BlogDialog
Bernd Frick über die Fußball-Weltmeisterschaft
Der Sportökonom aus Paderborn im Interview

Herr Professor Frick, wer wird kommender Fußball-Weltmeister?

Frick: Spanien.

Vor der letzten WM hätten Sie mit dieser Prognose noch Hohn und Spott geerntet.

Frick: Ich habe bereits bei der EM 2008 mit Erfolg auf Spanien als Titelträger gewettet und war damit der Einzige in meinem Umfeld. Zudem hatte ich im vergangenen November das Privileg, den FC Barcelona im Heimspiel gegen den AC Mailand zu sehen. Was Xavi und Iniesta seinerzeit auf dem Platz veranstalteten, war unbeschreiblich. Wenn die Beiden bei der WM Normalform erreichen, wird die spanische Mannschaft nicht zu schlagen sein.

Blicken wir mal etwas weiter in die Zukunft. Welche Nationen werden solche Turniere im Jahr 2050 dominieren?

Frick: Das ist schwer zu sagen. Aber ich vermute, dass es weitgehend die Teams sein werden, die auch jetzt im Favoritenkreis zu finden sind. Wenn man sich das Niveau beim Afrika-Cup Anfang des Jahres angeschaut hat, war von der vermeintlichen Stärke der Afrikaner nicht viel zu sehen. Vor allem die hochgehandelten Mannschaften wie Ghana und Nigeria haben schauerlich gespielt. Das liegt aber meines Erachtens nicht unbedingt an den Spielern selbst, sondern an den Strukturen in den Verbänden. Die sind, vorsichtig ausgedrückt, entwicklungsbedürftig.

Es gibt Ökonomen, die behaupten, dass sich die einwohnerstarken und wirtschaftlich erfolgreichen Länder in einer globalisierten Welt auch im Fußball zunehmend durchsetzen, etwa die Türkei in Europa oder die USA und China bei Weltmeisterschaften.

Frick: Da bin ich mir nicht so sicher. Die Türkei hat ja immer wieder mal ein Hoch, das dann von einem Tief abgelöst wird, das noch länger anhält. Die USA waren mal Vierter der FIFA-Rangliste, aber auch nur, weil sie in einer WM-Qualifikation auf nicht ernst zunehmende Gegner getroffen sind – und mit den Chinesen rechne ich in den nächsten 30 Jahren überhaupt nicht.

Größe bedeutet also nicht zwangsläufig Erfolg. Was ist denn noch spezifisch für den Fußball im Vergleich zu einer anderen Branche wie dem Maschinen- und Anlagenbau?

Frick: Ich gehöre zu den Ökonomen, die behaupten, dass es ganz wenige Unterschiede gibt. Ich kenne natürlich auch das Standardargument „the peculiar economics of professional team sports.“ Aber außer dem Umstand, dass ich als Klub ein Interesse haben sollte, ähnlich starke Gegner zu finden, fällt mir nichts ein, was den Fußball vom Maschinenbau oder der Filmindustrie unterscheidet.

Es scheint aber schon einige interessante Gesetzmäßigkeiten zu geben. Aus den sieben größten Metropolen Europas konnte bislang noch keine einzige Mannschaft einen Champions-League- oder Uefa-Cup-Titel vorweisen. Das widerspricht der ökonomischen Agglomerationstheorie, wonach Städte erfolgreicher sind als dünner besiedelte Regionen.

Frick: Ich muss gestehen, dass mir das bis eben nicht bewusst war. Da fällt mir auf die Schnelle keine Begründung ein.

Zu Titelehren kamen stattdessen traditionelle Industrie-Hochburgen wie Nottingham, Glasgow und Dortmund sowie Hafenstädte wie Marseille und Rotterdam. Haben etwa die Wanderungsbewegungen der Arbeitskräfte den Grundstein für die spätere Glanzzeit der Profiklubs gelegt?

Frick: Das sind in der Tat alles melting pots. Wenn man sich vor Augen hält, dass Fußball vor allem früher eine arbeiterdominierte Sportart war, dürfte der Erfolg dieser Mannschaften nicht überraschen.

Auffällig ist zudem, dass große Ballungsräume – etwa das Ruhrgebiet und die Region um Manchester – eine höhere Dichte an Fußballklubs in der Beletage haben als die Peripherie. Gibt es im Fußball Lokalisationsvorteile?

Frick: Ich bin mir nicht sicher, ob das Argument der Verdichtung wirtschaftlicher Aktivität an dieser Stelle wirklich sticht. Ich habe vor einigen Jahren empirisch untersucht, wo das Zuschaueraufkommen am größten ist, wenn man für den sportlichen Erfolg kontrolliert. Da findet man in der Tat Dortmund ganz weit vorne, aber München und Berlin kommen nur unwesentlich dahinter. Wenn Hertha BSC erfolgreich spielt, was ja eher selten passiert, dann kommen dort genauso viele Fans wie in Dortmund.

Marktgrößeneffekte wie das Zuschauereinzugsgebiet sind das eine, ein regionaler Talente-Pool das andere.

Frick: Dieser Effekt spielt heutzutage meines Erachtens keine Rolle mehr. Der Nachwuchs wird von überall her rekrutiert. Ich habe kürzlich von zwei Jungs gehört, die täglich von Paderborn nach Dortmund fahren, um dort zu trainieren, seit sie 14 sind. Das wird von den Vereinen organisiert. Zudem gibt es längst Fußball-Internate. Das regionale Potential an Talenten war vielleicht früher schlagkräftig, scheint aber angesichts der Strukturen mittlerweile an Bedeutung verloren zu haben.

Bleiben nur noch die Wissensspillovers zwischen den Vereinen…

Frick: Welche Rolle sollten sie spielen? Bei Klumpen-Bildungen von Textilfirmen in Norditalien oder IT-Firmen im Silicon Valley gibt es sicherlich solche Netzwerk-Effekte. Aber im Fußball eher nicht.

Welcher Attribute bedarf es dann für fußballerischen Erfolg?

Frick: Da kommen einige Dinge zusammen. Man braucht in jedem Fall ein kompetentes Management und die wenigsten Vereine haben eines. Man kann den Münchnern manches vorwerfen, aber an dieser Stelle haben sie begriffen, dass man alleine mit talentierten Spielern nicht weit kommt, sondern auch noch andere Kompetenzen braucht. Zum zweiten muss man das Glück haben, an ein großes und attraktives Stadion zu kommen. Die Erfolgsgeschichte der Münchner ist untrennbar mit dem Olympiastadion verbunden. Die Schere zwischen den Bayern und Borussia Mönchengladbach ging Ende der siebziger Jahre deshalb beliebig auseinander, weil die Münchner nach den Olympischen Spielen das damals schönste Stadion der Welt quasi zur unentgeltlichen Nutzung haben konnten. Nach der WM 2006 in Deutschland haben insbesondere die Bundesligisten aus Köln, Frankfurt und Hamburg profitiert.

Aber die Zuschauererträge sind im Vergleich zu den Fernseheinnahmen gering.

Frick: Ja, das stimmt. Aber für Sponsoren werden Vereine nur mit einem großen Stadion attraktiv, das noch dazu gut gefüllt ist. Viele Zuschauer sind die Voraussetzung für das Etablieren in der ersten Liga. Es ist ja kein Zufall, dass die ehemals krisengeplagten Traditionsvereine aus Köln, Gladbach und Frankfurt mit den neuen Stadien wieder auf die Beine gekommen sind. Man darf nicht vergessen, dass die Klubs nur einen kleinen Teil dieser Investitionen in die Infrastruktur selbst tragen müssen.

Sei es drum. Wirtschaftlicher und sportlicher Erfolg klaffen bei vielen Vereinen ohnehin weit auseinander.

Frick: Es ist sogar noch viel schlimmer. Man kann zeigen, dass sich Verschuldung lohnt. Die sportliche Performance wird ceteris paribus besser, wenn ich mehr Geld ausgebe, als ich einnehme. Das ist ein verhängnisvoller Kreislauf, ein ganz schlimmes Signal. In England sind in den vergangenen 20 Jahren aus den vier Profiligen mindestens 30 Vereine durch ein Insolvenzverfahren gegangen, auch wenn deren Namen meist überlebt haben. In Deutschland hat es im Profigeschäft einen einzigen Fall gegeben, das war der Bonner SC, dem vor etlichen Jahren die Lizenz für die zweite Liga verwehrt worden war.

Könnte es daran liegen, dass eine Pleite in der Regel keine Freude für die Konkurrenz ist, etwa weil Derbys wegfallen?

