GastbeitragWohlstand ohne ArbeitseinsatzDas wird nicht gehen

Aus dem demographischen Wandel erwächst für die deutsche Volkswirtschaft eine gewaltige Herausforderung. Unausweichlich wird dieser Wandel das laufende Jahrzehnt entscheidend prägen: Die geburtenstarken Jahrgänge der Baby-Boomer der 1950er- und 1960er-Jahre werden in den Ruhestand wechseln; das Potenzial an Erwerbspersonen wird dadurch stark schrumpfen. Doch leider fehlt weiten Teilen von Politik und Gesellschaft die Einsicht, wie umfassend und tiefgreifend unsere Antworten darauf ausfallen müssten.

Denn wenn wir nicht massiv dagegenhalten, wird die Wirtschaftskraft Deutschlands ebenfalls schrumpfen: Menschliche Arbeitskraft ist für das Erwirtschaften von Wohlstand nach wie vor unverzichtbar. Gewiss, der technische Fortschritt und die wachsende Kapitalintensität des Wirtschaftens haben bislang dafür gesorgt, dass der Einsatz von Arbeitskraft zu immer mehr Wohlstand geführt hat. Warum dann nicht umgekehrt: gleicher Wohlstand bei weniger Arbeitsvolumen? Rechnerisch ist das durchaus vorstellbar.

Aber um das auch in der Lebenswirklichkeit zu schaffen, gilt es, den Unternehmen schmackhaft zu machen, hierzulande weiterhin ihren Kapitalstock auszubauen sowie in ihre Innovationsfähigkeit zu investieren. Dann könnte die wachsende Arbeitsproduktivität den Rückgang an Arbeitsvolumen kompensieren. Staatliche Investitionen können dabei zwar eine Hilfe sein, aber die Volkswirtschaft ist kein Planspiel: Unternehmen werden nur dort investieren (können), wo es für sie wirtschaftlich sinnvoll ist.

Wird die Arbeitskraft zunehmend knapper, werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für sich zwar zunächst ein steigendes Lohnniveau aushandeln können. Aber davon werden sie nicht nur tendenziell immer mehr für die Versorgung der inaktiven Bevölkerung abgeben müssen. Auch die Basis für ihre Beschäftigung dürfte erodieren, denn für hiesige Unternehmen wird es immer attraktiver, Aktivitäten ins Ausland zu verlagern, und für auswärtige Unternehmen immer weniger attraktiv, in Deutschland zu investieren.

Da also der demographische Wandel die Standortattraktivität massiv zu mindern droht, gilt es, nach Wegen zu suchen, um diesen Verlust an Attraktivität zu kompensieren. Eine aktuelle Studie von acatech — deutsche Akademie der Technikwissenschaften[1] arbeitet dazu einen Dreiklang an Handlungsfeldern heraus:

Erstens wäre dem Rückgang des Arbeitsangebots direkt entgegenzuwirken. Potenziale, die inländische Erwerbsbeteiligung weiter zu erhöhen, böten vor allem eine höhere Erwerbsstundenzahl von Teilzeitbeschäftigten und eine längere Lebensarbeitszeit. Voraussetzungen dafür wären ein entschiedener Ausbau der Infrastruktur für Betreuung und Pflege sowie Reformbereitschaft bei Organisation der Alterssicherung. Darüber hinaus wäre die internationale Erwerbsmigration auszuweiten. Bislang erweisen sich die bürokratischen Anforderungen, die langwierigen analogen Verwaltungsabläufe, etwa bei der Visavergabe, und eine fehlende Servicekultur in den Amtsstuben allzu häufig als großes Hemmnis.

Zweitens gilt es, die Qualität des Arbeitsangebots zu erhöhen, um das gestiegene Lohnniveau aus Sicht der Unternehmen durch eine hohe (Grenz-)Produktivität zu rechtfertigen und auf diese Weise die Arbeitsnachfrage zu sichern. Das staatliche Bildungssystem hat dabei vor allem die Verantwortung dafür, Schülerinnen und Schülern durch umfassende Grundlagenbildung die Fähigkeit zum lebenslangen Lernen zu vermitteln und sie zudem zu ermächtigen, zum eignen Vorteil – und dem der Volkswirtschaft — gute berufliche Entscheidungen zu treffen.

Drittens sollte die Wirtschaftspolitik nicht nur den Arbeitsmarkt in den Blick nehmen. Die Attraktivität der Bereitstellung von Arbeitsplätzen entscheidet sich nicht dort allein. Anreize zur Investition in Kapitalgüter, insbesondere in Digitalisierung und Automatisierung, könnten die Arbeitsproduktivität deutlich erhöhen. Dazu bedarf es einer schlanken und digitalisierten Verwaltung, einer zuverlässigen Infrastruktur, geringeren Belastungen durch Steuern und Abgaben sowie einer transparenteren und pragmatischeren Regulierung. Dies alles erfordert vor allem Reformbereitschaft und ein klares Bekenntnis zur Wirtschaftsleistung — davon ist aktuell wenig zu sehen.


[1] Achleitner, Kussel, Pavleka, Schmidt: Innovationssystem Deutschland – Die Fachkräftesicherung in Deutschland unterstützen (acatech STUDIE), München 2023. DOI: https://doi.org/10.48669/aca_2023-11

Hinweis: Der Beitrag erschien in modifizierter Form als Leitartikel in Heft 9 (2023) der Fachzeitschrift WiSt.

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