„Die Welt hat nur langsam begriffen, daß wir dieses Jahr im Schatten eines der größten wirtschaftlichen Zusammenbrüche der neueren Geschichte leben. Aber während sich der Mann auf der Straße jetzt dessen bewußt ist, was geschah, ist er, in Unkenntnis über das Warum und Woher, jetzt ebenso voll von vermutlich übertriebenen Ängsten, während ihm ein Maß an vernünftiger Furcht fehlte, als sich die ersten Störungen zeigten“. Dies schrieb John Maynard Keynes 1930 in einem gerade heute lesenswerten Beitrag „Der große Wirtschaftssturz von 1930“. Und er fügt an: „heute haben wir uns in einen riesigen Wirrwarr verstrickt, haben gefehlt in der Herrschaft über eine feinfühlige Maschine, deren Arbeitsweise wir nicht verstehen. Das Ergebnis ist, daß unsere Wohlfahrtsmöglichkeiten ins Leere laufen, vielleicht für eine lange Zeit.“
Dieser Original-Keynes ist aktuell – und doch akademisch fast tot. Stattdessen ist ein Keynesianismus politisch wieder am Leben, dessen Staatsgläubigkeit ausufernde öffentliche Verschuldung, die hohen Inflationsraten sowie die steigende Arbeitslosigkeit der späten 1970er Jahre herbeigeführt haben. Die Sache ist verstrickt. Die hier vertretene, vielleicht zur Entwirrung beitragende, These lautet: Von Keynes können wir gerade heute wieder (methodisch) Einiges lernen, ohne die Fehler des Keynesianismus (politisch) wiederholen zu müssen.
Keynes und die Keynesianismen
Keynes war kein Keynesianer. Denn: den Keynesianismus gibt es nicht und hat es nie gegeben. Vielmehr nehmen unterschiedliche Interpreten für sich in Anspruch, die richtige Lesart des Keynesschen Vermächtnisses zu verbreiten. Man wird sich wohl nie auf den ,wahren Keynes’ einigen können. Schon der Meister selbst wechselte so häufig seine Meinungen, dass es sein akademischer Rivale Hayek just bei der Publikation der „General Theory“ (Keynes 1936) aufgab, sich weiter mit Keynes’ „Wirrwarr“ auseinanderzusetzen und dies später als einen seiner größten Fehler bekannte. Innerhalb der verschiedenen Nachlassverwalter lassen sich grob eine neokeynesianische und eine postkeynesianische Strömung unterscheiden, die sich wieder in weitere Unterströmungen aufspalten. „Neokeynesianismus“ meint eine Annäherung an den neoklassischen mainstream in Form der „neoklassischen Synthese“, die J.R. Hicks schon 1937 in Form des berühmten IS/LM Schemas formuliert hat. Noch heute begeistert viele Studierende und Politiker die Vorstellung, gesamtwirtschaftliche IS- oder LM- Kurven durch fiskal- und geldpolitische Expansion so weit nach rechts hinaus zu schieben, bis die Volkswirtschaft wieder im Vollbeschäftigungs-Lot ist.
„Post-Keynesianer“ wiederum nennt sich ein bunter Haufen dem mainstream heftig widersprechender Ökonomen. Neben (Post-) Marxisten befinden sich hierunter auch radikale Subjektivisten wie der Hayek-Schüler George L.S. Shackle. Gerade in seinem vom mainstream ignorierten Werk (z.B. Shackle 1972) kann man gut das epistemologisch fundiert wiederfinden, was schon Keynes – noch eher eklektisch – zur Erklärung von dauerhafter Unterbeschäftigung und akuter Krise anführte: Radikale Unsicherheit der Investoren über die Zukunft und ein dadurch angestachelter Herdentrieb könne die „animalischen Instinkte“ der Akteure anfangs in irrationale Über- und Fehlinvestitionen stürzen. Sobald die tatsächliche „Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals“ aber den überzogenen Ertragserwartungen nicht mehr hinterherkommt, entstehe extreme Verunsicherung, eine Art Schockstarre seitens der Akteure, die das Marktsystem in eine „Stockung“ versetze, aus der keine endogenen Kräfte (Preisanpassungen) sobald heraushelfen könnten.
