Wirtschaftskrisen, Strukturwandel und Staatswirtschaft
Resiliente Volkswirtschaften werden besser mit Schocks fertig

„Die Krise ist ein produktiver Zustand. – Man muß ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen!“ (Max Frisch)

Wirtschaftliche Krisen sind nicht neu. Die Welt ist seit alters her voll von solchen Krisen. Konjunkturelle Schwankungen sind an der Tagesordnung. Strukturkrisen pflastern den Weg des wirtschaftlichen Wachstums. Wirklich systemrelevante Krisen sind dagegen eher selten. Allerdings: In den letzten 15 Jahren traten sie gehäuft auf. Die Finanzkrise, die EWU-Krise und die Corona-Krise sind von diesem Kaliber. Die Politik weiß grundsätzlich, was in Konjunktur- und Strukturkrisen zu tun ist. Staatliche Nachfragepolitik hilft bei konjunkturellen Schwankungen, marktöffnende Angebotspolitik bei strukturellem Wandel. Auf Systemkrisen fällt es der Politik allerdings schwer, ursachenadäquat zu reagieren. Solche Krisen sind nicht prognostizierbar. Sie sind singulär. Nur: Selten kommt eine Krise allein. Manchmal treten exogene Schocks auf der Angebots- und Nachfrageseite im Doppelpack auf. Vorsorge wurde nicht getroffen. Wirtschaftspolitische Erfahrungen fehlen. Mehr als situationsbezogene Ad hoc-Maßnahmen der Politik sind kaum möglich. Das Alltagsgeschäft der Krisen-Politik sind Konjunktur- und Strukturkrisen. Auf diese Felder sollte sie sich konzentrieren. Allerdings: Eine höhere Flexibilität hilft nicht nur bei Konjunkturschwankungen und im Strukturwandel, sie ist auch die beste Vorsorge gegen Systemkrisen.

Schocks und Krisen

Die für die Entwicklung des Wohlstandes relevante Größe ist nicht die Konjunktur, sondern die Struktur. Konjunkturelle Schwankungen haben wenig Einfluss darauf, wie sich eine Volkswirtschaft längerfristig entwickelt. Hysterese-Effekte sind eher vernachlässigbar. Sie treten allenfalls auf, wenn die Konjunktur nicht strukturneutral ist. Dagegen ist der strukturelle Wandel ein wichtiger Treiber der längerfristigen Entwicklung. Er schiebt das wirtschaftliche Wachstum an. Dabei ist er alles andere als krisenfrei. Der Prozess der „schöpferischen Zerstörung“ geht nicht ohne wirtschaftliche und soziale Blessuren ab. Alte Strukturen werden (sofort) zerstört, neue entstehen (meist erst später). Unternehmenspleiten, (Langzeit-)Arbeitslosig-keit, sektorale und regionale Härten pflastern den Weg. Arbeit und Kapital steigen in produktivere Verwendungen um. Dieser Umstieg ist für viel schmerzhaft. Kurzum: Der Strukturwandel verläuft meist krisenhaft, weil zu wenig Vorsorge getroffen wurde. Die Politik ist gefordert, die Friktionen im Strukturwandel möglichst klein zu halten. Dazu braucht es eine effiziente Politik für den Strukturwandel, also ständige Strukturreformen.

Was im strukturellen Wandel passiert, ist das Ergebnis des Spiels von Anpassungslasten und Anpassungskapazität. Es lässt sich mit grobem Pinsel als ein Bild von Niederschlägen und Aufnahmefähigkeit von Flüssen zeichnen. Bei moderatem Regen sind Flüsse problemlos in der Lage, die Wassermassen aufzunehmen. Das sieht bei anhaltendem Starkregen anders aus. Die Gefahr von Überschwemmungen steigt. Das sind die Anpassungslasten. Ob es dazu kommt, hängt davon ab, wie aufnahmefähig die Flüsse sind. Das hängt von vielem ab. Der Grad der Renaturierung ist ein Faktor. Ein anderer sind die Dämme. Je höher sie sind, desto mehr Regenwasser können die Flüsse aufnehmen. Auch Überflutungspolder können mit dazu beitragen, Flutkatastrophen zu verhindern. Dann kann es stärker und länger regnen, ohne dass Dörfer und Städte in den Wassermassen versinken. Das ist die Anpassungskapazität. Das Problem ist in der Ökonomie nicht anders. Vielfältige exogene Schocks auf der Angebots- und Nachfrageseite, privat und staatlich, stürmen auf die wirtschaftlichen Akteure ein. Sie treffen auf eine mehr oder weniger ausgeprägte Fähigkeit der wirtschaftlichen Akteure, sich flexibel an die Veränderungen anzupassen. Sind die exogenen Schocks hoch und die Fähigkeit der Akteure nur gering, sich an neue Gegebenheiten anzupassen, ist die Gefahr krisenhafter Entwicklungen groß.

Es ist eine Binsenweisheit: Volkswirtschaften stehen ständig unter „Schock“. Die Anpassungslasten sind vielfältig. Sie kommen von der Angebots- und Nachfrageseite der Märkte. So lösen etwa veränderte individuelle Präferenzen und neue Kostenstrukturen der Produktion einen Anpassungsbedarf aus. Auch staatliche Entscheidungen schocken ständig Güter- und Faktormärkte. Wie vielfältig Schocks sein können, zeigen die letzten „großen“ Krisen. Die Finanzkrise war ein heftiger Nachfrageschock, die EWU-Krise eine Vertrauenskrise in die Staatsverschuldung, die Corona-Krise ein originärer Angebotsschock, der durch staatliche Lockdowns um Nachfrageschocks aufgestockt wurde. Diese Schocks zwingen die wirtschaftlichen Akteure, sich an neue Gegebenheiten anzupassen. Das gelingt bei Angebotsschocks am besten, wenn die relativen Preise auf Güter- und Faktormärkten flexibel und Arbeit und Kapital sektoral, regional und beruflich mobil sind. Handelt es sich um (konjunkturelle) Nachfrageschocks sind Politik und Notenbanken gefordert, die entstandenen Nachfragelücken fiskal- und geldpolitisch zu stopfen. Strukturelle Verschiebungen sind typische Angebotsschocks. Sie lassen sich nicht mit staatlicher Nachfragepolitik bekämpfen. Notwendig sind höhere Anpassungskapazitäten.

Vorsorge gegen Krisen

Volkswirtschaften sind Krisen nicht schutzlos ausgeliefert. Das gilt für Konjunktur- und Strukturkrisen. Es trifft selbst für „Systemkrisen“ zu. Die Möglichkeit besteht, sich gegen Krisen zu wappnen. Anpassungslasten können verringert, Anpassungskapazitäten erhöht werden. Allerdings: Anpassungslasten lassen sich nur schwer reduzieren. Um im Bild zu bleiben: Regional konzentrierte Niederschläge lassen sich nicht steuern. Etwas einfacher scheint es bei der Anpassungskapazitäten. Sie lassen sich erhöhen. Flüsse können renaturiert, Dämme erhöht, Überflutungspolder angelegt werden. Das alles gilt auch für die Ökonomie. Es ist grundsätzlich möglich, die Anpassungslasten aus Konjunktur und Struktur zu verringern. Allerdings lassen sich Konjunkturschwankungen und Strukturwandel nicht verhindern. Das gilt für die Konjunktur, wenn Haushalte und Unternehmen frei entscheiden können. Es gilt umso mehr bei wirtschaftspolitischen Entscheidungen des Staates. Dort dominieren polit-ökonomische Überlegungen. Die Erfahrung zeigt: Sie sind ein steter Quell konjunktureller Unruhe. Eine grundlegende Reform der politischen Märkte und mehr regelgebundene (Geld- und Fiskal-)Politik wären wichtige Schritte, die politisch verursachten Anpassungslasten zu verringern.

Der Strukturwandel verursacht ständig Anpassungslasten. Haushalte ändern mit steigendem Wohlstand ihr Ausgabenverhalten. Industriegüter werden weniger, Dienstleistungen stärker nachgefragt. Eine höhere Erwerbsquote der Frauen verstärkt die Entwicklung. Auch Unternehmen setzen verstärkt auf Dienstleistungen als Vorprodukte. Der industrielle Sektor wird produktiver, der Dienstleistungssektor wächst. Schließlich treiben weltweit offene Güter- und Arbeitsmärkte den sektoralen Wandel. Diese strukturelle Entwicklung lässt sich nur verlangsamen, wenn Markt und Wettbewerb reguliert werden. Subventionen, Interventionen und Protektionismus sind gängige Mittel. Damit lassen sich die Anpassungslasten des Strukturwandels zwar temporär verringern, beseitigen lassen sie sich aber nicht. Der Preis ist allerdings hoch. Der produktivitätssteigernde Effekt der „schöpferischen Zerstörung“ wird vermindert, das wirtschaftliche Wachstum reduziert, der Wohlstand sinkt. Es macht wenig Sinn, den Strukturwandel aufzuhalten, um die Anpassungslasten zu verringern. Sinnvoll ist es allerdings, wenn der Staat den sektoralen Strukturwandel nicht auch noch beschleunigt, wie er es gegenwärtig mit einer ineffizienten, nicht technologieneutralen Klimapolitik tut. Damit setzt er dem angeschlagenen industriellen Sektor weiter schwer zusetzt. Die Gefahr eines automobilen Rostgürtels in Deutschland wächst.

Bei der Vorsorge gegen Krisen sollte man nicht darauf setzen, dass es gelingen könnte, die Anpassungslasten signifikant zu verringern. Teilweise lassen sie sich nicht verhindern, wie Covid-19 zeigt, oder kaum verringern, teilweise wäre eine Verringerung mit hohen Risiken und Nebenwirkungen verbunden. Es wäre aber schon einiges gewonnen, wenn es gelänge, wenigstens die politisch verursachten Anpassungslasten einzudämmen. Deshalb: Der Ansatzpunkt bei der Krisenvorsorge muss die Anpassungskapazität sein. Grundsätzlich ist die Sache klar. Gegen künftige Konjunkturkrisen ist man am besten gerüstet, wenn Staat und Notenbanken das fiskal- und geldpolitische Pulver trocken halten. Die beste Hilfe gegen Strukturkrisen sind flexible relative Preise (Löhne und Lohnstrukturen), gut ausgebildete, produktive Arbeitskräfte und sektoral, regional und beruflich mobile Arbeitnehmer. Die Corona-Krise hat aber gezeigt, dass in manchen Krisen, die Probleme nicht ökonomisch gelöst werden können. Gegen Covid-19 hilft nur die Medizin. Nur sie kann die induzierten ökonomischen Stockungen auflösen. Gesunde Staatsfinanzen, flexible Arbeitsmärkte und gut ausgebildete Arbeitnehmer sind allerdings hilfreich, den Schaden zu begrenzen.

Unternehmen, Arbeitnehmer und Staat können Vorsorge für mögliche Krisen treiben, indem sie die Anpassungskapazität erhöhen. Private Unternehmen helfen, unkalkulierbare wirtschaftliche Risiken („unknown unknowns“) zu vernichten. Das macht es notwendig, dass Politik und Gesellschaft die Unternehmer unternehmen lässt, sie unternehmen können und auch unternehmen wollen (hier). Arbeitnehmer trotzen Krisen leichter, wenn sie besser (produktiver), billiger (kostengünstiger) und schneller (mobiler) sind. Sie sind weniger oft und kürzer arbeitslos. Das „A und O“ sind Investitionen in Humankapital, am besten „on the job“. Widerstandsfähiger gegen Krisen sind Arbeitnehmer in Zeiten forcierten Strukturwandels, wenn sie über mehr allgemeines Humankapital verfügen. Das macht sie in verschiedenen Sektoren und Berufen leichter einsetzbar. Dagegen erweist sich spezifisches Humankapital immer öfter als Hindernis im Strukturwandel. Einen wichtigen Beitrag zu einer höheren Anpassungskapazität kann auch der Staat leisten. Ein adäquater ordnungspolitischer Rahmen – private Eigentumsrechte, individuelle Vertragsfreiheit, freier Marktzugang – zählt dazu. Eine angemessene Staatsquote, mehr investive und weniger konsumtive Ausgaben, solide finanzierte Staatshaushalte und eine tragfähige explizite und implizite Verschuldung sind weitere Faktoren.

