GameStop – but which Game and for whom?

Kultursturz an der Wall Street

Kaum hatten Hedgefonds hierzulande durch die Wirecard-Affäre ein wenig Imageverbesserung erfahren, brach in den USA eine kleine Revolution an den Kapitalmärkten aus, deren erklärter Gegner just diese Spezies sein soll. Eine Mischung aus aufgestautem Hass, sozialen Medien, (nahezu) gebührenfreiem Aktienhandel und einer Zeit, die wohl reif dafür war, ließ eine besondere Form von Kleinanlegeraufstand oder „Occupy Wall Street 2.0“ entstehen, deren kurzfristiger Erfolg zu allseitigem Staunen führte.

Was war passiert? In verschiedenen sozialen Medien, nicht zuletzt Reddit, hatten Kleinanleger eine Art konzertierte Aktion kreiert, die sich gegen die Short-Attacken verschiedener Hedgefonds richtete, insbesondere das Engagement betreffend fallende Kurse bei GameStop, dem wohl weltgrößten Händler von Videospielen. Die bösen Hedgefonds setzten auf einen deutlichen Kursrückgang und das erboste Anlegervolk holte, begünstigt durch spesengünstige Handelsmöglichkeiten wie über den noch passend betitelten Broker „Robinhood“, zum Gegenschlag über Kauforders aus – jeder für sich und doch irgendwie alle zusammen. Viele Profis wurden auf dem falschen Fuß erwischt und verloren teils hunderte von Millionen US$, die Kleinanleger wurden jeweils ein bisschen reicher und die Medien stürzten sich auf den Fall als wäre die Oktoberrevolution nach über einem Jahrhundert nochmals ausgebrochen, nur eben weniger blutig, mehr pekuniär, nicht in Russland, sondern an der Wall Street, und nicht im Herbst, sondern im späten Lockdown-Winter. Die Reaktionen kamen ebenso schnell wie durchdringend, will heißen: Den Worten folgten Taten, u.a. Handelsbeschränkungen für GameStop bei Robinhood als einer der Homebases selbst erklärter Hedgefondsvernichter. Das musste natürlich seinerseits Aufschreie und Reaktionen nach sich ziehen, die auch von allen Seiten kamen, nicht zuletzt von solchen, die selbst weder eigene Betroffenheit noch besondere Sachkenntnis ins Feld führen konnten. Zwischenzeitlich kam die Sache bei der ehemaligen Fed-Präsidentin und neuen US-Finanzministerin Janet Yellen an, die allerdings erst die US-Finanzaufseher anhören und auch sonst alle relevanten Informationen einholen wollte, bevor sie sich selbst in der Causa äußern oder gar die Exekutivgewalt ihres Amtes zum Einsatz bringen würde.

Chaotische Gemengelage

Sie tat sicher gut daran! Die Parteien dieser Auseinandersetzung sind nämlich nicht einfach im Schwarz-Weiß-Modus zu beurteilen und die Front zwischen ihnen verläuft keineswegs so eindeutig, wie dies manche publikumswirksame Darstellung vermuten lässt.

Beginnt man bei den Hedgefonds, so ist zunächst klar, dass schon der Begriff nicht eindeutig definiert ist. „Hedgen“ heißt im anglophon durchwirkten Sprachjargon eigentlich „absichern“ und ein Teil der als Hedgefonds firmierenden institutionellen Investoren hat als Geschäftsmodell tatsächlich mehr oder weniger komplizierte Konstruktionen aus gegenläufig ausgerichteten Anlagen, die mehr oder weniger sichere Renditen versprechen sollen. Es gibt indessen auch jede Menge andere Investmentstrategien, die von Hedgefonds betrieben werden und die vielleicht medienträchtigste ist das „Short-Gehen“, also einseitige Leerverkäufe von Assets wie hier GameStop-Aktien, die man gar nicht selbst hat. Je nach Art der Assets ist die Umsetzung dieser Strategie wiederum mehr oder weniger aufwendig, aber das spielt für die hier interessierenden Belange keine große Rolle. Wichtig ist vielmehr, dass diese Strategie eben nicht sicherheitsorientiert, sondern sehr risikoreich ist: Schon vor der aktuellen Kapitalmarktrevolte haben sich viele Profis mit solchen Geschäften die Finger verbrannt! Das diesmal ein besonderes finanzielles Blutbad entstand war u.a. dem Umstand geschuldet, dass zu viele dieser Shorties in zu großem Umfang engagiert waren und dann kollektiv auf dem falschen Fuß erwischt wurden. Die Fachwelt spricht in solchen Fällen von einem „Short Squeeze“. Das war sicher nicht besonders clever, aber es sagt praktisch nichts über die Funktion solcher Hedgefonds, geschweige denn von Hedgefonds im Allgemeinen aus, worauf wir noch zu sprechen kommen werden.

