Gastbeitrag
Die EZB will, aber was wird es bringen?

Auf seiner kommenden Sitzung am 10. Dezember wird der EZB-Rat seine Instrumente „neu kalibrieren“. Die EZB wird wohl handeln, aber wir zweifeln an der Effizienz ihrer Maßnahmen. Vermutlich wird die EZB versuchen, die Folgen der Lockdown-Maßnahmen abzumildern (TLTROs). Darüber hinaus dürfte der Umfang des EZB-Maßnahmenpakets um so größer ausfallen, je angespannter die Situation Anfang Dezember sein wird. Aufgrund der jüngsten Nachrichten zur Verfügbarkeit eines Impfstoffs könnte die Stimmung positiver ausfallen als bisher von uns unterstellt.

Qualität, nicht Quantität

Nach der Ratssitzung Ende Oktober bestätigten EZB-Ratsmitglieder übereinstimmend, dass der Rat seine Instrumente auf der kommenden Ratssitzung am 10. Dezember neu kalibrieren wird. Es besteht also kein Zweifel, dass die EZB handeln wird.

Der österreichische Notenbankpräsident Holzmann äußerte sich als erstes Ratsmitglied nach der Pressekonferenz. Er betonte, die Märkte hätten die Äußerungen von EZB-Präsidentin Lagarde richtig interpretiert, dass die EZB auf der kommenden Sitzung handeln werde. Er unterstrich aber auch, dass bei der Reaktion der Notenbank weniger um Quantität ginge, sondern mehr um die Qualität der Maßnahmen. Eine reine Erhöhung der Liquidität sei wenig effektiv, der EZB-Rat müsse an der Struktur seiner Maßnahmen arbeiten.

Einfacher gesagt als getan …

Holzmann verzichtete jedoch darauf anzudeuten, wie sich im einzelnen die Qualität der EZB-Maßnahmen verbessern ließe. Das dürfte daran gelegen haben, dass er der Entscheidung des EZB-Rats nicht vorgreifen wollte, auch weil wichtige Informationen noch nicht vorliegen (EZB-Projektionen, Verfügbarkeit Impfstoff, Entwicklung zweite Corona-Welle, Maßnahmen der Finanzpolitik). Sein Zögern könnte aber auch signalisieren, dass eine Lösung alles andere als einfach zu finden ist.

Anders als in der ersten Phase der Pandemie muss sich die EZB nicht darauf konzentrieren, Verwerfungen an den Finanzmärkten zu bekämpfen – was ihr stets erfolgreich gelungen ist. Es gibt keine Anzeichen einer Fragmentierung. Ganz im Gegenteil, der Grad an Akkommodation, der gegenwärtig aus den Marktdaten für Staatsanleihen des Euroraums abzulesen ist, sei „sowohl in seinem Ausmaß als auch in seiner länderübergreifenden Breite praktisch beispiellos“, betonte das für die Analyse der Märkte zuständige EZB-Direktoriumsmitglied Schnabel vor kurzem in einer Rede.

Wichtigstes Problem in der zweiten Welle der Corona-Pandemie sind damit die von Sektor zu Sektor höchst unterschiedlichen Auswirkungen. Am stärksten betroffen sind kontaktintensive Dienstleistungen wie Tourismus, Geschäftsreisen etc., und zwar entweder durch angeordnete Lockdown- und Distanzierungsmaßnahmen oder durch freiwillige Reduzierung der Nachfrage der Unternehmen und Haushalte. Insofern läuft eine wie auch immer ausgestaltete geldpolitische Stimulierung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage wohl anders als sonst teilweise ins Leere.

