Gastbeitrag
Das Asyl- und Migrationspaket der Europäischen Union
Viel Lärm um nichts?

Das Asyl- und Migrationspaket der EU wird weitgehend wirkungslos bleiben. Die Hauptprobleme bleiben nicht nur ungelöst, sie werden gar nicht erst angegangen.

Die Flüchtlingskrise hat Europa weiter im Griff. 2023 wurden in der EU 1,049 Millionen Erstanträge auf Asyl gestellt, davon allein 329.000 in Deutschland. Deutschland ist zwar nur in den seltensten Fällen das Erstankunftsland von Asylbewerbern, aber hier werden die meisten Asylanträge gestellt, weil Flüchtlinge bevorzugt einen Aufenthalt in Ländern mit hohen Sozialleistungen anstreben und nach ihrer Ankunft in südeuropäischen Ländern wie Italien oder Griechenland häufig nach Mittel- und Nordeuropa weiterziehen (Sekundärmigration).

Auf die mit der unkontrollierten Massenzuwanderung einhergehenden massiven Probleme hat die EU mit der Verabschiedung des Asyl- und Migrationspakets reagiert, welches navch langen Verhandlungen zwischen Kommission, Rat und Parlament am 10. April 2024 endgültig vom EU-Parlament angenommen wurde. Ziel dieses Pakets ist es vor allem, „das europäische Asylsystem wirksamer“ zu machen und „die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten“ zu erhöhen – wobei freilich im Unklaren bleibt, was unter „wirksamer“ zu verstehen ist.

Unter den zehn Gesetzestexten, die zusammen das Asyl- und Migrationspaket bilden, haben die Asylverfahrensordnung und die Verordnung über Asyl- und Migrationsmanagement die meiste Aufmerksamkeit erfahren. Denn von ihnen verspricht sich die EU die größten Fortschritte. Erstere soll durch die Einführung des „Grenzverfahrens“ der Beschleunigung der Asylverfahren dienen, wodurch nicht nur die hauptbetroffenen Mitgliedstaaten entlastet, sondern auch Asylbewerber ohne Aussicht auf Anerkennung ihres Antrags von einer Einreise abgehalten werden sollen. Letztere soll zu einer gerechteren Verteilung der Lasten der Flüchtlingszuwanderung unter den Mitgliedstaaten führen und das die Hauptankunftsländer einseitig belastende Dublin-III-Verfahren ersetzen.

Können diese Verordnungen die in sie gesetzten Hoffnungen erfüllen? Das beschleunigte Grenzverfahren soll bei Asylbewerbern angewendet werden, bei denen eine Ablehnung ihres Antrags wahrscheinlich ist, also vor allem dann, wenn sie aus als sicher geltenden Herkunftsländern stammen. Während des Verfahrens können die betreffenden Asylbewerber nicht in andere EU-Länder weiterreisen und nach endgültiger Ablehnung ihres Antrags umgehend abgeschoben werden. Allerdings hält die EU für das Grenzverfahren eine EU-weite Kapazität von nur 30.000 Antragstellern pro Jahr für angemessen – der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein der um ein Vielfaches höheren Flüchtlingszahlen. Außerdem gibt es nicht nur Ausnahmen für Minderjährige, sondern auch für Asylbewerber aus Ländern mit hoher Anerkennungsquote, also aus den bisherigen (und künftigen) Hauptherkunftsländern – mithin aus den Ländern, aus denen die allermeisten Flüchtlinge kommen. Schließlich muss angesichts der auch im Grenzverfahren geltenden Grundrechts- und Verfahrensgarantien (etwa dem Recht auf einen Dolmetscher oder dem Recht auf unentgeltliche Rechtsauskunft, -beratung und -vertretung) bezweifelt werden, dass die Grenzverfahren tatsächlich schneller abgewickelt werden können als die „normalen“ Asylverfahren.

Die Verordnung über Asyl- und Migrationsmanagement sieht neben einer Präzisierung der Regeln dafür, welches Land für welche Asylbewerber wie lange zuständig ist, und Maßnahmen zur Eindämmung der Sekundärmigration „einen neuen Solidaritätsmechanismus“ vor, mit dem die Hauptankunftsländer entlastet werden sollen. Zu diesem Zweck sollen pro Jahr mindestens 30.000 Flüchtlinge auf Länder verteilt werden, die vom Flüchtlingszustrom weniger betroffen sind. Alternativ können diese Länder Finanzbeiträge zur Unterstützung der stärker betroffenen Länder leisten, welche auf mindestens 600 Millionen Euro pro Jahr festgesetzt wurden.

Das Asyl- und Migrationspaket wird weitgehend wirkungslos bleiben. Die Hauptprobleme bleiben nicht nur ungelöst, sondern werden gar nicht erst angegangen. Die hohen Anreize für Wirtschaftsflüchtlinge in Gestalt großzügiger Sozialleistungen und eines „Deluxe“-Asylrechts, welches sicherstellt, dass praktisch jeder, der es schafft, einen Fuß auf den Boden der EU zu setzen, auch auf Dauer hier bleiben kann, bestehen weiter. Die Grenzen werden weiterhin nicht effektiv geschützt. Und durch die Nachfolgeregelung zu Dublin III werden die Lasten durch den Flüchtlingszustrom nicht gesenkt, sondern nur gleichmäßiger verteilt – um den Preis zunehmender Konflikte zwischen Mitgliedsländern, die immer noch eine Willkommenskultur propagieren und Mitgliedsländern, die ihre Grenzen – und damit ihre Sozialsysteme – schützen wollen. Das Asyl- und Migrationspaket ist nur Symbolpolitik – kurz vor der Europawahl verabschiedet, um der Bevölkerung den Eindruck zu vermitteln, die Probleme unseres dysfunktionalen Asylsystems würden endlich angepackt werden. Aber dieser Eindruck täuscht.

Hinweis: Der Kommentar erscheint in modifizierter Form als Leitartikel im Juni-Heft der Fachzeitschrift WiSt.

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