Gastbeitrag
Wie sicher ist unsere Energieversorgung?

Unser Modell der Energieversorgung ist aus den Fugen geraten. Derweil kann sich die Bundesregierung nicht für den richtigen Handlungsweg entscheiden – obwohl die richtigen Antworten offensichtlich sind.

Spätestens seit Beginn der Attacke Russlands auf die Ukraine wird sichtbar, wie fragil die deutsche Energieversorgung organisiert ist. Der Fokus der sogenannten Energiewende liegt auf den erneuerbaren Ressourcen Wind und Sonne. Als Übergangslösung hat sich die Bundesrepublik, namentlich die Regierung Merkel, aber eingeleitet durch Bundeskanzler Schröder, der selber davon erheblich profitiert hat, immer stärker auf russisches Gas verlassen. Der Ausstieg aus der Atomkraft vollzieht sich in diesem Jahr endgültig (so wenigstens ist es geplant), und der Kohlausstieg soll sobald wie möglich erfolgen.

Das Modell war schon ohne Putins Aggression sehr instabil. Denn erstens sind die Investitionen in die Erneuerbaren in den vergangenen Jahren nahezu zum Erliegen gekommen – eine natürliche Folge eines unwirtschaftlichen und auf Subventionen gebauten Umstiegs der Energieversorgung. Die Anzahl neuer Windanlagen beispielsweise überstieg die der stillgelegten Windräder kaum. Zweitens fehlt es an einer belastbaren Infrastruktur zum Transport des im windreichen Norden produzierten Stroms in den Süden, wo die energieintensiven Industrien schwerpunktmäßig angesiedelt sind. Drittens wird der Stromverbrauch steigen müssen, wenn – wie geplant – die Mobilität elektrisch angetrieben wird und die Digitalisierung voranschreitet. Insofern wirft die unbedingte Reduzierung der Grundlast einige Fragen auf.

Nun ist unser Modell der Energieversorgung völlig aus den Fugen geraten. Der Gasimport aus Russland stockt, obwohl die Bundesregierung sich nicht dazu durchringen konnte, auf das russische Gas zu verzichten. Das macht das Land noch einmal verwundbarer, da Putin nun mit uns Katz und Maus spielt und die Regierung sich nicht genug unter Druck setzte, nach Alternativen zu suchen, weil sie weiterhin auf Putins Entgegenkommen baut. Dies ist ein schwerer Fehler, nicht nur aus ökonomischen Gründen, denn wir verhalten uns Putin gegenüber wie das Kaninchen gegenüber der Schlange.

Während es anfangs – also nach dem 24. Februar – noch so aussah, als ob die Regierung die Herausforderung annehmen wollte und schnell darauf reagierte, indem der Bundeswirtschaftsminister nach Alternativen in Katar und über den beschleunigten Import von amerikanischem LNG (Liquid Natural Gas) samt schnellem Bau eines Terminals in Wilhelmshaven suchte, wurden andere Wege systematisch blockiert. Es findet bis heute noch nicht einmal eine öffentliche Diskussion über Fracking und die verlängerte Nutzung der Kernkraft statt. Es scheint der Regierung wichtiger zu sein, dass Herr Trittin seinen Lebenstraum, die Abschaffung der Kernkraft, umgesetzt sieht, als dass die Deutschen auch im Winter genug Energie haben. Insgesamt ist dies eine sehr unbefriedigende Situation.

Dabei wäre es doch eigentlich recht einfach. Es herrscht ein überwältigender gesellschaftlicher Konsens darüber, dass der Klimawandel einen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen erfordert. Dies geschieht – auch darüber besteht breiter Konsens – am besten dadurch, dass die fossilen Brennstoffe teurer werden und letztlich die externen Kosten ihrer Nutzung internalisiert werden. Dadurch entsteht ein starker Anreiz bei allen Energieverbrauchern, fossile Brennstoffe gegen erneuerbare Energieträger zu tauschen. Aus Klimaschutz wird dann auch mehr und mehr ein Geschäftsmodell. Das bedeutet, das Angebot an erneuerbaren Energien weitet sich systematisch aus.

Die gegenwärtige Marktlage für Öl und vor allem Gas zielt genau in diese Richtung. Anstatt die Gunst der Stunde zu nutzen und die hohen Preise hinzunehmen, wenn nicht gar selber den Gashahn von Russland zuzudrehen – bevor es Putin ohnehin tut –, kann sich die Bundesregierung nicht entscheiden. Sie versucht erstens, die Preise mit absurden Steuersenkungen zu reduzieren und wirkt völlig überfordert in der Frage, wie sie die schwersten sozialen Schieflagen, die sich aus rapide steigenden Energiepreisen ergeben, heilen soll – das 9-Euro-Ticket war sicherlich nicht effektiv. Hier könnte man tatsächlich einmal von der Linkspartei lernen, die gezielt Niedrigeinkommensbezieher, Rentner mit niedrigen Renten, Studierende und die Empfänger von Sozialleistungen unterstützen will.

Zweitens versucht die Regierung, den Bürgern Vorschriften zur Nutzung bestimmter Technologien zu machen – wohl wissend, dass zum Beispiel Wärmepumpen für viele Häuser unbrauchbar und darüber hinaus nicht in der gewünschten Menge verfügbar sind. Es fehlt an einer klaren Strategie, die eigentlich einfach ist: Marktwirtschaftliche Instrumente zur Verteuerung fossiler Brennstoffe führen zur Entwicklung von alternativen Energieträgern, und dies möglichst technologieneutral. Dies wird sozial abgesichert durch eine zielgenaue Förderung der finanziell schwächsten Teile der Gesellschaft. Im Übergang würde die Kernkraft, die weltweit gerade eine Renaissance erfährt, weiter genutzt.

Die Gelegenheit diese fremdverschuldete Verteuerung der fossilen Brennstoffe ungenutzt verstreichen zu lassen, ist ein großes Versäumnis dieser Regierung, das nicht nur die Energieversorgung langfristig gefährdet, sondern uns auch im Klimaschutz weit zurückwerfen wird. Gleichermaßen beunruhigend ist die Langsamkeit, mit der die Fragen der weiteren Kernkraftnutzung und der Nutzung eigener Gasreserven angegangen werden.

Die Energieversorgung ist zentral für nahezu alle Lebensbereiche. Gesundheit, Jobs, Einkommen, Bildung und schließlich der soziale Frieden – ohne günstige Energie droht die ganze Gesellschaft auseinanderzubrechen. Schon jetzt kündigt eine obskure Koalition aus Rechtsextremen und linken Träumern einen heißen Herbst mit zahlreichen Demonstrationen an. Damit spielen die Organisatoren vor allem Putin in die Hände. Wärmer wird es dennoch nicht. Im Ausland wundert man sich deswegen auch außerordentlich, wie leichtfertig und unbedarft die Deutschen ihre Zukunft aufs Spiel setzen. Es ist an der Zeit, dass sich die Regierung zusammenrauft und eine langfristige Strategie zur sicheren Energieversorgung der Bürger entwickelt.

Die Antworten liegen größtenteils auf dem Tisch – die Regierung sollte also langsam beginnen, die richtigen Fragen zu stellen. Da dürfen die Befindlichkeiten einzelner Politiker keine Rolle spielen.

Hinweis: Der Beitrag erschien am 19. August 2022 in der Online-Ausgabe der Wirtschaftswoche.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert