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Noch ist die Debatte um „Capital in the Twenty-First Century“ nicht verstummt, da schleudert der „unbeugsame Gallier“ Thomas Piketty mit „Capital et Idéologie“ einen „neuen Hinkelstein ins globale Dorf“, wie es das „Handelsblatt“[1] so schön auf den Punkt bringt. Im Kern geht es um die Fortsetzung der Kapitalismuskritik.
Die Debatte darum sollte nicht den Gegnern des Privateigentums überlassen werden. Das Problem dabei: „Kapitalismus“ als Begriff ist breit und ungenau. „Sind Sie Kapitalist?“ – diese Frage möchte wohl niemand mit einem klaren „Ja“ beantworten. Bei dieser Frage drängen sich Bilder auf: Dicke Männer mit Zigarren, Oliver Twist, das „Lumpen-Proletariat“ (Karl Marx), das in riesigen Fabrikhallen ausgebeutet wird. Manchester-Kapitalismus eben.
Allerdings: Das Privateigentum am Kapital ist (neben der freien Preisbildung, Wettbewerb, stabilem Geld, dem Verantwortungsprinzip) auch ein Eckpfeiler der Sozialen Marktwirtschaft, wie sie Ludwig Erhard umgesetzt hat. Ein durch Ordnungspolitik eingehegter Kapitalismus ermöglicht Teilhabe an den Früchten des Wirtschaftens für breite Bevölkerungskreise und verhindert Machtkonzentrationen, wissend, dass der ungebundene Kapitalismus dazu neigt, seine „schützenden Hüllen“ selbst zu zerstören (Joseph Schumpeter).
Aber genau hier brauchen wir eine neue Kapitalismusdebatte: Sichert der „Kapitalismus“ auch in Zukunft die „Teilhabe“ vieler? Wird deutlich, dass in der Geschichte (und in der Zukunft wohl auch) kein Wirtschaftssystem erfolgreicher war, als jenes, das auf Privateigentum beruht? Ganz zu schweigen davon, dass das entgegengesetzte, auf Volkseigentum basierende Modell, absolute Macht in Händen des Staates akkumuliert, und Lord Acton einfach Recht hat: „Absolute Macht korrumpiert absolut“ – und bringt absolute Unfreiheit.
Wer das Erfolgsrezept Soziale Marktwirtschaft in das 21. Jahrhundert fortschreiben will, der muss diese Wohlstandsmaschine für alle unmittelbar erlebbar machen, und er muss dies umso mehr in einer Zeit, in der die „Roboter“ auf dem Vormarsch sind, mit starken Veränderungen an den Arbeitsmärkten im Gefolge. Hatte nicht schon Ludwig Erhard selbst das politische Ziel gesetzt „mit jedem, weiteren wirtschaftlichen Fortschritt zu einer immer breiteren Streuung des Eigentums an den Produktionsmitteln zu kommen, d. h. also einen Prozess einzuleiten, der unabhängig davon, ob und in welchen Bereichen die Technik zu einer Konzentration der Produktionsmittel zwingt, hinsichtlich des Eigentums an diesem volkswirtschaftlichen Kapital eine immer stärkere Dekonzentration Platz greifen zu lassen.[2]“ In jüngerer Zeit tritt nicht zuletzt Arbeitsökonom Richard Freeman für die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital ein.[3]
Dekonzentration des Kapitals, gerade auch da, wo die Konzentrationstendenz technologisch getrieben ist – nichts könnte aktueller sein, als diese Passage einer Rede aus dem Jahr 1957.
Deshalb hier ein 12-Punkteprogramm zur Förderung der Vermögensbildung:
1. Wer Wohlstand für alle und weniger Vermögensungleichheit will, muss die Beteiligung am unternehmerischen Kapital fördern. Dies umso mehr, wenn die Robotisierung voranschreitet und zu erwarten ist, dass wir zukünftig weniger arbeiten werden. Die Mitarbeiterkapitalbeteiligung kann dafür ein wichtiger Einstieg sein. Sie sollte daher auch ein Teil der Corporate Social Responsibility (CSR) gesehen werden. Es wäre nur konsequent, wenn die Mitarbeiterkapitalbeteiligung in den gängigen Katalog der sogenannten „ESG“-Kriterien (Environment – Social – Governance; Umwelt – Soziales – Unternehmensführung) als Prüfkriterium für die Beschäftigungsbedingungen mit aufgenommen würde.
