Gastbeitrag
Europäische Zentralbank
Wieviel Vertrauen hat sie verspielt?

Die Bürger im Euroraum sehen die Inflation auch in drei Jahren merklich über dem 2%-Ziel der EZB. Liegt das eher daran, dass aus ihrer Sicht ein Rückgang zum Zielwert einfach mehr Zeit braucht, oder haben die Verbraucher schon massiv Vertrauen in die Fähigkeit der EZB verloren, die Inflation zu bekämpfen? Diese für die Verankerung der Inflationserwartungen wichtige Frage ist schwer zu beantworten, da die EZB zwar die Umfrageergebnisse zu den Inflationserwartungen der Bürger veröffentlicht, bedauerlicherweise aber nicht die Ergebnisse der gleichen Umfrage zum Vertrauen in die Notenbank. Eine wesentlich gröbere Umfrage der EU liefert unseres Erachtens nur bedingt Entwarnung. Um das Ausmaß der Entankerung der Inflationserwartungen besser abschätzen zu können, würden wir eine Veröffentlichung der kompletten Umfrageergebnisse begrüßen.

Inflationserwartungen nicht mehr verankert?

Aufgrund des unerwartet hohen Anstiegs der Inflationsrate im Euroraum auf 10,7% im Oktober ist die Aufgabe der EZB erneut schwieriger geworden. Erklärtes Ziel der Notenbank ist es insbesondere, die Inflationserwartungen trotz der immer höheren Raten beim 2%-Ziel zu verankern.

Bisher ist die EZB zu dem Schluss gekommen, dass die meisten Messgrößen der markt- und umfragebasierten Inflationserwartungen weitgehend verankert sind. Sorgen bereiten der Notenbank insbesondere die Ergebnisse der Umfrage zu den Verbrauchererwartungen, da der Median der Erwartungen bezüglich der Teuerung in drei Jahren seit diesem Frühjahr erkennbar über dem 2%-Ziel der EZB liegt (Abbildung 1).

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Entscheidend ist das Vertrauen!

Obwohl die EZB also insgesamt nur einige Anzeichen für eine Entankerung der Erwartungen zu erkennen meint, greift eine rein deskriptive Analyse verschiedener Maße für Inflationserwartungen zu kurz. Das Ausmaß der Verankerung der Inflationserwartungen sollte zwar auch, aber eben nicht nur am Abstand der Erwartungen vom 2%-Ziel gemessen werden:

  • So hat die EZB schon vor längerem betont, dass öffentliches Vertrauen letztlich der Grundstein für die Wahrung der Preisstabilität ist. Studien würden belegen, dass ein hohes Maß an Vertrauen für die Verankerung der Inflationserwartungen privater Haushalte nahe dem 2%-Ziel entscheidend ist.
  • Sollte also der Anstieg der Inflationserwartungen der Verbraucher darauf zurückzuführen sein, dass die Bürger bereits viel Vertrauen in die Fähigkeit oder dem Willen der EZB verloren haben, die Inflation zu bekämpfen, so sollte die geldpolitische Reaktion viel kräftiger ausfallen als in einem Fall, in dem das Vertrauen kaum gelitten hat – also falls die Bürger nach wie vor überzeugt sind, dass die EZB das Inflationsproblem letztlich in den Griff bekommt und lediglich seit Frühjahr davon ausgehen, dass die Beseitigung mehr Zeit im Anspruch nimmt als üblich.

Die EZB ist in der Lage, das Vertrauen der Bürger in die Notenbank detailliert zu untersuchen, da die Umfrage zu den Verbrauchererwartungen nicht nur Fragen in Bezug auf die Inflation, den Wohnungsmarkt, den Zugang zu Krediten, das Einkommen, den Verbrauch, den Arbeitsmarkt und das Wirtschaftswachstum beantwortet, sondern auch sehr detaillierte Fragen zum Vertrauen der Bürger in die EZB enthält.

Leider werden die Einschätzungen der Bürger zum Vertrauen von der EZB im Gegensatz zu den anderen Themen nicht veröffentlicht, und auch in der Analyse der EZB zur Verankerung der Inflationserwartungen spielt das Vertrauen unseres Wissens bisher keine Rolle.

Um das Ausmaß der Entankerung der Inflationserwartungen besser abschätzen zu können, würden wir eine Veröffentlichung der kompletten Umfrageergebnisse inklusive zum Vertrauen in die EZB begrüßen.

Falscher Alarm?

Solange die EZB die Einschätzung der Bürger zum Vertrauen in die Notenbank nicht veröffentlicht, müssen wir in der Analyse auf das zurückgreifen, was uns zur Verfügung steht: das Eurobarometer der EU.1 Diese schon seit vielen Jahren erhobene Umfrage hat allerdings im Vergleich zum „Consumer Expectations Survey“ der EZB einige wichtige Nachteile: Sie wird nicht monatlich, sondern nur zweimal pro Jahr erhoben. Die Ergebnisse werden erst rund ein Vierteljahr nach der Erhebung veröffentlicht. Und im Eurobarometer müssen die Bürger lediglich angeben, ob sie der EZB eher vertrauen oder eher nicht vertrauen, während sie in der EZB-Umfrage gebeten werden, das Vertrauen in die EZB auf einer Skala von 0 bis 10 zu bewerten.

