Gastbeitrag
Unterschiedliche Denkschulen – unterschiedliche Klimaziele
Was steckt hinter der Debatte um eine Verschiebung des Klimaziels von 2045 auf 2050?

Das Wahlprogramm der FDP zur Bundestagswahl 2025 fordert, das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 im deutschen Klimaschutzgesetz durch das europäische Ziel der Klimaneutralität bis 2050 zu ersetzen. Diese Forderung geht auf das von FDP-Chef Christian Lindner verfasste Papier zur „Wirtschaftswende“ zurück, in dem der damalige Finanzminister argumentiert, dass bei einer Ausweitung des EU-Emissionshandels eine frühere Zielerreichung lediglich zu einer Verschiebung der Emissionen in weniger ambitionierten Ländern führe.

Dem widersprechen in der FAZ vom 16.12. die Europaabgeordneten Peter Liese (CDU) und Michael Bloss (Grüne). Auf den ersten Blick scheint es bei der Kontroverse um die Frage zu gehen, ob wir in Deutschland mehr oder weniger Klimaschutz wollen. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass hier zwei unterschiedliche klimapolitische Denkschulen aufeinanderprallen, die immer weniger miteinander vereinbar sind. Eine Klärung ist daher notwendig.

Nach der immer noch dominierenden Denkschule des nationalen Klein-Klein verpflichten sich einzelne Staaten zu Reduktionszielen. Wie sie diese Ziele erreichen, ist zunächst ihre Sache. Im UN-Klimaregime ist es auch ihre Sache, ob sie die Ziele überhaupt erreichen. Konsequenzen bei Zielverfehlung drohen auf globaler Ebene nicht.

In der EU ist die Situation komplizierter. Rund 40 Prozent der europäischen CO2-Emissionen sind bereits vom EU-Emissionshandel erfasst. Eine europaweite Mengenbegrenzung stellt sicher, dass die Emissionen in den Sektoren Industrie und Energie entsprechend den politischen Vorgaben sinken. Nationale Reduktionsziele sind für diese Sektoren nicht sinnvoll. Anders sieht es bisher in den noch nicht vom EU-Emissionshandel erfassten Sektoren wie Wärme und Verkehr aus. Hier soll die so genannte Lastenteilungsverordnung die Zielerreichung sicherstellen. Sie gibt den einzelnen Ländern Minderungsziele vor. Werden diese nicht eingehalten, drohen Ausgleichszahlungen.

Wenn die FDP nun das deutsche Ziel der Klimaneutralität von 2045 auf das europäische Ziel von 2050 verschieben will, dann verlässt sie die Denkschule des nationalen Klein-Klein und in den Sektoren Wärme und Verkehr das geltende EU-Recht. Daraus macht die FDP keinen Hehl. Vielmehr will sie den Lastenausgleich abschaffen, wenn es ab 2027 oder 2028 auch in den Sektoren Wärme und Verkehr einen Emissionshandel gibt. Denn wenn der Emissionshandel die übergeordneten europäischen Klimaziele erreicht, braucht es auch dort keine untergeordneten nationalen Ziele mehr.

Die Grundidee: Der Emissionshandel kann seine Vorteile umso besser ausspielen, je mehr Länder und Sektoren er umfasst. Denn der Emissionshandel ist eine große, marktwirtschaftlich organisierte Suche nach den geringsten Vermeidungskosten. Mehr Teilnehmer erhöhen die Chance, mehr Kosten einzusparen. Das funktioniert besonders gut, wenn der Emissionshandel teure und kleinteilige Verbote, Ziele und Subventionen ersetzt und nicht nur ergänzt. 

Die Denkschule von Michael Bloss setzt dagegen auf genau diese kleinteiligen Verbote, Ziele und Subventionen. Auf sie zu verzichten, sei „wirtschaftsschädigend“. Wenn der Staat Unternehmen und Bürger mit einem ganzen Instrumentenkasten zwinge, schon 2045 klimaneutral zu werden, könnten sie sich die Kosten für teure Zertifikate sparen, so Bloss. Warum die Unternehmen nicht selbst auf diese Idee kommen, verrät Bloss nicht. Die Wahrheit ist: Kleinteilige Vorgaben führen zu höheren Kosten für Unternehmen und Verbraucher. Sie sind wirtschaftsschädigend, nicht der Emissionshandel.   

Zwischen diesen Denkschulen positioniert sich Peter Liese. Er kämpft seit Jahren für den Emissionshandel in Europa. Wenn wir 2027 einen Emissionshandel für Wärme und Verkehr bekommen, dann ist das ganz wesentlich Peter Liese zu verdanken. Liese weiß aus jahrzehntelanger Erfahrung, wie schwierig es ist, zum Beispiel unsere osteuropäischen Nachbarn für den Emissionshandel zu gewinnen. Aber gerade deshalb muss sich die Politik auf die Denkschule des Emissionshandels konzentrieren und dies mit einem einheitlichen Klimaziel in der EU dokumentieren. Sonst könnte der Druck auf die europäische Politik nachlassen, mit dem EU-ETS II einen gemeinsamen Emissionshandel auch für die Sektoren Wärme und Verkehr in Europa zu etablieren.

Der Weg zum ETS II ist steinig genug. Zusätzliche Hürden und Kosten könnten das Ende des ETS II bedeuten, bevor es überhaupt begonnen hat. Davon würde eine dritte Denkschule profitieren, die sich gegen jegliche klimapolitische Anstrengung stellt. Daran sollte niemand Interesse haben, dem es ernsthaft um die Begrenzung der weltweiten CO2-Emissionen geht. Die FDP hat dies erkannt. Die Angleichung des nationalen und des europäischen Klimaziels ist damit gerade auch aus klimapolitischer Verantwortung geboten.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert