Erneuerbare Energien
Die Trittbrettfahrer bei der Energiewende

Die Energiewende gilt als gesellschaftliche Gemeinschaftsaufgabe. Doch dieses Narrativ trifft immer weniger zu: Unterstützt vom Staat haben Millionen Privathaushalte und Betriebe in Photovoltaik-Anlagen und Batteriespeicher investiert und beziehen dank des selbst produzierten Solarstroms weniger Strom aus dem öffentlichen Netz. Daher zahlen sie weniger Netzentgelte, Strom- und Mehrwertsteuer sowie weniger Umlagen – Komponenten des Strompreises, die je Kilowattstunde Elektrizität, die aus dem öffentlichen Stromnetz bezogen wird, entrichtet werden müssen.

Die Netzentgelte von derzeit knapp 11 Cent, die Stromsteuer von 2,05 Cent, die Umlagen und die auf alle diese Preiskomponenten zu zahlende Mehrwertsteuer, ergeben zusammen ein Betrag von etwas über 24 Cent je Kilowattstunde, die sich die auf diese Art aus dem Stromsystem Flüchtenden ersparen können. Während dem Staat so Steuereinnahmen verloren gehen, steigen dadurch die Umlagen und Netzentgelte für die übrigen Stromverbraucher, denn sowohl die Umlagen als auch die Kosten für die Stromnetze müssen auf eine geringere Strommenge umgelegt werden.

Zugleich sind nahezu alle Solarhaushalte und –betriebe auf die öffentliche Stromversorgung angewiesen, denn kaum jemand ist autark und kann sich allein mit Strom versorgen: Ein Selbstversorgungsgrad von 100 % ist aus wirtschaftlichen Gründen nicht erstrebenswert. In Summe zahlen sie aber weniger Steuern, Umlagen und Netzentengelte wie vergleichbare Haushalte und Betriebe. In den Wirtschaftswissenschaften bezeichnet man dies als Trittbrettfahren.

Es ist sonnenklar, dass nicht noch viele weitere Millionen Haushalte und Betriebe Systemflucht begehen können, während dadurch die Stromrechnungen der übrigen Verbraucher ansteigen, die sich diese Flucht aus finanziellen Gründen nicht leisten können, etwa weil sie zu den ärmeren Schichten der Gesellschaft gehören. Diese Unwucht ließe sich leicht beheben, denn der Anstieg der Netzentgelte könnte durch eine Änderung der Systematik, wie die Netzkosten umgelegt werden, eingedämmt werden: Statt Netzentgelte pro Kilowattstunde zu erheben, könnten die Netzentgelte zum Beispiel je Kilowatt Anschlussleistung bemessen werden. Damit würden sich Solarhaushalte in derselben Weise an der Finanzierung des Stromnetzes beteiligen wie ihre Nachbarn, die keine PV-Anlage, aber dieselbe Anschlussleistung haben.  

Es ist höchste Zeit, dass sich die Politik mit den diesbezüglichen Änderungsvorschlägen der Bundesnetzagentur befasst, die diese im Mai in einem Diskussionspapier veröffentlicht hat. Allerdings wäre es viel zu spät, wenn die dringend nötige Reform erst nach dem Auslaufen der noch bis zum 31. Dezember 2028 geltenden Stromnetzentgeltverordnung in Kraft treten würde.

Das Trittbrettfahrerproblem ist bei der Energiewende allerdings noch weitaus größer, als es bei den PV-Dachanlagen zu Tage tritt. Denn auch Solar- und Windparks verursachen hohe Kosten, die deren Betreiber nicht begleichen müssen: Weil Wind und Sonne nicht immer dann Strom liefern, wenn er gebraucht wird, und auch nicht immer dort, wo er gebraucht wird, braucht es Unmengen an Stromspeichern und es müssen konventionelle Reservekraftwerke vorgehalten werden, um die Wintertage, an denen kaum der Wind weht und die Sonne nicht scheint, zu überbrücken. Auch die Stromnetze müssen wegen des Erneuerbaren-Ausbaus in massivem Maße ausgebaut werden. Für diese Systemkosten für Netze, Speicher und Reservekraftwerke werden die Stromverbraucher und die Steuerzahler zu Kasse gebeten. Sie machen die Energiewende teuer. Allein der Netzausbau verschlingt laut Netzentwicklungsplan NEP 2037/2045 bis zum Jahr 2045 weit über 700 Milliarden Euro.

Wenn also immer wieder betont wird, dass die Stromerzeugungskosten von Erneuerbaren stark gesunken sind und diese kostengünstiger seien als die fossilen Konkurrenten, sollte nicht verschwiegen werden, dass die immensen, vorwiegend durch die Erneuerbaren verursachten Systemkosten diesen nicht in Rechnung gestellt werden. Dieses Trittbrettfahrerverhalten sollte schleunigst beendet werden, unter anderem indem Betreiber von Wind- und Solarparks den Stromnetzausbau mitfinanzieren. Würden Investoren von Erneuerbaren-Anlagen für die von ihnen verursachten Kosten aufkommen müssen, würde niemand mehr Interesse an einem Erneuerbaren-Anteil am Strommix von 100 % haben, wie er bis zum Jahr 2035 angestrebt wird. Stattdessen würde ernsthaft über Alternativen zum sehr teuren Erneuerbaren-Ausbau nachgedacht werden.

Hinweis: Der Kommentar erscheint als Leitartikel in Heft 11 (2025) der Fachzeitschrift WiSt

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