Gastbeitrag
Die Bürgergeld-Reform
Zurück in die Zukunft

Bereits im Koalitionsvertrag hatten sich SPD und Union überraschend geräuschlos auf weitreichende Änderungen der missglückten Bürgergeld-Reform geeinigt. Mitte Oktober präsentiert das Bundesministerium für Arbeit den Entwurf einer Reform, der in weiten Teilen in die richtige Richtung weist. Wesentliche Reformschritte zu einer neuen Grundsicherungsleistung betreffen unter anderem das Sanktionsregime und die Voraussetzungen zum Leistungsbezug.

Ein erster Eckpunkt der neuen Grundsicherungsleistung besteht in der Wiederherstellung von mehr Verbindlichkeit beim „Kooperationsplan“. Diesen erarbeiten Jobcenter und Hilfeempfänger am Beginn des Leistungsbezugs und legen darin beiderseitig Rechte und Pflichten fest – unter anderem auch die Eigenbemühungen zur Eingliederung in Arbeit. Eine Neuerung des Bürgergeldes bestand seinerzeit darin, diese Vereinbarung nicht mit einer Rechtsfolgenbelehrung zu versehen. Davon versprach man sich ein Agieren auf „Augenhöhe“. Tatsächlich wurde damit aber vor allem die Verbindlichkeit geschwächt, weil ohne Rechtsfolgenbelehrung keine Sanktion verhängt werden kann. Es wurde für die Jobcenter komplizierter und aufwendiger, eine Pflichtverletzung zu sanktionieren. Die meisten Jobcenter-Mitarbeiter sahen im Kooperationsplan einen der kritischsten Punkte der Reform (Bernhard et al., 2024). Die Bundesregierung will das Verfahren nun wieder ein wenig verbindlicher gestalten. Die rechtsfolgenbewehrte Aufforderung zur Mitarbeit soll künftig bereits nach dem ersten Meldeversäumnis erfolgen können. Grundsätzlich wäre hier ein noch stringenteres Vorgehen vorstellbar, etwa indem auf die Praxis aus der Zeit vor der Bürgergeld-Reform zurückgegriffen wird. Damit könnte von Beginn an klarer gemacht werden, dass die Gesellschaft für ihre Hilfe eine Gegenleistung erwartet – und auch willens und in der Lage ist, diese einzufordern.

Der zweite Eckpunkt besteht in einer Ausweitung der Sanktionen selbst. Das gilt erstens für Meldeversäumnisse. Bislang konnte ein verschuldetes Meldeversäumnis mit einer Kürzung von 10 Prozent des Regelsatzes von derzeit 563 Euro für einen Monat sanktioniert werden. Mehrere Versäumnisse konnten sich zu einer Kürzung von maximal 30 Prozent addieren, was der vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Höchstgrenze entspricht. Für hartnäckige Verweigerer bestand darüber hinaus kaum Handhabe. Dem Plan der Koalition zufolge soll ein erster versäumter Termin künftig zwar ohne Sanktion bleiben, wird aber ein zweiter Termin versäumt, droht eine Kürzung des Regelsatzes um 30 Prozent für einen Monat. Erscheint der Geladene auch zu einem dritten Termin nicht, soll der Regelbedarf komplett eingestellt werden. Er wird aber rückwirkend vermindert um die Sanktion ausgezahlt, wenn der Sanktionierte innerhalb eines Monats wieder beim Jobcenter erscheint. Passiert dies nicht, sollen sämtliche Leistungen einschließlich der Kosten der Unterkunft gestrichen werden. Spannend wird sein, ob man dies mit der Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts vereinbaren kann. Die Sichtweise im Gesetzentwurf ist, dass aufgrund der Nichterreichbarkeit eine der Voraussetzungen für den Leistungsbezug fehlt.

Zweitens wird eine Sanktionsverschärfung für Pflichtverletzungen – zum Beispiel die Weigerung, eine arbeitsmarktpolitische Maßnahme anzutreten – in Aussicht gestellt. Bislang reicht die Sanktion abgestuft von 10 Prozent des Regelbedarfes für einen Monat beim ersten Regelverstoß bis 30 Prozent für drei Monate beim dritten. Künftig soll die Grundsicherung unmittelbar um 30 Prozent des Regelbedarfs für drei Monate gekürzt werden. Im Falle einer Ablehnung von Arbeit droht sogar eine Minderung des Regelbedarfes um 100 Prozent für einen Monat oder sogar zwei Monate, wenn ein Arbeitsangebot weiterhin besteht. Die bisherige Voraussetzung einer weiteren, vorhergehenden Pflichtverletzung soll entfallen. Diese Möglichkeit einer Totalsanktion stützt sich auf die Urteilsbegründung des Bundesverfassungsgerichtes, der zufolge in solchen Fällen keine Bedürftigkeit vorliege.

