Pressemitteilung des BGH, Nr. 090, vom 03.07.2019 (5 StR 132/18 und 5 StR 393/18) (hier)
Mit dem umsichtigen Urteilsspruch des BGH haben anscheinend die mannigfachen Versuche der früheren Rechtsprechung, eine Pönalisierung der Hilfe zur Selbsttötung gegen Geist und Wortlaut des Gesetzes durchzusetzen, ein Ende. Es besteht für die Bürger, die selbstbestimmt am Lebensende ärztlichen Rat und ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen wollen, jedoch kein Grund zur Entwarnung. Die Gegner der Sterbehilfe werden über berufsständische Regeln der Ärzteschaft versuchen, denjenigen Ärzten, die entsprechenden Wünschen ihrer Patienten nachkommen wollen, den Weg dazu zu verstellen.
Wo dies nicht ausreichen sollte, gibt es nun einen neuen § 217 StGB, dessen Implikationen kaum alle Volksvertreter, die ihm zustimmten, übersehen haben dürften. Die Pressemitteilung des BGH zum Urteil ist insoweit aufschlussreich. Dort heißt es zu den beiden von den Untergerichten entschiedenen Fällen:
„Eine in Unglücksfällen jedermann obliegende Hilfspflicht nach § 323c StGB wurde nicht in strafbarer Weise verletzt. Da die Suizide, wie die Angeklagten wussten, sich jeweils als Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts der sterbewilligen Frauen darstellten, waren Rettungsmaßnahmen entgegen deren Willen nicht geboten.
Am Straftatbestand der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB) war das Verhalten der Angeklagten wegen des strafrechtlichen Rückwirkungsverbotes nicht zu messen, da dieser zur Zeit der Suizide noch nicht in Kraft war.“
Der BGH hat sich richtigerweise jeder Gesetzesschelte enthalten. Aber die Feststellung des letzten Absatzes der Pressemitteilung zeigt, dass er es keineswegs für von vornherein abwegig hält, künftig den neuen § 217 StGB in Fällen, wie den von den Untergerichten entschiedenen in’s Spiel zu bringen. Hier zeichnet sich ab, wie es weitergehen wird (hier): Jeden Arzt, der mehrfach als Sterbehelfer für Patienten tätig wird, wird man, falls er nicht mit der ärztlichen Standesordnung eingeschüchtert werden kann, der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung bezichtigen.
Hoffen wir, dass es nicht so kommt. Mir bleibt jedenfalls verschlossen, dass Bürger, die auf ihrem Recht bestehen, über ihr Lebensende selbst zu bestimmen, damit anderen etwas aufzwingen wollen. Weder die Ärzte dürfen zur Beihilfe zur Selbsttötung gezwungen werden, noch will irgend jemand andere dazu anhalten, sich selbst zu töten. Es geht allein darum, dass man den Willen derjenigen, die sterben wollen, indem sie sich wohlüberlegt selbst zuverlässig und würdevoll töten, respektiert.
Aber vor allem die Christen sehen das nicht so. Ihnen reicht es nicht, dass sie selbst nach ihren eigenen Vorstellungen leben und sterben dürfen. Ihre Nächstenliebe kennt keine Grenzen und keine Gnade: Bei uns wird gefälligst so gestorben und vorher anständig so gelitten, wie sich das weltanschaulich gefestigte Kreise vorstellen! Luja sag i‘ !
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Ich bin Christ und akzeptiere, wenn volljährige und nicht entmündigte Menschen diese schwere Entscheidung treffen, um einem anderweitig nicht abzuhelfenden schweren Leiden ein Ende zu bereiten. Ich stehe als Christ damit nicht allein, sondern glaube zuversichtlich, dass die deutliche Mehrheit in meiner (evangelisch-lutherischen) Konfession diese Sicht teilt. Bei aller Sympathie für die vorgetragenen Argumente, die ich selbst teilweise schon verwendet oder verteidigt habe, sehe ich keinen Sinn darin, eine Religion zu verteufeln, deren Anhänger solche ernste Themen fast ausnahmslos nicht auf Bierzeltniveau diskutieren. Das heutige Christentum auf „Luja sag i´!“ zu reduzieren, ist ungefähr so, wie alle Sachsen als Neonazis zu bezeichnen, nur weil dort der Anteil brauner Idioten eventuell etwas höher ist als anderswo.
Ich begrüsse Herrn Knolls Kommentar ausdrücklich. Die Schlussformulierung “Luja sag i´!” kommt — wie in dem Kommentar unterstellt — keineswegs einer Verteufelung der Religion gleich. Sie ist ein Signal, dass man im öffentlichen Dialog eines freiheitlichen Rechtsstaates bestimmte weltanschauliche Vorlieben nicht privilegieren sollte.
Im Gegensatz zu den jüngeren Urteilen des BGH gibt es eine lange Geschichte von Urteilen des BVG, BGH und anderer Obergerichte, in denen eine christliche Deutung des sogenannte Sittengesetzes privilegiert wurde, um spezifisch christliche Auffassungen von persönlicher Lebensführung für alle verbindlich zu machen. Dieser Art der Privilegierung leisten Empfindlichkeiten wie jene, die in den Äußerungen von Herrn Knoll hervortreten, ungewollt Vorschub. Denn die Intoleranten mobilisieren diese Empfindlichkeiten von je her, indem sie Angriffe auf ihre persönlichen Vorlieben als Angriffe auf die Religion umdeuten. Hierin sehe ich Herrn Knoll als Opfer, nicht als Täter.
Mit der knappen Schlussäußerung signalisiere ich, dass ich nicht bereit bin zu akzeptieren, dass man sich gegen Kritik zu immunisieren sucht, indem man für die eigenen Auffassungen religiöse Weihen in Anspruch nimmt. In der rechtsstaatlichen Intoleranz gegen die Intoleranz genießt die Religion keine Privilegien. Darin dürften Herr Knoll und ich uns einig sein, alles andere verbuchen wir besser unter Polemik, die ja auch zur Auseinandersetzung gehört.