Die wirtschaftspolitische Bilanz der Zeit seit 2018 fällt besorgniserregend aus. Deutschlands Wirtschaft ist seitdem kaum gewachsen, bildet das Schlusslicht im Vergleich mit relevanten Wettbewerbern und verzeichnet wieder steigende Arbeitslosigkeit und Insolvenzen. Ursache dieser Entwicklung sind nicht zu geringe Staatsschulden, sondern verschlechterte wirtschaftliche Rahmenbedingungen, die den Standort Deutschland weniger wettbewerbsfähig gemacht haben. Hier ist anzusetzen, um einen weiteren Abstiegsprozess zu beenden und wieder in die Erfolgsspur zurückzukehren.
Die neue Regierung sollte zunächst mit einer ungeschminkten Bestandsaufnahme beginnen. Sie wird dabei zu dem Ergebnis kommen, dass die Entwicklung der deutschen Wirtschaft seit dem Jahr 2018 das Schlusslicht unter den größeren Volkswirtschaften bildet, dass die privaten Haushalte in dieser Zeit keine Realeinkommenssteigerungen zu verzeichnen hatten und dass mit dem trendmäßigen Produktions- und Beschäftigungsrückgang in der Industrie eine Deindustrialisierung eingesetzt hat.
Ins Bild gehört auch, dass die Investitionen internationaler Unternehmen in Deutschland zurückgehen, während mehr und mehr deutsche Unternehmen im Ausland investieren oder planen das zu tun. In allen relevanten Standortvergleichen ist Deutschland in den letzten Jahren kräftig abgerutscht. Die deutsche Wachstumsschwäche, die schon vor der Ampelregierung begann, hat inzwischen einen deutlichen Anstieg der Insolvenzen und der Arbeitslosigkeit zur Folge.
Diese Fakten sind eindeutig. Dennoch gibt es Ökonomen und nicht wenige Politiker, die meinen, der Standort würde nur schlecht geredet und die Klagen seien das eigentliche Problem, weil sie psychologische Wirkung entfalten und die Konjunktur damit schwächen. Diese Sichtweise gleicht einer Realitätsverweigerung.
Eine klare Ursachenanalyse ist notwendig
Wie ist es zu erklären, dass das von konjunkturellen Entwicklungen unabhängige Potentialwachstum der deutschen seit Jahren zurückgeht und das Produktivitätswachstum zum Stillstand gekommen ist? Im politischen und medialen Raum dominiert zurzeit die These, es sei die Schuldenbremse des Grundgesetzes, die nötige Investitionen des Staates und somit Wachstum verhindere. Diese Erklärung ist politisch vielleicht bequem – denn was kann man schon tun, wenn keine Verschuldungsmittel zur Verfügung stehen –, aber völlig unzureichend.
Natürlich ist es richtig, dass Deutschland mehr Investitionen in Bildung, Infrastruktur und Verteidigung braucht. Aber es war nicht die Schuldenbremse, sondern die Unfähigkeit der Politik, die richtigen Prioritäten zu setzen, um die selbst beklagte Investitionsschwäche im öffentlichen Bereich zu überwinden. Die Schulden sind langfristig stark gestiegen, aber sie dienten vor allem dazu, konsumtive und verteilungspolitische Ausgaben des Staates zu finanzieren. Die öffentlichen Investitionen sind dagegen zu gering geblieben, die Investitionsquote des Staates lag vor 30 Jahren knapp unter 3 % des Bruttoinlandsprodukts. Und da liegt sie auch heute noch. Die Folgen mangelnder Prioritätensetzung kann man im Bildungsbereich oder bei der Infrastruktur besichtigen.
Der Fokus auf die Schuldenbremse liefert ein schiefes Bild
Das Gefährliche an der Debatte zur Reform der Schuldenbremse ist nicht, dass damit die Schulden außer Kontrolle geraten könnten, sondern dass die Politik mit höheren Staatsausgaben vorgibt, alles Notwendige zur Gesundung der deutschen Wirtschaft getan zu haben. Das ist eben nicht der Fall. Zur Gesundung der Wirtschaft und zur Transformation in eine grüne und digitale Zukunft braucht es einige Strukturreformen, die die private Investitions- und Innovationsaktivität wieder stärken. Es geht darum, den volkswirtschaftlichen Kapitalstock Schritt für Schritt zu erneuern, energieeffizienter und produktiver zu machen. Dazu bedarf es privater Investitionen, die etwa das Achtfache der öffentlichen Investitionen betragen. Sie werden nur dann in erforderlichem Maß steigen, wenn die Rahmenbedingungen für Investitionen und Innovationen in Deutschland stimmen.
