Bild: Pixaby
Bei multilateralen Lösungen gewinnen alle Beteiligten – das ist vor allem bei Problemfeldern wie dem Klimawandel und dem Außenhandel wichtig. Doch das können nicht alle einsehen.
Bundesaußenminister Heiko Maas initiierte und gründete am Rande der diesjährigen Vollversammlung der Vereinten Nationen (UNO) die sogenannten Allianz für Multilateralismus, der sich 60 Nationen, darunter die Vereinigten Staaten von Amerika, anschlossen. Dies kann man als Erfolg verbuchen. Denn gerade aus den USA kommen seit dem Amtsantritt von Präsident Trump eher nationalistische Töne. Trump selber sieht einen Widerspruch von Patriotismus und Multilateralismus.
Warum liegt der Präsident (auch) hier falsch? Um diese Frage zu beantworten, sollte man sich erst einmal klar machen, was Multilateralismus bedeutet. Es geht darum, wichtige grenzüberschreitende, bisweilen sogar globale Probleme gemeinsam – also in einem alle Beteiligten umspannenden Verbund – anzugehen und einer Lösung zuzuführen. Dabei wird eine Situation angestrebt, bei der alle Beteiligten etwas gewinnen können.
Es ist nämlich ein Fehlschluss zu glauben, dass bei multilateralen Lösungen automatisch Gewinner und Verlierer entstehen. Diese Vorstellung scheint aber besonders den US-Präsidenten zu treiben. Aufbauend auf seinen Erfahrungen als Käufer von Vorleistungen und Verkäufer von Endprodukten, bei denen in der letzten Phase tatsächlich eine Preisänderung für einen der Beteiligten einen Gewinn und den anderen einen Verlust darstellt, scheint er zu glauben, dass jeder Austausch ein Nullsummenspiel ist. Wäre es so, hätte schon in der Vergangenheit niemand mit ihm (oder anderen Partnern) Geschäfte gemacht.
Richtig ist, dass die Preisverhandlungen nur in einem Rahmen geführt werden, der beiden Partnern einen Gewinn belässt; wir sprechen von Positivsummenspielen. Ist der Druck eines der Partner auf die Marge des anderen zu groß, wird dieser aussteigen. Jeder binnenwirtschaftlich oder international durchgeführte Handel, der zwischen freien und gleichen Partnern durchgeführt wird, bedeutet einen zumindest wahrgenommen Vorteil für beide – sonst fände er nicht statt. Irrtümer mag es immer geben, aber systematisch muss die Summe positiv sein.
Das gleiche gilt für Regeln. Nur wer glaubt, dass ihm Regeln fair und durchsetzbar sind, unterwirft sich ihnen. Wer glaubt, allein stark genug zu sein, mag nicht an multilaterale Regeln glauben. Die Erfahrung legt aber nahe, dass niemand – kein Land und keine Person – so mächtig ist, dass Alleingänge immer zum Ziel führen. Insofern spricht viel dafür, dass auch große Partner sich an der multilateralen Entscheidungsfindung beteiligen. Es besteht also kein Widerspruch zwischen einer multilateralen Ordnung und der Heimatliebe. Es sei denn, der Präsident meint nicht Patriotismus, sondern Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit.
Kommen wir zurück zur Notwendigkeit einer multilateralen Ordnung. Grundlage der Analyse ist das sogenannte Subsidiaritätsprinzip: Probleme sind grundsätzlich auf der niedrigsten möglichen Ebene zu lösen, also nationale Problem auf nationaler Ebene, rein lokale Probleme auf der lokalen. Immer wenn es hingegen um grenzüberschreitende Probleme geht, müssen internationale Lösungen angestrebt werden. Besteht das Problem nur zwischen zwei Ländern, reicht eine bilaterale Lösung. Ein Beispiel dafür wäre die Verschmutzung eines Flusses, der in einem Land entspringt und in einem anderen in einen See oder das Meer mündet. Verschmutzung im Land am Oberlauf verursacht Umweltschäden im Land am Unterlauf des Flusses. Dies haben die beiden Beteiligten zu klären. Das klingt recht simpel, allerdings hat sich vielfach gezeigt, dass selbst rein bilaterale Absprachen nicht immer einfach sind.
