Gastbeitrag
Deutschland vor der zweiten Corona-Welle?

Noch gibt es in Deutschland kaum Anzeichen einer zweiten Infektionswelle. Aber wegen der stark steigenden Ansteckungszahlen in unseren Nachbarländern nehmen auch hierzulande die Risiken zu. Wir zeigen, was eine zweite Welle für die deutsche Wirtschaft bedeuten könnte.

Deutschland: Steigende Neuinfektionszahlen …

Seit Mitte Juli ist die Zahl der Neuinfektionen in Deutschland wieder deutlich gestiegen. In der zweiten Septemberwoche meldete das Robert-Koch-Institut 9.675 positive Testergebnisse. Dies sind rund 6700 mehr als in der zweiten Juliwoche.

… wegen höherer Testumfänge …

Ein gewichtiger Grund für den deutlich Anstieg ist die massive Ausweitung der Tests. In den letzten vier Wochen wurden durchschnittlich 1.100.000 Personen getestet, doppelt so viele wie Mitte Juli. Der Anteil der positiven Testergebnisse ist dagegen nur leicht von 0,6% Anfang Juli auf zuletzt rund 0,8% gestiegen. Bei unverändertem Testumfang und gegebener Positivrate wäre die Zahl der Neuinfektionen pro Woche nur von rund 3.000 auf 4.400 gestiegen. Rein rechnerisch entfallen danach rund 4/5 des Anstiegs auf die höhere Zahl an Tests und nur 1/5 auf die leicht gestiegene Positivrate.

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… verstärktem Reiseverkehr …

Der Anstieg der Infektionen begann zeitgleich mit dem Start der Sommerferien. Dies legt die Vermutung nahe, dass sich durch die verstärkte Reisetätigkeit, insbesondere ins Ausland, wieder mehr Personen mit dem Coronavirus infizierten. In dieses Bild passt auch, dass in den Bundesländern, wo der Schulbetrieb seit mehr als zwei Wochen wieder läuft, die Zahl der Neuinfektionen zwischenzeitlich wieder deutlich gesunken war, während sie in den übrigen Bundesländern weiter stieg (Abbildung 2).

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… und regionalen Infektionsausbrüchen

Doch die Hoffnung, dass mit der Aufnahme des Schulbetriebs die Infektionszahlen wieder nachhaltig sinken, hat sich nicht erfüllt. So wurden auch in den Bundesländern, wo der Schulbetrieb schon länger wieder läuft, zuletzt wieder mehr Neuinfektionen gemeldet. Diese sind vor allem auf regional begrenzte Infektionsausbrüche zurückzuführen. So meldeten in den letzten sieben Tagen wieder mehr als 30 Landkreise und kreisfreie Städte über 25 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner. Fast die Hälfte davon liegen in Bayern.

Noch herrscht Ruhe in den Krankenhäusern

Zugenommen hat die Zahl der Neuinfektionen vor allem in den jüngeren Altersgruppen, wo die gesundheitlichen Beschwerden in der Regel geringer sind als bei den über 60-jährigen. Dass das Infektionsgeschehen in den Risikogruppen bislang nicht stärker zugenommen hat, zeigt auch die Zahl der auf Intensivstationen deutscher Krankenhäuser behandelten Corona-Patienten, die unverändert bei knapp 270 verharrt (Abbildung 3).

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In den Nachbarländern rollt schon die zweite Welle

Ein Blick zu unseren Nachbarn lässt aber befürchten, dass es auch bei uns zu einer zweiten Welle kommen wird. Denn mit Ausnahme von Polen weisen alle in Relation zur Zahl der Einwohner deutlich mehr Neuinfektionen auf als Deutschland (Abbildung 4). Die höchsten Zahlen verzeichnen derzeit Tschechien und Frankreich, aber auch in Dänemark, den Niederlanden und Österreich hat sich die Situation zuletzt deutlich zugespitzt.

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Auch in unseren Nachbarländern hat eine größere Anzahl an Tests zu den höheren Fallzahlen beigetragen. So wurden in Österreich zuletzt fast doppelt so viele Tests durchgeführt wie Anfang August. Dies erklärt aber nur die Hälfte der höheren Anzahl an festgestellten Neuinfektionen (Abbildung 5). In Frankreich und Tschechien dürfte ein noch größerer Anteil des Anstiegs auf ein stärkeres Infektionsgeschehen zurückgehen.

