„Vermögensbildung“ ist der Elefant im Raum bei den drängendsten, gesellschaftspolitischen Debatten, besonders bei der immer stärker diskutierten Ungleichheit im speziellen der Vermögen. Wie kann die Ungleichheit verringert werden, wenn nicht durch Vermögensbildung und Teilhabe an der unternehmerischen Wertschöpfung? Umverteilung allein vermag dies auf Dauer nicht, zumindest nicht befriedigend, da der Souverän – der Bürger – Leistungsempfänger bleibt, statt an den Früchten des Erfolgs Teil zu haben.
Dabei ist Privateigentum einer der Grundpfeiler der Sozialen Marktwirtschaft und die „ökonomische Grundlage der Freiheitsentfaltung“, wie der ehemalige Bundesverfassungsrichter Papier betont.[1] Er sieht in der aktiven „Förderung der privaten Vermögensbildung […] eine Frage verfassungspolitischer Klugheit, aber auch ein wichtiges Ziel und Verfassungsauftrag für die staatliche Eigentumspolitik.“
Und hier ist noch viel zu tun. Bei der Wohneigentumsquote, einem der entscheidenden Treiber der Ungleichheit, liegen wir in Europa abgeschlagen auf dem letzten Platz.[2] Lediglich die Schweiz rangiert hinter uns. Im internationalen Vergleich der Pro-Kopf-Vermögen landet Deutschland als Industrienation weit hinten auf Platz 19.[3] An den Sparanstrengungen liegt dies nicht, denn in kaum einem anderen Land wird mehr gespart als in Deutschland.[4] Es liegt nicht am Spar-, es liegt am Anlageverhalten, welches kaum einen Beitrag zum Vermögenszuwachs leistet. Bei der Beteiligung an Aktien und Aktienfonds ist die Beteiligung zwar während des Jahres 2020 gestiegen und auch 2021 dürfte sich dieser Trend fortsetzen, wie die Mittelzuflüsse bei Fonds erwarten lassen, aber noch immer sind weite Teile der Bevölkerung ohne Kapitalbeteiligung.[5] Inwieweit dies nachhaltige Veränderungen bei der Risikopräferenz sind, bleibt aber abzuwarten. Nicht zuletzt haben die Strafzinsen, welche immer mehr Banken einführen, einen Anteil an dem neu erwachten Interesse an Aktien und Aktienfonds.
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In einer Welt, in der Niedrig-/Negativrenditen dominieren, während gleichzeitig die Lebenserwartung weiter steigt und die Inflation auf der Agenda nach vorne rückt, ist es geradezu dramatisch, wenn dennoch der überwiegende Teil des Geldvermögens an der Seitenlinie geparkt wird. So weist die Geldvermögensstatistik der Deutschen Bundesbank für das zweiten Quartal 2021 ein Geldvermögen von 7.325 Milliarden Euro aus. Nur 12% davon sind aber in Anteilsrechten und Aktien, weitere 11% davon in Investmentfonds investiert. Der Rest liegt bei Banken und in Versicherungen.
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Die Renditeerzielung wird dabei umso drängender, als das mit einer schnellen Abkehr des Negativrenditeumfeldes so schnell nicht zu rechnen ist. Tatsächlich weisen ca. 25% der Anleihen des globalen Anleihemarktes, gemessen am ICE BofAML Global Fixed Income Markets Index, eine negative Nominalrendite aus. Ca. 65% haben eine Nominalrendite von einem Prozent oder niedriger. Das kommt bei einer positiven Inflation einer negativen Realrendite gleich. Eine schnelle Abkehr von diesem Negativ-Realzinsumfeld ist kaum zu erwarten. Positive reale Erträge sind nur von Sachinvestitionen, zu denen Unternehmensbeteiligungen (also Aktien) gehören, zu erwarten.[6] Wer die Ungleichheit verringern will, kommt an der Förderung der Kapitalbeteiligung nicht vorbei. Die Risikoprämie ist es, welche die Renditen zwischen den Anlageformen spreizt und dadurch Kapitalakkumulation – oder Kapitalvernichtung – fördert.[7]
„Wohlstand für alle“ – gemessen an einer breiteren Streuung der Vermögen und einem im internationalen Vergleich höheren Pro-Kopf-Vermögen – da bleibt noch einiges zu tun. Dabei reicht die Vermögensbildungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland zurück bis in die 1950er Jahre.[8] Es begann schon mit dem Lastenausgleichsgesetz von 1952. Es folgt das erste Vermögensbildungsgesetz im Jahr 1961, welches breite Bevölkerungsgruppen zur Kapitalbeteiligung animieren sollte. 1965 und 1970 folgten das zweite und dritte Vermögensbildungsgesetz. Wenn es um die Beteiligung am Produktivkapital und die Verringerung der Ungleichheit geht, haben diese Gesetze jedoch wenig erreicht, wie z.B. Zimmer feststellt. In diesem Kontext ist auch die steuerliche Förderung der Mitarbeiterkapitalbeteiligung zu sehen. Die Freibeträge hierfür wurden zwar 2021 deutlich angehoben, wirken aber im internationalen Vergleich immer noch bescheiden.[9] Besonders die Start-Ups leiden unter der Tatsache, dass das so genannte „dry income“ (Einkommen, das erst als spätere Kapitalbeteiligung ausgezahlt wird) auch nach Verbesserung bei der Mitarbeiterkapitalbeteiligung noch immer nachteilig besteuert wird. Im internationalen Kampf um die besten Köpfe ist das ein klarer Standortnachteil.
Der Rest ist Stückwerk. Eine konsistente Politik zur Förderung der Vermögensbildung, welche Wohneigentum, Altersvorsorge, Kapitalbeteiligung, finanzielle Bildung und auch den Zugang zu Fremdkapital in den Blick nimmt, fehlt. Die Altersvorsorge wurde mit „Riester“ und „Rürup“ nur zaghaft auf eine teilweise Kapitaldeckung umgestellt, finanzielle Bildung wird im Unterricht stiefmütterlich behandelt. Die Debatte um steigende Mieten und Immobilienpreise wird mit der Forderung nach Mietenstopps und staatlichen Bauanstrengungen beantwortet, nicht aber mit Initiativen zur Förderung des Wohneigentums. Dabei geht es nicht nur um „Schneller, ökologischer, preiswerter“[10], sondern gerade auch um die Chance, welche die aktuell vorherrschende Renditelandschaft bietet. Gerade der Mietkauf böte Menschen mit geringerem Einkommen eine Chance auf Wohneigentum.[11]
Stellt sich die Frage, was kann der Souverän, die Bürger, überhaupt selbst zur eigenen Vermögensbildung beitragen. Die Deutschen sparen viel, aber sehr unterschiedlich nach Einkommensgruppen. Peichl und Schüle verweisen darauf, dass die Sparfähigkeit nicht als Aggregat betrachtet werden sollte, sondern nach Einkommensgruppen. Sie stützen ihre Untersuchung der Sparfähigkeit auf die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) und verweisen in ihrer aktuellen Analyse darauf, dass Haushalte im ersten Quintil der Einkommensverteilung gar nicht sparen, sondern im Durchschnitt sogar Vermögen abbauen. Das zweite Quintil spart nur in einem sehr eingeschränkten Umfang. Gleichzeitig variiert die Portfoliostruktur stark mit der Einkommensverteilung. Was sich auf die Faustformel bringen lässt: Je höher das Einkommen, desto wahrscheinlicher ist der Besitz von Wertpapieren und Immobilien, und desto höher ist auch die Sparquote.[12] Gerade für die unteren beiden Quintile, die wenig sparen können oder sich sogar verschulden, wäre es daher wichtig, den Vermögensaufbau gezielt zu fördern. Es beginnt bei mehr „Netto“ vom „Brutto“, wozu auch gehören sollte, dass die Abzüge für die gesetzliche Rentenversicherung zumindest teilweise alternativ in eine private, Kapital gedeckte, Vorsorgeform fließen sollten. Ein erster Schritt dazu wäre, dass der bereits erfolgte Einstieg in die Kapitaldeckung, „Riester“ und „Rürup“, von den Fesseln der Beitragsgarantie befreit wird, da diese einen Renditekiller zumal im Negativzinsumfeld darstellen. Auch das vL-Sparen, das ein stiefmütterliches Dasein fristet, weil die Fördergrenzen und die Laufzeiten kaum der Inflation angepasst wurden, könnte ausgebaut werden. In einem nächsten Schritt gehört die Finanztransaktionssteuer, die nur eine Steuer auf den Vermögensaufbau der Privatanleger ist,[13] vom Tisch, ebenso wie die immer wieder in der Debatte befindliche Vermögenssteuer. Auch die, gegenüber Anleihen deutlich benachteiligte Besteuerung von Aktien gehört reformiert. Dadurch, dass Unternehmensgewinne bereits auf Unternehmensebene versteuert werden, und dann unbeschadet dessen auf Anlegerebene noch einmal Abgeltungssteuer und Soli abgezogen werden, liegt die Gesamtbelastung bei über 50% – und ist damit auch höher als die Besteuerung der Einkommen. Eine Sofortmaßname zur Förderung der Kapitalbildung wäre die Ausweitung des Sparerfreibetrages und die Wiedereinführung einer Spekulationsfrist auf Kursgewinne.
Wohlstand für alle ist möglich – durch eine umfassende Politik zur Vermögensbildung. Gerade die Ungleichheitsdebatte zeigt, dass wir dabei in Deutschland immer wieder an das alte Versprechen von Ludwig Erhard ranmüssen. Dabei geht es nicht (alleine) um Umverteilung. Wir brauchen eine konsistente Politik der Vermögensbildung, die alle Vermögens- und Einkommensgruppen unterstützt. Es geht um den Dreiklang: Wohlstand steigern – Ungleichheit verringern – Souveränität stärken.
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[1] Papier, H-J. (2021). Vermögensbildung fördern – den Souverän stärken. Die verfassungsrechtliche Sicht. In H.-J. Naumer (Hrsg.), Vermögensbildungspolitik. Wohlstand steigern – Ungleichheit verringern – Souveränität stärken. Berlin: SpringerGabler.
[2] Peichl, A., & Schüle, P. (2021). Eine Bestandsaufnahme der Sparfähigkeit in Deutschland: Wer kann was zurücklegen und wie viel? Ebenda.
[3] Allianz Global Wealth Report 2021. Allianz Global Wealth Report 2021: Sparen von zu Hause.
[4] Holzhausen, A. (2021). Das Vermögen der Deutschen und ihr Sparverhalten im internationalen Vergleich. In H.-J. Naumer (Hrsg.), Vermögensbildungspolitik. Wohlstand steigern – Ungleichheit verringern – Souveränität stärken. Berlin: SpringerGabler.
[5] Kuhn, N. (2021). Vermögensbildung und Altersvorsorge mit Aktien. In H.-J. Naumer (Hrsg.), Vermögensbildungspolitik. Wohlstand steigern – Ungleichheit verringern – Souveränität stärken. Berlin: SpringerGabler.
[6] Hofrichter, S. (2021). Kapitalanlage im Niedrigzinsumfeld. In H.-J. Naumer (Hrsg.), Vermögensbildungspolitik. Wohlstand steigern – Ungleichheit verringern – Souveränität stärken. Berlin: SpringerGabler.
[7] Naumer, H-J (2016). Wer mehr Gleichheit will, muss die Beteiligung an der Risikoprämie fördern. Ökonomenstimme
[8] Vgl. im Folgenden: Zimmer, M. (2021). Politik der Vermögensbildung in Deutschland – eine Bestandsaufnahme. In H.-J. Naumer (Hrsg.). Vermögensbildungspolitik. Wohlstand steigern – Ungleichheit verringern – Souveränität stärken. Berlin: SpringerGabler.
[9] Beyer, H. (2021). Die Brücke zwischen Kapital und Arbeit bauen: Die Mitarbeiterkapitalbeteiligung und was in Deutschland zu tun bleibt. Ebenda.
[10] Warnecke, K H. (2021). Schneller, ökologischer, preiswerter – ein 8-Punkte-Sofortprogramm zur Förderung privaten Wohneigentums. Ebenda.
[11] Grabka, M., & Gründling, P. (2021). Wohneigentum durch Mietkauf: ein Baustein zum nachhaltigen Vermögensaufbau. In H.-J. Naumer (Hrsg.), Vermögensbildungspolitik. Wohlstand steigern – Ungleichheit verringern – Souveränität stärken. Berlin: SpringerGabler.
[12] Peichl, A., & Schüle, P. (2021). Eine Bestandsaufnahme der Sparfähigkeit in Deutschland: Wer kann was zurücklegen und wie viel? Ebenda.
[13] Naumer, H-J. (2019). Börsensteuer – die Steuer auf den Vermögensaufbau der Kleinanleger. Ökonomenstimme.
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Meiner Ansicht nach kommt dieser Artikel zum falschen Zeitpunkt, da Aktien und Wohnimmobilien extrem teuer sind und sollten die Zinsen steigen massiv an Wert verlieren werden. Damit wäre auch die FDP-Idee vom nationalen Aktienfonds kein sicheres Investment. Kann natürlich sein, dass alles noch viel teurer wird, bekanntlich gibt es keine Grenze nach oben – bis dann doch der Hochpunkt überschritten ist. Meiner Ansicht nach wäre Aus- und Weiterbildung der geeignete Weg um sich ein besseres Einkommen zu verschaffen. Allerdings können das Politiker nicht verteilen, darum muss man sich selber kümmern.