Inflation und Macht in Argentinien
Kann Javier Milei die Wende?

Javier Milei ist der neue Präsident von Argentinien. Wenn seine Reformen auf Dauer gelingen sollen, dann muss die Zentralbank dem Einfluss der Politik entzogen werden. Die Dollarisierung scheint dazu der sicherste Weg.

Der libertäre Javier Milei hat die Präsidentschaftswahl in Argentinien gewonnen. Entscheidend war die prekäre wirtschaftliche Lage. Über Jahrzehnte hinweg hat die Inflation Wirtschaft und Bevölkerung ausgezehrt. Zuletzt lag die Inflationsrate bei rund 160%. In der südamerikanischen Demokratie haben die Regierungen immer wieder versucht, sich mit Hilfe zentralbank-finanzierter Sozialausgaben an der Macht zu halten. Ein aufgeblasener Staatsapparat stellte die Versorgung der Anhänger der politischen Entscheidungsträger sicher. Nun verspricht Milei die Wende.

Wenn er die Inflation besiegen will, dann müssen die Staatsausgaben drastisch sinken. Subventionskürzungen für Lebensmittel, Energie und Nahverkehr sind bereits angekündigt. Die Hälfte der Ministerien wird aufgelöst. Die Privatisierung defizitärer Staatsbetriebe wie der Fluglinie Aerolineas Argentinas soll den Staat entlasten. Eine radikale Deregulierung einschließlich der Aufhebung von Mietpreiskontrollen und der Flexibilisierung des Arbeitsrechts soll mehr Wachstum und mehr Steuereinnahmen schaffen. Gelingen die Reformen, dann könnte der Staat auf die Finanzierung durch die Zentralbank verzichten.

Zentral bleibt jedoch die Frage, wie die Banco Central de la República Argentina auf Dauer dem Einfluss der Politik entzogen werden kann. Selbst wenn das unter Milei heute gelingen sollte, dann ist noch nicht gesichert, dass die Zentralbank nicht bald schon wieder unter den Einfluss der Politik gerät. Ein Currency Board würde wie schon in den 1990er Jahren die Entscheidungskompetenz der zentralen Währungsbehörde auf einem festen Wechselkurs zum Dollar reduzieren. Im Gegensatz zu einem einfachen Festkurssystem kann bei einem Currency Board nur das Parlament die enge Bindung an den Dollar lösen. Doch das war in Argentinien im Januar 2002 der Fall. Seitdem ist die Inflation wieder stark angestiegen.

Deshalb wäre die Dollarisierung, die Miliei im Wahlkampf immer wieder gefordert hat, der sicherste Weg zu dauerhafter Währungsstabilität. Ist die Zentralbank abgeschafft, dann kann sie auch nicht mehr missbraucht werden. Zudem hält die Bevölkerung in Argentinien wegen der dauerhalt hohen Inflation ohnehin schon viele Dollars, was die Dollarisierung einfacher machen würde. Ecuador hat die Erfahrung gemacht, dass die Bevölkerung über die Beibehaltung der Dollarisierung wacht.

Doch hat Milei trotz seines Erdrutschsieges keine stabile Machtbasis für einen solchen Schritt. Er ist Präsident, aber nicht Diktator. Seine schnell angekündigten Reformdekrete unterliegen dem Notstandsrecht, das das Parlament, wo er keine Mehrheit hat, auflösen kann. Um das zu verhindern, muss seine libertär-konservative Parteienkoalition La Libertad Avanza politische Allianzen schmieden, was angesichts der Radikalität der Reformen schwierig ist. Der Erfolg von Mileis Politik hängt deshalb an der Unterstützung aus der Bevölkerung. Wenn die anderen Parteien nicht kooperieren, dann könnte Milei ihnen bis zu den Parlamentswahlen im Jahr 2025 weiter die Schuld für die schwere wirtschaftliche Lage zuweisen, um dann auch diese Wahlen zu gewinnen.

Bisher hat Milei eine Mehrheit in der Bevölkerung hinter sich, weil er auf die Fehler der bisherigen Machthaber verweisen kann. „Es kein Geld mehr da.“ hat er nach seinem Sieg lapidar festgestellt. Doch die Bevölkerung wird unter den Subventionskürzungen, der Abwertung des Pesos und der Aufhebung der Preiskontrollen leiden. Nach der Ankündigung von 30 Sofortmaßnahmen zur Deregulierung waren schon vielerorts „Cacerolazos“, das Schlagen mit Löffeln auf Kochtöpfe als Zeichen des Protests, zu hören.

Die Proteste werden auch deshalb weiterwachsen, weil mit den Ausgabenkürzungen die gut dotierten Stellen für die Anhängerschaft der alten Regierungen im Staatsdienst schwinden werden. Das schadet zwar der politischen Konkurrenz, erlaubt es aber Milei nicht, seine eigene Gefolgschaft zu bedienen. Da Reformen nur verzögert wirken, ist die Gefahr groß, dass trotz Schocktherapie die Unterstützung zu früh wegbricht. Doch die Chance für Milei ist der Grund, warum er gewählt wurde: Die Menschen in Argentinien haben so lange so stark gelitten, dass sie für einen Neuanfang leidensfähig sind.

In Deutschland beobachtet man das argentinische Reformdrama mit Neugier und Argwohn. Ein immer noch sattes Wohlstandspolster erlaubt ausreichend Distanz. Doch auch hierzulande wächst die wirtschaftliche Unzufriedenheit. Die Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank und die jüngste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Schuldenbremse zwingen die Regierung zu Ausgaben- und Subventionskürzungen sowie zur Aufhebung von Preiskontrollen. Das zieht Frustration und Proteste nach sich, die Zweifel an der Standhaftigkeit der Regierung wecken.

Die deutsche Wirtschaftsgeschichte zeigt jedoch, dass sich Durchhalten lohnen würde. Als Ludwig Erhard 1948 in Westdeutschland in einer schweren wirtschaftlichen Lage die Preiskontrollen aufhob, stiegen zunächst die Preise und ein Generalstreik wurde ausgerufen. Doch Erhard blieb hart, die Inflation sank wieder, und es folgte ein Wirtschaftswunder, das den Protest gegen die marktwirtschaftlichen Reformen verstummen ließ. Die Frage ist, ob heute ein Politiker die nötigen Reformen wagt, und ob diese ausreichend Rückhalt in der Bevölkerung finden. Argentinien hat im Gegensatz zu Deutschland zumindest die erste Hürde genommen.

Marius Kleinheyer und Gunther Schnabl
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