Klimapolitik und Verkehr: Die Herausforderung
Ziel der europäischen Klimapolitik ist die (weitestgehende) Dekarbonisierung der europäischen Wirtschaft bis zum Jahre 2050. Dieses Projekt steht als „European Green Deal“ ganz oben auf der politischen Agenda der EU-Kommission. Unter den von der Klimapolitik adressierten Sektoren kommt dem Verkehr eine Schlüsselrolle zu, da in diesem Bereich die Minderungsziele bisher krass verfehlt wurden. Der Verkehr ist der einzige Sektor, in dem in der EU-27 die Treibhausgasemissionen gegenüber dem Referenzjahr 1990 sogar gestiegen sind, während insgesamt bis 2020 eine Reduzierung um 31 Prozent realisiert werden konnte.
Bemerkenswert ist, dass es innerhalb des EU-Emissionshandelssystems (EHS) zu einer deutlichen Emissionsreduktion kam (43 Prozent seit 2005), während der Rückgang bei den nicht unter das EU-EHS fallenden Sektoren mit minus 16 Prozent geringer ausfiel. Die Emissionen des Landverkehrs lagen allerdings trotz der stark rückläufigen Verkehrsaktivitäten im Pandemiejahr 2020 mit 729 Mio. t immer noch 8 Prozent über dem Wert des Jahres 1990 [1]. Im Ergebnis war der Straßenverkehr im Jahre 2020 mit 26 Prozent Anteil der größte CO2-Emittent in der EU; 1990 lag dieser Wert noch bei 16 Prozent.
Die avisierten Treibhausgasminderungsziele bis 2030 zu erreichen und bis zum Jahre 2050 klimaneutral zu werden, stellt eine Mammutaufgabe dar. Dies gilt umso mehr für den Verkehrssektor, wo sich immer drängender die Frage stellt, wie auch nur ansatzweise der gewünschte Zielkorridor erreicht werden kann. Vor diesem Hintergrund entwickelt der vorliegende Beitrag eine kritische ökonomische Sicht auf die aktuell wichtigsten klimapolitischen Maßnahmen für den Verkehr und diskutiert alternativ die Einbeziehung des Verkehrssektors in den europäischen Emissionshandel. Im Mittelpunkt stehen die beiden zentralen Kriterien Effizienz und Effektivität der klimapolitischen Maßnahmen, die der Bundesrechnungshof jüngst wieder deutlich angemahnt hat. Wir analysieren weiterhin, warum Effizienz und Effektivität der klimapolitischen Maßnahmen in der Politik und in der Öffentlichkeit bisher kaum eine Rolle gespielt haben und zeigen Hemmnisse für eine marktwirtschaftlich ausgerichtete Klimapolitik auf.
Effektivität und Effizienz der klimapolitischen Regulierung des Verkehrs
Angesichts der immensen Herausforderungen der Dekarbonisierung sollte grundsätzlich Konsens darüber bestehen, dass die eingesetzten Ressourcen möglichst effizient verwendet werden. Es stellt sich daher die Frage, ob der aktuelle regulatorische Rahmen der Klimapolitik für den Verkehr einen effektiven, konsistenten und ökonomisch effizienten Ansatz der Klimapolitik darstellt.
Bekanntlich ist der Verkehrssektor in der EU-27 (mit Ausnahme des Luftverkehrs) derzeit nicht in das europäische Emissionshandelssystem (EU-EHS) integriert, sondern unterliegt individuellen Emissionsreduktionszielen im Rahmen der sogenannten Lastenteilung. Klimaziele im Landverkehr werden primär über Flottengrenzwerte, die Besteuerung von Kraftstoffen und Richtlinien zur Nutzung Erneuerbarer Energien (RED II) adressiert. Das kürzlich beschlossene Verbot der Neuzulassung von Pkw mit Verbrennungsmotor in der EU ab 2035 kann als konsequente Zuspitzung der Politik der Flottenemissionsstandards verstanden werden. Es dürfen dann nur noch Fahrzeugen mit lokalen CO2-Nullemissionen zugelassen werden, womit (indirekt) elektrische Fahrzeuge als (einzige) Lösung forciert werden. Deren „Markthochlauf“ wird zudem in zahlreichen europäischen Staaten mit umfangreichen Fördermaßnahmen angestoßen.
