundheitsministers kann nicht überzeugen
Erstens würde die erneute Leistungsausweitung die bereits bestehende implizite Verschuldung in der SPV weiter in die Höhe treiben und vor allem junge und zukünftige Generationen zusätzlich belasten. Der Bundesgesundheitsminister rechnet mit anfänglichen Mehrkosten von rund 6 Mrd. Euro pro Jahr. Nach überschlägigen Schätzungen von Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen, Vorstandsmitglied der Stiftung Marktwirtschaft und Leiter des Forschungszentrums Generationenverträge an der Universität Freiburg, ist das allerdings ein eher optimistischer Wert. Die tatsächlichen Kosten der Reform dürften bereits zu Beginn höher ausfallen und bei rund 7 bis 8 Mrd. Euro liegen.
Zweitens ignoriert die offizielle Kostenschätzung die zu erwartende Dynamik bei den Mehrkosten im Zeitablauf, die mit dieser Reform verbunden wäre. Aufgrund der zunehmenden Bevölkerungsalterung wird die Zahl der pflegebedürftigen Menschen deutlich steigen, wodurch sich auch die zusätzlichen Kosten für die Pflegeversicherung entsprechend erhöhen. Schon für den Status quo (ohne neue Pflegereform) ist mit einem Anstieg des Beitragssatzes auf rund 5 Prozent bis zum Jahr 2060 zu rechnen. Mit einer Pflegevollversicherung im stationären Bereich könnte sich demgegenüber ein Beitragssatz von bis zu 6 Prozent einstellen.
Drittens kann der zur Finanzierung vorgeschlagene Steuerzuschuss nicht überzeugen. Zum einen ist es schon aus Gründen der Transparenz abzulehnen, in der Sozialen Pflegeversicherung eine Mischfinanzierung aus Beiträgen und Steuerzuschüssen einzuführen. Zum anderen ist die Kapazität des Bundeshaushalts als fiskalischer Steinbruch für Sozialausgaben begrenzt. Schon heute machen Letztere über die Hälfte des Bundeshaushaltes aus – bei steigender Tendenz. Die Finanzierung weiterer zusätzlicher Soziallasten droht ihn dauerhaft zu überfordern und ginge wohl größtenteils zu Lasten anderer Politikbereiche, in denen originärer Handlungsbedarf für die Bundespolitik besteht. Und schließlich ändern Steuerzuschüsse nichts an der intergenerativen Lastenverschiebung hin zu den Jüngeren. Für diese macht es wenig Unterschied, ob sie höhere Sozialversicherungsbeiträge oder höhere Steuern bezahlen müssen.
Viertens würde eine Vollversicherung, aber auch ein zeitlich unbegrenzter „Sockel-Spitze-Tausch“, die Betroffenen in erheblichem Umfang von individueller Kostenverantwortung entbinden. Da es kaum noch Anreize für eine sparsame und auf das objektiv Notwendige begrenzte Leistungsinanspruchnahme gäbe, wäre mit kostensteigernden Verhaltensänderungen auf Seiten der Versicherten zu rechnen (Moral Hazard). Beispielsweise wäre ein zusätzlicher Heimsogeffekt zu erwarten, da die kostenintensivere stationäre Pflege (heute: 21,5 Prozent der Leistungsbezieher) im Vergleich zur ambulanten Pflege (heute: 78,5 Prozent der Leistungsbezieher) durch die Reform deutlich attraktiver würde. Das Ausmaß und die finanziellen Rückwirkungen des zu erwartenden Moral-Hazard-Verhaltens können ex-ante nur schwer abgeschätzt werden, sie dürften aber beträchtlich sein. Um einer übermäßigen Leistungsinanspruchnahme entgegenzuwirken, müsste mit erheblichem bürokratischen Aufwand Leistungen begrenzt bzw. in einem bedarfsnotwendigen Leistungskatalog festgelegt werden – mit zweifelhaften Erfolgsaussichten.