Dies sieht EZB-Direktoriumsmitglied Mersch offenbar genauso und fordert mehr Unterstützung von der Finanzpolitik, da „es nicht Aufgabe der Geldpolitik ist, einzelnen Unternehmen Unterstützung zu gewähren“. Ähnlich sieht es Merschs Kollegin Schnabel. Sie befürchtet zudem, dass die Effektivität der geldpolitischen Transmission nicht nur in bestimmten Sektoren, sondern generell leidet: „Die Unternehmen werden wahrscheinlich so lange zögerlich bleiben, Mittel für langfristige Investitionen bereitzustellen, wie die Krise andauert und kein Impfstoff gefunden wurde.“

Die von EZB-Direktoriumsmitglied Panetta geäußerte These, dass eine noch expansivere Geldpolitik zumindest nicht schadet, wagen wir in der aktuellen Lage zu bezweifeln. Er hält einen Inflationsanstieg über den EZB-Zielwert von knapp 2% hinaus „nur für eine äußerst unwahrscheinliche Möglichkeit“. Angesichts einer „so großen Schieflage nach unten spricht vieles dafür, dass unsere Reaktionsfunktion asymmetrisch ist, da die Risiken einer Überreaktion der Politik viel geringer sind als die Risiken, dass die Politik zu langsam oder zu zaghaft reagiert“. Aber Überbrückungsmaßnahmen sollten stets so kalibriert werden, dass sie nützen und nicht schaden. Unterstützung sollten im Idealfall nur im Prinzip rentable Unternehmen erhalten. Dies ist angesichts der höchst unübersichtlichen Lage wahrlich eine sehr schwierige Aufgabe, bei der die Politik dazu neigen dürfte, umso großzügiger zu unterstützen, je größer ihr Finanzierungsspielraum ist. Und dieser Spielraum wird eben auch vom Expansionsgrad der Geldpolitik beeinflusst. Je größzügiger die EZB ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass unrentable Firmen am Leben gehalten werden.

…  auch weil Risiken der Geldpolitik zunehmen

Laut EZB-Direktoriumsmitglied Schnabel sollte die EZB bei der geplanten Rekalibrierung ihrer Geldpolitik auch noch andere Nebenwirkungen berücksichtigen, zum Beispiel die Auswirkungen auf die Finanzstabilität:

„In der Frühphase der Krise wurde durch energische geldpolitische Maßnahmen die Finanzstabilität erhalten. Unsere Maßnahmen hatten eine starke und sofort stabilisierende Wirkung sowohl auf die Finanzmärkte als auch auf die Solidität der Bilanzen der Banken.

Aber je niedriger die Zinssätze sind und je flacher die Zinskurve ist, desto größer ist das Risiko, dass sich das Vorzeichen im Laufe der Zeit ändert. …

Obwohl die makroprudenzielle Politik die erste Verteidigungslinie gegen die Entstehung von Finanzstabilitätsrisiken darstellt, wird weithin anerkannt, dass diese Politik nur einen unvollständigen Schutz bietet. Daher kann die Geldpolitik die Risiken für die Finanzstabilität nicht ignorieren.“

Schnabel nennt die Entwicklung der Hauspreise als ein Beispiel für mögliche Nebenwirkungen. Es gebe „sichtbare Anzeichen für eine Überbewertung der Hauspreise für den gesamten Euroraum, insbesondere in den Ballungsgebieten“. Ferner hätten die „ECB Listens“-Veranstaltungen bestätigt, dass die Hauspreisinflation für die Menschen ein großes Problem darstellt. Wenn es immer schwieriger werde, sich Wohnraum leisten zu können, würde dies die öffentliche Unterstützung für die Politik der EZB untergraben.

Kreditvergabekanal leidet

Ein weiteres Problemfeld ist aus Sicht von Schnabel die Kreditvergabe der Banken. Vor der Pandemie hätten die starke und steigende Kreditnachfrage und die sich verbessernden Wirtschaftsaussichten die negativen Auswirkungen der sinkenden Zinsmargen auf die Ertragssituation der Banken ausgeglichen. Der Nettoeffekt der EZB-Maßnahmen auf die Kapitalerträge der Banken sei bisher eindeutig positiv gewesen. Folglich ist der Kreditvergabekanal nicht beeinträchtigt gewesen. In der derzeitigen Lage könnte eine weitere Verflachung der Renditekurve die Kosten aus Sicht der Geschäftsbanken erhöhen, insbesondere da ein großer Teil der Einlagenzinsen der Banken bei null verharrt. Die Geldpolitik müsse folglich laut Schnabel weiterhin dazu beitragen, dass der Kreditvergabekanal der Banken funktionsfähig bleibt.