Handeln in Krisen

Die Menschen sind Krisen nicht schutzlos ausgeliefert. Sie können gegen krisenhafte Entwicklungen vorsorgen. Das gilt für Konjunktur-, Struktur- und Systemkrisen. Voraussetzung ist allerdings eine richtige Vorsorge. Genau das ist aber das Problem. Meist wird die Vorsorge vernachlässigt. Volkswirtschaften schlittern mehr oder weniger unvorbereitet in Krisen. Der Politik bleibt dann oft nur hektisches Krisenmanagement, meist schlechtes. Diese Entwicklung ist bei Konjunkturkrisen gut dokumentiert. Die time-lags sind Legion. Der Politik gelingt es oft nicht zu erkennen, ob es sich um einen Angebots- oder Nachfrageschock handelt. Nicht jeder Rückgang der Nachfrage ist aber konjunkturell. Output-Lücken geben, trotz aller Probleme, bessere Hinweis. Es ist ein alter Hut, dass expansive Nachfragepolitik in Demokratien nicht schnell umgesetzt werden können. Automatische Stabilisatoren sollen helfen, diese Lücke zu schließen. Oft sind aber auch die Möglichkeiten der Verschuldung eingeschränkt, weil man in guten Zeiten über die Verhältnisse gelebt hat. Schließlich  dauert es, bis beschlossene und umgesetzte Maßnahmen ihre Wirkung zeigen. Es ist nicht selten, dass expansive Aktivitäten erst in Zeiten des Aufschwungs wirksam werden. Konjunkturpolitik ist oft ein Krisenverstärker.

Viele Krisen, wie System- und Konjunkturkrisen, kommen fast aus dem Nichts. Die Vorwarnzeit ist relativ kurz. Das gilt für Strukturkrisen eher nicht. Strukturwandel findet ständig statt. Nur das Tempo variiert. Der Klimawandel beschleunigt ihn. Trotzdem: Politische und wirtschaftliche Akteure können sich darauf vorbereiten. Die Vorsorge ist im strukturellen Wandel eine ständige Aufgabe von Politik, Tarifpartnern und Individuen. Strukturkrisen entstehen, wenn es an ausreichender Vorsorge mangelt. Die Krisen von Kohle, Stahl und Textil kamen nicht über Nacht. Sie kündigten sich lange an. Getan wurde wenig, Arbeitnehmer und Regionen auf den Strukturwandel vorzubereiten. Die Politik unternahm in Gegenteil einiges, ihn aufzuhalten. Sie gefiel sich in der Rolle des strukturpolitischen Don Quichotte. Wenn es dumm läuft, wird sich die Geschichte im Automobilbau wiederholen. Ist die Krise erst einmal virulent, helfen nur noch Notfallmaßnahmen. Auftretende Lasten müssen sozial abgefedert werden. Passive Arbeitsmarktpolitik, wie Kurzarbeiter- oder das Arbeitslosengeld I, leisten erste Hilfe. Das Arbeitslosengeld II ist die letzte soziale Auffanglinie. Aktive Arbeitsmarktpolitik, wie Beratung, Vermittlung und Qualifizierung, sollen helfen, eine Brücke in eine neue Beschäftigung zu schlagen. Die Erfahrung ist allerdings wenig ermutigend. Der berufliche Strukturwandel gelingt oft erst durch Generationenwechsel. Strukturkrisen hinterlassen meist verlorene Generationen.

