Grünes Wirtschaftswunder oder Deindustrialisierung?

Noch-Bundeskanzler Olaf Scholz hat ein „grünes Wirtschaftswunder“ als Folge der Energiewende versprochen. Inzwischen zeigt sich, dass das genaue Gegenteil eintritt. Die deutsche Industrieproduktion kommt nicht mehr in Gang. Der Produktionsindex liegt etwa 7 Punkte unter dem Wert von 2014 und 17 Punkte unter dem Höchstwert von 2017. In den anderen Ländern der EU steigt die Produktion, in Deutschland geht sie zurück. Es ist von Deindustrialisierung die Rede. Wie kommt es dazu und warum lag der Kanzler mit seiner Prognose offensichtlich falsch?

Die Energiewende setzt sich aus einer Reihe von Maßnahmen zusammen. In erster Linie sieht sie den Abriss des fossilen Kapitalstocks und den Neuaufbau eines auf erneuerbaren Energien basierenden Kapitalstocks vor. Konkret bedeutet das, dass die fossilen Kapitalgüter wie Kraftwerke, Großfeuerungsanlagen aber auch Heizungen und Fahrzeuge stillgelegt und abgerissen werden um sie durch Kapitalgüter zu ersetzen, die entweder erneuerbaren Strom produzieren, oder mit ebensolchem betrieben werden sollen. Abgesehen von der Frage, ob dieser Austausch klappt, stellt sich die Frage, ob er ein Wachstumstreiber sein kann – denn das stellt sich die Politik offensichtlich vor. Nehmen wir an, ein Kohlekraftwerk wird abgerissen und durch Windkraftanlagen ersetzt. Eine solche Substitution ist sehr teuer. Die WKA müssen errichtet werden und ihr Betrieb muss subventioniert werden, außerdem bedarf es erheblicher Aufwendungen um den volatil eingespeisten Strom zu integrieren. Wenn alle diese Kosten erbracht und alle notwendigen Anlagen gebaut sind, ist es dann zu Wirtschaftswachstum gekommen? Ein solches läge dann vor, wenn entweder das Produktionspotential gestiegen wäre oder mehr Güter produziert werden. Beides ist nicht der Fall. Im Idealfall haben wir nach allen Investitionen genauso viel Strom wie vorher. Allerdings ist der teurer als der fossil erzeugte und er ist weniger zuverlässig verfügbar. Anstelle von Wachstum kommt es also in erster Linie zu einer Verschlechterung der Produktionsbedingungen, weil Energie teurer und schlechter verfügbar geworden ist. Erschwerend kommt hinzu, dass hohe Opportunitätskosten entstehen. Die Ressourcen, die in den Bau und die Subvention von erneuerbarem Strom fließen, stehen an anderer Stelle nicht zur Verfügung. Dadurch unterbleiben Investitionen, die das Produktionspotential steigern könnten und damit Wachstum möglich machen.

Ein weiteres Element der Energiewende ist der Einsatz planwirtschaftlicher Methoden. Gut studieren lässt sich deren Effekt am Verbot des Verbrennermotors, den die EU faktisch ausgesprochen hat. Ab 2035 sollen nur noch E-Autos gebaut werden. Die Automobilindustrie wird dazu durch sogenannte Flottenemissionsvorschriften gezwungen. Schon heute sind diese Vorschriften nicht mehr einzuhalten, ohne einen erheblichen Anteil E-Autos zu verkaufen. Deshalb haben die großen Hersteller Teile der Produktion auf diese Technik umgestellt und dafür Milliarden investiert. Allerdings zeigt sich, dass zwar die Politik der Meinung ist, dass es eine gute Idee sei, die Menschen zum E-Auto zu zwingen, die Menschen aber diese Idee nicht wirklich teilen. Sie fragen viel weniger davon nach, als produziert werden müssten, um die Emissionswerte einhalten zu können. Das Ergebnis ist bekannt. Die Automobilindustrie befindet sich in der Krise, muss Werke schließen und Massenentlassungen vornehmen und obendrauf auch noch Strafen in Milliardenhöhe zahlen. Das ist staatlich verordnete Deindustrialisierung, aber kein Wirtschaftswachstum.

Zu allem Überfluss reguliert Deutschland mit der Energiewende einen Sektor, der durch die EU bereits reguliert ist. Der Europäische Emissionshandel sorgt dafür, dass die deutschen Anstrengungen im Rahmen der Energiewende ins Leere laufen. Die in Deutschland eingesparten CO2-Mengen werden im Ausland zusätzlich emittiert, denn im Emissionshandelssektor wird die Emissionsmenge allein durch die Anzahl der dort ausgegebenen Emissionsberechtigungen festgelegt – und die ändert sich durch deutsche Windkraftanlagen oder Solardächer nicht. Wir sparen dadurch kein CO2 ein, aber die Ressourcen, die wir für den Austausch des Kapitalstocks ausgeben, fehlen an anderer Stelle. Eigentlich müssten wir dringend in Digitalisierung, Forschung und Entwicklung, Infrastruktur, Bildung und Gesundheit investieren – geht leider nicht, weil die Ressourcen in die Energiewende gesteckt werden.

Hinweis: Der Beitrag erscheint im Januar-Heft (1/2025) der Fachzeitschrift WiSt als Leitartikel.

Podcast zum Thema:
Deutschland im Umbruch: Droht De-Industrialisierung?

Prof. Dr. Norbert Berthold (JUM) im Gespräch mit Prof. Dr. Oliver Holtemöller (IWH)

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