Geradezu putzig ist es, wie eben jene Analysten, die Deutschland vor weniger als zehn Jahren seine hohen Löhne und nicht mehr zeitgemäßen Strukturen vorhielten, sich jetzt an seiner „unfair“ hohen internationalen Wettbewerbsfähigkeit reiben. Ebenso wie sie Ursache und Wirkung vertauschen, indem sie den deutschen Exporteuren vorwerfen, dem Rest Europas die Abnahme seiner Güter gleichsam aufzuzwingen und sie damit ins Handelsdefizit zu drängen. Haben die Deutschen denn wirklich zuerst geliefert, oder wollte man in den Ländern mit Handelsdefiziten nicht erst die Waren? Aber Stopp; dies ist ebenso billige Polemik wie die Einwürfe, Deutschland hätte sich bis zum Ausbruch der Finanzkrise an den auf Droge (d.h. der Vermögenspreisblase) befindlichen verarmten Südländern über sein Exportmodell gesundgestoßen und müsse dies nun durch freiwillige Exportselbstbeschränkung, Konsumzwang und Lohnerhöhung im eigenen Hause wieder gut machen. Um politischen Scheingefechten zu entgehen und die Diskussion auf eine rationale Basis zu stellen, ist es wie so häufig schon ausreichend, sich einmal die Daten über die Struktur des innereuropäischen Außenhandels näher anzuschauen und hieraus die Konsequenzen zu ziehen.
In der Tat, das Wachstum in Deutschland ist in den letzen zwanzig Jahren entscheidend von den Ausfuhren bestimmt worden. Seit Beginn der neunziger Jahre ist der Anteil der Exporte am Bruttoinlandsprodukt im Rahmen der Globalisierung von 25 auf über 40 Prozent gestiegen. Von einigen Nachbarn in der Eurozone wird derzeit vorgebracht, dass die Exporterfolge Deutschlands auf dem Rücken anderer Länder erzielt werden. Eine solche Argumentation ist geradezu absurd und ihre Logik und die vorgetragene Vehemenz eher vor dem Hintergrund zu verstehen, dass sie von den Ländern, die bisher in der Eurozone über ihre Verhältnisse gelebt haben, und Frankreich, das sich als Speerspitze einer geplanten europäischen Wirtschaftsregierung versteht, forciert wird.
Denn die Exporterfolge Deutschlands beruhen auf Wettbewerbsvorteilen, die man sich durch Innovationen, technischen Fortschritt und einer moderaten Lohnpolitik über Jahre hinweg erarbeitet hat. Deutschland ist an den Weltmärkten in erster Linie bei Investitionsgütern führend. Diese Produkte werden von Spanien, Portugal oder Griechenland nicht in vergleichbarer Qualität hergestellt, von daher gehen für diese Länder auch keine Marktanteile verloren. Es geht um unvollkommenen Wettbewerb, zu dem sich vorstehend genannte Länder erst noch Zugang verschaffen müssen. Um bei diesen Gütern Exporterfolg zu haben, spielt der Preis kaum eine Rolle. Ergo kann sich Deutschland seinen Exporterfolg auch nicht durch Preis- und Lohndumping ergaunert haben. Im Gegenteil: keiner hat diese Länder gezwungen, deutsche Güter nachzufragen. Das tun sie freiwillig. Gerade die starke Nachfrage von Ländern der Eurozone, die aufgrund des Euros erhebliche Zinseinsparungen verzeichneten, wurden von deutschen Exporteuren genutzt. Warum gab es diese Zinseinsparung, die von den südeuropäischen Ländern alternativ auch zur Haushaltskonsolidierung hätten eingesetzt werden können? Nicht zuletzt wegen der Stabilitätsreputation der im Euro aufgegangenen Deutschen Mark! Darüber hinaus können deutsche Unternehmen ihre Produkte nicht einfach im Inland absetzen, private Haushalte konsumieren schließlich keine Fertigungsmaschinen.
Deutschland hat durch sein Exportmodell auch die Rolle einer europäischen Konjunkturlokomotive ausgefüllt, da seine hohen Exporte als Vorleistungen auch regelmäßig hohe Importe nach sich gezogen haben. Berücksichtigt man längere Wertschöpfungsketten und den immer wichtiger werdenden „Basareffekt“, dann haben deutsche Exporte immer mehr französische Vorlieferanten profitieren lassen. Durch Lohnzurückhaltung haben sich die deutschen Arbeitnehmer dem Importwettbewerb zumindest in den letzten Jahren erfolgreich gestellt. Da mit den Importen auch ein hoher Preiswettbewerb verbunden war, hat dies vor allem den deutschen Konsumenten einen erheblichen Einkommensgewinn (sic!) gebracht. Das Exportgeschäft sichert folglich konkurrenzfähige Arbeitsplätze im In- und Ausland and und sorgt dafür, dass die Unternehmen in der Globalisierung fit bleiben. Bei einem Rückzug Deutschlands aus den Exporten wären also Wohlfahrtsverluste für den gesamten Euroraum zu erwarten. Von einer Beschränkung Deutschlands profitiert daher niemand. Stattdessen kommt es für andere Länder darauf hin, durch strukturelle Anpassungen Wettbewerbsvorteile zu erzielen.
Die Integration der Länder in die Weltwirtschaft wird sich in den nächsten Jahren fortsetzen, so dass neue Absatzchancen entstehen. Deutschland ist nicht auf europäische Absatzmärkte angewiesen. Gleichzeitig kommen China und Indien und wohl auch die USA viel schneller aus der Krise, obwohl sich die EU in ihrer Lissabon-Strategie darauf festgelegt hatte, der international wettbewerbsfähigste Wirtschaftsraum zu werden. Wer in dieser Situation trotzdem von Deutschland verlangt, seine Exportstärke und damit seinen Wettbewerbsvorteil freiwillig abzubauen, argumentiert fahrlässig und stellt die gesamte Union zur Disposition.