Sowohl die Vereinfachung des Sanktionsprozesses als auch die Verschärfung der Sanktionshöhe sind Schritte in die richtige Richtung. Sanktionen haben sich in vielen Studien als effektiv erwiesen – sie beschleunigen die Eingliederung in Arbeit (Schäfer, 2022). Dies gilt sogar für Personen, die gar nicht sanktioniert wurden (Wolf, 2024). Der Effekt entspricht dem eines Tempolimits. Dies wirkt auch auf alle Autofahrer, nicht nur auf solche, die geblitzt wurden. Mit der Sanktionsverschärfung könnte die im Zuge der Bürgergeld-Reform gesunkene Übergangsrate in Arbeit (Weber, 2026) wieder angehoben werden. Auf diesem Weg wären auch Einsparungen erwartbar – allerdings eher in der mittleren Frist, da Verhaltensänderungen selten unmittelbar eintreten.

Ein dritter Eckpunkt der neuen Grundsicherung darin, die im Zuge der Bürgergeldreform herabgesetzten Voraussetzungen zum Leistungsbezug wieder anzuheben. Das betrifft die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft und das Schonvermögen. Die geltende Regelung kann dazu führen, dass Leistungsempfänger in größeren Wohnungen leben und ein höheres Vermögen haben als Menschen, die die Leistung mit ihren Steuerzahlungen finanzieren. Beides mag empirisch keine hervorgehobene Rolle spielen, ist aber von Bedeutung für das Gerechtigkeitsempfinden und die Akzeptanz der Grundsicherung. Die Karenzzeit von einem Jahr, in der gegenwärtig ein höheres Schonvermögen von bis zu 40.000 Euro gilt, wird abgeschafft. Künftig soll ein nach Alter gestaffeltes Schonvermögen gelten, das erst in der Endstufe die bisher – nach Ablauf der Karenz – geltenden 15.000 Euro erreicht. Selbst genutztes Wohneigentum und Altersvorsorgevermögen bleiben weiterhin anrechnungsfrei. Bei den Kosten der Unterkunft bleibt die Karenzzeit von einem Jahr erhalten, soll jedoch modifiziert werden. Während bislang tatsächliche Aufwendungen ohne Begrenzung anerkannt werden, soll es künftig eine Grenze vom Anderthalbfachen der eigentlich als angemessen geltenden Aufwendungen geben.

Neben den oben diskutierten Änderungen sieht der Gesetzentwurf eine Reihe weiterer Punkte vor, die teils auch geeignet sind, den Charakter der Grundsicherung als temporäre Hilfe zur Selbsthilfe wiederherzustellen. Darunter fällt zum Beispiel die Wiedereinsetzung des Vermittlungsvorrangs. Dadurch wird sichergestellt, dass die Eingliederung in Arbeit oberste Priorität haben sollte, ohne dadurch die Umstände des Einzelfalls aus dem Auge zu verlieren. Positiv zu werten ist ferner die Maßgabe, dass künftig Eltern mit Kindern im Alter von über einem Jahr grundsätzlich den Vermittlungsbemühungen zur Verfügung stehen müssen – bisher gilt eine Grenze von drei Jahren. Die neue Regelung kann die Aktivierung von Eltern stärken. Die Berücksichtigung individueller Umstände bleibt dabei erhalten.

Insgesamt scheint der Gesetzentwurf die Erwartung einer nicht nur namentlichen, sondern auch inhaltlichen Abkehr vom Bürgergeld durchaus einzulösen. Mehr Verbindlichkeit, schärfere Sanktionen und höhere Voraussetzungen des Leistungsbezugs stärken die Grundidee der Grundsicherung, der zufolge Menschen in Not Anspruch auf die solidarische Hilfe der Gesellschaft haben – im Gegenzug aber das Bemühen schulden, künftig möglichst ohne diese Hilfe auszukommen.

Literatur

Bernhard, Sarah et al., 2024, Jobcenter-Beschäftigte finden die verschiedenen Elemente des Bürgergeldes unterschiedlich sinnvoll, IAB-Forum 18. November 2024, https://iab-forum.de/jobcenter-beschaeftigte-finden-die-verschiedenen-elemente-des-buergergeldes-unterschiedlich-sinnvoll/ [18.10.2025]

Schäfer, Holger, 2022, Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Bundesregierung. Entwurf eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze – Einführung eines Bürgergeldes (Bürgergeld-Gesetz) Bundestags-Drucksache 20/3873 und weitere Anträge, IW-Report, Nr. 58, Berlin

Weber, Enzo, 2026, The dovish turnaround: Germany’s social benefit reform and job findings. Journal of Policy Analysis and Management, 45, e22648. https://doi.org/10.1002/pam.22648

Wolf, Markus, 2024, Bereits die Möglichkeit einer Sanktionierung zeigt Wirkung, IAB-Kurzbericht Nr. 15/2024, Nürnberg

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