Zuvor wechseln wir die Frontseite und schauen uns kurz die „Revoluzzer“ an. Was Sie – zumindest scheinbar – eint, ist ihre überschaubare Bedeutung als einzelne Anleger. Indessen ist selbst diese Einschätzung problematisch, denn keiner weiß, wer alles auf dieser Welle mitgeschwommen ist und selbst die vielen „Kleinen“ sind in ihrer Anlageabsicht nicht hinreichend zu durchschauen. Da mag es die aufrechten Minderheitsaktionäre geben, die auf der Basis eigener wirtschaftlicher Einschätzung die seriöse Anlage für die Finanzierung des eigenen Lebensabends suchen, aber die scheinen vorliegend eindeutig in der Minderheit zu sein.

Wie erwähnt wird in den sozialen Medien am plakativsten die Bekämpfung der Hedgefonds als eigene Motivation propagiert. Tatsächlich dürfte jedoch auch der schnelle Dollar eine wesentliche Rolle spielen. Jedenfalls müssen in der Zwischenzeit wieder viele ihre neuen GameStop-Aktien verkauft haben, denn der Kurs fiel vom Zwischenhoch nach wenigen Tagen teilweise um über achtzig Prozent (Stand 5.2.2021) und andere Anlageorgien, die wie die initialen GameStop-Deals in den sozialen Medien organisiert wurden, zeigten einen ähnlichen Verlauf, obwohl die Kursausschläge tendenziell geringer ausfielen. Gegen die These einer Disziplinierung von Kapitalmarkthyänen als vorwiegende Motivation spricht auch ein kurzzeitiger Hype betreffend das Edelmetall Silber, dessen Markt kaum als Paradebeispiel für das Ruinieren von Unternehmen und ihren Aktionären durch Hedgefonds dienen kann. Zwar wird aus verschiedenen Gründen bestritten, dass hier GameStop-ähnliche Aktivitäten für die Kursentwicklung ausschlaggebend waren, doch dürfte der Zusammenhang der beiden Fälle kaum nur chronologischer Natur sein, oder? Man wird allgemein also eher von Day- oder sogar Intra-Day-Handel mit eigener Gewinnmotivation als Ziel der meisten „Revoluzzer“ ausgehen können als von selbstlosem Eintreten für gesamtwirtschaftlich wünschenswerte Kapitalmarkthygiene.

Bleibt zum Schluss der Broker Robinhood, mit enormem Publizitätsschub zuerst als Medium des Kleinanlegeraufstands, dann als Spielverderber wegen Handelsaussetzung und/oder anderen Restriktionen. Hatte man sich dort verkalkuliert, sei es wirtschaftlich oder technisch? Gab es unfairen Einfluss durch mächtige Dritte, womöglich betroffene Hedgefonds, oder andere Gründe für die inzwischen wieder aufgehobenen Einschränkungen? Warum waren von diesen Einschränkungen teilweise auch andere Aktien betroffen, die weder erkennbar Objekt der konzertierten Aktion waren noch aus anderen Gründen starken Kursschwankungen unterlagen? Ohne deutlich tiefer gehende Einsichten werden diese Fragen wohl nicht befriedigend zu klären sein.

Soll und Haben

Was kann man dann also überhaupt einigermaßen seriös sagen? Eher Grundsätzliches:

Idealtypisch sollten alle Kapitalmarktakteure durch ihr Handeln zu größtmöglicher Effizienz beitragen, was insbesondere die Informationsbeschaffung und -auswertung hinsichtlich des Werts gehandelter Finanztitel betrifft. Selbst die ach so ruchlosen Hedgefonds in der oben beschriebenen Version des Leerverkäufers können hier einen positiven Beitrag leisten, wie zuletzt wieder die bereits angesprochene Wirecard-Geschichte gezeigt hat.

Kleinanleger waren bislang eigentlich immer die passive Seite des Kapitalmarkts. Ihre mit GameStop und anderen Initiativen neu aufgelegte Rolle wirkt zunächst unglaublich positiv, denn die Disziplinierung dysfunktional agierender Profis durch selbstorganisierte Amateurgruppen würde dem Kapitalmarkt sicher überaus guttun. Tatsächlich stellt sich aber die im Einzelfall zu klärende die Frage, ob genau diese Konstellation vorliegt, was durchaus zutreffen mag (man denke betreffend Hedgefonds bspw. einmal an die Causa Ströer, vgl. https://www.capital.de/geld-versicherungen/hedgefonds-verletzt-regeln-bei-stroeer-attacke), aber eben nicht muss. Gerade wenn die selbst erklärte Motivation der aktuellen Aktivisten zuträfe, wäre bei GameStop allenfalls (!) eine Dysfunktionalität gegen die andere angetreten, denn die Schädigung anderer Kapitalmarktteilnehmer wird aus fundamentaler Sicht keine Informationsverbesserung betreffend die zukünftigen Zahlungsströme des jeweiligen Unternehmens bringen. Ob das kurzfristige Traden aus nackter Gewinnabsicht helfen würde, darf auch bezweifelt werden, denn insoweit gibt es bereits genug Akteure am Kapitalmarkt.

Was fehlt, sind eindeutig die langfristig orientierten Privatanleger am Aktienmarkt. Für den Shareholder Value sind idealtypisch alle diskontierten Zahlungen bis zum Sankt Nimmerleins-Tag zu berücksichtigen. Seine Verfolgung wäre also die für private Anleger einzel- und gesamtwirtschaftlich anzustrebende Funktion. Gleichzeitig ist Shareholder Value, nicht nur, aber auch nicht zuletzt in Deutschland, vgl. http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=11032, medial und politisch zumeist verpönt. Wenn sich Politiker hierzulande jetzt vor die Kapitalmarktrebellen stellen wollen und ihre Benachteiligung durch das Eingreifen institutioneller Anleger oder Broker kritisieren, kommt mehr als nur ein schaler Beigeschmack auf. Anstatt breit gestreutes Produktiveigentum zu fördern, wird mit einem Verhalten sympathisiert, das außer großer Volatilität bislang wenig erreicht hat und auf längere Sicht nur bedingt mehr erreichen wird – zumindest was gesamtwirtschaftlich positive Aspekte angeht. Für solche Volatilitätssteigerungen wurden bislang institutionelle Anleger und insbesondere Hedgefonds mit Recht kritisiert. Mag sein, dass diese Institutionellen wegen der neuen Gefahr von privat organisierten Gegenschlägen in Zukunft etwas behutsamer agieren werden, doch bleibt einstweilen unklar, ob durch Kapitalmarktrebellen ausgelösten Kurskapriolen langfristig nicht größere Schäden anrichten werden als die bisherigen Aktivitäten von Hedgefonds & Co. Alle dysfunktionalen Spiele am Kapitalmarkt müssen aufhören, egal von wem sie gespielt werden! Einstweilen besteht dagegen die Gefahr, dass die GameStop-Revolte den eigentlichen Regelungsbedarf zugunsten privater Aktionäre im Kapitalmarkt- und Gesellschaftsrecht verdeckt, indem sie politischen Entscheidungsträgern Möglichkeiten liefert, sich publikumswirksam auf die Seite von konzertiert agierenden Kleinanlegern zu stellen, deren Rolle für die Funktionstüchtigkeit des Kapitalmarkts zumindest fragwürdig erscheint.

Eine Antwort auf „GameStop – but which Game and for whom?“

  1. Passgenaue wie ebenso kristallin klare Kurzanalyse des jüngsten GameStop Kapitalmarkt – Rodeoritt‘s von Kleinstanlegern, ohne jedwede Informationseffizienz.
    Die überaus umgehende Handlungsbereitschaft der Entscheider des Börsenhandels zeigt die enorme Macht der Hedge Fonds.

    Wann wird dieses Phänomen mit der selbigen Deutlichkeit in Europa die Politik zum Handel auffordern?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert