Im Februar 2020 publizierten wir eine erste Einschätzung zum Berliner Mietendeckel. Im Jahresverlauf 2019 fiel die Zahl der Baugenehmigungen kräftig und die Zahl der Wohnräume pro Wohnung erhöhte sich. Beides interpretierten wir als Beleg für ein künftig sinkendes Wohnungsangebot.
Entgegen unseren Erwartungen erhöhte sich die Zahl der Genehmigungen zuletzt wieder. Ob dies auf Einmaleffekten beruht oder ob die striktere Mietregulierung geringe Effekte auf das Wohnungsangebot hat, ist derzeit offen. Womöglich werden erst die Fertigstellungszahlen für das Jahr 2020 eine Antwort geben.
Zudem reduzierte sich unseren Berechnungen nach der Wohnungsmangel. Im Jahr 2019 erhöhte sich die Zahl der fertiggestellten Wohnungen auf fast 19.000 und die Zuwanderung brach temporär ein. Voraussichtlich sinkt auch im Jahr 2020 der Nachfrageüberhang aufgrund eines Corona-bedingten Rückgangs der Zuwanderung. Der Neubau dürfte nur geringfügig betroffen werden.
Um die Entwicklungen bis zum Jahr 2030 abzuschätzen, analysieren wir zwei Szenarien. Ein Positivszenario mit einer dynamischen Bauaktivität und einem graduell fallenden Bevölkerungswachstum, wodurch der Mangel an Wohnungen Mitte des Jahrzehnts abgebaut ist. Im zweiten Szenario mit geringerer Bauaktivität und einem konstanten Bevölkerungswachstum fehlen auch im Jahr 2030 noch mehrere 10.000 Wohnungen. Das zweite Szenario halten wir aufgrund der erwarteten globalen Zuwanderung für eine bessere Approximation der zukünftigen Entwicklungen.
Im Jahr 2019 sind Baugenehmigungen nur temporär eingebrochen …
In unserer ersten Einschätzung des Berliner Mietendeckels im Februar 2020[1] fanden wir Indizien für einen unmittelbaren Rückgang des Wohnungsangebots. Im Februar schrieben wir
„…die Einführung des Mietendeckels verändert das künftige Angebot an neuem Wohnraum. Auf Basis des 6-Monats-Durchschnitts – die Monatsdaten sind sehr volatil – fiel die Anzahl von Baugenehmigungen für die Errichtung neuer Gebäude von über 2.000 pro Monat im Juni 2019 auf 1.180 im November 2019 (jüngster Datenpunkt). Dies ist die niedrigste Anzahl an Baugenehmigungen seit Januar 2015. Im gleichen Zeitraum ist die Zahl der Wohnräume pro Wohnung von Juni bis Oktober von 2,5 auf 2,8 angestiegen.“
In den letzten Monaten gab es einen kräftigen Anstieg bei den Baugenehmigungen. Insbesondere wurden im Dezember 4.152 Wohnungen genehmigt – ein deutlicher Kontrapunkt zu dem Rückgang bis November. Auch im Jahr 2020 haben die Baugenehmigungen eher zugelegt. So ist der 6-Monats-Durchschnitt im April auf 2.120 angestiegen. Angesichts der Corona-Krise ist dies bemerkenswert. Auch die Zahl der Wohnräume pro Wohnung hat sich wieder auf 2,5 reduziert. Wenngleich die Zahlen weiterhin sehr volatil sein dürften, lautete das Zwischenfazit: Aktuell ist der von uns vermutete Trend zu größeren Wohnungen und ein deutlicher Rückgang bei den Baugenehmigungen nicht mehr erkennbar.
… aber Daten des BBU deuten auf ein künftig geringeres Wohnungsangebot hin
Trotz dieser positiven Entwicklungen gibt es weiterhin Indizien dafür, dass der Mietendeckel die Entscheidungen der Investoren und Bauunternehmern beeinflusst. So weist der BBU¸ der Dachverband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen, auf negative Auswirkungen hin. Der Verband umfasst landeseigene, kommunale, genossenschaftliche, private und kirchliche Wohnungsunternehmen, dessen Mitglieder in etwa 40% des Berliner Mietwohnungsbestandes bewirtschaften. Diese Unternehmen investierten seit dem Jahr 2013 stets mit zweistelligen jährlichen Zuwachsraten. Im Jahr 2018 erhöhten sich deren Investitionen sogar um 25% gegenüber Vorjahr. Für das Jahr 2019 war ein Investitionsplus von über 20% geplant, realisiert wurde aber lediglich ein Zuwachs von 6%. Da die landeseigenen Wohnungsunternehmen in den letzten Jahren ihren Neubau stetig ausweiteten, dürften für diesen unterdurchschnittlichen Zuwachs andere Anbieter verantwortlich sein. Vermutlich haben vor allem private Wohnungsunternehmen ihre Aktivität zurückgefahren. Lt. BBU reduzierten aber auch genossenschaftliche Wohnungsunternehmen den Neubau und zwar um 43% gegenüber Vorjahr. Aufgrund des Rückgangs der Baubeginne aller Unternehmen im Jahr 2019 um 32% ist auch mit negativen Auswirkungen im Jahr 2020 und danach zu rechnen.[2] Wir vermuten, dass der Berliner Senat den Neubau über die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften weiter ankurbelt. Für eine solide Einschätzung, wie die unmittelbare Wirkung des Berliner Mietendeckels auf das Wohnungsangebot wirkt, muss man wohl zumindest die Neu- bauzahlen des Jahres 2020 abwarten.
Rückläufiger Wohnungsmangel im Jahr 2019
Gemessen an den fast 2 Mio. Wohnungen entwickeln sich die Fertigstellungszahlen aggregiert über den gesamten Zyklus recht träge. Vom Jahr 2009 bis 2019 wurden durchschnittlich nur 0,5% zusätzliche Wohnungen pro Jahr fertiggestellt, während das Bevölkerungswachstum rund 1% pro Jahr betrug. Jedoch weist Berlin einen klaren Aufwärtstrend bei den Fertigstellungen auf. Im Jahr 2019 erreichte der Anteil neuer Wohnungen am Gesamtbestand fast 1%. Es wurden 18.999 Wohnungen fertiggestellt. In Berlin leben durchschnittlich 1,8 Personen pro Wohnung. Folglich ist im Jahr 2019 für rund 34.200 Menschen neuer Wohnraum geschaffen worden. Damit übertrifft im Jahr 2019 die Zahl der Personen in neuem Wohnraum das Einwohnerwachstum, das bei rund 31.300 lag. Unseren Berechnungen nach reduzierte sich die Zahl der fehlenden Wohnungen von rund 88.000 im Jahr 2018 auf 86.000 im Jahr 2019. Über den gesamten Zyklus ist dies die erste deutliche Reduktion.[3] Diese Entwicklung ist eine Folge des temporären Rückgangs der Zuwanderung über den Sommer 2019.
Corona reduziert voraussichtlich den Wohnungsmangel im Jahr 2020
Im Jahr 2020 dürften die Zuwanderung nach Berlin und damit auch das Einwohnerwachstum Corona-bedingt sehr verhalten sein. Auf Bundesebene erwarten wir etwa eine Halbierung der Zuwanderungszahlen gegenüber dem Vorjahr. Unterstellt man auch für Berlin eine Halbierung der Zuwanderung und ein gegenüber dem Vorjahr konstantes natürliches Bevölkerungswachstum, dann erhöht sich die Einwohnerzahl im Jahr 2020 um lediglich 17.800. Dies wäre der niedrigste Wert seit dem Jahr 2009. Die Nachfrage nach Wohnraum würde folglich deutlich weniger steigen als in den Vorjahren. Auch die Berliner Bauunternehmen sind von der Pandemie negativ getroffen. Insbesondere verzögerte Genehmigungsverfahren und Hygieneregeln hemmen die Bauaktivität.[4] Da das Kontaktverbot aber für nur wenige Wochen restriktiv war, erwarten wir in Berlin wie für das gesamte Bundesgebiet nur einen relativ geringen Einfluss auf die Bauleistung im Jahr 2020. In den letzten fünf Jahren war eine stetige Ausweitung der Zahl der fertiggestellten Wohnungen zu beobachten. Die Steigerungsrate betrug durchschnittlich mehr als 2.000 Wohnungen gegenüber dem Vorjahr. Ausgehend von diesem Trend erwarten wir keinen Corona-bedingten Rückgang für das Jahr 2020, sondern nur eine leichte Angebotsausweitung gegenüber den knapp 19.000 fertiggestellten Wohnungen im Jahr 2019. Unseren Berechnungen nach fällt aufgrund des geringen Bevölkerungswachstums und der weiteren Ausweitung des Neubaus die Zahl der fehlenden Wohnungen im Jahr 2020 auf unter 80.000.
Neuer Zuwanderungsschub ab dem Jahr 2021
Für das Jahr 2021 und die Folgejahre unterstellen wir – entweder weil ein Impfstoff gefunden wird oder weil wir gelernt haben, unser Verhalten an die Infektionslage anzupassen –, dass die Pandemie den Alltag in Deutschland nur noch geringfügig einschränkt. Mehrere Entwicklungen könnten die Zuwanderung wieder ankurbeln. Erstens gilt seit 1. März 2020 das Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Dieses könnte durch den Wegfall der Vorrangprüfung Impulse für die Zuwanderung von außerhalb der EU setzen. Zweitens gilt vielerorts Deutschlands Umgang mit der Pandemie als vorbildlich. Folglich könnten die sehr gute epidemiologische Lage und die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssektors in Deutschland als weiterer Zuwanderungsmagnet wirken. Dies gilt insbesondere im Vergleich zu vielen Schwellenländern. Die Nettozuwanderung aus Indien nach Berlin betrug im Jahr 2018 bereits mehr als 2.000 und im Jahr 2019 fast 3.500 Personen. Damit war Indien in beiden Jahren das Hauptherkunftsland.[5] Angesichts der Wachstumsraten von rund 50% p.a. über die letzten drei Jahre könnte die Zuwanderung aus Indien über das nächste Jahrzehnt zu einem bedeutenden Faktor für die Wohnungsnachfrage werden. Die Zuwanderung nach Berlin wird aber nicht nur dank Indien globaler. Unter den Top 20 Ländern befinden sich nur noch drei EU-Staaten, nämlich Italien, Rumänien und Bulgarien.[6] Die USA und UK liegen auf dem zweiten und dritten Platz und Brasilien, Russland und China auf Rang 8 bis 12. Folglich ist das Potenzial für einen kräftigen Zuwanderungsschub in den kommenden Jahren groß. Auf der Angebotsseite dürfte vor allem die anstehende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Mietendeckel von Bedeutung für den Neubau sein. Das Urteil erfolgt vermutlich im Herbst des Jahres 2020. Weiterhin liegen die Juristen mit ihren Einschätzungen weit auseinander. Wir berücksichtigen diese für den Berliner Wohnungsmarkt wichtige Weichenstellung folglich über deren Auswirkungen für den Neubau in den folgenden beiden Szenarien.
Zwei Szenarien bis zum Jahr 2030 skizzieren potenzielle Entwicklung des Wohnungsmangels
Unseren Berechnungen nach fehlten im Jahr 2020 rund 80.000 Wohnungen in Berlin, um das kräftige Bevölkerungswachstum der Vorjahre zu kompensieren. Ausgehend von diesem Mangel zeigen wir mithilfe zweier Szenarien mögliche Entwicklungspfade auf. Diese sind keine Prognosen, sondern Orientierungspunkte für Planungsprozesse.
Szenario 1 …
… unterstellt eine kräftige Ausweitung der Fertigstellungszahlen um jährlich
2.500 Wohnungen im Vergleich zum Vorjahr. Dies ist ein Zuwachs der in den letzten 20 Jahren nur einmal übertroffen wurde. Nachfrageseitig gehen wir in diesem Szenario von einer Nettozuwanderung von 31.300 Personen im Jahr 2021 wie im Jahr 2019 aus. In den Folgejahren unterstellen wir einen graduell abnehmenden Bevölkerungszuwachs um jährlich 2.000 Personen. In diesem Szenario ist das Wohnungsdefizit Mitte des Jahrzehnts verschwunden, weil sich die Zahl der fertiggestellten Wohnungen von knapp 19.000 im Jahr 2019 auf über 45.000 im Jahr 2030 mehr als verdoppelt. Gleichzeitig fällt das Bevölkerungswachstum. Es ist also ein optimistisches Szenario, in dem in Anschluss auf den Abbau des Wohnungsmangels Leerstände entstehen würden und somit den Preis- und Mietzyklus beenden.
Szenario 2 …
… unterstellt eine Ausweitung der Fertigstellungszahlen um jährlich lediglich 500 Wohnungen – zum Beispiel, weil der Mietendeckel verfassungskonform ist und folglich der Neubau lahmt – und einen konstanten Bevölkerungszuwachs in Höhe von 31.300 Personen wie im Jahr 2019. In diesem Szenario fehlen im Jahr 2030 immer noch 37.000 Wohnungen. Der Wohnungsmangel verringert sich, besteht aber über die gesamte Dekade fort. Wir halten Szenario 2 für eine bessere Approximation der künftigen Entwicklung als Szenario 1. Daher gehen wir weiter davon aus, dass, auch wenn der Berliner Mietendeckel verfassungskonform wäre,
- der Preis- und Mietdruck langfristig weiter anzieht, wenngleich er sich kurzfristig nicht in höheren Mieten niederschlägt,
- die strikte Regulierung zunehmend zu regulatorischer Arbitrage führt und
- langfristig wieder dereguliert wird.
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[1] Möbert, Jochen (2020). Berliner Wohnungsmarkt: Mietendeckel dürfte wirtschaftlichen Superzyklus und Immobilienzyklus für einige Jahre entkoppeln. Deutschland Monitor. Deutsche Bank Research. 20. Februar.
[2] Kern, Maren (2020). Gemeinsam für mehr Berlin! BBU-Vorstand. BBU-Jahrespressekonferenz 2020 Berlin. 2. Juli.
[3] Im Jahr 2018 ist der Wohnungsmangel womöglich auch zurückgegangen. Jedoch war dies bestenfalls ein marginaler Rückgang. Zudem hängt es von der Größe der durchschnittlichen Haushalte in Berlin ab, wofür es unterschiedliche Angaben gibt.
[4] Vgl. BBU-Jahrespressekonferenz 2020 Berlin, 2. Juli 2020.
[5] Auch für Deutschland nimmt die Zuwanderung aus Indien zu. Vgl. Möbert, Jochen (2020). Zuwanderung nach Deutschland bis zum Jahr 2030: Indien auf dem Weg zum Hauptherkunftsland? Aktueller Kommentar. Deutsche Bank Research, 7. Juli.
[6] Hier spielt für das Jahr 2019 wohl auch ein Meldeeffekt im Zuge der Europäischen Parlamentswahl eine Rolle, der die Zuwanderung aus der EU reduzierte.
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