Elemente einer ökonomisch sinnvolleren Reformstrategie
Anstatt eine dauerhaft nicht finanzierbare Pflegevollversicherung zu versprechen und die Menschen in Bezug auf eigenverantwortliche Vorsorgeaktivitäten zu sedieren, sollte die Bundesregierung darauf hinarbeiten, die Zukunftsfähigkeit der SPV durch eine Begrenzung der intergenerativen Lastenverschiebung zu sichern. Eine Begrenzung der Kostenüberwälzung auf die jeweils jüngere Generation kann allerdings nur gelingen, wenn die Leistungen der umlagefinanzierten SPV nicht weiter ausgebaut werden, sondern wir als Gesellschaft wieder stärker auf Eigenverantwortung, Eigenvorsorge und Subsidiarität setzen. Jede Generation wird wieder stärker als bisher selbst für ihre Pflegeleistungen aufkommen müssen, wenn man die negativen intergenerativen Folgen der Bevölkerungsalterung abmildern will. Die SPV muss dabei nicht abgeschafft, sondern sinnvoll begrenzt und ergänzt werden:
- Die Verpflichtung, eigenes Einkommen und Vermögen bei Pflegebedürftigkeit einzusetzen, darf kein Tabu werden. Von der Einführung der SPV hat vor allem die Mittelschicht profitiert. Es gibt allerdings keinen Grund, diesen ökonomisch leistungsfähigen Teil der Gesellschaft ganz aus der finanziellen Verantwortung für die eigene Pflege im Alter zu entlassen, wie es bei einer Pflegevollversicherung mit zeitlich befristeten und in der Höhe begrenzten Eigenanteilen der Fall wäre. Für weniger wohlhabende Bevölkerungskreise ergeben sich aus einer Begrenzung der SPV-Leistungen im Übrigen keine Nachteile, da der Staat – entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip – bei finanzieller Bedürftigkeit unterstützend einspringt. Dies gilt umso mehr, da nach dem Inkrafttreten des Angehörigen-Entlastungsgesetzes auch ein Rückgriff auf bislang unterhaltsverpflichtete Angehörige für die ganz überwiegende Mehrheit der finanziell bedürftigen Pflegebedürftigen entfallen ist.
- Kompatibel mit dem Gedanken der Eigenverantwortung und Eigenvorsorge sind daneben auch kapitalgedeckte private Zusatzversicherungen zur Absicherung späterer Pflegekosten. Da das Risiko, pflegebedürftig zu werden, erst in hohem Alter stark ansteigt, haben gerade Jüngere ausreichend Zeit, auch mit begrenzten Beträgen eine nennenswerte Zusatzabsicherung aufzubauen.
- Schließlich würde die Einführung einer mehrmonatigen Karenzzeit dazu beitragen, die Kostendynamik in der SPV zu bremsen. Während der Karenzzeit blieben die Leistungen der SPV trotz festgestellter Pflegebedürftigkeit anfänglich ausgesetzt und müssten aus privaten Mitteln oder einer privaten Zusatzversicherung abgedeckt werden. Aktuellen Berechnungen zufolge würde die schrittweise Einführung einer einjährigen Karenzzeit die Nachhaltigkeit der SPV verbessern und die Beitragssatzdynamik deutlich bremsen.
Fazit
Die erst 1995 ins Leben gerufene Soziale Pflegeversicherung hat in der Pflege positive Veränderungen bewirkt. Allerdings steht sie unbestreitbar vor großen Herausforderungen, die aufgrund der voranschreitenden Bevölkerungsalterung in den kommenden Jahren und Jahrzehnten zunehmend sichtbar werden. Doch anstatt die Probleme zu verstärken und die umlagefinanzierte Soziale Pflegeversicherung in eine Vollversicherung umzuwandeln, sollte die Politik eine andere Reformrichtung einschlagen: hin zu mehr Eigenverantwortung und Subsidiarität. Pflegebedürftigkeit tritt in der Regel erst im hohen Alter ein. Die meisten Menschen hätten daher genügend Zeit, sich während ihres Lebenszyklus ausreichend gegen dieses Risiko abzusichern. Hier sollte die Politik ansetzen und ergänzende private Vorsorge stärken. Wenn man stattdessen die Menschen in falscher Sicherheit wiegt, indem man ihnen heute einen staatlichen Rundumschutz verspricht, der den Staat mittelfristig finanziell überfordern wird, ist am Ende niemandem geholfen.
Hinweis: Der Text erschien am 5. Oktober 2020 als Kurzinformation der Stiftung Marktwirtschaft.
Jedes Sozialsystem, welches Politiker meinen einführen und leiten zu können, ist gescheitert.
Man siehe sich nur den Zustand der Rentenversicherung an. Da wird , wegen politischer Unzulänglichkeit, einfach die Rente auf 50% runter gefahren. Ebenso die Krankenversicherungen, was eine einzige mafiöse Veranstaltung ist.
Das sonderbare aber, was der Deutsche anscheinend gar nicht wahrnimmt ist, die Politiker die uns diese Einrichtungen anpreisen und vorschreiben, sind selbst nicht darin und zahlen auch nichts ein!