Im Gegensatz zu den Exporterfolgen stieg der Konsum in Deutschland in den letzten Jahren nur geringfügig. Denn die Bevölkerung in Deutschland sinkt, und viele Menschen – gerade in der schrumpfenden Mittelschicht – revidieren ihre langfristigen Einkommenserwartungen nach unten. Das liegt auch an der hohen Besteuerung der Arbeitseinkommen, an der sich nicht zuletzt wegen der hohen staatlichen Haushaltsdefizite wohl wenig ändern wird. Deshalb erhöhen viele Menschen ihre Sparquote und halten sich beim Konsum zurück. Dies ist rational und eine Änderung dieses Verhaltens kann von Seiten des Staates auch nicht erzwungen werden – ein staatlicher Konsumzwang ist gottseidank nicht in Sicht!
Eine dynamischere Binnenkonjunktur kann indes auch nicht durch eine Umverteilung zwischen Löhnen und Beschäftigung angeregt werden. Da Deutschlands Sicherungspuffer gegenüber krisenbedingten Entlassungen gerade in diesen Monaten aufgebraucht ist und man sich schon jetzt am Rande erhöhter Arbeitslosigkeit, d.h. an einer kritischen Lohnkostenschwelle, befindet, würde jede aufgezwungene Erhöhung der Lohnkosten zu geringerer Beschäftigung führen. Dann aber würde auch die gesamtwirtschaftliche der Arbeitnehmer – die Lohnsumme, definiert als Lohn mal Beschäftigung – durch Lohnsteigerungen nicht angekurbelt, sondern gekappt werden. Es würden negative Konjunkturimpulse gesetzt. Zumal auch hier im Ungewissen bleibt, wer denn in Deutschland überhaupt der einsichtige Adressat staatlicher Forderungen „par ordre de mufti“ sein sollte. Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretungen der deutschen Exportindustrie jedenfalls haben sich schon dagegen ausgesprochen.
Stattdessen müssen verlässliche Rahmenbedingungen her, die die Planungssicherheit bei Unternehmen und privaten Haushalten verstärken. Dazu zählt im Nachgang der Krise auch einer nachhaltige Finanzpolitik, die auf eine glaubwürdige Konsolidierung der öffentlichen Haushalte setzt und Handlungsspielräume zurück gewinnt. Deutschland sollte seine Binnennachfrage allenfalls durch Steuerreformen oder eine Senkung (!) der Lohnnebenkosten im Niedriglohnbereich fördern. Keinesfalls sollte es versuchen, diese durch eine angeordnete Erhöhung seiner Lohnstückkosten anzukurbeln, die ohnehin über dem Durchschnitt der EU liegen. Viel intelligenter als zu Zwangskonsum aufzurufen wäre es auch, die Erhöhung der regionalen und sektoralen Arbeitskräftemobilität in Europa viel stärker als bisher zu forcieren. Denn dann würde eine relative Lohnzurückhaltung nicht von Dauer sein und sich auch keine dauerhafte relative Abwertung erzeugen können.
Würden Vorschläge staatlich verordneten Konsumzwangs und zentral von der EU kommende Vorschriften zur Nivellierung der Löhne ernsthaft in Erwägung gezogen, bedeutete dies einen Rückfall in längst vergangen geglaubte Zeiten der Planification, d.h. die zentral gelenkte Planwirtschaft. Das Schlechteste, was passieren könnte, wäre ein Rückfall in die imaginäre Welt der „Soft Options“ im Rahmen einer Europäischen Wirtschaftsregierung, die eine Zentralisierung der Fiskalpolitik anstrebt und es Politikern erlaubt, die EZB unter Druck zu setzen, den Euro weiter abzuwerten. Dies alles wäre gleichbedeutend mit dem Ende der Eurozone, da es von den Bürgern nicht dauerhaft akzeptiert würde. Von den Bürgern der ehemaligen Hartwährungsländer nicht, da sie befürchten müssen, in die Rolle dauerhafter Transfergeber gedrängt zu werden, und von denjenigen in früheren Schwachwährungsländern ebenfalls nicht, da sie mit höheren Importpreisen und Einkommensverlusten rechnen müssen, sobald Deutschland freiwillig seine internationale Wettbewerbsfähigkeit durch höhere Löhne abbaut. Und dies, ohne ihre eigenen Exporte erhöhen zu können. Vielmehr müssten sie um Vorleistungsexporte nach Deutschland bangen, wenn Deutschland beim Export von Hochtechnologiegütern beispielsweise durch das in derselben hochwertigen Güterliga spielende Japan ersetzt würde. Ein Blick in die Daten schützt häufig vor allzu billiger Polemik!
- Gastbeitrag
Italien, Deutschland und der Euro
Macht ein “ExItaly“ Sinn? - 16. März 2018 - Gastbeitrag
Aktive Wechselkurspolitik à la Hollande
Erfolgsrezept oder Ausdruck einer „Finalité politique“? - 8. Februar 2013 - Gastbeitrag
Geldschwemme und Schuldenvergemeinschaftung in der Eurozone - 13. August 2012
Ich gebe Ihnen ja im Prinzip recht, aber: Wenn man feststellt, daß ohne den Euro die griechische Drachme abgewertet worden wäre, und die Griechen dadurch konkurrenzfähiger geworden wären, dann gilt das entsprechend umgekehrt für Deutschland und die DM:
Der Export des wirtschaftlich starken Deutschland wäre durch die daraus folgende Aufwertung der DM erschwert worden, es würden mehr Chancen für die Franzosen und andere bleiben.
Diese Ausgleichsmechanismen fehlen durch den Euro.