In Zeiten wie diesen hat jeder zur Marktwirtschaft irgendwie eine Meinung. Da die Wenigsten Volkswirtschaftslehre studieren, müssen die Meisten notgedrungen auf Zeitungswissen oder auf ihr Schulbuchwissen zurückgreifen. Da liegt die Frage nahe, wie es um die Vermittlung von Kompetenzen in wirtschaftlichen Fragen während der Schulzeit stand und steht. Die Reaktionen auf die Finanzkrise legen eine tiefgreifende Unkenntnis vieler Bevölkerungskreise über wirtschaftliche Fragen nahe, von der auch gebildete Kreise nicht ausgenommen sind, sofern sie sich nicht schon einmal intensiv im Rahmen eines Studiums mit volkswirtschaftlichen Fragen beschäftigt haben. Die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit hat eine wirtschaftswissenschaftliche Schulbuchstudie in Auftrag gegeben. Die Kernfrage ist: Werden wirtschaftliche Zusammenhänge korrekt erklärt und welche ordnungspolitischen Bewertungsmuster lassen sich in Schulbüchern – versteckt oder offen – erkennen?
Methodik
Betrachtet werden deswegen insbesondere die Behandlung von positiven und normativen Aspekten sowie die Darstellung der wichtigen Themenfelder Gerechtigkeit, unternehmerische Dynamik, Unternehmenspersönlichkeiten und Globalisierung. Untersucht werden hierzu Schulbücher der Fächer Geographie/Erdkunde, Geschichte, Politik/Sozialwissenschaft und Wirtschaft aus Deutschland und dem deutschsprachigen Teil der Schweiz. Die Stichprobe der deutschen Schulbücher umfasst 52 Bücher, während aus dem deutschsprachigen Teil der Schweiz 21 Bücher ausgewählt wurden. Die Untersuchung konzentriert sich auf Neuerscheinungen und versucht herauszufinden, ob sich im Vergleich zu früheren Studien eine veränderte Perspektive auf die Marktwirtschaft in den Schulbüchern nachweisen lässt.
Ergebnisse
Bei der Analyse zeigt sich, dass wirtschaftliche Themen in den schweizerischen Büchern insgesamt sachlicher und ausgewogener behandelt werden. Es gibt jedoch auch eine relativ große Übereinstimmung zwischen den untersuchten Schulbüchern aus beiden Ländern. Die größten Diskrepanzen zeigen sich nicht zwischen den beiden Ländern, sondern zwischen den einzelnen Fächergruppen, was auf die Existenz fachspezifischer Traditionen bei der Rezeption wirtschaftlicher Themen schließen lässt. Der allgemeine Befund lässt sich für beide Länder wie folgt zusammenfassen: in ökonomienahen Fächern (Wirtschaftskunde, Politik und Wirtschaft sowie Wirtschaft und Recht) ist die Darstellung marktwirtschaftlicher Zusammenhänge überwiegend objektiv, zum Teil durchaus gelungen. Eine marktkritische und zum Teil ideologische Färbung lässt sich dagegen in ökonomiefernen Fächern wie Erdkunde, Geographie oder Geschichte feststellen, wenn sich die Schulbuchautoren in das Feld ökonomischer Zusammenhänge begeben.
Bei den untersuchten Erdkunde- und Geographiebücher zeigt sich zum einen, dass sich Qualität und ideologische Färbung der untersuchten schweizerischen und deutschen Büchern gleichen. Länderspezifische Unterschiede ließen sich hier nicht feststellen. In beiden Ländern kam es in diesen Fachgebieten zu Emotionalisierungen bei einer insgesamt marktkritischen Grundhaltung. Diese lässt sich jedoch nicht durchgängig nachweisen und wird immer wieder von gelungenen Passagen unterbrochen. Insgesamt erscheint die Darstellung in den schweizerischen Büchern qualitativ etwas besser, insbesondere da sie weniger elementare Fehler als die deutschen Bücher aufweisen.
Ein besonders deutliches Beispiel für einen solchen Fehler findet sich in einer Passage in Terra Erdkunde 9/10 Niedersachsen, in der Wirtschaftswachstum mit der Entstehung von Arbeitslosigkeit gleichgesetzt wird. „Ständiges Wirtschaftswachstum und damit wachsender Wohlstand haben aber […] in zunehmendem Maße auch Arbeitslosigkeit zur Folge“ (2007, S. 58). Hier wüsste man gern, welchen akademischen Hintergrund der Schulbuchautor hat. Für Entwicklungsländer fällt ihm folgerichtig ein, dass Wirtschaftswachstum eventuell kein erstrebenswertes Ziel sei. Der Wohlstand und überhaupt die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung der Industrieländer wird als wenig nachahmenswert für die Entwicklungsländer dargestellt, was unweigerlich die Frage nach Alternativen für die Entwicklungsländer aufwirft. Hier aber werden die Schüler mit Antworten allein gelassen.