Das letzte Mal wurden die Bürger im Rahmen des Eurobarometers im Frühsommer 2022 befragt, die Umfrage wurde im September veröffentlicht. In dieser Umfrage erklärten rund zwei Drittel der Befragten, die hohe Inflation sei eines von zwei Themen, von denen sie am meisten betroffen seien. Ein Jahr zuvor waren es nur rund ein Drittel gewesen. Trotzdem änderte sich das Nettovertrauen der Bürger in die EZB in diesem Zeitraum kaum (Abbildung 2)2. Es lag zwar deutlich niedriger als im ersten Jahrzehnt der Währungsunion, also vor dem Ausbruch der Finanzmarktkrise und der Staatsschuldenkrise im Euroraum, aber auch erkennbar höher als am Tiefpunkt in den Jahren 2013 bis 2017.

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Oder kommt das dicke Ende noch?

Der Anstieg der Inflationsrate von etwa 2% im Frühsommer 2021 auf rund 8½% ein Jahr später hat also laur Eurobarometer erst einmal nicht zu mehr Misstrauen in die EZB geführt.

Die Frage ist allerdings, ob die Bürger im Euroraum an diesem Urteil festhalten. Sicher erscheint uns dies nicht. Schließlich sind die Fragen im Eurobarometer sehr allgemein formuliert. Es ist daher eher fraglich, ob die Bürger bei der Frage nach dem Vertrauen in die Notenbank sofort eine Verbindung zu der Fähigkeit der EZB herstellen, die Inflation bei knapp 2% zu verankern. Das Vertrauen in die EZB dürfte vielmehr von der persönlichen Zufriedenheit der Bürger abhängen, und dabei steht die Frage im Mittelpunkt, ob aus Sicht der Bürger die EZB-Geldpolitik dazu beiträgt, ihre wirtschaftliche Lage zu verbessern. Für diese Abhängigkeit des Vertrauens von der persönlichen wirtschaftlichen Lage sprechen verschiedene Beobachtungen:

Erstens hat sich das Vertrauen in die EZB in den meisten Ländern insbesondere während der Finanz- und Staatsschuldenkrise merklich verschlechtert, also als es in vielen Ländern massive wirtschaftliche Probleme gab. Mit der allgemeinen Erholung der Wirtschaft in den Jahren 2017 und 2018 hat sich auch das Standing der EZB wieder verbessert.

Zweitens ist das Misstrauen insbesondere in Südeuropa groß, wo die beiden Krisen besonders tiefe Spuren hinterlassen haben. Erkennbar besser ist die Stimmung gegenüber der EZB in Deutschland und den Niederlanden, obwohl gerade aus diesen Ländern immer wieder starke Kritik an der EZB-Politik kommt (Abbildung 3). Offenbar dominiert hier die vergleichsweise gute wirtschaftliche Lage diese Zweifel.

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Für die These, dass die Bürger im Frühsommer die hohe Inflation zwar problematisch sahen, aber nicht als existenziell bedrohend, spricht auch, dass zwar zwei Drittel der Befragten erklärten, sie seien von der hohen Inflation betroffen, aber sich nur wenige vor Arbeitslosigkeit oder einer schwierigen finanziellen Situation fürchteten (Abbildung 4).

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Die EZB sollte die Ergebnisse ihrer Umfrage zum Vertrauen der Bürger veröffentlichen

Es ist also durchaus zu befürchten, dass das Misstrauen in die EZB gerade in den letzten Monaten zugenommen hat, weil sich die persönliche wirtschaftliche Situation der Bürger im Euroraum aufgrund der immer stärker steigenden Inflation verschlechtert hat. Die EZB sollte unseres Erachtens veröffentlichen, wie stark das Vertrauen der Bürger in die Notenbank aktuell ist:

  • Erstens stehen der EZB die schwierigen Entscheidungen noch bevor. Die ersten Zinserhöhungen waren im EZB-Rat wenig umstritten, da die Geldpolitik zuvor äußerst expansiv ausgerichtet war. In den nächsten Ratssitzungen geht es immer mehr darum, wie restriktiv die EZB die Geldpolitik gestalten sollte, damit sie mittelfristig ihr 2%-Inflationsziel wieder erreicht. Wie groß das geldpolitische Signal ausfallen sollte, hängt auch vom Grad des Misstrauens in die EZB ab. Die Notenbank sollte folglich die Einschätzung der Bürger dazu veröffentlichen.
  • Zweitens hat sich die EZB in den letzten Jahren auf die Fahne geschrieben, dass zwar die Kommunikation mit den Finanzexperten gut funktioniert, die mit den Bürgen aber schwierig und verbesserungswürdig ist. Zu einer guten Kommunikation gehört auch offenzulegen, was die Bürger über die EZB denken.
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1 Wir beschränken uns im Folgenden auf eine Analyse der elf Gründungsmitglieder der Währungsunion (EA-11), deren Bevölkerung 92% des jetzigen Euroraums entspricht, weil uns nur für diese Länder genügend detaillierte Daten zur Verfügung stehen.
2 Das Nettovertrauen in die EZB wird berechnet aus dem Anteil der Umfrageteilnehmer, die auf die Frage „Bitte sagen Sie mir, ob Sie der Europäischen Zentralbank eher vertrauen oder eher nicht vertrauen“ mit „eher vertrauen“ geantwortet haben, abzüglich des Anteils der Befragten, deren Antwort „eher nicht vertrauen“ lautete. Umfrageteilnehmer, die mit „weiß nicht“ geantwortet haben, werden nicht berücksichtigt.

3 Antworten auf „Gastbeitrag
Europäische Zentralbank
Wieviel Vertrauen hat sie verspielt?

  1. Da braucht man nichts zu veröffentlichen, es ist doch auch so klar das alle Sparer von der EZB enttäuscht sind und kein Vertrauen mehr haben. Erst die negativen Zinsen und dann die Investition. Der Sparer hat wirklich nichts zu lachen.

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