2. Um annährend europäisches Förderniveau und eine entsprechende Verbreitung zu erreichen, müsste der jährliche Steuerfreibetrag für Mitarbeiterkapitalbeteiligungen von derzeit 360 € auf mindestens 3.000 € angehoben werden.
3. Dabei brauchen wir Instrumente, die den Kapitalaufbau in Mitarbeiterhand durch die Verringerung von Risiken fördern. Es geht vor allem um die Diversifikation. Vorstellbar wären deshalb z.B. Teilhaberfonds, mittels derer die Mitarbeiteraktionäre ihre Aktienanteile mit denen anderer poolen und damit diversifizieren können. Gleichzeitig müsste die Ausübung von Eigentumsrechten möglich bleiben. Im Zeitalter der Digitalisierung sollte dies aber kein großes Problem darstellen.[4]
4. Mehr Teilhabe für alle! Die Beteiligung am Kapital der Unternehmen muss für alle Kreise der Bevölkerung attraktiv gestaltet werden, unabhängig von Beschäftigungsverhältnis und Einkommen. Eine vom Arbeitsverhältnis unabhängige Förderung des „Altersvorsorge-Sparens“ und der Vermögensbildung sollte Aktien wie Fonds und andere Formen der Kapitalanlage in den Förderkatalog aufnehmen und gleiche steuerliche Rahmenbedingungen, Freibeträge sowie nachgelagerte Besteuerung vorsehen.
5. Investition ist nicht Spekulation: Langfristige Anleger sollten anders besteuert werden als kurzfristig denkende und handelnde Investoren, beispielsweise durch eine Steuerfreiheit für Veräußerungsgewinne bei Aktien bei einer Haltefrist von mindestens zehn Jahren.
6. Als Sofortmaßnahme muss die Börsensteuer (auch „Finanztransaktionssteuer“) vom Tisch. Sie ist eine Steuer auf den Vermögensaufbau der Kleinanleger, und nicht wie oft vermutet, auf das Hochfrequenzhandel.[5] Genau genommen handelt es sich um eine Mehrwertsteuer, und so wie jede Mehrwertsteuer, wird diese nicht vom Unternehmen, der Börse, entrichtet, sondern von den Anlegern, die über sie direkt oder indirekt handeln.
7. Über die Kapitalbeteiligung hinaus sollte auch das Genossenschaftswesen als bewährte Form des Eigentums und der Teilhabe gerade auch im Digitalisierungszeitalter gefördert werden. Durch Dateneigentum der Nutzer und Wettbewerb der Internet-Plattformen untereinander mittels Konnektivität würde die Dominanz marktbeherrschender Plattformen beendet. Es könnten sich Datengenossenschaften als neue Form etablieren.[6] Aus den eigenen Daten entstünde ein Einkommensstrom, der nicht ins ferne Silicon Valley fließt, sondern aufs eigene Konto.
Doch „Vermögen“ ist nicht nur Geldvermögen. Auch Sach- und Humanvermögen gehören dazu.
8. Nicht umsonst bezieht der Wirtschaftsethiker Joachim Fetzer[7] in seinen ganzheitlichen Vermögensbegriff das Humanvermögen mit ein, wozu maßgeblich die Bildung gehört. Spätestens daraus leitet sich die Forderung ab, die finanzielle Bildung zu stärken. Wer mündige Bürger will, muss Finanzwissen und damit die Selbständigkeit und Entscheidungsfähigkeit in finanziellen Belangen der Bürger fördern. Finanzielle Bildung gehört deshalb in das Curriculum schulischer Bildung.
9. Finanzielle Bildung würde auch einen Baustein zur Selbständigkeit liefern. Wo früher selbständige Gewerbetreibende unabhängig beschäftigt waren, werden diese immer mehr durch Ketten und Konzerne verdrängt. Aus Selbständigkeit wird abhängige Beschäftigung. Die Gewinne fließen an die Kapitaleigner. Diese Entwicklung muss umgekehrt werden damit verstärkt Teilhabe möglich wird.
10. Dafür muss ausgelotet werden, wie Selbständigkeit auch durch Zugang zu Kapital gefördert werden kann. Mikrokredite und Crowd-Funding könnten hier Lösungen liefern. Staatliche Unterstützunglsleistungen könnten zu einen zeitlich begrenzten Transfer von Bonität in der Gründungsphase umgemünzt werden.