Systemkrisen sind anders als Konjunktur- und Strukturkrisen. Wie bei Konjunkturkrisen ist die Vorwarnzeit kurz. Solche Krisen sind nicht vorhersehbar. Anders als bei Konjunktur- und Strukturkrisen gibt es keine historischen Erfahrungen („unknown unknowns“). Ausgelöst werden solche „Jahrhundertkrisen“ mal durch originäre Angebotsschocks, wie Ölpreis- und Corona-Krise, mal durch Nachfrageschocks, wie Weltwirtschafts- und Finanzkrise. Das überfordert nicht nur die Politik, auch die Wissenschaft reagiert konfus. Für solche Krisen gibt es kein wirtschaftspolitisches Patentrezept. Manchmal lassen sie sich, wie bei der Corona-Krise, nicht ökonomisch, sondern nur medizinisch lösen. Für die Wirtschaftspolitik geht es darum, das Schlimmste zu verhindern, Verluste sozial abzufedern und Arbeitslose schnell wieder in Arbeit und Brot zu bringen. Mehr als ein minimaler Versicherungsschutz für die Verlierer, wie aktive und passive Hilfen für Arbeitslose und diskretionäre Unterstützung für notleidende Unternehmen, kann die Gesellschaft nicht leisten. Länder mit hoher Anpassungskapazität sind klar im Vorteil. Das geldpolitisches Pulver trocken zu halten, auf solide Staatsfinanzen zu achten, Arbeitsmärkte flexibel zu gestalten, verstärkt in Humankapital zu investieren und den sozialen Konsum zu zügeln, ist nicht von Nachteil.

Politische Ökonomie von Krisen

Krisen haben einen schlechten Ruf. Anpassungslasten pflastern ihren Weg. Tatsächlich sind Krisen nicht nur schlecht. Sie haben auch ihre guten Seiten. In langen krisenlosen Zeiten häuft sich viel Sand im Getriebe der Ökonomie an. Unternehmen werden träge, sie jagen eher nach Renten als nach Gewinnen. Arbeitnehmer vernachlässigen ihr Humankapital, sie schätzen mehr Freizeit und Konsum. Politiker gehen ihrer Lieblingsbeschäftigung nach, sie begünstigen möglichst viele spezifischen Interessengruppen und belasten die breite Masse der Wähler möglichst unfühlbar. Innovationsfördernd ist das alles nicht. Die Produktivität leidet, das Wachstum schrumpft, der Wohlstand stagniert. Krisen brechen die sklerotische Entwicklung auf. Oft wird ihnen eine „reinigende“ Funktion zugeschrieben. Zombie-Unternehmen scheiden aus dem Markt aus. Krisen wirken wie Produktivitätspeitschen. Wer als Unternehmen überleben will, muss mit neuen Produkten, Verfahren, Organisationen und Märkten aufwarten. Ressourcen werden in neuen Verwendungen produktiver eingesetzt. Innovationen, die schon in der Pipeline sind, werden beschleunigt. So könnten sich in der Corona-Krise die Einführung der Telemedizin, des Home-Office, des Online-Learning und des digitalen Geldes beschleunigt haben. Allerdings: Viele kleine Krisen scheinen besser als wenige große. Das ist die Position, die Markus Brunnermeier in seinem neusten Buch vertritt (hier). Sie blasen kontinuierlich den Sand aus dem Getriebe und verstetigen die innovative Entwicklung ohne die unerfreulichen und kostspieligen Risiken und Nebenwirkungen großer disruptiver Krisen.

Das ist die Erzählung von Krisen als „reinigende“ Kraft und innovative Treiber der Ökonomie. Die Realität sieht oft anders aus. Krisen sind auch ein Eldorado für Rentenjäger. Da für Krisen nicht ausreichend vorgesorgt wird, erfolgt die Anpassung an die krisenhafte Entwicklung weniger über (relative) Preise als über Mengen. Unternehmen geraten massenhaft in Schwierigkeiten, Arbeitnehmer werden in großer Zahl arbeitslos, Sektoren und Regionen leiden teilweise heftig unter der Krise. Das ist die Stunde der Lobbyisten und Politiker. Die Politik will potentielle Wähler nicht verprellen und hilft. Die Interessenvertreter zeichnen die Lage in möglichst dunklen Farben. Die Politik gibt das Geld der Steuerzahler mit vollen Händen aus. Vor allem spezifische Interessengruppen profitieren. Die Corona-Krise legt davon Zeugnis ab. Das Kurzarbeitergeld wurde erhöht und verlängert, Überbrückungsgelder an Unternehmen und Solo-Selbständige gezahlt, Apotheker und Ärzte kräftig subventioniert. Subventionen schießen wie Pilze aus dem Boden. Gewaltige nationale Ausgabenprogramme wurden aufgelegt. Auf europäischer Ebene wurde ein riesiger „Wiederaufbaufonds“ auf den Weg gebracht. Die Lasten werden sozialisiert, die Finanzierung wird der nächsten Generation überlassen, die staatliche Verschuldung explodiert.

Wirtschaftliche Krisen sind immer auch Treibsätze für die Staatswirtschaft. Die Erfahrung zeigt, Krisenzeiten sind für die Politik günstige Gelegenheiten, das zu machen, was man schon immer machen wollte aber nicht konnte. Wohin man schaut, überall lauert Marktversagen. Das gilt es endlich zu eliminieren. Interventionen, Regulierungen und Subventionen sind die Mittel der Wahl. Alle Arbeitslosigkeit ist konjunkturell und die gibt es in Krisen en masse. Staatliche Ausgabenprogramme, auf Kredit finanziert, haben Hochkonjunktur. Hinter jeder Ecke lauern Ungerechtigkeiten. Umverteilung, meist von den nicht ganz Reichen zu den nicht ganz Armen, soll Abhilfe schaffen. Der Markt versagt auch an anderer Stelle. Es gelingt ihm nicht, zukunftsträchtige Technologien, Sektoren und Unternehmen zu selektieren. Damit lässt sich auch in der strategischen Handelspolitik kein Blumentopf gewinnen. Das kann der Staat besser als private Unternehmen. Er beteiligt sich immer öfter an Unternehmen (CureVac) und führt eigene Unternehmen, auch um technologisch „souveräner“ zu werden. Innovationsruinen säumen die Straße des industriepolitischen Erfolgs. Das alles kostet viel Geld, oft finanziert auf Pump. Das ist aber, wenn man linken, schuldenbesoffenen Ökonomen (Martin Greive) folgt, bei niedrigen Zinsen kein Problem, sondern wirtschaftspolitische Pflicht (hier). Die säkular steigende Staatsquote wird weiter befeuert. Das alles lässt mich zweifeln, ob Krisen wirtschaftliches Wachstum befeuern. Die in Krisen wachsende, pfadabhängige Staatswirtschaft spricht dagegen.

Fazit

Krisen haben Konjunktur. Wirtschaftliche Krisen entstehen, wenn Arbeitnehmer, Unternehmer und Politiker nicht adäquat auf exogene Schocks reagieren. Grundsätzlich gilt: Wer nur mangelhaft vorsorgt, läuft Gefahr, dass exogene Schocks krisenhaft aus dem Ruder laufen. Hält der Staat das geld- und fiskalpolitische Pulver in guten Zeiten nicht trocken, wird aus Nachfragelücken eine Konjunkturkrise. Sind relative Preise inflexibel und Produktionsfaktoren immobil, wird aus dem Strukturwandel eine Strukturkrise. Agiert die Politik nicht mit einer adäquaten Angebots- und Nachfragepolitik, wächst sich ein virologischer Schock, wie Covid-19,  zu einer wirtschaftlichen Corona-Krise aus. Solide Staatshaushalte und ständige Strukturreformen in guten Zeiten sind die beste Vorsorge für schlechte Zeiten. Tatsächlich ist aber die wirtschaftspolitische Vorsorge gegen exogene Schocks oft mangelhaft. Krisenhafte Entwicklungen sind dann unvermeidlich. Das ist die Stunde der Interessengruppen und Politik. Meist reagiert die Politik mit überbordender Staatsverschuldung, drängt die Notenbanken zu ultra-leichter Geldpolitik, setzt auf strukturkonservierende Subventionen und ist vielfältig interventionistisch auf den Märkten unterwegs. Immer öfter versucht sich der Staat auch als Unternehmer, meist erfolglos und kostspielig für die Steuerzahler. Das alles verstärkt den anhaltenden Trend zur Staatswirtschaft. Schon Winston Churchill wußte: „Never waste a good crisis“. Und die ökonomische Wissenschaft leistet Schützenhilfe.

Literatur

Markus K. Brunnermeier (2021), Die resiliente Gesellschaft. Wie wir künftige Krisen besser meistern können. Berlin

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