Die Energiekrise stellt die Gesellschaft vor außergewöhnliche Herausforderungen. Die Bürger gehen unsicheren Zeiten entgegen und die Staatsfinanzen werden einem neuerlichen Stresstest ausgesetzt – zum zweiten Mal innerhalb von nur zwei Jahren. In den kommenden Monaten wird es insbesondere darum gehen, soziale Härten abzufedern, die mit den explosionsartig gestiegenen Energiekosten unweigerlich einhergehen. Während der heißen Phase der Corona-Pandemie gab es für den Finanzminister einen großen Vorteil: Die Preise waren stabil und die Europäische Zentralbank (EZB) konnte die staatlichen Ausgabenprogramme durch expansive geldpolitische Maßnahmen begleiten und damit die Lasten abfedern. Inzwischen ist die Inflationsrate in der Eurozone aber auf 8,9 % gestiegen, sodass die EZB die Geldpolitik straffen muss – trotz der sich abzeichnenden Rezession. Inflation und straffere Geldpolitik haben die Zinsen in diesem Jahr spürbar in die Höhe schnellen lassen (Abbildung 1).
– zum Vergrößern bitte auf die Grafik klicken –
Auch wenn die Inflation die reale Schuldenlast senkt, wird abermals kontrovers diskutiert, wie die Lasten der Krise aufgefangen und gerecht verteilt werden können. Im Gespräch sind aktuell eine sogenannte Übergewinnsteuer, mit der speziell die Krisengewinner gesondert belastet werden sollen. Wie immer in wirtschaftlich schwierigen Zeiten wird aber auch angeregt, die Vermögensteuer zu reaktivieren. Mit der Vermögensteuer ist jedoch eine ganze Reihe konzeptioneller und wachstumspolitischer Probleme verbunden. Ein grundsätzliches Problem besteht darin, dass große Vermögen oft nicht liquide auf Bankkonten liegen, sondern in Unternehmen gebunden sind. Eine Steuer auf illiquide Vermögen kann deshalb problematisch sein, denn sie führt zu Liquidierungsdruck. Zudem ist aufgrund von Ausweichreaktionen kaum mit einem positiven fiskalischen Effekt zu rechnen. Das ifo Institut hat 2017 in einem Gutachten für das Wirtschaftsministerium mit Simulationsrechnungen sogar negative fiskalische Effekte ermittelt. Da die Ausweichreaktionen (z.B. Kapitalflucht) das Wachstumspotenzial senken, dürften laut den ifo-Berechnungen die Einnahmen aus der Vermögensteuer durch Mindereinnahmen bei anderen Steuerarten sogar überkompensiert werden.
Vermögende setzen sich für höhere Steuern ein
Damit scheint ein zusätzlicher Beitrag der Vermögenden zur Bewältigung der Krisen-Kosten und zur Sanierung der Staatsfinanzen kaum realistisch zu sein. Allerdings: Ausweichreaktionen sind nur von den Vermögenden zu erwarten, die eine Vermögensteuer als ungerechtfertigte oder unerwünschte Belastung empfinden. Immer wieder sind im öffentlichen Diskurs aber auch Stimmen von Millionären zu hören, die höhere Steuern für Reiche – also für sich selbst – fordern. Im deutschsprachigen Raum setzt sich beispielsweise eine Gruppe von Millionären mit dem Apell „Tax me now“ u.a. für höhere Vermögen-, Kapitalertrag- sowie Erbschaft- und Schenkungsteuern ein. International machen die „Patriotic Millionaires“ und die „Millionaires for Humanity“ auf sich aufmerksam. So entsteht in der Öffentlichkeit zuweilen der Eindruck, es gebe bei den Vermögenden eine erhebliche Bereitschaft, höhere Steuern zu zahlen. Der zögerliche Staat müsse nur endlich handeln und die entsprechenden Steuern heraufsetzen (oder wie bei der Vermögensteuer reaktivieren).
Schuldentilgungskonto des Bundes
Nun gibt es zumindest in Deutschland eine Möglichkeit für alle Bürger, Geld an den Staat zu übertragen. Der Bund führt seit dem Jahr 2006 auf vielfachen Bürgerwunsch ein spezielles Schuldentilgungskonto, auf das Bürger Geld einzahlen können.[1] Das Geld wird zur Tilgung der Staatsschulden genutzt. Sinkende Schulden eröffnen dem Staat größere finanzielle Spielräume. Für Menschen wie die „Tax me now“-Millionäre, die freiwillig gern mehr Steuern zahlen möchten, ist das Schuldentilgungskonto ein geeignetes Instrument, denn es kann als Äquivalent für eine höhere Steuer gelten.
Die Zahlen des Schuldentilgungskontos sind jedoch ernüchternd, wie eine kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion an die Bundesregierung ergab: Im Jahr 2021 haben lediglich 236 Bürger Geld auf das Konto eingezahlt. Insgesamt sind dadurch gerade einmal 63.988,54 Euro zusammengekommen. Die höchste einzelne Einzahlung betrug 25.000 Euro. Die Restsumme ergibt sich aus den insgesamt 235 weiteren Einzahlungen. Wie kann es sein, dass bei angeblich hoher Bereitschaft, dem Staat freiwillig Geld zu übertragen, nur ein mittlerer fünfstelliger Betrag zusammenkommt?
