Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil zum Klima- und Transformationsfonds (KTF) für das Haushaltsjahr 2023 und fortfolgende die Büchse der Pandora geöffnet. Die absehbare und selbstverschuldete Haushaltsnotlage kann nur durch eine andere Notlage, die als Begründung für die erneute Aussetzung der Schuldenbremse dient, geheilt werden –diese Notlage ist allerdings nicht in Sicht. Im Gegenteil: Die Steuereinnahmen sind die höchsten, die der deutsche Staat jemals seinen Bürgern abverlangt hat, und zwar absolut genauso wie relativ zum BIP. Gleichzeitig sind die Subventionsausgaben aufgrund der mit Sicherheit überhasteten und fatalen „Energiewende“ ebenfalls so hoch wie noch nie. Parallel dazu ist die Investitionsquote des Staates auf ein historisches Minimum heruntergefahren worden. Doch damit nicht genug: Auch der Sozialstaat ist so umfassend wie noch nie. Fast ein Drittel der Wertschöpfung wird als Sozialausgaben an jene verteilt, die als bedürftig gelten. Die Beiträge zu den Sozialversicherungen haben die Grenze von 40 Prozent vom durchschnittlichen Bruttoeinkommen entgegen allen Beteuerungen überschritten, so dass auch die Sozialversicherungen historische Maximaleinnahmen realisieren.
Die Analyse der Politik bzw. der Politikberater konstatiert ein Einnahmenproblem, das nur mit der Aufhebung der Schuldenbremse zu lösen sei. Fakt ist, die Schuldenbremse offenbart das offensichtliche: Unser Staat hat ein Ausgabenproblem, indem er seine (ausreichenden!) Einnahmen zu sehr konsumtiv und zu wenig investiv verwendet. Die gesamte Friedensdividende mit sinkenden Militärausgaben nebst den Einsparungen durch heruntergefahrene Investitionen sind gemeinsam mit den wachsenden Steuer- und Beitragsaufkommen allesamt in den Sozialetat umgelenkt worden. Verantwortlich hierfür ist nicht allein die derzeitige Regierung, sondern auch und vor allem die „großen Koalitionen des Aussitzens“. Was nun, Deutschland?
Fangen wir mal beim größten Sozialabgabenposten, der gesetzlichen Rentenversicherung, an. Ziel der Ampel ist es, die doppelte Haltelinie zu garantieren und gleichzeitig das Rentenzugangsalter nicht weiter steigen zu lassen. Damit würde der nicht verfassungsgemäße Bundeshaushalt noch weniger verfassungsgemäß, denn dann müsste ja der Bundeszuschuss erhöht werden. Das ginge aber nur durch weitere Emission von Schuldpapieren unter Bruch der Schuldenbremse. Was tun, wenn es brennt? In seinem jüngsten Jahresgutachten hat sich der Sachverständigenrat wieder einmal mit diesem Thema beschäftigt und neben einigen „ollen Kamellen“ auch „Überraschendes“ in Peto gehabt. Zu den „ollen Kamellen“ zählt beispielsweise die Anbindung des Rentenzugangsalters an die Lebenserwartung nach skandinavischem Vorbild, die richtig ist, aber zu spät käme. Auch die Stärkung der kapitalgedeckten ersetzenden Altersvorsorge wurde seit Jahrzehnten gefordert, kommt für die geburtenstarken Jahrgänge aber ebenfalls zu spät. Denn diese haben keine Jahrzehnte mehr, um auf die Früchte eines gegenwärtigen Konsumverzichts zu warten. Allein die Wiedereinsetzung unter gleichzeitiger Stärkung des Nachhaltigkeitsfaktors aus der Schröder´schen Agenda 2010 ist ein wirklich gelungener Vorschlag der „Wirtschaftsweisen“. Er würde das Beitragsniveau annähernd konstant halten und gleichzeitig das Rentenniveau so herunterfahren, dass Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit gewährleistet wären.
Aber offensichtlich hat der Sachverständigenrat dann letztlich doch noch „kalte Füße“ bekommen. Denn aus der Absenkung des Rentenniveaus (nicht der Renten!) resultiert eine steigende relative Altersarmut. Die solle dann dadurch bekämpft werden, dass überdurchschnittlich hohe Renten reduziert, und Niedrigrenten aus diesen Einsparungen aufgestockt werden. Eine überraschende und denkbar ungeeignete Therapie. Da es einen eigentumsrechtlichen Schutz für bereits erworbene Ansprüche gibt, würde die „Medizin“ erst dann wirken, wenn der Patient längst tot ist. Die demographische Welle kommt nämlich innerhalb der nächsten zwei Jahrzehnte! Wie fundamental falsch der Sachverständigenrat in diesem Punkt liegt, zeigt sich auch daran, dass Armutsbekämpfung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, die nicht nur von Beitragszahlern und künftigen Rentnern, sondern von allen – also auch von Beamten und Selbständigen – finanziert werden sollte. Letztere würden bei der Armutsbekämpfung via Rentenversicherung aus offensichtlichen Gründen nicht mithelfen. Und das soll dann gerecht sein? Umverteilung hat nichts in der Gesetzlichen Rentenversicherung zu suchen: Hier gilt das Lebensleistungsprinzip. Und das sollte auch in Zukunft so bleiben.
Einzig die Lebenserwartungsdifferentiale von Niedrig- und Hochrentenbeziehern könnten als Argument nach schwedischem Beispiel valide sein. Allein, dann müssten wir auch Risikodifferentiale in der Kranken- und Arbeitslosenversicherung einführen, was dann aber zu Lasten der Niedrigeinkommensbezieher ginge. Die Umverteilung innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung könnte sich somit als nächste Büchse der Pandora erweisen!
Hinweis: Der Beitrag erscheint in modifizierter Form als Leitartikel in Heft 1 (2024) der Fachzeitschrift WiSt.
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