Die Fokussierung der Debatte auf die Schuldenbremse und öffentliche Investitionen und Subventionen liefert daher ein sehr unvollständiges Bild.
Wie es zum Abstieg des Standorts Deutschland kam
Der Wirtschaftsstandort Deutschland weist inzwischen umfassende Standortnachteile auf, die bei unternehmerischen Entscheidungen in die Waagschale geworfen werden, und die einem Aufschwung und einer raschen Transformation der Wirtschaft entgegenstehen. Deutschland ist in praktisch allen wichtigen Standortfaktoren in den letzten Jahren im internationalen Vergleich auf die hinteren Plätze zurückgefallen – bei der Belastung mit Körperschaftsteuer und Einkommenssteuer, bei den Lohnkosten in der Industrie, bei den Sozialabgaben der Arbeitnehmer und Arbeitgeber, bei den Energiekosten für Unternehmen und private Haushalte, bei den Bürokratiekosten und der Geschwindigkeit von Entscheidungsverfahren, nicht zuletzt im Bereich der Infrastruktur. Beim Arbeitskräfteangebot, einer traditionellen Stärke, gibt es ebenfalls erhebliche Engpässe. Der Standort Deutschland ist so nicht mehr wettbewerbsfähig und es ist nicht verwunderlich, dass die Unternehmen sich mit Investitionen zurückhalten.
Es besteht dringender Handlungsbedarf
Es gibt also einen dringenden Handlungsbedarf. Schnell wirkende und für den Staat finanzierbare Reformen gibt es durchaus. Beispielsweise könnte mit einer nennenswerten allgemeinen Abschreibungserleichterung ein starker Investitionsanreiz gesetzt werden, der dem Staat nur vorübergehend Mindereinnahmen, langfristig aber Mehreinnahmen brächte. Weitere Handlungsnotwendigkeiten liegen im Bereich der Energiekosten, wo ebenfalls schnell entlastet werden müsste, um allzu große Nachteile für die deutsche Wirtschaft abzubauen.
Handlungsbedarf besteht auch in den Sozialsystemen, die nicht sozial sind, wo sie den Anreiz untergraben, dass Menschen für sich selbst sorgen und ihre Arbeitskraft anbieten. Im Bereich des Bürgergeldes sind hier angesichts von etwa vier Millionen erwerbsfähigen Bürgergeldempfängern Fehlentwicklung offenkundig. Sie zu beheben und das Arbeitsvolumen zu erhöhen, würde den Arbeitsmarkt entlasten, die Staatsausgaben senken und mehr wirtschaftliche Aktivität, also auch Steuereinnahmen erzeugen. Im Rahmen der Rentenversicherung sollte auf weitere kostspielige Maßnahmen verzichtet werden, wie sie mit der sogenannten Rente mit 63 beschlossen wurden und wie sie die Ampelregierung mit dem Rentenpaket II vorhatte. Solche Maßnahmen steigern die Belastungen der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber und sind ein sicherer Weg den beginnenden Anstieg der Arbeitslosigkeit zu beschleunigen.
Schlussendlich gibt es Handlungsbedarf im Bereich der Bürokratielasten, die von den Unternehmen in allen Umfragen als großes Wachstumshindernis angegeben werden. Bekenntnisse zum Bürokratieabbau hat es in der Vergangenheit wohl von allen Regierungen gegeben, jetzt wären endlich einmal durchgreifende Maßnahmen zu erwarten.
Was die neue Regierung tun sollte
Die neue Regierung wird zunächst eine wirtschaftliche Bilanz ziehen müssen – nicht allein über die drei schwierigen Jahre der Ampelkoalition, sondern mindestens über die Zeit seit 2018 und die Ursachen der sehr enttäuschenden Entwicklung in Deutschland.
Die Erkenntnis sollte inzwischen gereift sein, dass die Wirtschaftskraft Deutschlands nicht durch mehr Staatsausgaben und allerlei Subventionen für E-Autos, Wärmepumpen, Stahlwerke, Energieversorger wiederhergestellt werden kann. Es bedarf einer entschiedenen Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, denen seit vielen Jahren in der Politik keine Beachtung geschenkt wurde und die sich im Vergleich zu anderen Ländern erheblich verschlechtert haben. Nur die richtige Diagnose kann zu erfolgreichen Lösungen führen.