11. Die Kapitalaufnahme muss erleichtert und nicht durch eine Börsensteuer behindert werden. Wer Unternehmertum fördern will, muss Venture Capital fördern. Damit Erfindungen auch in Innovation und neue Unternehmen umgesetzt werden können, bedarf es eines „tiefen“ Kapitalmarktes.
12. Die Wohneigentumsquote liegt in Deutschland, einer der reichsten Industrienationen, unter 50%. In Berlin sogar nur bei 16% – und das 30 Jahre nach der Deutschen Einheit, was umso erstaunlicher ist, als die Berliner Verfassung in Art. 28(2) ausdrücklich die „Bildung von Wohneigentum“ als Verfassungsziel vorsieht. Während die Finanzielle Repression die nächste Runde einläutet und ca. 63% der ausstehenden Anleihen im Euroraum eine negative Rendite ausweisen (Stand: Oktober 2019; bei deutschen Staatsanleihen ist dies zu fast 100% der Fall), wird die niedrige Wohneigentumsquote immer unakzeptabler. Weg von der Objekt- (Immobilie) hin zur Subjektförderung (Wohneigentümer) heißt die Parole. Und das gerade auch für Menschen, die sich Wohneigentum sonst nicht leisten können. Nicht die Kredit finanzierte Vermiet-Immobilie (Objekt) zur Kapitalanlage sollte gefördert werden, sondern das private Eigentum derer, die darin wohnen (Subjekt).
Wer Wohlstand für alle will, muss Kapitalismus für alle im Kontext der Sozialen Marktwirtschaft wollen.
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[1] „Handelsblatt“ vom 12. September 2019; Nr. 176; S.46
[2] Erhard, Ludwig; „Wohlstand für alle“; Rede auf dem 7. Bundesparteitag der CDU; S.148; 1957
[3] Freemann, Richard; „Employee and Citizen Ownership of Business Capital in the Age of AI Robots”; in Beyer, Heinrich; Naumer, Hans-Jörg; „Die Kapitalbeteiligung im 21. Jahrhundert. Gerechte Teilhabe statt Umverteilung“; SpringerGabler 2018
[4] Vgl. Pross, Tobias; „Teilhaberfonds: Wohlstand für alle ermöglichen“; in Beyer, Heinrich; Naumer, Hans-Jörg; „Die Kapitalbeteiligung im 21. Jahrhundert. Gerechte Teilhabe statt Umverteilung“; SpringerGabler 2018
[5] Vgl. Naumer, Hans-Jörg; „Börsensteuer – die Steuer auf den Vermögensaufbau der Kleinanleger“; Wirtschaftliche Freiheit; 10. April 2019
[6] Vgl. Naumer, Hans-Jörg; „Die Facebook-Genossenschaft“; Makronom; 4. April 2018
[7] Fetzer, Joachim; „Ethik der Kapitalbeteiligung. Freiheit, Würde und Nachhaltigkeit“; in Beyer, Heinrich; Naumer, Hans-Jörg; „Die Kapitalbeteiligung im 21. Jahrhundert. Gerechte Teilhabe statt Umverteilung“; SpringerGabler 2018
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Wie weit sind wir gekommen, wenn aus seriöser Quelle propagiert wird, man müsse
Mitarbeiterbeteiligung bei gleichzeitiger Risikoreduktion durch Diversifikation via eines Poolings fördern? Zunächst wird unter der zeitgeistkonformen Etikettierung CSR der Mitarbeiter in unsystematische Risiken getrieben und dann soll das Ganze durch eine wolkig formulierte Pool-Lösung wieder um die absurde Risikokumulation bereinigt werden!
Immerhin wird gleich danach festgehalten:
„Die Beteiligung am Kapital der Unternehmen muss für alle Kreise der Bevölkerung attraktiv gestaltet werden, unabhängig von Beschäftigungsverhältnis und Einkommen.“
In der Tat! Warum also dieser Unfung mit der Mitarbeiterbeteiligung? Lasst die Leute Vorsorge am Kapitalmarkt treffen ohne fiskalische Keulen und ohne den latenten Vorwurf der „Dividendenhyäne“. Spezifische Einschränkungen wie nicht zuletzt auf die Mitarbeiterbeteiligung reduzieren nur die Wohlfahrtseffekte und stützen gemeinschädliche Vorurteile gegen Anlagen an börsennotiertem Produktivkapital.