Bei den untersuchten Geschichtsbüchern fällt der Vergleich noch eindeutiger zu Gunsten der schweizerischen Bücher aus. Insbesondere die ausgewogene Darstellung der Industrialisierung muss hier positiv genannt werden. Insgesamt hat die historische Alltagsforschung der letzten Jahrzehnte einseitige Geschichtsbilder der Vergangenheit zu korrigieren vermocht. Fehlende Darstellungen zum Pauperismus aus der vorkapitalistischen Zeit haben über viele Jahrzehnte zu einem Geschichtsbild beigetragen, demzufolge Not und Elend zum ersten Mal mit dem Kapitalismus die Bühne der Weltgeschichte betreten hatten. Dies lässt sich insbesondere für die schweizerischen Schulbücher so nicht mehr festhalten und auch bei den deutschen Geschichtsbüchern ist das Bild inzwischen etwas ausgewogener. Wohltuend bei den schweizerischen Schulbüchern ist das Ausbleiben jeglicher beschönigender Passagen über Kommunismus und Planwirtschaft. Hier mag die geographische Distanz zu einem objektiven Urteil beigetragen haben. Offen bleibt, ob die Schulbuchverlage hier Konzessionen an ostdeutsche Lehrer machen, die in ihrer Mehrzahl regimetreu waren; erst mit dem jetzt einsetzenden Generationenwechsel braucht auf solche Mentalitäten keine Rücksicht mehr genommen werden.
Bei den Politikbüchern fällt die Qualität der Darstellung in beiden Ländern ungefähr gleich aus. Die Wirtschaftskundebücher der Schweiz sind dagegen etwas besser als die deutschen Bücher, wobei das Niveau beider als überraschend hoch zu bezeichnen ist. Jedoch finden sich in den deutschen Wirtschaftskundebüchern immer noch einige Fehler und Ungenauigkeiten, während sich die schweizerischen Bücher immer wieder durch gute Darstellungen und interessante Perspektiven auszeichnen, wie z.B. in einer Einführung in die Volkswirtschaft:
„Auf der Grundlage des Marxschen Gedankengutes wurde in vielen Teilen der Welt im 20. Jahrhundert versucht, die Institution des Marktes abzuschaffen. Doch selbst der Sozialismus, das System mit der grössten Distanz zur Marktwirtschaft, kam nie ohne Märkte aus. Teilweise existierten diese in Form illegaler Schwarzmärkte, teilweise als legalisierte Nischen für Handwerker oder in ausgewiesenen Wirtschaftszonen“ (2007, S. 110.)
Ergebniseinordnung
Wenn man die Ergebnisse der vorliegenden Studie zur Darstellung wirtschaftlicher Themen in neueren deutschen Schulbüchern mit den Ergebnissen der Studien von 2007 und 2008 vergleicht, so fallen vor allem zwei Dinge auf. Einerseits hat sich die Qualität der Darstellungen nicht deutlich verbessert. Wenn man die Ergebnisse der beiden älteren Studien zusammenfasst – was angesichts ihrer Heterogenität sicherlich nur recht ungenau geschehen kann – so erhält man ungefähr das Bild, das sich auch bei der Analyse der neueren deutschen Schulbücher ergibt. Neben einer marktkritischen Grundhaltung, die sich unter anderem in einer Befürwortung von staatlichen Eingriffen und einer unausgewogenen Beschäftigung mit wohlfahrtsstaatlichen Fragen zeigt, existieren auch positive Passagen, z.B. bei der Darstellung der Biographien von Industriepionieren. Die ebenfalls bemängelten Tendenzen zur Emotionalisierungen und einseitigen Darstellung finden sich ebenfalls in den untersuchten neueren Schulbüchern. Sicherlich ist von einem Schulbuch nicht zu erwarten, das Thema der sozialen Gerechtigkeit von einem Hayekschen Standpunkt aus vorzustellen (auch wenn dies sogar in einigen Büchern geschieht). Umgekehrt ist aber der Egalitarismus – verstanden als Einzelfallgerechtigkeit – unumstößlicher Teil des Curriculums. So zeigen viele Gemeinschaftskunde- und Politikbücher eine Karikatur, in der eine Gruppe von Tieren (u.a. ein Affe und ein Goldfisch) vor einem Baum weilt. Ihnen gegenüber sitzt ein Mann an einem Schreibtisch. Die Unterschrift lautet:
„Im Sinne einer gerechten Auslese lautet die Prüfungsaufgabe für Sie alle gleich: Klettern Sie auf den Baum!“ (Gesellschaft und Politik im Fokus 11, 2009, S. 20.)
Leistungsgerechtigkeit soll hier als Ideologie enttarnt werden. Doch prägen solche antiliberalen Ideologien nicht das gesamte Bild. In den neueren Schulbüchern finden sich auch immer wieder sehr gute Passagen, die zeigen, wie eine bessere Darstellung wirtschaftlicher Themen in Schulbüchern aussehen kann.
