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Corona aller Orten
Das SARS-CoV-2-Virus dominiert momentan praktisch alle Lebensbereiche. Dabei führt insbesondere die angestrebte Vermeidung von Sozialkontakten zu vielfältigen Konsequenzen. Versammlungen finden mittlerweile nicht mehr statt und dies resultiert oft in ungelösten Folgefragen.
Bei Kapitalgesellschaften ist diese Problematik besonders ausgeprägt, weil die jährliche Versammlung der Eigentümer ein wesentlicher Bestandteil der Corporate Governance ist. An ihr hängt nicht nur die Freigabe der Gewinnausschüttung, sondern auch oft auch die einzige Möglichkeit für Minderheitsgesellschafter, mit der Gesellschaft in einen relevanten Dialog zu treten. Besonders deutlich wird dies bei Hauptversammlungen von börsennotierten Aktiengesellschaften, die zuletzt reihenweise verschoben wurden. Entsprechend mehrten sich die Rufe nach einer Berücksichtigung dieser Situation, wobei der gesetzliche Zwang zum Abhalten der Hauptversammlung binnen acht Monaten nach Abschluss des Geschäftsjahres am häufigsten als Anlass entsprechender Petita angeführt wurde.
Die deutsche Problematik
Paket- oder gar Großaktionäre sind bei solchen Gesellschaften regelmäßig durch Mitglieder in Aufsichtsrat und manchmal sogar im Vorstand vertreten und können damit ihre Informationsbasis und ihren Einfluss zumindest mittelbar wahren, während für Minderheitsaktionäre nach deutschem Aktienrecht praktisch alle wesentlichen Ansprüche von Minderheitsaktionären und damit der Eigentumsschutz am Besuch der Hauptversammlung hängen. Entsprechend wundern sich mitunter Aktionäre aus anderen Ländern (nicht zuletzt den USA) mit anderen rechtlichen Vorgaben über den teilweise langen und zähen Verlauf der Versammlungen, in denen einige Kleinaktionäre mit der Verwaltung hitzige Debatten ausfechten sowie durch Fragen und Widersprüche die Möglichkeit konsekutiver Klagen schaffen. Man mag dies gutheißen oder nicht: Außerhalb der Hauptversammlung sind für die Kleinaktionäre Informations- und Einspruchsrechte von Eigentümern de facto nicht gegeben.
Die Lästigkeit entsprechender Aktivitäten für das Topmanagement und die bestimmenden Aktionärsgruppen führte in der Vergangenheit indessen zu Initiativen, selbst diese an die Hauptversammlung gebundenen Rechte einzuschränken und den ohnehin minimalistischen Minderheitenschutz des Aktienrechts (vgl. hierzu bspw. auch http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=11032 und http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=18136) weiter auszuhöhlen. Als Aufhänger wurde hierfür in der jüngeren Vergangenheit u.a. die Entwicklung technischer Möglichkeiten für eine Hauptversammlung ohne Präsenz der Aktionäre verwendet, die in anderen Ländern bereits weiter verbreitet ist als in Deutschland.
Grund oder Anlass?
In dieser Gemengelage war es folglich keine Überraschung, dass es zu normativen Reaktionen kommen musste – die Frage war nur: zu welchen? Ein unbedarfter Beobachter der Situation würde als Reaktion auf den Pandemieschock vermutlich eine Streckung der Frist erwarten, in der die Hauptversammlung 2020 eingehalten werden muss, gegebenenfalls auch bis ins Folgejahr hinein. Tatsächlich hat der Gesetzgeber jetzt den Anlass dankbar aufgegriffen, um eine Art Probezeit für virtuelle Hauptversammlungen einzuführen, denn nach aktuellem Stand im Gesetzgebungsverfahren, das sinnigerweise über eine „Formulierungshilfe der Bundesregierung“ (vgl. https://www.verwaltung-innovativ.de/DE/Gesetzgebung/Projekt_eGesetzgebung/Handbuecher_Arbeitshilfen_Leitfaeden/Hb_vorbereitung_rechts_u_verwaltungsvorschriften/Teil_IV_Vertiefte_Betrachtung/4_Sonderfall_Formulierungshilfen/4_Sonderfall_Formulierungshilfen_node.html) für eine Sammelnovelle diverser Normen vorangetrieben wird, steht die Möglichkeit der Einberufung einer Hauptversammlung ohne physischen Präsenzzwang, sofern eine entsprechend definierte Mitwirkung der Aktionäre im Wege elektronischer Kommunikation gewährleistet ist. Zu dieser Mitwirkung gehören auch Frage- und Widerspruchsrecht, doch wurde genau an dieser zentralen Stelle gleichsam der Stöpsel aus der Wanne des Eigentumsschutzes gezogen. Am Ende von Art. 2 § 1 Abs. 2 liest man:
„Der Vorstand entscheidet nach pflichtgemäßem, freien Ermessen, welche Fragen er wie beantwortet; …“
Unabhängig davon, ob man die Kombination aus „pflichtgemäß“ und „frei“ nicht schon an sich für widersprüchlich hält, muss man schon ein an Naivität grenzendes Vertrauen in den Vorstand besitzen, wenn man glaubt, dass insbesondere kritische Fragen unter diesen Vorgaben hinreichend beantwortet werden. Eine rechtliche Durchsetzung von Auskunftsersuchen ist unter diesen Umständen jedenfalls nur noch als theoretische Möglichkeit ohne praktischen Belang einzustufen. Anders formuliert: Die Aktionäre sind auf der Hauptversammlung dem Wohlwollen ihrer bestbezahlten Angestellten gerade dann am meisten ausgesetzt, wenn sie deren Verhalten kritisch hinterfragen – Honi soit qui mal y pense?
Man kann jetzt selbst Wohlwollen gegenüber dieser Regelung demonstrieren und darüber räsonieren, ob die rechtssichere Durchführung der Versammlung im Vordergrund dieser Formulierungshilfe stand oder ob die Sache wie so vieles momentan einfach mit heißer Nadel gestrickt wurde, wofür beispielsweise auch die widersprüchlichen Vorgaben der Art. 2 § 7 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 2 sprechen. Diese Passagen der Formulierungshilfe beziehen sich auf Übergangsregelungen, In- sowie Außerkrafttreten der Bestimmungen und führen immerhin zu einer zeitlichen Begrenzung der beschriebenen Regelung. Indessen bleibt mehr als ein schaler Beigeschmack und die Entwicklung in den letzten zwei Jahrzehnten lässt vermuten, dass nach diesem Probelauf schon bald eine der letzten (kleinen!) Bastionen des aktienrechtlichen Minderheitenschutzes dauerhaft geschleift wird. Der Idee einer unmittelbaren Beteiligung breiter Bevölkerungsschichten an deutschen Aktiengesellschaften würde damit jedenfalls ein weiterer Bärendienst erwiesen (vgl. http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=20494) und der Ausverkauf dieser Unternehmen an internationale Anleger nochmals beschleunigt.
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