Aufgrund dieser Argumentation ist zunächst zu erwarten, dass die EZB im Dezember beschließt, die Freibeträge beim Staffelzins zu erhöhen, also den Anteil an Überschussliquidität, auf den Banken keinen Strafzins zahlen müssen, um so die steigenden Kosten der negativen Zinsen teilweise zu kompensieren.

Ferner ergibt sich aus den Antworten der Geschäftsbanken beim Bank Lending Survey der EZB, dass die TLTROs mit Abstand am effektivsten die Kreditvergabe fördern (Abbildung 1). Zudem zeigt der BLS, dass Banken die TLROs auch zur Verbesserung ihrer Ertragssituation verwenden: Sie nehmen die TLTRO-Mittel zu einem Zins unter dem Einlagezins auf und deponieren das Geld dann zum höheren Einlagezins bei der EZB.

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Hört die Signale!
Die bisherigen Überlegungen sprechen dafür, dass die EZB ihre Instrumente im Dezember wegen ihrer eher geringen Effizienz in der aktuellen Situation und möglicher Nebenwirkungen eigentlich mit Bedacht wählen sollte.

Mit der ungewöhnlich deutlichen Ankündigung von Ende Oktober, sie werde ihre Instrumente auf der kommenden Sitzung am 10. Dezember neu kalibrieren, hat sich die EZB allerdings unter Zugzwang gesetzt. Sollte sie mit ihren Maßnahmen hinter den Erwartungen zurückbleiben, drohen Rückschläge an den Finanzmärkten insbesondere dann, falls die Anspannung auch Anfang Dezember noch beträchtlich ausfällt.

Verunsichern Hilfsmaßnahmen die Bevölkerung?

Die EZB dürfte aber nicht nur daran interessiert sein, für stabile Finanzmärkte zu sorgen, sondern auch daran, die Verunsicherung unter den privaten Haushalten zu dämpfen. In dieser Hinsicht sind die Ergebnisse einer Studie der Bundesbank interessant, die vor wenigen Tagen veröffentlicht wurde. Die Studie untersucht Auswirkungen der Pandemie auf Konsumabsichten und Erwartungen privater Haushalte. Die Ergebnisse beruhen auf einer Online-Befragung der Bundesbank, die monatlich stattfindet und bei der die Bundesbank rund 2000 Haushalte in Deutschland befragt.

Auf den ersten Blick wirken die Ergebnisse ernüchternd. Personen, die über Informationen zu Hilfsmaßnahmen verfügten, schätzten das künftige Wachstum des Bruttoinlandsprodukts geringer ein als jene, denen diese Informationen vorenthalten wurden. Beispielsweise erwarten diejenigen, die über das PEPP-Kaufprogramm der EZB informiert wurden, einen gut einen Prozentpunkt niedrigeren BIP-Anstieg im kommenden Jahr als die Teilnehmer einer Kontrollgruppe, die nicht über diese Information verfügten. Diese negative Einschätzung infolge der Information über das PEPP führt bei den Privathaushalten laut Umfrage zu einer deutlich geringeren Bereitschaft, größere Anschaffungen zu tätigen.

Bei einem genaueren Blick wirken die Ergebnisse allerdings merklich weniger negativ. In ihrer Untersuchung hat die Bundesbank nämlich zwischen kreditbeschränkten und nicht kreditbeschränkten Privathaushalten unterschieden, also solchen, die nach eigener Einschätzung keinen/einen Zugang zu Krediten haben. Die Ergebnisse deuten somit darauf hin, dass eine negative Signalwirkung nur bei den nicht kreditbeschränkten Haushalten auftritt, während die kreditbeschränkten Haushalte ihre Erwartungen nach Ankündigungen von Hilfsmaßnahmen deutlich nach oben revidieren.

