Gastbeitrag
Raus aus der PISA-Schock-Falle
Warum Schule anders werden muss

Staatlicher Schulbildung fehlt die Veränderungsbereitschaft. Meistens zumindest. Deutschland ist das beste Beispiel dafür. Als 2001 die erste PISA-Schülerstudie erschien (sie vergleicht die Kompetenz von 15-Jährigen in den Bereichen Mathe, Lesen und Naturwissenschaften), lösten die Ergebnisse hierzulande eine breite Debatte aus. Deutschland war im Vergleich zu anderen Staaten ziemlich schlecht. Das wollte man nicht auf sich sitzen lassen. Die Wähler machten Druck, die Politik reagierte. Es gab mehr Empirie, mehr Personal, mehr Veränderung. Die Folge: Die Schulleistungen wurden besser.

Und weil die Ergebnisse besser wurden, verschwand das PISA-Thema aus den Medien. Der politische Druck auf das Schulsystem ließ nach. Und damit auch die Leistungen. Heute sind die Kompetenzen der Schüler schlechter als 2001.

Was können wir aus der Erfahrung lernen?

Der Staat ist gut darin zu bewahren und schlecht darin zu verändern.

Veränderungen entstehen bei staatlichen Aufgaben fast ausschließlich durch politischen Druck. Nicht von innen heraus.

Das liegt in der Natur der Sache. Innen herrscht der Status quo. Es dominieren jene Menschen, die wollen, dass alles so bleibt wie es ist. Weil sie ja genau deswegen da sind, ihre Stelle haben, ihre Aufgabe erfüllen.

Das ist beim Staat erst einmal nicht anders als in jedem Unternehmen auch. Jene, die da sind, wollen da bleiben. Veränderung könnte Aufgabe und Job kosten. Bei Unternehmen in der Marktwirtschaft kann aber der Status quo gefährlich werden. Steht das Unternehmen im Wettbewerb, besteht in der Regel der Druck, besser werden zu müssen. Sonst wenden sich Kunden schnell anderen Produkten zu, wenn diese mehr versprechen, bessere Qualität oder günstigere Preise. Dann aber fallen Einnahmen weg, der eigene Arbeitsplatz gerät in Gefahr.

Status-quo-Denken ist in der Marktwirtschaft also meist keine gute Idee.

Ein solcher Veränderungsdruck fehlt staatlichen Bildungseinrichtungen. Die Schüler:innen werden sogar den Schulen zugewiesen, per Einberufungsbefehl an die Eltern. Kein Wettbewerb. Keine Gefahr der Abwanderung des Kunden „Schüler” zur Konkurrenz. Der Staat bietet an und die Bürger:inenn haben zu folgen. Die Schule war schon immer so. Warum sollte sich was ändern? Wäre ja noch schöner.

Wer in Deutschland den Sozialismus einführen wollte, bräuchte an der Art der Schulbildung wenig ändern.

Wie gesagt, der politische Druck, der durch PISA entstand, hat die Schulbildung letztlich doch verändert. Wir leben eben nicht im Sozialismus. Wäre die Regierung tatenlos geblieben, hätte das Volk sie abgewählt. Über diesen Weg kam der Wandel.

Das ist der Vorteil des demokratischen Prozesses.

Die Demokratie ist aber eben auch, wie die Pisa-Erfahrung in Deutschland lehrt, anfällig für politische Ad-hoc-Maßnahmen ohne Nachhaltigkeit. Was könnte man also tun, damit die Schulbildung nicht unter dieser Kurzsicht-Politik zu leiden hat?

Man müsste die Schulbildung dem Status-quo-Denken staatlichen Handelns entziehen. Der Staat wäre weiter dafür verantwortlich, dass Bildung bereitgestellt wird und dass die Menschen sich bilden, aber er würde den Kern, das Bilden selbst, in den Wettbewerb entlassen.

Konkret: Bildung würde privatisiert.

Undenkbar, sagen Sie? Unsere Bildung darf nicht den Kapitalinteressen ausgesetzt werden! Nicht dem Kampf um Renditen! Am Ende gäbe es ein Wettrennen um die besten Schüler:innen, meinen Sie? Die Schwächsten würden auf der Strecke bleiben!

Ok. Kritik ist angekommen. Gegenfrage: Wäre Ihr Schreckensszenario so viel anders als die Gegenwart ist?

Bildung ist nicht ausreichend finanziert. Wir gehen unzureichend mit den veränderten Realitäten um, zu denen zählt, dass zunehmend Menschen in die Schulen kommen, deren Muttersprache nicht deutsch ist. Wir erwecken bei der Digitalisierung der Schulen, überhaupt bei Gebäude und Ausstattung, selten den Eindruck, als wäre die Ressource „Wissen” die Entscheidende für den Wohlstand in Deutschland.

So sähe die Alternative aus.

Bildung in der Marktwirtschaft wäre ein Prozess. Das Bessere wäre der Feind des Guten. Und zwar nicht zwischen den Schülern, sondern zwischen den Bildungseinrichtungen. Der Druck, besser zu bilden, würde nicht mehr in erster Linie politisch entstehen (und damit erratisch), sondern durch den Wettbewerb, in den sich die Bildungseinrichtungen zu begeben hätten. Und damit stetig und dauerhaft.

Wie könnte das konkret aussehen?

Der Staat würde etwa Bildungsgutscheine an alle Bürger verteilen, die dann bei Bildungseinrichtungen einzulösen sind. Die Bildungsgutscheine hätten einen umso höheren Wert, je höher der Bildungsaufwand wäre. Migrant:innen mit fehlenden Sprachkenntnissen hätten die Bildungsgutscheine mit dem höchsten Gegenwert. Zum Beispiel.

Die Folge: Bildungseinrichtungen müssten sich plötzlich um die Schüler bemühen. Sie würden um diese werben. Mit attraktiven Angeboten. Mit guter Bildung. Kein Mensch würde mehr in eine Schule gehen, in die er nicht will. Er hätte die Wahl, und er würde dorthin gehen, wo es ihm am besten ergeht. Der Staat würde lediglich Standards vorgeben und evaluieren – und damit Transparenz für die sich bildende Kundschaft herstellen.

So könnte Bildung sein. Die Digitalisierung der Bildung, die Vergleichbarkeit, das Wissen um den Wert von Bildung – das alles ist mittlerweile so weit verbreitet, dass man die Menschen aus ihrer Unmündigkeit entlassen könnte. Aus dem Zwang, eine bestimmte Schule besuchen zu müssen, mit einem bestimmten Lehrplan, mit einer bestimmten Pädagogik. Und es würde den Druck nehmen, gute Noten haben zu müssen, weil sonst eine gewünschte weiterführende Schule nicht besucht werden kann. Das Lernen könnte in den Mittelpunkt rücken.

Überhaupt dieser Konkurrenz-Druck zwischen Schülern! Wenn es nur auf das Ergebnis ankommt, geht die Lust am Inhalt, am schlauer werden, am Prozess selbst verloren.

Dieser Wettbewerb zwischen Schülern um die besten Noten ist also ein schlechter. Er entsteht, weil das Bildungsangebot nicht groß und nicht gut genug ist. Weil gute Schulen Mangelware sind. Weil die Schüler sich um die begrenzten Plätze reißen müssen. Bei einer marktlichen Bildung würde dieser Konkurrenzdruck verschwinden. Weil das Angebot groß und vielfältig wäre.

Der Wettbewerb würde stattdessen von den Schülern hin zu Bildungseinrichtungen verlagert. Dorthin, wo er hingehört. Zu den Unternehmen, nicht zur Kundschaft. Die leidet nämlich immer dann, wenn das Angebot knapp und konform ist, so wie es heute bei der Schulbildung tendenziell ist.

Jeder Mensch aber ist anders, die Bedürfnisse unterschiedlich. Das passt nicht zu einem Einheitsangebot.

Eine erfolgreiche Bildungsrepublik Deutschland braucht Freiheit und Wettbewerb an den richtigen Stellen.Deshalb: Der Staat sollte die Menschen verpflichten, sich zu bilden. Er sollte das Geld dafür bereitstellen. Je größer der Bildungsaufwand desto mehr. Er sollte aber nicht selbst die Bildung übernehmen. Er kann das strukturell nicht. Bildung braucht Anpassung. Stetige Anpassung. Der Staat ist dafür nicht geschaffen. Wenn wir das nicht ändern, werden wir in wenigen Jahren den nächsten PISA-Schock diskutieren.

Johannes Eber

6 Antworten auf „Gastbeitrag
Raus aus der PISA-Schock-Falle
Warum Schule anders werden muss

  1. Guten Tag,
    zur Einordnung meiner Person: kein Beamter, kein Aktionär, kein Immobilien-Eigentümer, Vater von drei Kindern (17, 19, 22), seit 1976 ohne Unterbrechung sehr nah (persönlich beteiligt) am Bildungswesen.

    Folgendes hat mich zum Schreiben animiert: „Und es würde den Druck nehmen, gute Noten haben zu müssen, weil sonst eine gewünschte weiterführende Schule nicht besucht werden kann.[…]“

    Mehrheitlich ist in meiner Wahrnehmung aktuell die Handhabung von Noten in Deutschland pervertiert.
    Als Rückmeldung dafür, wo genau noch ‚Handlungsbedarf‘ (bei beiden Seiten: Lernende und Lehrende!) besteht sind Noten u.U. sinnvoll einsetzbar.
    Aktuell werden Noten mehrmals, wenn nicht oft (ständig?) zu Selektionen missbraucht. Nicht ausschließlich zur Auswahl der Schulgebäude, die Menschen betreten – oft natürlich, viel zu oft bei Personal- bzw. Berufs-/Lebens-Entscheidungen…

    Um den Druck zu nehmen, den Noten zur Zeit verursachen, sind meiner Wahrnehmung im Alltag von Vorschule(!) über Sekundarstufe I bis zur Promotion sowie in der gesamten Gesellschaft weitere Änderungen als die im Text erwähnten vermutlich unumgänglich.

    Welche Änderungen sehen Sie konkret noch als potenziell konstruktiv?

    Grüße aus der Bildungsdiaspora,
    MB

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