In seinem Jahresgutachten 2024/2025 räumt der Sachverständigenrat (SVR) dem Thema Wohnen auf über 60 Seiten in seinem Kapitel 4 sehr viel Platz ein: Insgesamt gibt es fast 800 Wortnennungen mit dem Wortteil „Wohn~“ und über 60 mit dem Wortteil „Immobilien~“ im Gutachten. Zwar hat sich der SVR in den letzten Jahren immer wieder mit Wohnungsthemen auseinandergesetzt (siehe Tabelle 1), doch die Intensität im aktuellen Gutachten ist beachtlich.
Tabelle 1: Auswertung zu Worthäufigkeiten innerhalb der Jahresgutachten des SVR von 2012 bis 2024
Quellen: Eigene Erhebung aus den Jahresgutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage in den jeweiligen Jahren.
Zwar gibt es aktuell angesichts einer regelrechten Krisenkaskade in den letzten Jahren wahrlich dringliche Themen, doch für viele private Haushalte gerade in der unteren Einkommenshälfte und in den Ballungsräumen ist der Zugang zu erschwinglichem Wohnraum weiterhin eines der zentralen Themen, und gerade mit Blick auf die anstehende Bundestagswahl sowie die mögliche Neusortierung transatlantischer Beziehungen wäre zu befürchten, dass das Wohnungsthema sowohl im Wahlkampf als auch in späteren Koalitionsverhandlungen herunterfiele. Dass in den Medien sowie in der Politik über dieses wichtige Kapitel des Gutachtens bisher fast überhaupt nicht berichtet oder diskutiert wird, lässt befürchten, dass Wohnen kein Wahlkampfthema wird.
Dabei ist dieses Kapitel 4 wirklich lesenswert und mit der Überschrift: „Wohnen in Deutschland: Knappheiten beheben und Zugang erleichtern“ geradezu programmatisch pointiert überschrieben. Der SVR macht deutlich, dass eine Lösung vor allem auf der Angebotsseite zu suchen ist, denn die für das Gutachten geschätzten (wahrscheinlich kurzfristigen) Angebotselastizitäten sind nicht nur sehr niedrig, sie sind v.a. deutlich niedriger als in empirischen Studien für viele andere OECD-Staaten. Die deutsche Bautätigkeit reagiert zu langsam und zu schwach auf Nachfrageänderungen. Dass zudem die Elastizitäten gerade dort niedrig sind, wo Wohnraum am dringendsten benötigt wird – in den Ballungszentren – unterstreicht den Fokus auf Angebotsmaßnahmen im Gutachten.
Die vorgeschlagenen Maßnahmen zur Lösung der Probleme bieten zwar Marktbeobachtern wenig Neues – es geht um Harmonisierung von Regeln, Baulandaktivierung, den Gebäudetypus E für regelerleichtertes Bauen, Grenzen der Mietregulierung sowie vereinzelte Steuermaßnahmen – und doch sind (wenigstens) sechs Punkte bemerkenswert:
- Relativ vorsichtig äußert sich die Mehrheit im SVR mit Blick auf Kappungsgrenzen und Mietpreisbremse, dass eine weitere Verlängerung jenseits 2028 schwer zu argumentieren wäre und dass mietregulierende Maßnahmen stets temporär begrenzt gesetzt sein sollten. Doch gerade in der Verlängerung zeigt sich das Problem der Zeitinkonsistenz bei politisch unbeliebten Entscheidungen, und dies wird m.A. zu Recht in der Minderheitsmeinung zum Ausdruck gebracht. Sicherlich ist eine Mietpreisbremse weniger schädlich als ein Mietendeckel, doch eine verlängerte, eigentlich temporär begrenzte Maßnahme schadet der Glaubwürdigkeit, und dies gefährdet den notwendigen Investitionsschub.
- Richtigerweise betont der SVR, dass zusätzliches Angebot nicht nur in Nachverdichtungen und Aufstockungen, sondern auch in Flächenwachstum gesucht werden kann und sollte, gerade weil dort die Angebotselastizität höher ist als in hoch verdichteten Räumen.
- Der SVR mahnt explizit an, dass Subjektförderung durch Objektförderung flankiert werden sollte. Dies ist keine Empfehlung aus dem Grundlagenlehrbuch der Mikroökonomie, doch es zeigt zu Recht, dass es auf Wohnungsmärkten Diskriminierung geben kann, und dann braucht es mitunter mehr als nur Preismechanismen.
- Der SVR betont in der Mehrheitsmeinung, dass das Konzept der Grundsteuer C, also einer höheren Besteuerung von Baugrundstücken, die bebaut werden könnten, aber eben (noch) nicht bebaut werden, Baumaßnahmen anschieben kann. Da momentan der größte Hemmschuh jedoch die fehlende Renditemöglichkeit bei vielen Bauprojekten ist, kann dieser Impuls auch in Rechtsfällen, neuen Finanzproblemen bei zahlungsschwachen Bauherren und damit Zwangsveräußerungen münden, und nicht nur in etwas mehr Bautätigkeit.
- Der SVR spricht sich für eine Grunderwerbsteuersenkung aus mit Verweis auf Studien, die auf einen Anstieg der Baugenehmigungen schließen lassen. Hier wäre es m.A. wichtig gewesen, dass es eben auch Studien gibt, die steigende Preise im Zuge einer Steuersenkung erwarten lassen. Dies muss zwar nicht grundsätzlich gegen die gesenkten Steuern sprechen, müssen die Erwerbsnebenkosten doch üblicherweise mit Eigenkapital bezahlt werden, aber die Maßnahme ist eben kein free lunch – zumal der Einnahmeausfall der öffentlichen Hand kompensiert werden müsste.
- Bemerkenswert ist schließlich, dass in dem Kapitel wenig zu Finanzierungsfragen steht. Letztlich war es der Zinsanstieg (sowie der Anstieg der Baukosten), der den Markt für Projektentwicklungen und Transaktionen hat einbrechen lassen; die unterschiedlichen Regulierungsschleifen für Finanzinstitutionen verstärken diesen Effekt. Eine Bewertung dieser Bankenregulierungen mit ihren Implikationen für die Angebotsseite wäre auch in Kapitel 4 wertvoll gewesen, eine Verzahnung mit den Ausführungen zur Finanzstabilität als zusätzliche Abwägung hilfreich.
Es ließe sich auch jenseits dieser tatsächlich subjektiv gefärbten sechs Punkte über Maßnahmen und Bewertungen diskutieren. Doch wichtiger als die Suche nach dem perfekten Maßnahmenbündel wären schnelle Umsetzungen möglichst vieler der vorgeschlagenen Maßnahmen, denn die Bauwirtschaft befindet sich in einer scharfer Abwärtsbewegung. Und die Rückwirkungen werden nicht nur über ineffiziente Arbeitsmärkte, sondern eben auch über den fehlenden Bauimpuls die wirtschaftliche Dynamik bremsen.
Insofern besteht der Wert von Kapitel 4 darin, dass es einem wichtigen sozialen Thema unserer Zeit den Raum gibt, den es verdient. Mit Blick auf Tabelle 1 und die seit Jahren steigenden Mieten, Preise, rückläufigen Baugenehmigungen und Kapazitätsauslastungen kommt die Adresse des SVR jedenfalls nicht zu früh. Wünschen wir uns und vor allem den Wohnungssuchenden, dass das Kapitel 4 mehr Medienresonanz und politische Beachtung erfährt.
Quellen:
Dolls, M., Fuest, C., Krolage, C., Neumeier, F. (2020). Who Bears the Burden of Real Estate Transfer Taxes? Evidence from the German Housing Market, VfS Annual Conference 2020 (Virtual Conference): Gender Economics 224525, Verein für Socialpolitik / German Economic Association.
Saiz, A. (2024). Long Run Housing Supply: Role, Determinants, and Measurement (September 25, 2024). MIT Center for Real Estate Research Paper No. 24/11, Available at SSRN: https://ssrn.com/abstract=4967904 or http://dx.doi.org/10.2139/ssrn.4967904
SVR (2024). Versäumnisse angehen, entschlossen modernisieren. Jahresgutachten 2024/2025. Wiesbaden. www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de.
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