Fazit
Bei der Neukonzeption von Schulbüchern sollten die oben dargestellten Ergebnisse dringend berücksichtigt werden, um zu einer besseren Darstellung von wirtschaftlichen Themen zu kommen. Die Vergleiche zwischen den einzelnen Fächergruppen, zwischen deutschen und schweizerischen Büchern sowie zwischen den Analysen älterer und neuerer Schulbücher zeigen deutlich, dass es noch viel Raum für Verbesserungen gibt. Dies gilt vor allem für die Erdkunde- und Geographiebücher, aber auch für Geschichts- sowie für die Politik- und Gemeinschaftskundebücher. Neben einer sachlichen und ausgewogenen Darstellung sollte vor allem auf die Streichung von Emotionalisierungen und auf die Korrektur offenkundiger Fehler geachtet werden. Die gerade in deutschen Wirtschaftkundebüchern oft vorhandenen Kapitel zu praktischen Fragen sollten übrigens auch Vorbildcharakter haben. Warum sollte die Schule nicht auf die Ausbildung einer gewissen praktischen Klugheit bei wirtschaftlichen Fragen hinarbeiten? Themen wie Steuererklärung, Bewerbung, aber auch Fragen der Geldanlage oder der Versicherungswahl könnten durchaus Eingang in den Unterricht finden.
Abschließend müsste sicher auch über Daseinsberechtigung und Zuschnitt der einzelnen Fächer sowie der Schullaufbahn insgesamt diskutiert werden – eine politische und gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Aus unserer Sicht hat die Süddeutsche Zeitung jedenfalls recht wenn sie ausruft: „Humboldt würde sich für Wirtschaft entscheiden“. Der Dreiklang Wirtschaft, Politik und Recht sollte unserer Meinung nach in jeder Schulform spätestens ab der achten Klasse unterrichtet werden – am besten in einem Fach zusammengefasst. Hingegen erscheint es vor dem Hintergrund der Studie fragwürdig, den Geographieunterricht mit volkswirtschaftlichen Themen aufzufüllen. Hier besitzen weder die Schulbuchautoren noch die unterrichtenden Lehrer von ihrer Vorbildung die erforderliche Kompetenz, Fragen der Weltwirtschaft sachgerecht darzustellen. Eine Aufwertung des Unterrichts in wirtschaftsnahen Fächern bietet hier bessere Gewähr, den Schülern ökonomische Zusammenhänge sachkundig nahe zu bringen.
Justus Lenz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Institutionenökonomie und Wirtschaftspolitik an der Universität Erfurt. Er ist zudem Autor der Studie „Die Darstellung von Marktwirtschaft und Unternehmertum in Schulbüchern in Deutschland und der deutschsprachigen Schweiz“.
Sie verwenden in Ihrer Analyse Wendungen wie „ideologische Färbung“ im Zusammenhang mit marktwirtschaftskritischen Darstellungen und kontrastieren dies mit „ausgewogenen“ bzw. „objektiveren“ Darstellungen im Sinne der reinen Marktwirtschaft. Dies ist in sich bereits von einer speziellen wirtschaftspolitischen Position geprägt (nämlich der in diesem Blog dominanten), die aber keineswegs so gesellschaftlicher Konsens ist, und darum auch nicht als solcher dargestellt werden sollte.
Gleich welcher Meinung man persönlich sein mag – ausgewogen ist eine Darstellung, wenn sie sowohl marktliberale wie egalitäre Ansätze zur Wirtschaftspolitik präsentiert. Schüler sollten lernen, die jeweiligen Vor- und Nachteile zu erkennen und in ihrem Gegenspiel abzuwägen. Nur so kann es zu einer vernünftigen Meinungsbildung kommen.
Nun ich frage mich was
„Die Reaktionen auf die Finanzkrise legen eine tiefgreifende Unkenntnis vieler Bevölkerungskreise über wirtschaftliche Fragen nahe, von der auch gebildete Kreise nicht ausgenommen sind, sofern sie sich nicht schon einmal intensiv im Rahmen eines Studiums mit volkswirtschaftlichen Fragen beschäftigt haben.“
Das bedeuten könnte. Ich behaupte mal alle die bei sagen sor mal Lehmann Brothers dabei waren dürften sich auch mit volkswirtschaftlichen Fragen beschäftigt haben. Nur was haben denn die Volkswirtschafter gesagt oder getan? Was ist an „Weniger ausgeben als einnehmen“ so schwierig, daß man dafür ein Studium bräuchte?
Ich kann mich an meine Studienzet erinnnern und habe mich öfters gefragt ob diese „Volkswirtschaftler“ irgendwann selber mal ihr Geld nicht vom Staat bekommen haben. So was von Formalismus und Spielereien mit Mathematik und „Leverage“, die Resultate können wir ja gerade „bewundern“.
Am schönsten immer noch das „Rumgemachhe“ mit Geldwachsum und ähnlichne „Nettigkeiten“, ja alles „berechenbar“.. oder so…
Aber was soll’s die meisten Vokswirtschaftler dürften ja bei Banken arbeiten und da gelten ja offensichtlich „eigene Regeln“