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Von diesem allgemeinen Trend dürfte sich Deutschland kaum abkoppeln können. Denn die Bevölkerungsstrukturen und die Anti-Corona-Maßnahmen sind hier nicht so unterschiedlich, dass sie auf Dauer einen anderen Infektionsverlauf erklären würden. Zudem haben die vergangenen Monate gezeigt, dass das Virus an einer Grenze nicht haltmacht.

Wohl eher selektive Beschränkungen, …

Angesichts der zunehmenden Infektionen sind in vielen europäischen Ländern die Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus bereits wieder ausgeweitet worden. Zumeist wurden die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung und die Kontaktbeschränkungen verschärft. In Spanien wurden für einzelne Gebiete sogar bereits wieder Ausgangsbeschränkungen und eine deutliche Reduzierung der Kundenzahl in Geschäften und Restaurants verhängt.

Ähnliches könnte es in den kommenden Monaten auch in Deutschland wieder vermehrt geben. Direkt davon betroffen wären wahrscheinlich in erster Linie erneut die Branchen, die auch jetzt besonders unter der Pandemie leiden: das Gastgewerbe, Großveranstaltungen und andere Dienstleistungssektoren, deren Geschäft mit zahlreichen persönlichen Kontakten verbunden ist. In diesen Branchen, die für bis zu 8 Prozent des Bruttoinlandsproduktes stehen, verlief die Erholung bisher schon überwiegend schleppend. Im Falle einer zweiten Welle könnte es hier sogar wieder einen Rückschlag geben. Dies würde die Erholung der Gesamtwirtschaft zusätzlich bremsen und mit dazu beitragen, dass das reale Bruttoinlandsprodukt noch einige Zeit unter seinem Vorkrisenniveau verharrt.

Einen Rückschlag für die Gesamtwirtschaft dürfte es hierdurch aber kaum geben. Hierfür spricht das Beispiel der USA, wo sich die Erholung offensichtlich trotz zwischenzeitlich deutlich gestiegener Infektionszahlen bis zuletzt fortgesetzt hat.

… oder doch ein neuer Lockdown?

Einen Rückschlag für die Gesamtwirtschaft würde es wohl nur im Fall eines neuerlichen generellen Herunterfahrens der Wirtschaft geben. Tatsächlich ist in Israel gerade ein neuerlicher Lockdown verhängt worden, der den in Deutschland im Frühjahr geltenden Einschränkungen ähnelt: Kindergärten, Schulen, Hotels, Einkaufszentren und Freizeiteinrichtungen sind geschlossen, und auch Restaurants dürfen nur noch außer Haus verkaufen. Zudem dürfen die Israelis sich nur noch in Ausnahmefällen mehr als 1000 Meter von ihrer Wohnung entfernen; eine solche Einschränkung hat es in Deutschland anders als in vielen anderen europäischen Ländern bisher nicht gegeben. Auch wenn die anderen Wirtschaftssektoren normal weiterlaufen sollten, wird dies die wirtschaftliche Aktivität spürbar bremsen; ein neuerlicher Rückgang des Bruttoinlandsproduktes wäre durchaus möglich, insbesondere wenn die Beschränkungen länger als die derzeit vorgesehenen drei Wochen dauern würden.

Allerdings haben sich die Infektionszahlen in Israel in den vergangenen Wochen noch einmal wesentlich dramatischer entwickelt als in Spanien und Frankreich; Tschechien ist das einzige europäische Land, in dem die Zahlen derzeit ähnlich dynamisch zulegen wie in Israel, wobei der aktuelle Stand allerdings gerade einmal ein Drittel des in Israels ist (Abbildung 6).

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Wir gehen davon aus, dass die Regierungen einen neuerlichen generellen Lockdown so lange wie irgend möglich verhindern werden. Denn die Kosten für das Herunterfahren der Wirtschaft im Frühjahr waren einfach zu groß. Vielmehr dürften sie zunächst mit Kontaktbeschränkung und ähnlichen Maßnahmen versuchen, das Virus einzudämmen, und allenfalls in eng umfassten Gebieten die Wirtschaft herunterfahren. Das Beispiel Israel hat allerdings gezeigt, dass sich die Situation in wenigen Wochen dramatisch zuspitzen kann.

Christoph Weil und Ralph Solveen
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