Damit ergibt sich unserer Ansicht nach ein ähnliches Bild wie bei den Finanzmärkten. Hier und bei der Bevölkerung haben die EZB-Maßnahmen insbesondere dann eine positive Signalwirkung, wenn die Anspannung vorher sehr groß war.

Maßnahmenpaket je nach Stimmungslage

Wie wird die EZB also am 10. Dezember entscheiden?

Zunächst dürfte sie die negativen Folgen der Lockdown-Maßnahmen abzumildern versuchen, indem sie den Kreditvergabekanal funktionsfähig hält. Das effizienteste Instrument sind eindeutig die TLTROs, sodass die EZB wohl zusätzliche Geschäfte auflegen dürfte. Für TLTROs spricht auch, dass die EZB diese lediglich anbietet, über den genauen Umfang aber die je nach Entwicklung der Lage unterschiedliche Nachfrage der Geschäftsbanken entscheidet.

Daneben erwarten wir weiterhin eine Verlängerung und damit auch Aufstockung des PEPP. Dafür spricht zum einen, dass wohl eine Reihe von Tauben im Rat die Auffassung von EZB-Direktoriumsmitglied Panetta vertreten werden, dass angesichts der längerfristig schwachen Inflationsentwicklung eine noch lockere Geldpolitik in jedem Fall angezeigt ist. Zudem dürfte die EZB auch aus Vorsichtsgründen handeln, d.h. selbst wenn die Lage Anfang Dezember recht stabil ist, „wäre es im gegenwärtigen Umfeld außergewöhnlicher Ungewissheit naiv, die Stabilität der Anleihenmärkte des Euroraums als gegeben hinzunehmen“, wie EZB-Direktoriumsmitglied Schnabel Anfang November betonte. Und auch dieses Instrument kann die EZB sehr flexibel einsetzen, d.h. im Falle einer unerwartet positiven Entwicklung könnte die EZB sogar entscheiden, PEPP nicht vollumfänglich einzusetzen.

Davon abgesehen dürfte über den Umfang des EZB-Maßnahmenpakets wie oben erläutert der Anfang Dezember vorherrschende Grad der Anspannung an den Märkten und bei der Bevölkerung entscheiden, denn um so wichtiger – und erfolgversprechender – wird es aus Sicht der EZB sein, ein positives Signal zu senden. Die jüngsten Nachrichten zur Verfügbarkeit eines Impfstoffs haben zuletzt für eine positivere Stimmung gesorgt, insofern ist unsere Erwartung einer Senkung des Einlagezinses um 10 Basispunkte weniger wahrscheinlich geworden.

Eine Antwort auf „Gastbeitrag
Die EZB will, aber was wird es bringen?“

  1. Sehr schön: „Zudem zeigt der BLS, dass Banken die TL(T)ROs auch zur Verbesserung ihrer Ertragssituation verwenden: Sie nehmen die TLTRO-Mittel zu einem Zins unter dem Einlagezins auf und deponieren das Geld dann zum höheren Einlagezins bei der EZB.“
    Endlich wird dieser Mechanismus einmal öffentlich adressiert! Letztlich heißt dies, dass den Banken ein Stück Zinsspanne wieder rückerstattet wird, das ihnen vorher abgeschnitten wurde. Dummerweise hat die EZB von dem vormaligen Abschneiden nichts, denn ihre eigene Spanne veränderte sich kaum, während der Verlust der Banken weitgehend durch die partielle Untergrenze von 0% für Kundeneinlagen resultiert. Damit muss die EZB auch an dieser Stelle subventionieren – genauso wie beim Ankauf von Staatsanleihen, die kein privater Investor zu diesen Konditionen erwerben würde. Allerdings hat die EZB ja einen Vorteil: Solange sie signalisiert, dass sie weiter kauft, kann der Schuldner neue Schulden aufnehmen und wird nicht pleitegehen, da es bei Staaten keinen insolvenzrechtlichen Überschuldungstatbestand gibt. Oh tempora, oh mores!

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