Der Beitrag möchte Gedankenanstöße geben, wie eine Zentralisierung und Effizienzsteigerung möglich wäre, in dem die Finanzverwaltung eine umfassende Zuständigkeit für die Erhebung von Abgaben erhält und das Steuerrecht der zentrale Definitionsausgangspunkt für die Bemessungsgrundlagen wäre.
In Deutschland werden Unternehmen im Rahmen des Sozialversicherungssystems mit einer Vielzahl von Behörden und Abgabestellen konfrontiert. Daten werden zum Teil mehrfach erhoben und in unterschiedlichen Systemen verarbeitet. Aus Sicht des Autors besteht hier ein erhebliches Verschlankungspotential, ohne das staatliche Kontrolle verloren geht. Weiter möchte der Autor noch weitere Gedankenanstöße zur Reform des Sozialversicherungssystems geben, wobei der Ausgangsgedanke sich dabei immer darauf stützt das Steuersystem als Ausgangsbasis zunehmen und das Leistungsfähigkeitsprinzip als ein sachgerechtes Erhebungsprinzip zu sehen, was in Einklang mit einer Wettbewerbsordnung[1] steht. Der Beitrag soll dabei jedoch keine fertigen Lösungsvorschläge erarbeiten, sondern die Ausgangsbasis für weitere Ausarbeitungen darstellen.
Die Daten, die sich auf einer Lohnabrechnung finden, geben ein gutes Beispiel zur Vielzahl der Datenerhebenden und Beitrag- oder Abgabeneinziehenden Behörden. Auf der typischen Lohnabrechnungen finden sich in der Regel die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung, Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung, Pflegeversicherung und die Lohnsteuer. Jede dieser Abgaben wird von einer anderen Stelle erhoben. Der Autor ist zunächst der Ansicht, dass diese Daten alle unmittelbar an Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit im Sinne des Einkommensteuergesetz anknüpfen und hierzu nur geringfügige Abweichungen bestehen. Gleichzeitig sind die Finanzämter die Stellen, die auch nach derzeitgem Stand alle diese Arten von Daten sammeln, da alle Abgaben wiederum relevant für die Berechnung der Steuerlast sind. Es wäre somit eine Konzentration verschiedener Aufgaben bei den Finanzverwaltungen denkbar, um doppelte Strukturen zu vermeiden und somit eine höhere Verwaltungsökonomie herzustellen.
- Verifikation
Es könnte somit schon eine Reduktion der Verwaltungsstrukturen erfolgen, wenn die Erhebung und Überprüfung der Richtigkeit der Bemessungsgrundlage der genannten Beiträge alle in der Hand der Finanzverwaltung konzentriert werden. Die Finanzverwaltung prüft die Daten schon häufig laufend auf ihre Plausibilität und prüft die Daten aus der nichtselbständigen Arbeit häufig nochmals aus einer anderen Perspektive, soweit der Arbeitnehmer eine Einkommensteuererklärung einreicht. Die Daten unterliegen also einer mehrfachen Kontrolle. Die Prüfung der Daten erfolgt dabei heute schon nach einem risikobasierten Ansatz.[2] Die Verifikation der Daten ist dabei als Ausdruck des Verifikationsprinzip, was vorsieht, dass den Angaben des Steuerpflichtigen grundsätzlich zu vertrauen ist, aber eine Kontrolle notwendig ist, als fundamental Prinzip der Steuerrechtssystematik verankert.
Durch eine Ansiedlung bei der Finanzverwaltung könnte gleichzeitig noch die Prüfung durch die Rentenversicherung abgeschafft werden und mit der Lohnsteueraußenprüfung zusammengelegt werden, die im Wesentlichen sehr ähnliche Sachverhalte untersuchen. Entsprechendes Personal müsste nicht erst gefunden werden, da die Finanzämter die entsprechenden Aufgaben ja bereits heute wahrnehmen und die notwendigen Kenntnisee für die Sozialversicherungsprüfung mit einem geringen Aufwand ergänzt werden können.
- Erhebung der Abgaben
Die Finanzverwaltung verfügt über starke Erhebungs- und Vollstreckungstellen, da sie mit der Erhebung der Steuern die wesentlichen Finanzmittel des Staats erhebt. Sie könnte somit die Erhebung der Krankenversicherungsbeiträge und Rentenversicherungsbeiträge, sowei die Erhebung der Arbeitslosenversicherung und Pflegeversicherung zusätzlich übernehmen. In diesem Rahmen könnte man dann die entsprechenden Erhebungsstellen bei den anderen Einrichtungen ersatzlosstreichen. Eine entsprechende Effiziensteigerung sollte selbstredend sein. Weiter verfügt die Finanzverwaltung mit der Abgabenordnung auch über ein leistungsstarkes und bewährtes Sonderverwaltungsrecht für die Abgaben, das sich ohne größere Schwierigkeiten auf die Fragenstellungen in anderen Bereichen übertragen lässt. Die Erhebung über den Arbeitgeber für den Arbeitnehmer könnte ebenfalls beibehalten werden, da dieses System heute bereits bei der Lohnsteuer praktiziert wird. Weiter wäre auch ein Zugriff auf weitere Organe bei Verletzung entsprechender Pflichtverletzungen bei Kapitalgesellschaften möglich, da der Geschäftsführer bereits heute für nicht abgeführte Lohnsteuer persönlich haften kann.
Die Institutionen könnten sich dann auf ihre jeweiligen Kernaufgaben konzentrieren, die jeweils vor allem die Prüfung der Voraussetzung von Auszahlungen bzw. betreffen. Es macht Sinn, dass die zentrale Aufgabe der Agentur für Arbeit in Form der Jobvermittlung und Auszahlung der Arbeitslosenhilfe bzw. die individuelle Prüfung der Voraussetzungen nicht durch die Finanzverwaltung erfolgen kann, da diese Aufgabe ihr von der Art der Aufgabe und der Ausbildung der Beschäftigten Mitarbeiter fremd ist.
Hinsichtlich der Rentenversicherung stellt sich jedoch wiederum die Frage, da es sich bei der Rente um eine rein finanzielle Transferleistung handelt, die von verschiedenen Beitragsfaktoren abhängig ist, ob diese Aufgabe nicht bei der Finanzverwaltung angesiedelt werden kann, da diese über die relevanten Informationen der Person und ggf. sogar mehr Informationen verfügt und die Aufgabe auch aufgrund der Ausbildung grundsätzlich von einem Finanzbeamten erfüllbar wäre. In diesem Rahmen wäre es auch überlegenswert, ob man für reine Rentenbezieher, die Steuer nicht in Form einer Abzugsform erheben könnte, damit die Abgabe der Steuererklärung in vielen Fällen entfallen kann, ohne von der Besteuerung der Renten abzusehen, da diese durch das Leistungsfähigkeitsprinzip gerechtfertigt sein könnte. Die Zentralisierung würde wiederum zu Synergieeffekten im Bereich der EDV führen, da der Datentransfer zwischen vielen Behörden entfallen würde.
Die Aufgaben der Krankenversicherung hinsichtlich der Ausgabenseite sind ebenfalls sehr individuell und können daher nicht auf die Finanzverwaltung übertragen werden. Aufgrund der ähnlich gelagerten Prüfung folgt dies sicherlich auch für die Pflegeversicherung. Hier stellt sich die Frage, warum die formelle Trennung zwischen Krankenkassen und Pflegeversicherungen in getrennte Körperschaften nicht aufgehoben wird, da ohnehin eine Organleihe[3] der Mitarbeiter von Krankenkasse an Pflegeversicherung erfolgt. Dies würde den Verwaltungsaufwand nochmals reduzieren.
Hinsichtlich der Erhebung der Abgaben kann auch bereits im Bereich der Steuern eine deutliche Vereinfachung erreicht werden, indem die Gewerbesteuer und die Grundsteuer nicht mehr durch die jeweiligen Gemeinden erhoben werden, sondern direkt durch die Finanzämter, die auch bereits die Bemessungsgrundlage festlegen. Es gibt kein überzeugendes Argument, warum dies durch die damit häufig überforderten Finanzverwaltungen der Kommunen erfolgen soll. Eine Zentralisierung würde sicherlich auch zu einer deutlichen Reduktion von mehrfachen Strukturen auf Ebene der einzelnen Kommunen führen müssen. Dies fängt bei notwendigen EDV und verbundenen Unterstützungstrukturen an und hört bei den Engpässen aufgrund schwieriger Personalgewinnung in ländlichen Gegenden auf. Weiter können zentrale digitalisierte Kommunikationswege der Finanzverwaltung genutzt werden. Die separate Gerichtsbarkeit der Verwaltungsgerichte in diesen Abgabenangelegenheiten könnte ebenfalls enfallen. Die Gemeinden könnten ihre Aufgaben darauf beschränken den Finanzämter die Hebesätze mitzuteilen.
Weiter Abgaben, die einfacher durch die Finanzverwaltung erhoben werden könnten, sind Beiträge die an das Einkommen anknüpfen. Dies betrifft auf Ebene der Kommunen vor allem die Kindergartenbeiträge. Diese sollen sich unmitelbar an der Leistungsfähigkeit der Eltern orientieren. Die Finanzverwaltung kennt in der Regel die Kindschaftsverhältnisse und ist auch zu einer Bundeslandübergreifenden Ermittlung der Einkommen in der Lage, während dies für die jeweilige Stadtverwaltung oder Kreisverwaltung einen erheblichen Aufwand darstellen kann. Ein einheitliches Rahmengesetz zu den Beiträgen könnte die Kommunen darüberhinaus von der Regelungskomplexität befreien und etwa nur die Festsetzung eines Hebesatzes verlangen, wie sie dies auch bei der Gewerbesteuer oder Grundsteuer macht.
- Verwaltung von Transferleistungen
Transferleistungen, die besser durch die Finanzverwaltungen, vergeben werden können, da diese auch die Angemessenheit überprüfen können, sind das Elterngeld. Die Finanzverwaltung verfügt ohnehin über die notwendigen Daten, um die Einkommenshöhe im Bezugszeitraum zu überprüfen. Weiter könnte für die betroffenen Bürger, die Einreichung weiterer Unterlagen zum Einkommen entfallen, da diese dem Finanzamt ohnehin besser bekannt sind. Im Falle von Unternehmern ist die Finanzverwaltung in der Regel ohnehin deutlich besser mit der Gewinnermittlungsmaterie etc. vertraut. Die Begriffe der Bemessungsgrundlage könnten beim Elterngeld insoweit noch besser in die Systematik der Steuergesetze angeglichen werden, um so noch weitere Vereinfachung zu erreichen.
- Verringerung der Komplexität der Bemessungsgrund
Neben einer Konzentration bei der Verwaltung wäre es zur Vereinfachung weiter möglich, dass die Bemessungsgrundlagen an der steuerlichen Bemessungsgrundlage orientiert werden und das notwendige Finanzaufkommen auch über die Steuergesetze aufgebracht wird. Eine Verbreiterung der Last auf alle Steuerpflichtigen, nicht tatsächliche Steuerzahler, würde auch dem Charakter der Sozialversicherung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe gerechter werden. Die gesetzliche Krankenversicherung stellt keinen Zusammenhang zwischen Leistung und Beitrag her. Sie folgt vielmehr einem Umverteilungsgedanken, da Bevölkerungsgruppen ohne einen Beitrag geleistet haben, die gleichen Leistungen erhalten und diese durch Bevölkerungsgruppen mit höheren Beiträgen und Steuergeldern finanziert werden. Es erscheint daher gerecht, wenn sich die Beiträge ebenfalls nach der individuellen Leistungsfähigkeit richten, da durch die Bereitstellung der Leistung direkt und indirekt auch Unternehmen etc. profitieren. Aus der Sicht des Autors sollten die Beiträge daher auf Basis des zu versteuernden Einkommens geleistet werden und von Arbeitsentgelt als Bemessungsgrundlage getrennt werden. Gleichzeitig sollten Beitragsbemessungsgrenzen abgeschafft werden. Die Krankenversicherung könnte über eine Annexsteuer zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer finanziert werden. Dieser Grundgedanke lässt sich auch auf die Rentenversicherung übertragen, da das System ebenfalls nicht nach dem Versicherungsprinzip organisiert ist und Beiträge und Leistungen auch hier nur in einem sehr indirekten Verhältnis stehen.
Die Rentenversicherung ist ebenfalls eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, von deren Existenz die gesamte Gesellschaft profitiert, weshalb auch die Finanzierung nach dem Prinzip der Leistungsfähigkeit ausgestaltet werden sollte. Es würde sich dann noch die Frage stellen, wie der indirekte Zusammenhang zwischen höheren Beiträgen und höherer Rente gelöst werden kann. Aus Sicht des Autors sollte überlegt werden, ob das alte System nicht durch die steuerorientierten Beiträge nach alten Auszahlungsmuster weiter finanziert wird und ab einem gewissen Zeitpunkt die Leistungen auf eine Grundrente mit Orientierung am Durchschnittseinkommen fixiert werden und eine individuelle Zusatzvorsorgepflicht geschaffen wird, deren Einhaltung ebenfalls im Rahmen der Steuerveranlagung überprüft wird. Denkbar wäre es etwa für alle Bevölkerungsteile als eine Möglichkeit Versorgungswerke zu schaffen, wobei die Beiträge in der Auszahlungsphase zu versteuern sind. Die Anlage der Mittel könnte nach dem Kapitalstockprinzip erfolgen und eine Überwachung könnte durch die Wahl eines Überwachungsgremium durch die Teilnehmer erfolgen. Dieses System würde das auf Dauer nicht mehr finanzierbare Umlagesystem ablösen, ohne die alten Beitragsempfänger zu bestrafen. Jeder, der in seinem Leben bereits in das gesetzliche Rentensystem eingezahlt hat, könnte seine bisher erworbenen Rentenpunkte als Leistungen erhalten und diese würden auf die Grundrente angerechnet werden. Diese Lösung würde die bisherigen Einzahlungen nicht obsolet werden lassen und einen sozialverträglichen Übergang ermöglichen. Es ist klar, dass im Detail eine Vielzahl von Fragen zu klären wären, die in weiteren Ausarbeitungen darzulegen sind, jedoch soll dieser Übergang zumindest als Gedankenanstoß betrachtet werden, wenn man keine Umstellung auf ein rein kapitalstockbasiertes individuelles Vorsorgesystem haben möchte, sondern eine Grundabsicherung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe und Eckpfeiler einer stabilen Wirtschaftsordnung erfolgen soll.