Frick: Auf jeden Fall. Die DFL (Anm. der Red.: Deutsche Fußball-Liga) misst an dieser Stelle mit zweierlei Maß. Der Präsident des VfL Bochum hat sich ja schon vor Jahren lautstark darüber beklagt. Bochum könnte nicht mal ein Bruchteil der Schulden von Schalke oder Dortmund machen – und wäre die Lizenz los. Die großen Revierklubs ruhen sich darauf aus. Oder eine Liga tiefer: Der Punktabzug von TuS Koblenz im vergangenen Jahr hatte einen einzigen Zweck, nämlich den 1. FC Kaiserslautern in der zweiten Liga zu halten. Wenn jede kleine Bilanzmanipulation derart sanktioniert würde, wäre ein Großteil der Bundesligisten nicht mehr in der höchsten Spielklasse.

Zahlreiche empirische Studien belegen, dass Vereine auf lange Sicht umso erfolgreicher sind, je mehr sie für Spielergehälter ausgeben. Schießt Geld also doch Tore?

Frick: Definitiv. Das lässt sich empirisch beliebig gut belegen. Wenn dem nicht so wäre, dann wären die Manager ja noch viel schlechter, als sie ohnehin schon sind. Warum glauben sich die Verantwortlichen durch das Verpflichten von Spieler x oder y zu verbessern? Weil sie davon überzeugt sind, dass der Neuzugang Tore schießt, die im letzten Jahr gefehlt haben, um sich für das internationale Geschäft zu qualifizieren. Man kann ziemlich genau sagen: Wenn Spieler x seine Performance relativ zur Konkurrenz um so und so viel Prozent steigert, gewinnen wir y Spiele zusätzlich. Das ist in der Nach-Bosman-Ära ein noch sicherer Zusammenhang als vorher, weil jetzt die Mobilität der Spieler weitgehend unbegrenzt ist.

Weniger eindeutig ist der Zusammenhang zwischen der Höhe der Transferausgaben und dem Erfolg. Spricht auch das für fehlbesetzte Managerposten?

Frick: Da steckt ein anderer Grund dahinter. Was wird unter den Transferausgaben verbucht? Nur das, was für ablösepflichtige Spieler bezahlt werden muss. Wenn man einen Spieler verpflichtet, dessen Vertrag ausgelaufen ist, zahlt man keine Transfersumme, wohl aber ein Handgeld. Und diese Handgelder sind vermutlich ähnlich hoch wie die Transfersumme, die man bei einem laufenden Vertrag hätte zahlen müssen. Die Transferzahlungen sind also nur auf dem Papier gesunken. Es gibt Vereine, die wenig für Ablösesummen ausgeben, trotzdem viele Neuzugänge vermelden und diese im Gegenzug besser bezahlen. Der Blick auf die reinen Transfersalden ist also nicht mehr wirklich aussagekräftig.

Häufiger als das Management werden definitiv die Trainer ausgetaucht. Zu Recht?

Frick: Da gibt es viele Untersuchungen und anekdotische Evidenz. Der VfB Stuttgart etwa hat Markus Babbel vermutlich zu spät ausgewechselt. Auf der anderen Seite kann man aber auch empirisch zeigen, dass Trainerentlassungen im Durchschnitt nichts bringen.

Woran liegt das?

Frick: Dafür gibt es mehrere plausible Erklärungen. Wann schmeißt man einen Trainer raus? Wenn mehrere Spiele hintereinander verloren gehen. Das ist häufig dann der Fall, wenn der Spielplan eine Häufung von schweren Gegnern vorsieht. Wenn man dann mit dem neuen Trainer an das einfachere Programm geht, dann gewinnt man halt auch häufiger. Mindestens genauso wichtig ist ein weiteres Argument. Wenn man einen Trainer rausschmeißt, muss man sich aus dem Pool mit arbeitslosen Übungsleitern bedienen. Die Wahrscheinlichkeit, dass man unter den Arbeitslosen einen richtig guten erwischt, ist nicht sonderlich groß. Aber vielleicht sollen Trainerentlassungen ja auch gar nichts bewirken, sondern nur einen handlungsfähigen Vorstand demonstrieren.

Hätte es denn positive Effekte, wenn man das Management öfters austauschen würde?

Frick: Das glaube ich schon. Manche Vereine sind ja bereits auf den richtigen Trichter gekommen. Sie heuern mittlerweile ausgewiesene Ökonomen für die zweite Reihe hinter den altgedienten Profis an. Der FC Schalke 04 hat jüngst Dr. Markus Kern als Finanzmanager eingestellt. Kern hat an der LMU in München VWL studiert und vielversprechende sportökonomische Aufsätze veröffentlicht. Von diesem Typus gibt es einzelne, aber noch zu wenige. Kern kann die Eintrittskarte für weitere Ökonomen bei anderen Vereinen werden, wenn er den Schalkern hilft. Aber ganz ohne Ex-Profis wird es auch in Zukunft nicht gehen, weil man Glaubwürdigkeit bei Fans und Spielern braucht. Beides bekommt man nicht mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften, sondern mit dem Umstand, dass man mindestens in der zweiten Liga gespielt hat.

Ein liberal denkender Ökonom wie Sie müsste beim Blick auf die Spielermärkte frohlocken. Seit dem Bosman-Urteil 1995 darf das Fußball-Personal nach Ablauf der Verträge ohne Ablösesummen und weitgehend unabhängig von seiner Herkunft den Verein wechseln. Hat diese Freizügigkeit zu einem integrierten Arbeitsmarkt geführt, der sonst nur im Lehrbuch zu finden ist?

Frick: Vermutlich nicht, aber dafür gibt es gute inhaltliche Gründe. Spieler, die von außerhalb Westeuropas kommen, verteilen sich nicht nach dem Zufallsprinzip auf die fünf großen Ligen. Für die Osteuropäer ist die Bundesliga erste Anlaufstation. Die Afrikaner sind überwiegend in Frankreich unterwegs. Südamerikaner spielen meist in Italien oder Spanien, Skandinavier häufig in England. Spieler haben offenbar die Präferenz dahin zu gehen, wo sie ein Mindestmaß an Affinität mit der Kultur haben. Diesen Effekt darf man nicht unterschätzen.

Aber wenn ein Verein aus einem fremden Land eine Million Euro mehr im Jahr bietet…

Frick: Der Aufschlag darf nicht zu weit über der Produktivität des Spielers liegen. Außerdem ist die Wahrscheinlichkeit relativ groß, dass ein Management weitere Polen und Russen anheuert und keine Paraguayer und Uruguayer, wenn bereits Polen und Russen im Kader stehen. Das macht auch Sinn. Ich verweise hier auf eine Studie meiner Kollegen Leo Kahane und Robert Simmons, die die Integration von ausländischen Spielern in die amerikanische Hockey-Liga untersucht haben. Ein steigender Ausländeranteil im Kader ist nur dann vorteilhaft für die Performance der Teams, wenn die Spieler den gleichen kulturellen Background haben. Es gibt also auf diesem unregulierten Spielermarkt noch immer eine Menge an Transaktionskosten. Das führt zu Klumpenbildungen von Spielern der gleichen regionalen Herkunft.

Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) hat seinerzeit zu weiteren mehr oder weniger seriösen Prognosen geführt. Welche haben sich 15 Jahre nach dem Urteil bewahrheitet, welche nicht?

Die Vertragsdauer steigt an.

Frick: Das ist passiert. Die durchschnittliche Vertragslaufzeit vor Bosman lag bei zwei bis zweieinhalb Jahren. Jetzt sind es knapp über drei Jahre. Prozentual hat sie also nennenswert zugenommen.

Die Einkommensungleichheit innerhalb der Klubs nimmt zu.

Frick: Wir haben praktisch keine Gehaltsinformationen für gesamte Teams für die Zeit vor dem Bosman-Urteil. Seit den neunziger Jahren ist jedenfalls nicht viel passiert. Die Einkommensverteilung innerhalb der Teams ist praktisch konstant geblieben.

Ist denn das praktizierte Gehaltsgefüge gesund?

Frick: An dieser Frage arbeite ich momentan mit einem amerikanischen Kollegen. Wir untersuchen den Einfluss der Gehaltsverteilung innerhalb von Fußball-Mannschaften auf die sportliche Performance. Wir haben Individualdaten von einem hochgradig regulierten Markt wie der amerikanischen Major League Soccer und einem nahezu deregulierten Markt wie der deutschen Bundesliga und der italienischen Serie A. Offensichtlich hat die Einkommensverteilung innerhalb eines Teams in der Bundesliga keinen Einfluss auf den sportlichen Erfolg.

Eine weitere Prognose lautete damals: Die Mobilität der Spieler steigt an.

Frick: Das kann man in der Tat beobachten. Diejenigen, die nach dem Auslaufen ihres Vertrages noch weiter spielen wollen, wechseln relativ häufig, auch um Gehaltssprünge zu verbuchen.

Die Ausländerquoten schnellen in die Höhe.

Frick: Die sind angestiegen, ohne jede Frage. Interessant ist aber auch, dass die Ausländerquoten in Spanien oder Italien deutlich niedriger liegen als in der Bundesliga. Meine Vermutung ist, dass die südeuropäischen Vereine beim Median-Spieler weniger häufig zu Ausländern greifen als die deutschen. Ich vermag nicht zu sagen, woran das liegt.

Die Dominanz der erfolgreichen Vereine nimmt zu.

Frick: Das ist so, wenn auch nicht zwingend wegen des Bosman-Urteils. Die Vereine, die in den letzten zehn Jahren bei der Uefa Champions League dabei waren, sind in ihren nationalen Ligen weit weg vom Rest. Das liegt an den immensen Einnahmen und hat mit dem Bosman-Urteil direkt nichts zu tun. Allerdings können die Vereine durch den Wegfall der Ausländerquoten eine größere Zahl an internationalen Topspielern verpflichten.

Die Topklubs in den kleinen Ligen fallen zurück.

Frick: Dem würde ich grundsätzlich zustimmen. Wenn man von dem Champions-League-Sieg des FC Porto 2004 absieht, ist aus den international gesehen zweiten Ligen zuletzt nicht mehr viel gekommen. Allerdings ist auch hier das Problem, dass gleichzeitig zum Bosman-Urteil die Fernsehgelder in die Höhe geschnellt sind. Beide Effekte zu separieren, ist schwierig. Manches wäre sicherlich ohne das Bosman-Urteil nicht passiert. Aber wenn die Ausländerhürden nicht gefallen wären, würde man mit ziemlicher Sicherheit vermehrt Einbürgerungen beobachten.

Die Klubs decken sich lieber mit günstigen Spielern von anderen Vereinen ein, anstatt eine kostenintensive Nachwuchsförderung zu betreiben.

Frick: Das hat sich nicht unbedingt bewahrheitet. Manchester und Barcelona sind zwei prägnante Beispiele dafür, dass Leistungsträger im eigenen Verein ausgebildet werden. An dieser Stelle hinken die Bundesligisten hinterher. Ich vermute, dass der Nachwuchsanteil aus den eigenen Reihen oder von einem anderen Bundesligisten bei unter 15 Prozent liegt. In anderen Ländern liegen diese Werte deutlich höher. Ob dort eine bessere Jugendarbeit geleistet wird, weiß ich nicht. Aber offensichtlich vertrauen solche Vereine ihrem eigenen Nachwuchs mehr, als das in Deutschland der Fall ist. Das könnte eine Erklärung für die unterschiedlich hohen Ausländerquoten sein.

Die Absatz- und Kapitalmärkte unterliegen im Gegensatz zu den Spielermärkten starken Restriktionen. So gilt in Deutschland die 50+1-Regelung, wonach die Vereine mehrheitlich an ihren lizenzierten Kapitalgesellschaften beteiligt sein müssen. Verzerren solche Paragraphen den Wettbewerb zwischen den Spitzenklubs?

Frick: Solche Regelungen sind Anachronismus. Den Bundesligisten scheint überhaupt nicht klar zu sein, welche Möglichkeiten sie leichtfertig verschenken. Der einzige, der immer wieder den Finger in die Wunde legt, ist der Vorsitzende von Hannover 96, Martin Kind. Solange die Bayern sportlich und wirtschaftlich derart erfolgreich sind, werden sie nicht wirklich dagegen vorgehen. Dass sich aber beispielsweise beim HSV niemand dagegen wehrt, überrascht mich schon. Die Hamburger müssten eigentlich mit als erste für eine Lockerung sein. Vielleicht liegt die Reserviertheit auch daran, dass Kind nicht sonderlich diplomatisch vorgegangen ist. Wer sich jetzt mit ihm verbündet, wird ebenfalls zum Geächteten. Es wird noch etwas dauern, bis sich der eine oder andere aus dem Schützengraben heraus traut. Aber in drei oder vier Jahren wird es auch bei dieser Frage Aufweichungstendenzen geben.

In manchen Ländern werden die Verträge mit den Medienanstalten zudem individuell vereinbart, in anderen dagegen zentral verhandelt – mit der Konsequenz, dass deren Spitzenvereine geringere Fernseheinnahmen erzielen…

Frick: Meines Erachtens ist es ziemlich egal, ob die Fernsehrechte zentral oder dezentral vermarktet werden. Entscheidend ist vielmehr, welchen Anteil die einzelnen Vereine aus den Einnahmen bekommen. Man kann auch dezentral vermarkten und hinterher nach einem bestimmten Schlüssel umverteilen. Im Übrigen wird in Deutschland zwar zentral verhandelt, aber von den erzielten Einnahmen werden mittlerweile „nur“ noch 50 Prozent gleich verteilt. Da hat es in den letzten Jahren eine Menge Veränderungen gegeben, die vor zehn Jahren noch niemand für möglich gehalten hätte. Damals war der Sozialismus im deutschen Fußball noch weiter verbreitet. Erst als die Bayern gemerkt haben, dass sie international kaum konkurrenzfähig sind, haben sie Verbündete gesucht und sind erfolgreich dagegen vorgegangen.

Die andere Seite der Medaille ist, dass die nationalen Ligen sportlich immer unausgeglichener werden. Gefährdet diese Tendenz nicht das gesamte Produkt Fußball?

Frick: Die competitive balance versuchen mir meine amerikanischen Kollegen auf jeder Tagung als der Weisheit letzter Schluss zu verkaufen. Mit Längsschnittdaten aus der Bundesliga kann man zeigen, dass Unausgeglichenheit keinerlei Einfluss auf die Attraktivität des Fußballs hat. Wenn ein Drittel um die Meisterschaft und zwei Drittel gegen den Abstieg spielen, hat man zwar eine Zweiklassengesellschaft, aber die Liga ist oben und unten spannend. Ich sehe keinen Grund, warum das zu einer nachlassenden Zuschauernachfrage führen soll. Wenn Bayern München kommt, ist das Stadion voll, auch wenn die Sieg-Wahrscheinlichkeit bei unter 20 Prozent liegt. Die Zuschauer wollen attraktiven Fußball sehen, ob die eigene Mannschaft gewinnt oder verliert ist zwar nicht egal, aber es ist bei weitem nicht so entscheidend, wie häufig behauptet wird.

Warum wehren sich die großen Klubs nicht gegen den Abgabenzwang und gründen eine eigene (Europa-)Liga?

Frick: Das lässt sich relativ einfach begründen. Sowohl die nationalen Verbände als auch die UEFA haben ziemlich schnell angedroht, dass die damals noch G-14 aus den ersten Ligen rausfliegen, wenn sie sich abspalten sollten. Die Idee war ja immer, dass man sich im nationalen Wettbewerb für diese Europaliga qualifizieren muss.

Wissen eine solche länderübergreifende Liga nicht auch die Fans als Nachfrager zu verhindern?

Frick: Sagen wir mal so, in der ersten und vielleicht auch noch zweiten Saison wäre es attraktiv nur gegen Chelseas, Mailands und Barcelonas zu spielen. Aber dieser Effekt würde sich sehr schnell abnutzen. Ich vermute, dass auch die Bayern-Fans dann wieder lieber Hamburg und Bremen sehen möchten als die internationalen Konkurrenten. Sie sind das Sahnehäubchen. Aber die Meisterschaft sollte nach dem Geschmack der Anhänger bitteschön innerhalb der nationalen Grenzen ausgespielt werden.

Dagegen gibt es eine Ebene oberhalb der Vereinsstrukturen: Die Nationalelf. Wie ist der Zusammenhang zwischen der Öffnung der Spielermärkte und der Wettbewerbsfähigkeit von Nationalmannschaften?

Frick: Das Argument ist ja immer, dass die ehemals spielschwächeren Nationen stärker werden, weil deren Spieler zunehmend in den besten Ligen Europas zum Einsatz kommen. Dagegen werden die ehemals spielstärkeren Teams schwächer, weil deren Akteure durch Ausländer ersetzt werden. Wir haben überprüft, ob sich die Tordifferenzen bei den EM- und WM-Spielen vor und nach dem Bosman-Urteil signifikant verändert haben. Es ist überhaupt nichts passiert. Weder die Ergebnisse in den Gruppenspielen noch in der Ko-Runde sind knapper geworden.

Trotzdem wird immer behauptet, dass die Fußballzwerge aufgeholt haben.

Frick: Es mag ja sein, dass in den Qualifikationsspielen die eine oder andere Überraschung passiert, die man früher nicht erwartet hätte. Für die großen Turniere gilt das nicht. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein vermeintlicher Außenseiter über die Gruppenphase hinauskommt, ist jedenfalls nicht angestiegen. Die Nationalmannschaften scheinen also bislang nicht davon zu profitieren, dass ihre Spieler in den Topligen spielen.

Welche Erwartungen haben Sie darüber hinaus an die WM 2010 in Südafrika?

Frick: Ich rechne nicht mit sonderlich viel Neuem. Nach dem Afrika-Cup bin ich zudem skeptisch, dass trotz aller anders lautender Prognosen auch nur eine afrikanische Mannschaft für Furore sorgen wird. Es wird auch schon seit 30 Jahren behauptet, dass Brasilien die kommende Weltwirtschaftsmacht Nummer eins wird. Davon ist das Land soweit entfernt, wie die Ägypter als nicht qualifizierte Mannschaft vom WM-Titel. Ich gehe davon aus, dass die südamerikanisch-europäische Dominanz auch bei dieser WM zu beobachten sein wird.

Demnach räumen Sie auch den Gastgebern keinerlei Chancen ein.

Frick: Nein, die Südafrikaner haben beim Confederations Cup so schauerlich gespielt, dass sie froh sein müssen, wenn sie die Vorrunde überstehen.

Häufig wird von den austragenden Ländern kolportiert, dass ein solches Turnier ein Segen für die Volkswirtschaft ist. Wie steht es um die Wachstums- und Beschäftigungseffekte tatsächlich?

Frick: Es deutet manches darauf hin, dass es sie gibt. In Südafrika sind diese Effekte offenbar stärker als in Deutschland bei der letzten WM. Das liegt natürlich auch an den Niveau-Unterschieden zwischen diesen beiden Volkswirtschaften. Auf der anderen Seite weiß man von der WM in Südkorea, dass außer nicht genutzter Infrastruktur am Ende des Tages nichts übrig geblieben ist.

Dazu passt, dass die Tickets in einigen Gastländern wie Deutschland alles andere als einen reißenden Absatz gefunden haben…

Frick: Es ist zwar politisch inkorrekt, sich so auszudrücken. Aber ich glaube, dass es ein Fehler war, die WM nach Südafrika zu vergeben. Ich würde grundsätzlich davon abraten, sportliche Großveranstaltungen wie Weltmeisterschaften oder Olympische Spiele in Entwicklungsländern auszutragen.

Warum denn nicht die ärmeren Länder etwas aufpeppen?

Frick: Ich glaube, dass man die dortigen Volkswirtschaften mit der Vergabe überfordert. Dass man politische Despoten stärkt. Und dass Rahmenbedingungen vorherrschen, die für die meisten Athleten hochgradig gewöhnungsbedürftig sind. Niemand vermag vorherzusagen, wie Spieler reagieren, wenn sie sich drei Wochen lang nicht außerhalb ihres Hotels bewegen dürfen. Besser wären solche Turniere etwa in Australien aufgehoben, fußballerisch ebenfalls ein Entwicklungsland, aber eine Demokratie im westlichen Sinne mit einer Infrastruktur, die weitgehend vorhanden ist. Meines Wissens wird Australien auch als einer der kommenden Kandidaten gehandelt. Man sollte ein gewisses Niveau an ökonomischer und politischer Reife vorweisen müssen, bevor man in einen solchen Bieterwettbewerb einsteigen darf.

Das Gespräch führte Jörg Rieger.

Hinweis: Eine kürzere Version des Interviews ist in WiSt (05/2010) erschienen.

2 Antworten auf „BlogDialog
Bernd Frick über die Fußball-Weltmeisterschaft
Der Sportökonom aus Paderborn im Interview

  1. Es wurde noch nie eine europäische Mannschaft außerhalb Europas Weltmeister. Sollten die Spanier es tatsächlich schaffen, so wäre das eine positive Überraschung!

  2. „Dass sich aber beispielsweise beim HSV niemand dagegen wehrt, überrascht mich schon. Die Hamburger müssten eigentlich mit als erste für eine Lockerung sein.“

    Ganz einfach: Der Hamburger Sportverein ist ein Traditionsverein, bei dem die Tradition ansich einen höheren Wert genießt als Erfolg. Diese reine ökonomische Betrachtung verkennt den Wert von Tradition im Fußball, mit der durch Sponsoreneinstiege gebrochen werden würde.

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