Der Bund steht vor einer Herausforderung: Einerseits unternimmt er Sparanstrengungen zur Einhaltung der Schuldenbremse, anderseits weist er in den Rechnungsabschlüssen ungeplant hohe Überschüsse aus. Kritiker sehen das Problem vor allem bei der Wirkungsweise der Schuldenbremse, welche auf Ausgaben und Einnahmen fokussiert. Diese Kritik greift aber zu kurz. International gewinnt deshalb die Bilanzsteuerung an Bedeutung. Auch für den Bund würde ein Miteinbezug der Bilanz und insbesondere des Eigenkapitals Möglichkeiten bieten, die finanziellen Verhältnisse besser abzubilden und transparentere Entscheidungsgrundlagen zu schaffen. Damit würde die finanzpolitische Steuerung ergänzend zur heutigen Ausgabenregel verbessert. Auch eine Neuausrichtung der Schuldenbremse an der Erfolgs-, Mittelflussrechnung und Bilanz ist denkbar. Bei dieser Gelegenheit müsste auch der Konsolidierungskreis diskutiert werden.
Wieder schliesst die Rechnung des Bundes besser ab als geplant: Mit 3,1 Milliarden Franken ist das für die Schuldenbremse relevante Finanzierungsergebnis fast 2 Milliarden besser als geplant. Und dies trotz neuer Schätzmethoden und seit 2017 angepasster Buchungspraxis bei Rückstellungen. Denn ohne diese würde der Überschuss sogar 5,1 Milliarden Franken betragen. Die Haushaltssteuerung des Bundes wird entsprechend von verschiedenen Seiten kritisiert. Die einen monieren, die Finanzierungsrechnung bilde trotz der mehrmaligen Anpassungen nicht die tatsächliche Ertragslage ab und vermittle ein zu optimistisches Bild des Bundeshaushalts. Andere wiederum beklagen, dass trotz wiederholt hohen Überschüssen und dem kontinuierlichen Schuldenabbau weiterhin Sparübungen unternommen werden. Die Kritik wirft Fragen auf: Wie steht es denn nun wirklich um die finanziellen Verhältnisse des Bundes? Ist die Haushalsteuerung über die Schuldenbremse noch zeitgemäss?
Steuerungsgrundlage des Bundeshaushalts heute
Die Grundlage der finanzpolitischen Haushaltssteuerung ist beim Bund die Finanzierungsrechnung. Sie ist das Bindeglied zur im Jahr 2003 eingeführten Schuldenbremse. Diese soll den Ausgleich von Ausgaben und Einnahmen über einen Konjunkturzyklus hinweg sicherstellen und den Bundeshaushalt vor einem strukturellen Ungleichgewicht bewahren. Sie weist historisch nur geldflusswirksame Vorgänge einer Rechnungsperiode aus, entsprach somit einer Geldflussrechnung und ist ein Konzept der Kameralistik – einem bei Staaten immer noch weit verbreiteten Rechnungsstil.
Seit der Einführung des Neuen Rechnungsmodells Bund (NRM) mit dem Voranschlag 2007 folgt der Bundeshaushalt dem Prinzip der doppelten Buchführung – auch als Doppik bekannt – nach internationalen Standards (IPSAS). Analog zu privatwirtschaftlichen wie auch nicht gewinnorientierten Organisationen verfügt er damit als eines der diesbezüglich weitest entwickelten Länder über allgemein anerkannte Führungsinstrumente wie eine Erfolgsrechnung und eine Bilanz. Die Erfolgsrechnung bildet nicht die Geldflüsse, sondern den tatsächlichen Wertverzehr im Verlauf einer Rechnungsperiode ab. Die Bilanz ergänzt die Sicht mit Bestandswerten: Sie stellt alle angesammelten Vermögenswerte den Verbindlichkeiten gegenüber.
Für die Schuldenbremse und damit auch die finanzpolitische Steuerung durch das Parlament blieb trotz angepasster Rechnungslegung die Finanzierungsrechnung relevant. Der Bund hat aber in den letzten Jahren verstärkt Elemente der Periodengerechtigkeit in der Finanzierungssicht verwendet (Abb. 1). Wenn zum Beispiel Anfang Januar Anträge auf Rückerstattung von Verrechnungssteuern des Vorjahrs eingehen, wird die absehbare Rückerstattung noch dem alten Jahr belastet. Seit dem Abschluss 2017 hat der Bund nebst der Abgrenzung konkret absehbarer Fälle auch eine allgemeine Rückstellung in der Finanzierungsrechnung verbucht und damit ein weiteres Element aus der Erfolgsrechnung übernommen.