Mögliche Erklärungen
Eine einfache Erklärung wäre, dass das Schuldentilgungskonto nicht aktiv beworben wird und dieses Konto in der Öffentlichkeit schlichtweg nicht bekannt ist. Für die breite Masse dürfte diese Unkenntnis sicher zutreffen. Die „Tax me now“-Initiatoren hingegen dürften Möglichkeiten gehabt haben zu prüfen, ob es möglich ist, dem Staat freiwillig Geld zu übertragen, bevor sie ihren Aufruf gestartet haben. Es muss also andere Gründe geben, weshalb kaum Einzahlungen auf dem Schuldentilgungskonto eingehen.
Verhaltensökonomen könnten argumentieren, dass die Menschen von „bedingter Kooperationsbereitschaft“ geleitet sind. Das bedeutet, sie sind bereit, bei bestimmten Dingen mitzumachen, wenn alle anderen auch mitmachen – weil sonst womöglich die Wirkung nicht groß genug wäre. Für die „Tax me now“-Initiative würde das bedeuten, dass deren Teilnehmer nur dann bereit sind, nennenswerte Teile ihres Vermögens auch tatsächlich an den Staat abzugeben, wenn alle anderen Vermögenden gleichermaßen zur Finanzierung herangezogen werden. Das mag sein. Aber erstens haben sich die Unterstützer der „Tax me now“-Initiative ja bereits als Gruppe miteinander abgestimmt. Und zweitens zeigt sich sowohl bei der privaten Spendenbereitschaft als auch bei sozial orientierten Stiftungen, dass Menschen bereit sind zu geben, ohne darauf zu warten, dass alle anderen auch geben. Und wenn sich Millionäre öffentlichkeitswirksam für höhere Steuern einsetzen, um eine gerechtere Gesellschaft zu ermöglichen, dann geht es um ein moralisches Anliegen. Bei moralischen Anliegen handelt man unabhängig vom Nutzen-Kosten-Kalkül – man wartet also üblicherweise nicht auf andere, wenn man Gutes tun möchte. Aus der Verhaltensökonomie ist zudem der Warm-Glow-Effekt bekannt, wonach der Akt des Gebens ein Wohlgefühl vermittelt. Das Gefühl, etwas Gutes zu tun, ist für manche Menschen Motivation genug, Geld zu spenden – oder eben dem Staat zu geben.
Möglicherweise ist dieser Warm-Glow-Effekt aber nicht stark genug, um Menschen freiwillig Geld an den Staat übertragen zu lassen. Dann könnte eine sichtbare Anerkennung für die „freiwilligen Steuerzahler“ helfen, die Zahlungsbereitschaft zu erhöhen, weil dadurch die gesellschaftliche Reputation des Einzahlers erhöht würde. Bisher werden weder die Namen der Zahler veröffentlicht noch gibt es eine formale Anerkennung (z.B. in Form von Urkunden oder Dankesschreiben). Laut Bundesregierung ist dies auch nicht geplant, u.a. wegen der damit möglicherweise verbundenen administrativen Kosten. Möglicherweise wäre es dennoch sinnvoll, ab einem höheren Schwellenwert eine symbolische Anerkennung zu vergeben, um die Anreize zu erhöhen. Der Verwaltungsaufwand dürfte gering sein.
Denkbar wäre auch, dass auf dem Schuldentilgungskonto bisher so wenig eingegangen ist, weil das Geld nicht für einen konkreten, gesellschaftlich guten Zweck eingesetzt wird, sondern ganz allgemein zur Entlastung des Staatshaushaltes. Dieses Argument trägt allerdings nicht sonderlich weit, weil bei den öffentlichen Finanzen das Non-Affektationsprinzip gilt: Die Einnahmen des öffentlichen Haushalts sind nicht zweckgebunden, sondern dienen zur Deckung sämtlicher Staatsausgaben. Wer sich also für höhere Steuern einsetzt, dürfte sich im Klaren darüber sein, dass die Steuereinnahmen in den öffentlichen Gesamthaushalt einfließen. Auch bei höheren Steuern würden mit den Einnahmen keine konkreten Projekte finanziert. Somit sind höhere Steuern auf der einen Seite und eine Einzahlung auf das Schuldentilgungskonto auf der anderen Seite von der finanzpolitischen Wirkung her sehr ähnlich.
Fazit
Das Schuldentilgungskonto in der Öffentlichkeit bekannter zu machen und symbolische Anerkennung für Einzahler zu verleihen, dürfte das Aufkommen zumindest moderat erhöhen. Insgesamt sprechen die Zahlen jedoch dafür, dass die mediale Aufmerksamkeit für die vermeintliche Zahlungsbereitschaft einzelner Personen deutlich höher ist als die tatsächliche Bereitschaft, höhere Steuern zu zahlen. Es lässt sich nur darüber spekulieren, weshalb manche die Forderung nach Steuererhöhungen für sich selbst öffentlich inszenieren. Möglicherweise spielt der individuelle Imagegewinn eine Rolle. Wer der Gesellschaft etwas Gutes tun und wer sich für sozial Benachteiligte engagieren möchte, der hat dafür jedenfalls schon jetzt jede Menge Möglichkeiten. Viele Menschen tun dies bereits ganz pragmatisch, oft im Verborgenen – durch individuelles (ehrenamtliches) Engagement, durch Spenden oder durch den Einsatz in Stiftungen mit entsprechenden Stiftungszwecken.
[1] IBAN: DE17 8600 0000 0086 0010 30, BIC: MARKDEF1860.
- Nach dem Ende der Ampel-Regierung
Wirtschaftspolitischer Neustart nötig - 8. November 2024 - US-Präsidentschaftswahlen (3)
Wirtschaftspolitik auf Abwegen? - 23. Oktober 2024 - (Kurz)Podcast
Donald Trump und die Unabhängigkeit der Notenbank - 21. September 2024