Das ökonomische Grundproblem dieses Politikansatzes liegt darin, dass CO2-Emissionen innerhalb und außerhalb des EU-EHS unterschiedlich behandelt werden und damit das sogenannte „Äquimarginalprinzip“ verletzt wird, welches den zentralen Indikator für ökonomische Effizienz darstellt. Die Umsetzung dieses Prinzips erfordert, dass für alle relevanten CO2-Emittenten die Vermeidungskosten der letzten Tonne CO2 identisch sind. CO2 sollte dort vermieden werden, wo dies am günstigsten ist, unabhängig von Technologie, Sektor, Ort oder konkretem Emittenten [2]. Während dies für alle innerhalb des EU-EHS angesiedelten Sektoren gegeben ist, da ein einheitlicher Schattenpreis gilt, sind die Kosten ordnungsrechtlicher Instrumente wie Flottengrenzwerte nicht transparent und die Effizienz von Fördermaßnahmen für die Elektromobilität unklar. diese beiden zentralen Elemente der Klimapolitik für den Straßenverkehr werden im Folgenden intensiver betrachtet.
Seit 2015 gibt es in der EU sogenannte Flottengrenzwerte für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge. Diese ordnungsrechtliche Maßnahme sorgt dafür, dass die durchschnittlichen Emissionen neu zugelassener Fahrzeuge eines Herstellers in der EU einen bestimmten Grenzwert in Gramm CO? pro gefahrenem Kilometer nicht überschreiten. Allerdings ist sie weder in der Lage, das Erreichen der Emissionsminderungsziele zu gewährleisten (Effektivität) noch realisiert sie Effizienz der Klimapolitik. So beziehen sich die verschärften Flottengrenzwerte allein auf den Durchschnitt neu zugelassener Fahrzeuge. Sie erfassen weder Bestandsfahrzeuge, noch können sie Rebound-Effekte aufgrund steigender Zulassungszahlen oder höherer Fahrleistungen zu kontrollieren. Die bestehenden und weiter verschärften Vorgaben für die Flottengrenzwerte führen dazu, dass die CO2-Vermeidungskosten im Straßenverkehr deutlich höher sind als im EU-Emissionshandelssystem. So stellt eine am MIT erstellte Untersuchung für die USA fest, dass Flottengrenzwerte sechs- bis vierzehnfach weniger kosteneffizient sind als eine CO2-Besteuerung [3]. Eine Untersuchung des Instituts der Deutschen Wirtschaft kommt je nach Typklasse und Nutzungsverhalten auf eine Bandbreite der Vermeidungskosten von 300 bis 1075 Euro je Tonne CO2 für Pkw [4].
Die für die Zukunft in der EU geplanten niedrigeren Flottengrenzwerte bewirken zudem keine technische Optimierung von Verbrennern, sondern werden faktisch durch eine schrittweise ansteigende implizite Elektroautoquote erreicht. Elektrofahrzeuge werden aber nicht nur über die Flottenregulierung erzwungen, sondern zusätzlich erheblich gefördert. Die staatliche Unterstützung reicht von direkten Kaufzuschüssen des Bundes über Steuererleichterungen und zusätzlichen Förderungen nachgeordneter Gebietskörperschaften bis zu Subventionen für den Aufbau der Ladeinfrastruktur bzw. der Einrichtung häuslicher Ladepunkte. Auch wenn ein vollständiger Überblick der Förderkulisse schwerfällt, zeigen einschlägige Studien, welche beträchtlichen Schattenpreise für CO2 diese Subventionen nach sich ziehen.