Die Beiträge würden dabei jeweils analog zum bisherigen Solidaritätszuschlag als Prozentsatz von der festgesetzten Einkommensteuer bzw. Lohnsteuer erhoben werden. Bei Vorauszahlungen wäre dies Analog der Fall. Aufgrund des Zirkelbezugs wäre es zu überlegen, dass der Sonderausgabenabzug für die entsprechenden Beiträge abzuschaffen ist, da dieser höhere Einkommen stärker bevorzugt und insoweit dem Leistungsfähigkeitsprinzip sogar zu gegenläuft.[4] Es wäre dann lieber zu überlegen, ob nicht ein bestimmter Grundsatz an Beiträgen von der Steuerlast abgezogen werden könnte.
- Fazit
Der Beitrag zeigt, dass es eine Vielzahl von Ansatzpunkten geben könnte, viele doppelten Strukturen durch eine Angliederung an die Finanzverwaltung und Steuergesetzgebung zu verringern und gleichzeitig eine Anknüpfung an ein System mit bewährten Grundsätzen vorzunehmen und somit nicht an ein System mit vielen Regelungslücken und fehlenden Erfahrungswerten bei der Erhebung anzusetzen. Gleichzeitig würde man auf einen Verwaltungsapparat mit gefestigten Strukturen, hoher Expertise zurückgreifen. Auch bei der Rechtsprechung könnte man mit der Finanzgerichtsbarkeit auf eine bewährte Struktur aufbauen. Gleichzeitig könnte der Bürger mit dem Heer an Steuerberater, Wirtschaftsprüfern und Rechtsanwälten auf einen bewährten Rechtsschutz und Hilfsangebot zugreifen, wenn es um die Erhebungsseite geht.
Rechtsanwälte mit dem Schwerpunkt auf dem Sozialrecht könnten sich insoweit weiter auf die Leistungsseite konzentrieren und müssten sich nicht mit ökonomischen Fragestellungen der Ermittlung der Bemessungsgrundlage beschäftigen, die ihrer Ausbildung zum Teil zu widerläuft.
Der Beitrag verdeutlicht jedoch auch, dass diese Gedankenanstöße jeweils konkret auszugestalten sind und eine Vielzahl von rechtswissenschaftlichen und finanzwissenschaftlichen Fragen zu diskutieren und auszuarbeiten. Gleichzeitig müssten die jeweiligen Beitragssätze etc. durch entsprechende Simulationen konkretisiert werden. Aus ordnungspolitischer Sicht wäre es noch konkreter auszuarbeiten, warum diese Vorschläge deutlicher besser in Einklang mit einer sozialen Marktwirtschaft unter Stärkung von Gerechtigkeitsprinzipien und Fundamentalprinzipien einer funktionsfähigen Marktwirtschaft stehen als das gegenwärtige Finanzierungssystem der Sozialversicherung.
Der Beitrag soll insoweit als Gedankenanstoß zur Reform für ein erhebliches finanzpolitisches Problem der näheren Zukunft aus der Sicht der Finanzwissenschaft und Steuerrechtswissenschaft dienen, der die Zielsetzung verfolgt staatliche Strukturen möglichst schlank zu halten und den Einklang mit bewehrten Gerechtigkeitsprinzipien zu verankern.
[1] Vgl. zum Begriff der Wettbewerbsordnung und ihren Prinzipen Walter Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik [1952], 6. durchgesehene Auflage, Mohr/Siebeck [UTB], 2004
[2]Seer in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 25. Auflage 2024, Rz. 21.7
[3] Die Mitarbeiter sind Angestellte der Krankenversicherung und werden an die Pflegekassen ohne eigene Personalausstattung, aber als separat ausgestaltete Körperschaft des Öffentlichen Rechts, entliehen.
[4]Vgl. zur Problematik Kempny, StuW 2021, 85-110