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Während mit Unsicherheit behaftete Rückstellungen in der Erfolgsrechnung zwingend sind, bleiben sie in der geldflussorientierten Finanzierungsrechnung sachfremd. Darum hat die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK), das oberste Finanzaufsichtsorgan des Bundes, diese Praxis gerügt. Der Bundesrat plant im Rahmen der Motion Hegglin nun das Finanzhaushaltsgesetz anzupassen und zeitliche Abgrenzungen und Rückstellungen in der Finanzierungsrechnung zu erlauben.
Nachhaltigkeit von Entscheidungen mithilfe der Bilanz verbessern
Das wirft die Frage auf, wie sich die finanziellen Verhältnisse einer grossen staatlichen Organisation am besten darstellen und beurteilen lassen. Staaten sollten über die jährlichen Budgets und Schuldenstände hinaus nachweisen können, dass sie ihren langfristigen Verpflichtungen nachkommen können und finanziell dauerhaft nachhaltig aufgestellt sind. Nur eine umfassende Übersicht ermöglicht es dem Parlament, der Verwaltung und der Regierung transparent und klar ihrer treuhänderischen Aufgabe nachzukommen.
Dabei kommt der Bilanz in den aktuellen Diskussionen eine besonders wichtige Funktion zu. Denn die Abwägung, ob der Schuldenabbau eingestellt oder mehr Investitionen kreditfinanziert werden sollen, kann nicht alleine auf Basis der Finanzierungs- oder Erfolgsrechnung getroffen werden. Deren Aussagekraft beschränkt sich auf ein Jahr. Der Einbezug der längerfristig orientierten Bilanz ist zentral: Sie unterscheidet zwischen Vermögen (Aktiven) und Schulden (Passiven). Der Überschuss des Vermögens über die Schulden bezeichnet man als Eigenkapital. Je geringer die Kapitalintensität und solider die Eigenkapitalfinanzierung, umso besser ist die Bilanz.
Das Eigenkapital des Staates ist nicht nur für Investitionsentscheide wichtig. Länder mit höherem Eigenkapital sind nachhaltiger finanziert, sie haben geringere Finanzierungskosten und sind besser in der Lage, mit einer diskretionären Fiskalpolitik auf wirtschaftliche Schocks zu reagieren.[1] Gerade hinsichtlich dieser Resilienz ist ein Eigenkapitalpuffer wichtig. Der Bund wies noch im Jahr 2015 ein negatives Eigenkapital von fast 21 Milliarden Franken aus (Abb. 2). Ob damals eine Lockerung der Schuldenbremse – ungeachtet der hohen Überschüsse – sinnvoll gewesen wäre, ist deshalb aus Bilanzsicht mehr als fraglich. Die öffentliche Debatte darüber ist aber bisher ausgeblieben.
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Eine Faustregel aus der Privatwirtschaft besagt, dass ein Unternehmen solide finanziert ist, wenn die Eigenkapitalquote – also das Eigenkapital im Verhältnis zur Bilanzsumme – grösser als 35 Prozent ist. Dabei sollten Unternehmen mit zyklischen Geschäftsmodellen eher über hohe Quoten verfügen, Unternehmen mit stabilen Geschäftsmodellen können sich tiefere Quoten leisten. Das Ausmass des Eigenkapitals zeigt damit auf, wieviel Handlungsspielraum eine Organisation in der Zukunft hat, was gerade in der Nachhaltigkeitsdiskussion eine herausragende Bedeutung erhält. Auch für Staaten gewinnt das Konzept laufend an Bedeutung: OECD und IWF weisen darauf hin, dass finanziell nachhaltige Staaten positives Eigenkapital ausweisen sollten. Einige Kantone machen bereits solche Vorschriften. In Bezug auf einen Grenzwert gibt es aber für Staaten bisher bezüglich der Höhe noch keine klaren Standards. Für die Resilienz eines Staates, für die Berechenbarkeit für die Bürger und im Kontext des Handlungsspielraums zukünftiger Generationen, ist ein positives Eigenkapital aber eine notwendige Voraussetzung. Die Werte und Erfahrungen mit unterschiedlichen Zyklen aus der Privatwirtschaft könnten dabei einen Referenzwert darstellen. Es liesse sich zwar argumentieren, dass die Solvenz eines Staats weniger schnell gefährdet ist als bei einem Unternehmen und daher die Eigenkapitalausstattung auch tiefer sein könnte. Demgegenüber zeigte gerade die letzte Finanzkrise, dass Staaten durch Übernahme von notleidenden Krediten in die eigene Bilanz schnell an Glaubwürdigkeit und Nachhaltigkeit verlieren und damit ihre Refinanzierungsmöglichkeiten leiden, zumal ein starker Zusammenhang zwischen der Ertragsvolatilität des Staates und seiner lokalen Wirtschaftsstruktur besteht.
Entscheidungsqualität verbessern mit Steuerung über verschiedene Grössen
Doch wie soll ein moderner Staatshaushalt geführt werden und welche Regeln sind hierfür zweckmässig? Die Schuldenbremse bezieht sich heute auf die Finanzierungsrechnung. Als ursprünglich geldflussorientierte Grösse hat sie damit nicht immer einen offensichtlichen Bezug zur Erfolgsrechnung, da sie Ergebnisse nicht unterschiedlichen Perioden zuweist. Durch die Mechanik des Ausgleichskontos werden kurzfristige kleinere Schwankungen zwar absorbiert, doch ungewöhnliche Ausschläge im Finanzierungsergebnis sind jeweils erklärungsbedürftig.
Die vom Bundesrat vorgeschlagene Annäherung der Finanzierungsrechnung an die Erfolgsrechnung bietet dabei eine Möglichkeit, das Problem zu adressieren. Die moderne Rechnungslegung und Finanzführungspraxis bieten aber auch andere Optionen. Bei privaten – aber gerade auch bei gemeinnützigen – Organisationen ist es üblich, zusätzlich zur Mittelflussbetrachtung Vorgaben zur Erfolgsrechnung und zur Bilanz und dabei insbesondere zum Eigenkapital zu formulieren. In den Schweizer Kantonen derzeit am verbreitetsten sind zum Beispiel Vorgaben hinsichtlich der Erfolgsrechnung.[2]
Beim Bund könnte ebenso, ergänzend zur heutigen Finanzierungsrechnung, eine Regelung bezüglich des Eigenkapitals eingeführt werden. Vor allem bezogen auf aktuelle Forderungen den Schuldenabbau zu stoppen, ergäbe der Bilanzbezug eine gute Entscheidungsgrundlage. Man könnte festhalten, ab welchem Stand des Eigenkapitals relativ zur Bilanzsumme eine Lockerung der Ausgabenregel möglich wäre. Dies liesse sich voraussichtlich auch ohne Anpassung der Finanzierungsrechnung bewerkstelligen. Im Weiteren ist auch eine an die heutige Regelung angelehnte weitergehende Vorgabe betreffend die Erfolgs- und Investitionsrechnung denkbar.
Internationale Entwicklung: Breitere Abstützung der Haushaltssteuerung
Zweifelsohne ist aktuell Neuseeland bezüglich finanzpolitischer Steuerung führend. Seit rund 30 Jahren wendet Neuseeland die internationalen Rechnungslegungsstandards konsequent an, sowohl in der Berichterstattung als auch in der Führung.[3] Neuseeland konzentriert sich unter anderem auf die langfristige Stärkung seiner Bilanz. Zu den Zielen ihrer Politik gehört ausdrücklich die Verbesserung des Nettovermögens (Net Worth) zusätzlich zum Abbau der Verschuldung und dem Erreichen oder Aufrechterhalten von Überschüssen. Um dies zu operationalisieren, werden mehrjährige Szenarien berechnet. Die Bilanzprognosen erstrecken sich über einen Zeitraum von 6 bis 10 Jahren und decken alle wichtigen Aggregate ab: Aktiva, Passiva und Nettowert. Die Erfolgsrechnung reicht ebenfalls weiter. Die Behörden verwenden diese Prognosen, um die Auswirkungen von Rentenreformen, Steueränderungen oder öffentlichen Investitionen aufzuzeigen.
Auch in der Schweiz finden erhebliche Aktivitäten ausserhalb der ordentlichen Staatshaushalte statt. Diese können im eigentlichen Konsolidierungs- und Verantwortungsbereich des Bundes sein oder von diesem nur treuhänderisch verwaltet werden. Fakt ist jedenfalls, dass die Schuldenbremse zum Beispiel nicht für die Sozialversicherungen des Bundes oder für öffentliche Unternehmen gilt. Eine gewisse Übersicht bietet zwar die konsolidierte Rechnung des Bundes (KRB), welche aber ausserhalb der ordentlichen Staatsrechnung geführt wird.
Es wäre auch für den Bund denkbar, mithilfe eines Vergleichs der derzeitigen öffentlichen Vermögen und Verbindlichkeiten mit langfristigen Haushaltsprognosen, das heisst langfristigen Planbilanzen und -erfolgsrechnungen aufzuzeigen, wie gut und nachhaltig die öffentlichen Finanzen aufgestellt sind, um dem demographischen Druck im Hinblick auf die schnell alternden Gesellschaften zu begegnen. Ein umfassender Ansatz, welcher die heute bestehenden Langzeitperspektiven auch bilanziell und in der Erfolgsrechnung abbildet und miteinbezieht, erscheint jedenfalls sinnvoll.
Schuldenbremse bleibt zentrales Element der Steuerung
Der Bund verfügt heute bereits über wichtige Instrumente für eine erfolgreiche Haushaltssteuerung. International schneidet er zudem bezüglich seines breiten Rechnungsmodells sehr gut ab. Für eine zukunftsgerichtete Politik wäre es deshalb wünschenswert, diese Grössen nicht nur aus Reporting- und buchhalterischer Sicht zu nutzen, sondern auch stärker in finanzpolitische Entscheide einzubeziehen und gemäss diesen Bedürfnissen zu erweitern und weiterzuentwickeln.
Aufgrund komplexer Kausalitäten sind buchhalterische Grössen und Kennzahlen aber immer mit Unschärfe verbunden, was wiederum zu Fehlentscheidungen führen kann. Finanzzahlen sind nicht die Wirklichkeit, sie sind aber, je breiter sie abgestützt sind, die bestmögliche Annäherung an die Wirklichkeit. [4] Dies gilt umso mehr, wenn international gültige Buchführungsstandards eingehalten werden und eine lesitungsfähige Aufsicht das Zahlenwerk begutachtet.
Ein stärkerer Fokus auf eine bilanzorientierte Haushaltsteuerung würde deshalb für finanzpolitische Entscheide mehr Transparenz und eine bessere Informationsgrundlage schaffen, ohne dass bewährte Grössen wie die Ausgaben und Einnahmen, Budgetüberschüsse oder Bruttoschulden vernachlässigt werden müssten. Denn es braucht einen jährlichen Mechanismus, der die Bundesfinanzen schützt. Ein Ausgabeplafond – basierend auf einer klar definierten und umfassenden Rechnungsgrösse – ist dabei kein Hindernis, sondern ein notwendiges Instrument. Das zeigt nicht nur die Schweizer Erfahrung, sondern ist auch die theoretisch wie empirisch gut gestützte Erkenntnis der Finanzwissenschaften.
Literatur
Bergmann, A., Augustin, L. und Fuchs, S. (2019). Bilanzorientierte Haushaltssteuerung – Versta?rkter Fokus auf die Bilanz ist notwendig, Expert Focus (5).
Center for Public Impact (2019). New Zealand’s public financial management reforms, https://www.centreforpublicimpact.org/case-study/new-zealands- public-financial-management-reforms/.
Compton, M.E., and Hart, P. (2019). Great Policy Successes. Oxford: Oxford University Press.
International Monetary Fund (2018). Managing Public Wealth. Fiscal Monitor Report, October 2018. Washington, D.C.: International Monetary Fund.
Schaltegger, C. A. und Salvi, M. (2020). Risiken und Auswirkungen der vorgeschlagenen «Vereinfachung und Optimierung der Haushaltssteuerung» unter Berücksichtigung der Schuldenbremse. Gutachten im Auftrag der EFK.
Waldmeier, D., Ma?der, B., Schaltegger, C. A., Vallender, K. A. und Angelini, T. (2015). Handbuch der Schuldenbremsen der Schweiz: Regeln der Insolvenzvorsorge im Zusammenspiel mit dem geltenden Haushaltsrecht, Bern: Haupt.
Weckherlin, P. (2003). Kann man heute den Zahlen noch trauen? In Siegwart , H. (Hrsg.), Finanz und Rechnungswesen – Jahrbuch 2003. Zürich: Weka.
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[1] IWF (2018)
[2] Waldmeier et al. (2015)
[3] Center for Public Impact (2019) / Compton und Hart (2019)
[4] Weckherlin (2003)
Der Titel sollte besser „Schweizer Schuldenbremse mit Bilanzbezug “ lauten.