Batterieelektrische Fahrzeuge sind in der Gesamtbetrachtung zudem keine Null-Emissionsfahrzeuge, auch wenn sie bei den Flottenstandards als solche angerechnet werden (zuletzt sogar noch mit sogenannten „Supercredits“). Hinzuweisen ist zunächst auf den CO2-Rucksack der verbauten Batterien. Bis zu 15 Mio. batterieelektrische Fahrzeuge im Jahr 2030 in Deutschland werden nicht mit emissionsfreiem Strom fahren können, da das marginale Stromangebot von fossilen Kraftwerken bestimmt sein wird. Einschlägige Studien, die für die CO2-Belastung des Ladestroms von E-Autos den aktuellen oder einen sogar verbesserten Strommix zugrunde legen, rechnen falsch, zumindest solange der Cap im Europäischen Emissionshandelssystem keine Bindungswirkung entfaltet.
Joachim Weimann von der Universität Magdeburg kalkuliert daher in einer Studie aus dem Jahr 2021 die Kosten der Subventionierung von E-Autos in Deutschland auf bis zu 2.400 Euro je Tonne eingespartes CO2 [5]. Eine aktuelle Studie der Deutschen Bank beziffert die fiskalischen Effekte der Nutzung eines batterieelektrischen Fahrzeugs statt eines Verbrenners auf über 20.000 Euro für ein Fahrzeug der gehobenen Mittelklasse, wenn man neben der Subvention die gesamten Steuermindereinnahmen über den Lebenszyklus berücksichtigt. Da in dieser Untersuchung allerdings ein relativ hohes CO2-Vermeidungspotenzial der Elektrofahrzeuge unterstellt wird, ergeben sich Schattenpreise von 800 bis 1.000 Euro je Tonne CO2 [6].
Diese Zahlen verdeutlichen eindrucksvoll, dass die aktuelle klimapolitische Regulierung des Verkehrs als völlig ineffizient anzusehen ist. Die Emissionsreduktionen werden viel zu teuer erkauft, da die Preise für CO2-Emissionsrechte in der EU aktuell bei rund 80 Euro je Tonne liegen. Hinzu kommt die soziale Schieflage dieser Förderpolitik. Es stellt sich die Frage, warum die Politik sich nicht auf den „State of the Art“ der Klimapolitik stützt und allein auf ökonomische Instrumente wie eine CO2-Steuer oder ein Handelssystem für Emissionsrechte statt auf ordnungsrechtliche Eingriffe setzt [2].
Hemmnisse für Effizienz und Effektivität in der Klimapolitik
Was für den Verkehrssektor gilt, lässt sich auch für die deutsche Klimapolitik insgesamt feststellen: Effizienz und Effektivität scheinen (zumindest bisher) keine Rolle gespielt zu haben. Trotz der dreistelligen Milliardenbeträge, die wir in den vergangenen Jahren für Klimaschutz ausgegeben haben, hat Deutschland seine selbstgesetzten jährlichen Klimaziele immer wieder verfehlt. Auch der Bundesrechnungshof hat in seinem jüngsten Bericht eine stärkere Berücksichtigung von Effizienz und Effektivität in der Klimapolitik gefordert: „Alle Klimaschutzmaßnahmen müssen auf den Prüfstand: Ihr Fokus muss auf wirksamer und wirtschaftlicher Treibhausgas-Minderung liegen.“ Von den politisch Verantwortlichen fordert er deutlich, „die … vorgesehenen Haushaltsmittel dorthin zu lenken, wie sie einen höchstmöglichen Wirkungsgrad unter Beachtung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit entfalten“ [7].
Warum aber scheinen sich weder die Politik noch die Bevölkerung bzw. die mediale Öffentlichkeit für Kosteneffizienz oder für Effektivität oder generell für eine marktwirtschaftliche Ausrichtung der Klimapolitik zu interessieren? Im Folgenden werden die zentralen Gründe hierfür erläutert [8].
Klimaschutz als hoch emotionales und stark moralisierendes Thema
Beim Thema „Klimaschutz“ wird die politische Debatte schnell emotional und moralisierend. Sie wird auf Seiten der Protagonisten des Klimaschutzes häufig von emotionalen Wunschvorstellungen getragen. Die Bekämpfung einer für das Überleben der Menschheit toxischen „Klimakatstrophe“ wird zu einem höchst moralischen Gut stilisiert, das sich per se ökonomischen Kriterien wie Effizienz und Effektivität entzieht und bei dem es dann häufig nur noch um die symbolische Wirkung bzw. die moralisch-ethische Selbstwirksamkeit des eigenen Handelns geht.
