Gastbeitrag
Deutsche Klimapolitik getrieben von Hoffnungen und Träumen

Bild: Pixabay

Die Klimadebatte erhitzt in Deutschland die Gemüter. Sie wird zunehmend emotional aufgeladen und apodiktisch geführt. Dies trifft zwar in erster Linie auf die politische und mediale Auseinandersetzung zu, schließt allerdings auch Wirtschaftswissenschaftler*innen nicht aus. Begriffe wie Marktversagen erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Der Klimaschutz erfordere umfassende, stark regulierende Interventionen des Staates – so eine gängige Begründung (siehe u.a. hier). Dies wirft die Kernfrage auf: Sind solche Interventionen, wie sie in Deutschland überwiegend gefordert und praktiziert werden, tatsächlich geeignet, das weltweite CO2-Problem zu lösen?

Umweltbilanz in zentralwirtschaftlichen Staaten verheerend

Blicken wir in die vergangenen Jahrzehnte, so ist festzustellen, dass Staaten mit einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung eine weitaus bessere Umweltbilanz als etatistisch ausgerichtete Länder aufweisen. Exemplarisch hierfür steht die erschreckende Umweltbilanz der ehemaligen DDR (siehe u.a. hier). Eine der Begründungen ist, dass mit privaten Gütern effizienter und nachhaltiger umgegangen wird als mit öffentlichen. Privatisierungen sind somit grundsätzlich als Instrument für und nicht gegen Umweltschutz zu werten. Gleichwohl greift dieses Argument nur für sich genommen zu kurz. Wir möchten deshalb einen Schritt weiter gehen und erläutern, welche Anreizwirkungen sich durch interventionistische Klimapolitik entfalten.

Deutschland bisher alles andere als ein Zugpferd

Deutschland hat sich weltweit mit die höchsten Reduktionsziele für CO2-Emissionen gesetzt. Im Jahr 2050 möchte man im Vergleich zu 1990 etwa 95 Prozent einsparen. Bis 2017 konnten die Emissionen laut Angabe des Umweltbundesamtes zwar um 27,5 Prozent reduziert werden, das Ziel einer vierzigprozentigen Reduktion bis 2020 wird allerdings voraussichtlich verfehlt. Nichtsdestotrotz weist der Trend der deutschen CO2-Emissionen nach unten. Nun ist Deutschland nicht allein auf der Welt. Die hiesigen Emissionen machen global betrachtet gerade einmal zwei Prozent aus. Was lässt sich indes über die weltweiten Bemühungen sagen? Die Antwort fällt sehr ernüchternd aus. Weder nach Kyoto, noch nach Paris, noch nach irgendeiner anderen Klimakonferenz ist der globale CO2-Ausstoß zurückgegangen. Im Gegenteil: Seit der ersten Klimakonferenz von 1990 haben sich die Emissionen – insbesondere durch den Aufstieg großer Schwellenländer wie China und Indien – fast verdoppelt. Eine Umkehr dieses Trends ist momentan nicht festzustellen und auf absehbare Zeit auch wenig wahrscheinlich (siehe u.a. hier). Könnte es dennoch sein, dass die deutschen Anstrengungen zwar nicht zu einer Umkehr, aber zumindest theoretisch zu einer Abschwächung dieses Trends geführt haben? Auch hier fällt die Antwort sehr ernüchternd aus.

Grünes Paradoxon: Die deutsche Klimapolitik macht die Rechnung ohne den Wirt

Der Schwerpunkt der deutschen Klimapolitik liegt bisher ganz überwiegend auf der Nachfrage- bzw. Verbraucherseite fossiler Energie. Höhere Besteuerung von Kraftstoffen, Subventionen für E-Mobilität und Solaranlagen, Vorschriften zur Energieeinsparung in der Bauwirtschaft usw.: All diese staatlichen Eingriffe zielen darauf ab, den Verbrauch fossiler Energieträger zu senken bzw. die Nutzung regenerativer Energien zu fördern. Richten wir den Blick stattdessen einmal auf die Angebotsseite. Schließlich wird kein Markt der Welt nur durch eine Seite bestimmt. Auf die Problematik einer ausnahmslos nachfrageorientierten Klimapolitik wurde bereits vor mehr als zehn Jahren unter anderem durch Hans-Werner Sinn hingewiesen. Die Politik dürfe, so der ehemalige Leiter des Münchener Ifo-Instituts inhaltsgemäß, nicht den Fehler begehen, die Rechnung ohne den Wirt – also ohne die Anbieter fossiler Energieträger – zu machen. In diesem Zusammenhang hat er auf das Phänomen eines sogenannten Grünen Paradoxons verwiesen (siehe u.a. hier). Was muss man sich darunter vorstellen? Die Antwort liegt im Kalkül der Produzenten fossiler Brennstoffe. So steht ein Rohstoffbesitzer anders als herkömmliche Güterproduzenten vor der Entscheidung, ob er einen Teil seiner Reserven lieber in der Gegenwart oder in der Zukunft fördern und anbieten soll. Hierzu wird er berücksichtigen, dass eine zunehmende Verknappung und eine künftig gesteigerte Nachfrage zu einem Wertanstieg seines Besitzes führen. Geht er von einer hohen Wertsteigerung aus, wird er seine gegenwärtige Förderquote vergleichsweise niedrig halten. Rechnet er allerdings damit, dass klimapolitische Maßnahmen den Wertzuwachs seines Rohstoffs künftig erheblich schmälern, wird er seine Förderung hochfahren und bestrebt sein, den Erlös alternativ anzulegen, z.B. in Wertpapieren. Eine Ausweitung der Förderquoten führt automatisch zu einem Anstieg des Angebots fossiler Brennstoffe auf dem Weltmarkt. Dies drückt den Preis, wodurch wiederum der Verbrauch anzieht. Mithin sind Länder wie China oder Indien Nutznießer deutscher und europäischer Klimapolitik bzw. profitieren von der hierzulande propagierten Dekarbonisierung. Klimapolitik kann also Anreize setzen, die genau das Gegenteil von dem bewirken, was eigentlich beabsichtigt ist. Der in den vergangenen Jahren trotz (oder gerade wegen) der internationalen Klimakonferenzen messbare Anstieg des weltweiten Verbrauchs fossiler Energieträger passt zu diesem Befund.

Vorschläge der Kohlekommission laufen ins Leere

Nun stellt sich die Frage, ob wenigstens „Expertenvorschläge“ geeignet sind, die Politik auf den „richtigen“ klimapolitischen Pfad zu bringen. Auch hier sind Zweifel angebracht. Beispielhaft zeigt sich dies im Ergebnisbericht der sogenannten Kohlekommission (siehe hier). Diese wurde durch die Bundesregierung mit der Vorgabe eingesetzt, Vorschläge für das Erreichen des deutschen Energiesektorziels 2030 zu erarbeiten. In Zahlen bedeutet dies eine Reduktion um etwa 60 Prozent an CO2-Emissionen im Vergleich zu 1990. Es ist offenkundig, dass ein solches Ziel ohne eine beschleunigte Stilllegung von Kohlekraftwerken nicht erreichbar wäre. Genau dies hat die Kohlekommission unter anderem empfohlen. Insofern folgen die Vorschläge der Kohlekommission zuallererst der Logik ambitionierter deutscher Klimaschutzziele, die im Übrigen weit über denen der EU liegen. Allerdings darf daran gezweifelt werden, ob ein beschleunigtes Stilllegen tatsächlich zu einer CO2-Reduktion führt. Weshalb? Erstens: Der deutsche Energiesektor fällt unter das Europäische Emissionshandelssystem. Eine CO2-Reduktion kann somit nur dann erreicht werden, wenn Zertifikate entsprechend der Höhe der deutschen Einsparung aus dem Handel genommen werden. Andernfalls entstünde ein Preisdruck, so dass die Zertifikate in anderen Ländern günstiger zu beziehen wären. Dann würde der in Deutschland eingesparte CO2-Ausstoß lediglich ins europäische Ausland verlagert. Da es die Erdatmosphäre wenig kümmert, ob ein zusätzliches CO2-Molekül aus Deutschland oder anderswo herstammt, wäre nichts gewonnen. Das Löschen der Zertifikate ist also eine notwendige Bedingung. Zweitens: Wenn man die Angebotsseite genauer betrachtet, fällt auf, dass trotz des massiven Ausbaus regenerativer Energiequellen die deutschen Braunkohle-Förderquoten seit zwanzig Jahren nahezu unverändert geblieben und damit immer noch die höchsten der Welt sind. Die Folge ist, dass sich Deutschland in den letzten Jahren zum größten Stromexporteur in Europa entwickelt hat und andernorts mit sehr billigem Kohlestrom die Preise drückt (siehe u.a. hier). Die niedrigen Strompreise befördern nicht nur einen Anstieg des Energieverbrauchs im Ausland. Sie rufen auch ausländische Betreiber auf den Plan, ihrerseits die günstige Stromproduktion von Kohlekraftwerken hochzufahren, um dem Verlust von Marktanteilen entgegenzutreten. Allein die Ankündigung eines beschleunigten Ausstiegs aus der Kohleverstromung könnte bewirken, dass dieser Mechanismus noch verstärkt wird. Dies wäre ein gutes Beispiel für ein Grünes Paradoxon. Unabhängig hiervon erscheint die Realisierung der Vorschläge der Kohlekommission wenig praktikabel. So wird beispielsweise der weitgehende Ersatz von Kohlekraftwerken durch Gaskraftwerke bis 2038 empfohlen. Dies allein löst aber nicht das 2050er Langfristziel einer nahezu CO2-neutralen Energiewirtschaft. Hierfür ist die komplette Entkopplung der Stromversorgung von fossilen Brennstoffen – also auch von Erdgas – notwendig. Das Problem hierbei ist allerdings, dass die Stromproduktion bei Wind- und Solaranlagen witterungsbedingt sehr volatil ist. Es stellt sich also die Frage, wie langfristig eine CO2-neutrale und zugleich stabile Stromversorgung realisiert werden kann. Die Kohlekommission setzt hier primär auf die künftige Herstellung synthetischen Erdgases aus überschüssigem Ökostrom. Hiermit ließen sich dann 2050 die Gaskraftwerke CO2-neutral betreiben. Nach unserer Berechnung wäre allein für die Umsetzung dieses Vorschlags die achtfache Anzahl an Wind- und Solaranlagen im Vergleich zu heute nötig. Den zusätzlichen Bedarf, der sich aufgrund des außerdem geplanten Umstiegs im Verkehrssektor auf E-Mobilität bzw. auf synthetische Kraftstoffe ergibt, haben wir hierzu noch nicht einmal eingerechnet. Die notwendige, enorme Vervielfachung regenerativer Stromerzeugung wird im Bericht an keiner Stelle erwähnt.

Auch andere prominente Empfehlungen inkonsistent

Nun kann man vor dem Hintergrund expliziter politischer Vorgaben zurecht argumentieren, dass die Empfehlungen der Kohlekommission keinen wirklichen Mehrwert liefern. Lenken wir deshalb den Blick auf andere Vorschläge. Hier fällt sofort das Sondergutachten der fünf Wirtschaftsweisen „Aufbruch zu einer neuen Klimapolitik“ aus Mitte 2019 ins Auge (siehe hier). In dem Gutachten wird sehr deutlich das bisherige Klein-Klein der deutschen Klimapolitik – insbesondere der stark konstruktivistische Ansatz der sogenannten Energiewende – als wenig effektiv kritisiert. Eine wesentliche Forderung der Wirtschaftsweisen besteht darin, dass Deutschland auf die Ausweitung des Europäischen Emissionsrechtehandels auf sämtliche CO2-intensiven Sektoren hinwirken solle. Darüber hinaus stellen die Wirtschaftsweisen eine weitere bedeutende Forderung an die Politik: Deutschland solle künftig Abstand von seiner klimapolitischen Vorreiterrolle nehmen. Es sei besser, so die Gutachter, die EU?Vorgaben umzusetzen und nicht zu versuchen, diese zu übertrumpfen. Wie sind diese Forderungen zu werten? Betrachten wir zunächst den Anteil der EU am weltweiten CO2-Ausstoß. Dieser beträgt lediglich 10 Prozent. Effektive Klimapolitik bedeutet nicht, einseitig Maßnahmen in Deutschland oder Europa zum Einsparen von Emissionen durchsetzen, damit die Emissionen in anderen Regionen der Erde ansteigen. Hier liegt der springende Punkt: Die hiesige Ausweitung des Emissionsrechtehandels führt weder dazu, dass große Schwellenländer wie China oder Indien Deutschland folgen. Noch führt sie dazu, dass Anreize für weltweite Rohstoffproduzenten gesetzt werden, ihre Förderquoten zu drosseln. Ansatzweise ist dies den Wirtschaftsweisen bewusst. Im Gutachten wird nämlich betont, dass ein entscheidendes Element erfolgreicher Klimapolitik eine weltweite Koordination sei. Demnach sollten von deutscher Seite alle erforderlichen Anstrengungen mit dem Ziel einer globalen CO2-Mindestbepreisung unternommen werden. Die Chancen stünden hierfür allerdings besser, wenn Deutschland statt einer Vorreiterrolle eine Vorbildfunktion einnehmen würde. Dies wäre der Fall, so die Gutachter, wenn es einer hoch entwickelten – und fossile Energie intensiv nutzenden – Volkswirtschaft wie Deutschland gelänge, die international vereinbarten Ziele kosteneffizient und ohne größere gesellschaftliche Verwerfungen zu erreichen. Hier liegt die eigentliche Achillesferse des Gutachtens. Es wird nämlich fälschlicherweise der Eindruck erweckt, dass die avisierte Vorbildfunktion strikt von einer Vorreiterrolle getrennt werden könne. Dabei befindet sich Deutschland allein aufgrund der ambitionierten internationalen Zusagen der EU bereits automatisch in einer weltweiten Pionierposition. Zwar ist aus ökonomischen Anwendungen der Spieltheorie bekannt, dass die Summe der weltweiten Emissionen infolge des Vorpreschens einer Nation bzw. kleineren Koalition (wie die der EU) sinken kann. Dies gilt aber nur dann, wenn durch den Vorreiter zügig nachgewiesen wird, dass eine effektive CO2-Vermeidung mit geringen Kosten verbunden ist. Hierdurch werden Anreize bei anderen Staaten zur Nachahmung geweckt. Letzteres verstehen die Wirtschaftsweisen wahrscheinlich unter der avisierten Vorbildfunktion. Der in ihrem Sondergutachten gebrauchte Begriff „kosteneffizient“ ist allerdings nicht mit „geringen Kosten“, wie es in der Spieltheorie postuliert wird, zu verwechseln. Kosteneffizienz bedeutet nämlich lediglich, dass das günstigste Instrumentarium zur Erreichung der Klimaschutzziele eingesetzt wird. Demnach können auch hohe CO2-Vermeidungskosten die Bedingung einer Kosteneffizienz erfüllen. Bis auf die genannte Ausnahme, dass ein Land tatsächlich den Nachweis für geringe CO2-Vermeidungskosten erbringt, spricht nur sehr wenig für eine Vorreiterrolle. Vielmehr zeigen Ergebnisse der Spieltheorie, dass hierdurch bei anderen Nationen eine abwartende Haltung bzw. die Einnahme einer Trittbrettfahrerposition begünstigt wird. Als Folge solcher Anreize ist wiederum mit einem Anstieg der weltweiten Emissionen zu rechnen, womit wir erneut beim Grünen Paradoxon wären. Die aus Sicht von Klimapolitikern unbefriedigenden Ergebnisse des jüngsten Klimagipfels weisen genau in diese Richtung (siehe u.a. hier).

Mit der Energiewende geht die deutsche Klimapolitik voll ins Risiko

Es ist auch aufgrund „hausgemachter“ Probleme bisher nicht erkennbar, wie es Deutschland gelingen soll, weltweites Vorbild in Sachen Klimapolitik zu werden. So bemängelt beispielsweise der Bundesrechnungshof (BRH) in seinem letzten Sonderbericht zur Energiewende nicht nur die herrschende Intransparenz – insbesondere auf Seiten des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (siehe hier). Er taxiert auch die Kosten der Energiewende allein für 2017 auf etwa 34 Mrd. Euro. Und für den Zeitraum 2013 bis 2017 veranschlagt der BRH etwa 160 Mrd. Euro. Solche Summen legen nahe, dass die Politik ein gravierendes Risiko eingegangen ist. Denn bis dato zeichnet sich weit und breit keine Lösung der Kernfrage der deutschen Energiewende ab: Wie kann die Systemstabilität des Stromnetzes in ausreichendem Maße sichergestellt werden, ohne dass effiziente Speichermöglichkeiten bestehen? Die Politik setzt hier bislang blindlings auf künftigen technischen Fortschritt. Gleichzeitig wird durch massive Förderung bestimmter regenerativer Energien – wie Solar- und Windkraftanlagen – die marktwirtschaftliche Innovationskraft gehemmt, was sich langfristig negativ auf die Erschließung alternativer umweltfreundlicher Energiequellen auswirkt. Auch die gerne ins Feld geführte Argumentation, dass sich durch die Energiewende zusätzliche Arbeitsplätze generieren ließen, erweist sich mehr und mehr als Trugschluss (siehe u.a. hier). Fazit: Die deutsche Klimapolitik ist gefangen in einer Hoffnungs- und Traumwelt. Sie bleibt den Beweis schuldig, dass sie sich eignet, zur Lösung des weltweiten CO2-Problems beizutragen.

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