Betrifft das Problem viele Länder, so ist die multilaterale Lösung vorzuziehen. Dann sind alle Betroffenen an der Formulierung der Regeln, die in diesem Fall gelten, beteiligt. Damit können auch sämtliche Interessen berücksichtigt werden. Typische Problemfelder, die einen multilateralen Ansatz erfordern, sind die Klimakrise, der globale Friedensprozess, der Außenhandel sowie die internationalen Finanzmärkte. Der Klimawandel oder eine Finanzkrise betreffen genauso sämtliche Länder wie ein Handelsstreit zwischen den USA und China.
Dort, wo es eine multilaterale Ordnung gibt, hat sie sich weitgehend bewährt. Es ist beispielsweise gelungen, immer mehr Länder in die im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) vereinbarte Verträge zum Güter- und Dienstleistungshandel und zum Schutz geistigen Eigentums einzubeziehen. Die Welthandelsordnung, ursprünglich im Jahre 1947 von 23 Ländern nur im Allgemeinen Zoll- und Freihandelsvertrag (GATT) kodifiziert, ist inzwischen von 164 Ländern akzeptiert und inhaltlich wesentlich ausgeweitet; weitere Länder streben die Mitgliedschaft an. Seit 1947 ist der Außenhandel, von wenigen Krisenjahren abgesehen, deutlich stärker als das Weltsozialprodukt gestiegen. Nicht zuletzt dadurch sind immer mehr Menschen der Armut entkommen.
Natürlich wirft verstärkter Außenhandel auch Probleme auf – zur Lösung dieser Probleme dient ja gerade die multilaterale Handelsordnung, die festlegt, welche Schutzmaßnahmen gegen die Kosten steigenden Handels statthaft sind und welche nicht. Auch dieser Teil der Ordnung kann als erfolgreich gelten. Konsequenterweise arbeitet die WTO unter internationaler Beteiligung an ihrer Reform.
Mit Blick auf die Klimapolitik und die Finanzordnung sind wir noch weit von dieser Kohärenz und Durchsetzbarkeit entfernt, die bei den Handelsregeln vorherrscht. Denn auf beiden Feldern lohnt sich das Trittbrettfahren aus nationaler Perspektive mehr als beim Außenhandel. Der Verzicht auf die multilaterale Ordnung dürfte aber langfristig vor allem beim Thema Klima sehr teuer werden; es droht ein Negativsummenspiel.
Deshalb ist die Initiative des Außenministers so wichtig und richtig. Auch wenn es im Moment nicht so wirkt, dass Populisten wie Donald Trump, Wladimir Putin, Boris Johnson, Viktor Orban oder Jair Bolsonaro vernünftigen Argumenten zugänglich wären, muss man davon ausgehen, dass in den USA, Russland, Britannien, Ungarn oder Brasilien (um in den Beispielen zu bleiben) noch genug Menschen mit Verantwortungsbewusstsein relevante Posten besetzen und in Zukunft besetzen werden. Ihnen ein stehendes Angebot zu unterbreiten, ist überaus verdienstvoll.
Hinweis: Der Beitrag erschien am 4. Oktober 2019 in der Online-Ausgabe der Wirtschaftswoche.
- Ordnungspolitischer Unfug (12)Retten Verbote das Klima? - 16. März 2023
- Gastbeitrag
Kann die Wirtschaftspolitik im neuen Jahr so verschlafen weitermachen? - 6. Januar 2023 - Gastbeitrag
Wie sicher ist unsere Energieversorgung? - 1. September 2022