Aus moralischer Perspektive wird mit erhobenem Zeigefinger eine „Opferbereitschaft“ eingefordert, nach der jeder einzelne für die Zielerreichung persönliche Vorleistungen oder Opfer zu erbringen hat. Diese „klimapolitische Selbstgeißelung“ erinnert an religiöse Übungen vor allem aus der Zeit vor der Aufklärung. Das Emissionshandelssystem EU EHS wird in Unkenntnis der Sachzusammenhänge populistisch als wirkungslos verteufelt, da der Zertifikatepreis über viele Jahre angeblich zu niedrig gewesen sei [9]. Stattdessen werden auf individueller, gruppenbezogener oder lokaler Ebene Einsparungen angemahnt. Forderungen nach klimaneutralen Unternehmen, Gemeinden oder Städte und entsprechende Vorschriften und Subventionen sind aber klimapolitischer Unfug, wenn sie vom Emissionshandel abgedeckte Aktivitäten betreffen.
Diese im Extremfall pseudoreligiöse Aufladung der Klimapolitik führt zudem dazu, dass der gute Wille allein wichtiger wird als die tatsächlichen Handlungsfolgen. In einer solchen gesinnungsethischen Perspektive reicht es völlig aus, Klimaschutz im Grunde seines Herzens zu wollen und Maßnahmen mit allein symbolischer Wirkung zu ergreifen. So ist es z.B. erklärlich, dass der Berliner Senat ein Förderprogramm für den Kauf von Lastenfahrrädern aufgelegt hat, bei dem die CO2-Vermeidungskosten auf bis zu 50.000 Euro/t beziffert werden [10].
„Folkloristisches Narrativ in der Klimapolitik“ und Verhaltensökonomie
Joachim Weimann spricht in diesem Zusammenhang vom „folkloristischen Narrativ in der Klimapolitik“ [11]. Danach hat der Mensch einen starken und immanenten „Sense making Trieb“ und sucht dringend nach einer Erklärung der Zusammenhänge in der Welt, die aber immer komplexer, unüberschaubarer und unverständlicher wird. Gewünscht werden einfache und plausibel klingende Erklärungen, die aber leider meistens unvollständig, unterkomplex und falsch sind.
Dies liegt zum einen daran, dass der Mensch bei komplexen Problemen häufig nicht über die informationellen, zeitlichen und kognitiven Ressourcen verfügt, um tatsächlich zu den richtigen Erklärungen zu gelangen. Zum anderen verstärken zentrale Erkenntnisse aus der Verhaltensökonomik diese Tendenz zu simplifizierenden folkloristischen Erklärungen [12]. So sorgt eine ausgeprägte „Selbstüberschätzung“ dafür, dass wir tatsächlich glauben, mit wenigen Informationen auch komplexe Zusammenhänge korrekt erfassen und beurteilen zu können. Der „Status-Quo-Bias“ führt dazu, dass wir dem gegenwärtigen Zustand eine hohe Präferenz einräumen und uns gegen jegliche Veränderung (und zusammen mit dem „Besitztums-Effekt“ insbesondere gegen Verschlechterungen) des Umfeldes und der Umwelt wehren. Der „Bestätigungsirrtum“ lässt selektiv nur solche Informationen gelten, die uns in unserer Sicht der Dinge bestätigen. Und mit dem „schnellen Denken und Handeln“, das wir bei ca. 80% bis 90% unserer Alltagshandlungen praktizieren, reagieren wir intuitiv und sprechen eher die Gefühle als den Verstand an [13]. In der Klimapolitik ist diese folkloristische Komplexitätsreduktion und Simplifizierung besonders ausgeprägt, wenn man z.B. eine Photovoltaikanlage auf dem eigenen Hausdach oder eine E-Autos als „klimapolitische Heilsbringer“ propagiert und damit an die moralisch guten Gefühle appelliert. Hier paart sich Selbstbestätigung mit der Selbstwirksamkeit des moralisch-ethisch gut handelnden Menschen.
Fehlendes Vertrauen der Politiker in markwirtschaftliche Prozesse
Politische Entscheidungsträger haben ein starkes Interesse, direkt ins wirtschaftliche Geschehen einzugreifen. Politiker wollen persönlich und unmittelbar an vielen (auch wirtschaftlichen) Entscheidungen so beteiligt sein, dass ihnen ihr Handeln und das Handlungsergebnis direkt zugerechnet werden. Es entspringt der politischen Handlungslogik, dass politische Akteure eben keinen ergebnisoffenen und effizient wirkenden abstrakten Marktmechanismus zulassen, sondern stets auf detaillierte diskretionäre Mikrosteuerung setzen. Dass die deutsche Energie- und Klimapolitik massiv auf detaillierte Mikrosteuerung setzt, belegen unübersehbar die 110 Maßnahmen des „Aktionsprogramms Klimaschutz 2020“, die 96 Maßnahmen des „Klimaschutzprogramm 2030“ und die 37 Maßnahmen des „Klimaschutz Sofortprogramm 2022“.
Wenn ein Marktergebnis aus politischer Sicht als unerwünscht interpretiert wird, wird es schnell als „Marktversagen“ abgewertet und eine politische Intervention gefordert, die aber häufig weitere Regulierungen nach sich zieht. Es folgt eine sich selbst verstärkende Spirale politischer Eingriffe, worunter Effizienz, Transparenz und Effektivität leiden. Nur in den seltensten Fällen werden marktverzerrende staatliche Eingriffe wieder zurückgenommen oder Bürokratie abgebaut. Ein Beispiel hierfür ist die Genese des Erneuerbare Energien Gesetzes (EEG), dessen Komplexität mittlerweile nur noch wenige Fachleute zu überblicken im Stande sind.
Lobbyismus und Rent-Seeking
Das EEG ist das beste Beispiel dafür, dass politische Regulierungen zu einer Herausbildung mächtiger Interessengruppen und zu gesellschaftlich bedeutendem Rent-Seeking geführt haben: Durchsetzungsstarke Interessengruppen bemühen sich um eine finanzielle Privilegierung, und die an der Wiederwahl interessierten politischen Akteure gewähren im Gegenzug finanzielle Vorteile. Starke Lobbyakteure sind die einschlägigen Verbände („Wind- und Solarlobby“), verschiedene Nichtregierungsorganisationen und Umweltstiftungen und sogenannte „Think Tanks“ sowie die Unternehmen der Energiewirtschaft [14]. Auch die Klimaschutzbürokratie (in Deutschland das Umweltbundesamt) entwickelt eine Eigendynamik. Es kennzeichnet den enormen Machteinfluss dieser Lobbygruppen, dass sich an der ineffizienten und sozial unausgewogenen Grundstruktur der EEG-Förderung wenig geändert hat. Das jüngst beschlossene „Wind an Land“-Gesetz wird als der größte Lobbyerfolg der Windkraft-Industrie bezeichnet [15].
Aus der Verhaltenspsychologie wissen wir, dass die eigenen Vorstellungen beeinflusst werden von der individuellen Betroffenheit, persönlichen Nutzenüberlegungen und der sozialen Anerkennung innerhalb der eigenen Gruppe bzw. Gesellschaft. Es ist daher verständlich, dass die Nutznießer der üppigen E-Mobil-Förderung und die Eigenheimbesitzer mit Photovoltaikanlage auf dem Hausdach das für sie lukrative Förderregime nicht in Frage stellen. Je umfangreicher und je breiter der Staat klimapolitisch motivierte Subventionen verteilt, desto mehr Menschen halten die staatliche Klimapolitik für richtig und fragen nicht nach Effizienz und Wirksamkeit der Instrumente. Aus politischer Logik heraus ist es daher sinnvoll, mit großzügigen Förderprogrammen möglichst große Teile der Bevölkerung zu Eigentümern von PV-Dachanlagen und E-Automobilen zu machen und sich so deren Sympathien zu sichern, auch wenn das keine effiziente Klimapolitik bedeutet.
Schlussbemerkung
Eine Neubesinnung auf eine konsistente und in den Gesamtkontext der Klimapolitik eingebundene Strategie für den Verkehrssektor ist dringend erforderlich. Kosteneffizienz kann aber nur durch eine marktwirtschaftliche Koordination und das „Äquimarginalprinzip“ erreicht werden. Die EU sollte daher die im Rahmen des Fit for 55-Programms derzeit eher halbherzig betriebene Idee eines zweiten Emissionshandels für Gebäude und Verkehr forcieren und als Leitinstrument der Klimapolitik etablieren (z. B. anstelle des Verbrennerverbots). Mittelfristig wäre dieser in das allgemeine Handelssystem zu integrieren. Dann wären zusätzliche klimapolitische Instrumente zur Begrenzung der Emissionen des Verkehrssektors aus umweltökonomischer Sicht sogar grundsätzlich überflüssig, da der Emissionshandel für sich allein eine treffsichere Zielerreichung und Kosteneffizienz gewährleistet.
— — —
- European Commission (2021): Speeding up European climate action towards a green, fair and prosperous future. EU Climate Action Progress Report, Brussels, November. https://ec.europa.eu/clima/system/files/2021-11/policy_strategies_progress_com_2021_960_en.pdf
- Eisenkopf, A., Knorr, A. (2021): Emissionshandel als Leitinstrument für eine effektive und effiziente EU-Klimapolitik im Verkehr, in: Wirtschaftsdienst, 101. , S. 795-803.
- Karplus, V. et. al. (2013): Should a vehicle fuel economy Standard be combined with an economy-wide greenhouse gas emissions constraint? Implications for Energy and Climate Policy in the United States. Energy Economics 36, S. 322–333.
- Obermüller F., Puls, T. und T. Schaefer (2019): CO2-Vermeidung im Straßenverkehr. IW Gutachten im Auftrag der BP Europa SE, Köln 31.01.
- Weimann, J. (2021) CO2-Preise und Kosten der CO2-Vermeidung bei Anwendung ordnungsrechtlicher Maßnahmen im Vergleich zur Erweiterung des EU-ETS. Kurzgutachten im Auftrag der Freien Demokratischen Partei. August 2021. https://www.fdp.de/sites/default/files/2021-09/Kurzgutachten_CO2_Weimann.pdf.
- Heymann, E., Knuth, K. (2021): Vorfahrt der E-Mobilität vom Staat teuer erkauft, Deutsche Bank Research Deutschland Monitor vom 5. August, Frankfurt am Main.
- Bundesrechnungshof 2022): Bericht nach §99 BHO zur Steuerung des Klimaschutzes in Deutschland, 24.03.2022, Bonn, S. 2 sowie S. 23.
- Pritzl, R. (2020): Realitätsillusion der deutschen Klimapolitik, Wirtschaftsdienst, 100(9), S. 701-708.
- Weimann, J., Timme, F. (2019): Die Entfremdung des Emissionshandels, Energiewirtschaftliche Tagesfragen, 69(5), S. 29-32.
- Stelter, D. (2021): Berlin: 50.000 Euro pro gesparte Tonne CO2, online abrufbar unter: Berlin: 50.000 Euro pro gesparte Tonne CO2 – Think beyond the obvious (think-beyondtheobvious.com)
- Weimann, J. (2022): Einfach zu einfach. Wie die leichten Lösungen unsere Demokratie bedrohen, Wiesbaden, S. 174 ff.
- Kahneman, D. (2012): Schnelles Danken, langsames Denken, 17. Auflage, München.
- Enste, D., Potthoff, J. (2021): Behavioral Economics and Climate Protection, IW-Anlysen 146, Köln.
- Bojanowski, A., Wetzel, D. (2021) Die unterschätzte Macht der grünen Lobby, Die Welt vom 30.04.
- Bojanowski, A. (2022): Ein Sieg für die Windkraft – aber keiner für die Energiewende, Die Welt vom 27.06., S. 9.
Dr. Rupert Pritzl gibt seine persönliche Meinung wieder.
Hinweis: Dieser Betrag ist zuerst in Heft 9/22 der Zeitschrift „Energiewirtschaftliche Tagesfragen“ [https://www.energie.de/et/aktuell/uebersicht] erschienen.