Gastbeitrag:
Politikversagen, nicht Marktversagen bedroht den Euro!

„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen.
Sapere aude! Habe Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“. (Immanuel Kant)

„Sapere aude! Habe Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ Diese Aufforderung müsste dem ökonomisch vorgebildeten Medienkonsument derzeit tagtäglich auf der Zunge liegen, wenn er die Berichterstattung aus Politik und Wirtschaft oder die vielfältigen Podiumsdiskussionen im Fernsehen – zumeist unter Beteiligung von Politikern – zum Thema Griechenland und Euro liest und hört.

In der aktuellen Diskussion zeigt sich wieder einmal der erschreckende Mangel an Sachverstand, den auch hochrangige Politikvertreter oft hinsichtlich ökonomischer Fragestellungen dokumentieren, vielfach gepaart mit der Neigung, die Öffentlichkeit über die wahren ökonomischen Probleme hinwegtäuschen zu wollen. Hierdurch entsteht der hilflose Aktionismus, der in mangelndem Respekt gegenüber (Europa)-Verträgen mündete und mittlerweile auch die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank und die Unabhängigkeit des deutschen Bundesverfassungsgerichts bedroht (vgl. die Äußerungen von Bundeskanzlerin und Bundespräsident bei der Amtseinführung des neuen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts). Die aktuell damit verbundene massive Einmischung der Politik in das Marktgeschehen hilft nur vermeintlich, Marktineffizienzen abzubauen; statt dessen beantwortet sie nur vorheriges staatliches Versagen mit weiteren staatlichen Fehllenkungen – ein Teufelskreis, der nur durch sachkonformes (und mutiges) Handeln durchbrochen werden könnte.

Dazu müssten jedoch vielfach verbreitete plakative, bewusst oder nicht bewusst verfälschende Behauptungen „mit mehr Verstand“ diskutiert werden. Folgende Aussagen seien hierfür stellvertretend genannt:

Aussage: Falls Griechenland nicht gerettet wird, ist auch der Euro nicht zu retten.

Gegenargument: Die Währungsunion ist als „Stabilitätsgemeinschaft“ gegründet worden. Der Austritt eines Landes, das aktuell die Gemeinschaft destabilisiert, würde die verbliebene Gemeinschaft und den Euro stärken.

Aussage: Ein Scheitern der Währungsunion bedeutet auch ein Scheitern des europäischen Integrationsprozesses und damit auch des Binnenmarktes.

Gegenargument: Selbst wenn, was derzeit unwahrscheinlich ist, die Währungsgemeinschaft ganz aufgelöst würde, bliebe der Binnenmarkt davon unberührt. Er hat schon vor der Währungsunion funktioniert und benötigt den Euro nicht (es gibt ja auch eine Reihe von EU-Ländern, die den Euro noch nicht eingeführt haben, aber genauso effizient am Binnenmarkt teilnehmen.)

Aussage: Deutschland profitiert am meisten vom Euro. (Somit sei es gerechtfertigt, dass Deutschland auch einen gewaltigen Anteil am Hilfsprogramm übernimmt.)

Gegenargument: Der Euro verringert Umtauschkosten und schaltet Wechselkursrisiken sowie die damit verbundenen Absicherungskosten im Euroraum aus. Da Deutschland der größte Exporteur in der EWU ist, könnten wir am meisten davon profitieren. Allerdings beträgt unser Exportanteil, der in EWU-Länder geht, weniger als 43% und ist damit deutlich geringer als in anderen EWU-Ländern, in denen dieser Anteil zumeist zwischen 50 – 60% liegt. Zudem hat der Anteil des Handels, der mit EWU-Partnern erfolgt, in den letzten Jahren abgenommen, nicht zugenommen! Der Handelsvorteil des Euro scheint also nicht so bedeutend zu sein. Er rechtfertigt nicht den Übergang zu einer (zudem noch überdimensionierten) Transferunion.

Aussage: Ein Auseinanderbrechen der Währungsunion würde eine wieder eingeführte deutsche Währung unter einen wirtschaftlich nicht zu verkraftenden Aufwertungsdruck setzen.

Gegenargument: Die frühere deutsche Mark stand auch oft unter Aufwertungsdruck, da wir einen deutlichen Stabilitätsvorsprung gegenüber den meisten anderen Ländern hatten. Dennoch waren wir auch zu dieser Zeit sehr exportstark und haben eher von der starken Währung profitiert, indem über sinkende Importpreise das Konsumentenpreisniveau günstig beeinflusst wurde. Zugleich ermöglicht eine starke Währung niedrige Zinsen, die die inländische Investitionsbereitschaft erhöhen können.

Aussage: Die Spekulanten bzw. die Finanzmärkte sind schuld an der aktuellen Entwicklung!

Gegenargument: Die Spekulanten sind derzeit ein praktisches Feindbild der Politiker. Aber nicht die Spekulanten haben Griechenland in die hohe Staats- und Auslandsverschuldung getrieben, sondern ein zu hoher Staatsverbrauch und sinkende internationale Wettbewerbsfähigkeit infolge (im Vergleich zu anderen EWU-Partnern) deutlich steigender Lohnstückkosten und Preise (reale Aufwertung).

Aussage: Griechenland ist durch die Kreditzusagen vor dem Bankrott gerettet worden.

Gegenargument: Das Grundproblem Griechenlands ist dadurch nicht gelöst. Griechenland wird letztlich nicht um eine Umschuldung herumkommen. Die notwendige Korrektur der sich in den letzten Jahre aufgebauten realen Aufwertung wäre zudem leichter und mit größerer gesellschaftlicher Akzeptanz durch eine Währungs-Abwertung zu erreichen als durch die verkündete (aber nicht unbedingt realistische) klare Lohn- und Preiszurückhaltung. Die Milliardenhilfen zögern den Prozess nur noch hinaus, mit der Konsequenz, gegenüber anderen gefährdeten Mitgliedsländern auch noch die falschen Anreize zu setzen.

Aussage: In Zukunft gibt es strengere Kontrollen und strengere Sanktionen bei Fehlverhalten eines Währungsunions-Mitgliedslandes.

Gegenargument: Dies ist nicht zu erwarten, da die Sanktionen nach wie vor von den Partner-Regierungen ausgesprochen werden müssten. Warum sollten sich die Anreize dafür plötzlich wandeln, wenn nach wie vor „potentielle Sünder über aktuelle Sünder richten“?

Vor diesem Hintergrund stellt sich die berechtigte Frage: Warum sollte sich durch die Griechenlandhilfe und den „Rettungsschirm“ an der derzeitigen Krise etwas ändern? Schließlich hat die Politik jahrelang genau jene Fehlentwicklungen verleugnet, die jetzt – nicht zuletzt durch die Finanzmärkte – endlich unübersehbar geworden sind. Die Schuldzuweisungen an die Spekulanten und die Finanzmärkte zeigen, dass die Politik aber nach wie vor nicht bereit ist, ihre eigene Verantwortung für die fehlenden Stabilitätspfeiler in der Währungsunion zu übernehmen.

Verständiges und mutiges Verhalten der Politik dagegen würde bedeuten:

1. Akzeptanz, dass eine stabile gemeinsame Währung ein stabilitätsorientiertes Verhalten aller beteiligten Länder erfordert. Akzeptanz, dass Transfers an Länder mit destabilisierender Wirtschaftspolitik dagegen nur alle übrigen Länder und die gemeinsame Währung schwächen.

2. Akzeptanz, dass die Mitgliedschaft in einem Club (Währungsunion) ein Verhalten erfordert, dass nicht „clubschädigend“ ist. Mitglieder, die sich nicht entsprechend verhalten, müssen (automatisch) sanktioniert oder ihrer Mitgliedschaft entzogen werden. Mitglieder, die diese Sanktionen fordern, dürfen nicht als „unsolidarisch“ bezeichnet werden, sondern stattdessen jene, die die Gemeinschaftswerte (hier: stabile Währung) beschädigen.

3. Akzeptanz, dass ein Club flexible Eintritts- und Austrittsmöglichkeiten haben muss und nur hierdurch ein (System)Wettbewerb zugunsten der Qualität des Club-Gutes besteht.

4. Akzeptanz, dass die gemeinsame Währung auch ein hohes politisches Gut ist, das aber nur dann seine Integrationskraft entfalten kann, wenn diese gemeinsame Währung auch für alle Beteiligte von Vorteil ist. Dazu gehört, dass die Währung eine hohe Binnen- und Außenstabilität aufweist und dass keines der beteiligten Länder aufgrund nationaler ökonomischer Besonderheiten noch den Spielraum einer eigenen nationalen Geld- und Währungspolitik braucht.

5. Akzeptanz, dass unsolides fiskalisches Gebaren nicht durch die Spekulanten, sondern durch falsche Anreize bei den öffentlichen Entscheidungsträgern zustande kommt.

6. Akzeptanz, dass letztlich die Währungsunion Griechenland erst in diese Situation hineingetrieben hat: Denn erst der Beitritt zur Währungsunion ermöglichte die billige Kreditaufnahme, die Griechenlands hohes Staatsdefizit und Leistungsbilanzdefizit finanzieren half. Die Angleichung der Renditen auf Staatspapiere in der EWU, die als Erfolg gefeiert wurde, hatte genau die falschen Signale gesetzt und weitere Fehlentwicklungen produziert.

7. Akzeptanz, dass auch die Politik sich an Regeln (Stabilitäts- und Wachstumspakt, no bail out, Unabhängigkeit der EZB….) halten muss – so wie sie es von den Marktteilnehmern erwartet.

8. Akzeptanz des Auftrags an die Politik, wie er nicht zuletzt vom Bundesverfassungsgericht in seinem Maastricht-Urteil bestätigt wurde, nämlich, dass „die Stabilitätsgemeinschaft Grundlage und Gegenstand des deutschen Zustimmungsgesetzes“ ist.

2 Antworten auf „Gastbeitrag:
Politikversagen, nicht Marktversagen bedroht den Euro!“

  1. Und wieso brauchen wir eine Zentralbank? Die Regierungen interveniern und regulieren den freien Markt, den es nie gegeben hat, zu Tode. Karl Marx hat den Unterschied zwichen priviligierten, von der Regierung bevorzugten, Kapitalismus und den Kapitalismus, der aus dem freien Markt entspringt, nie verstanden. So ist Klassenkampf ein Kampf zwichen den regierten und den regierenden.
    End the Fed!

  2. Jeder Satz des Gastbeitrages, jeder dargelegte Gedanke ist richtig. Warum, warum nur begeifen es unsere Politiker nicht? Sie werden grossen Schaden anrichten.

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