In dieser Betonung der fundamentalen Unsicherheit für das Entstehen von Wirtschaftskrisen dürfte der Kern dessen liegen, was heute noch an der Keynes“˜schen Theorie wichtig ist. Aufgrund ihrer Unsicherheit orientieren sich die Akteure an den Handlungen der anderen. Dies führt im Boom zu überzogenem Optimismus und in der Krise zu übertriebenem Pessimismus. Hier setzt nun auch Keynes’ Therapie der Krisenbekämpfung an: Wenn selbst ein Zinssatz von Null (wie inzwischen seitens der US-Notenbank gesetzt) aufgrund pessimistischer Erwartungen die Investoren nicht zum Investieren und die Konsumenten nicht zum Kaufen anregen kann („Liquiditätsfalle“), müsse der Staat durch eigene Ausgabenprogramme selbst für Nachfrage sorgen. Die Aktualität der psychologischen Krisenerklärung ist offenkundig. Kaum jemand wird bestreiten wollen, dass der Herdentrieb entscheidenden Anteil an der Subprime-Krise hatte. Die Notwendigkeit einer (vulgär-) keynesianischen Therapie folgt hieraus aber noch nicht.
„Bastard-„ und Vulgärkeynesianismus“
Schon für den „post-hicks’schen“ „Neokeynesianismus“, der versuchte, Keynes in ein neoklassisches Gleichgewichtskonzept bei im Prinzip flexiblen Preisen und Löhnen zu integrieren und genau die „weichen“ psychologischen und institutionellen Rahmenbedingungen in das Prokrustesbett des extern „Gegebenen“ zu verbannen, hatte Keynes“˜ Kollegin Joan Robinson das wenig schmeichelhafte Urteil eines „Bastardkeynesianismus“ parat. Es führte zu weit, sich in diesen Familienstreit einzumischen. Stattdessen kann man den Begriff des „Vulgärkeynesianismus“ für diejenigen akademischen IS-LM Verschieber und konstruktivistischen Politiker nutzen, die dachten, Keynes“˜ Werk im Zeitgeist des Machbarkeitswahns der 1960er und -70er darauf reduzieren zu können, eine Anleitung für eine nach allen Regeln der Ingenieurskunst zu betreibende Globalsteuerung zu liefern.
Warum diese Ingenieursphantasie damals nicht hat aufgehen können, haben Generationen von überwiegend neoklassischen Ökonomen seit den 1980er Jahren überzeugend begründet. In der akademischen Diskussion dürfte die „Revolution“ der Theorie rationaler Erwartungen am wirkungsvollsten gewesen sein. Demnach besteht, vereinfachend gesagt, ein von realwirtschaftlichen (Angebots-) Faktoren bestimmtes gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht, an dem keynesianisch inspirierte Politiker nichts dauerhaft ändern können, da sie von rationalen Wirtschaftsakteuren durchschaut werden. Diese werden erkennen, dass den durch expansive Geldpolitik gestiegenen Nominallöhnen und Preisen keine realen und dauerhaften Änderungen der Marktbedingungen zugrunde liegen. Deshalb werden sie als Arbeitnehmer auch nicht mehr verbrauchen und als Unternehmer auch nicht mehr investieren. Expansive Geldpolitik wirkt bestenfalls kurzfristig und das auch nur, wenn sie als Überraschung daherkommt. Langfristig bleibt nur die Inflation. Ähnlich verhält es sich bei expansiver Fiskalpolitik. Eine durch Verschuldung finanzierte Ausdehnung der Staatsausgaben wird von den Steuerzahlern durchschaut als einfache Verschiebung der eigenen Steuer- und Zinslasten auf spätere Perioden. Derlei Konjunkturprogramme mögen kurzfristig Strohfeuer entzünden. Langfristig bleibt die verbrannte Erde der Staatsverschuldung und höherer Zinsen, die private Investitionen verteuern („crowding out“).
Inflation und Verschuldung statt Wachstum und Beschäftigung: Das waren auch die empirisch demonstrierten Ergebnisse vulgär-keynesianischer Wirtschaftspolitik der 1960er und 1970er Jahre. Dies bedeutet aber nicht, dass Keynes“˜ Theorie der Krisenerklärung deshalb widerlegt wäre. Umgekehrt kann man „keynesianisch“ fragen, wie mithilfe einer Theorie rationaler Erwartungen die aktuelle Krise erklärt werden könnte – zumal sehr ähnliche Überinvestitionsblasen erst vor kurzer Zeit (Japan 1991, new economy 2001) schmerzhaft geplatzt sind, sodass selbst eine Theorie adaptiver Erwartungen (Lernen aus Erfahrung) – eine schwächere Form „rationaler Erwartungen“ – einiges zu erklären hätte. Eine neoklassische Theorie, die davon ausgeht, dass die Wirtschaftsakteure künftige Ereignisse (zumindest im Durchschnitt, und effizient kontrolliert durch scheinbar enorm informations-effiziente Kapitalmärkte) korrekt vorhersehen, mag das Versagen vulgär-keynesianischer Politiken theoretisch erklären können. Als Verhaltenstheorie rationaler Erwartungen wird sie aber durch die wiederkehrende Entstehung von Spekulationsblasen selbst empirisch widerlegt.
Deshalb verdienen einige wichtige Erkenntnisse von Keynes wieder Beachtung, der darauf hinweist, dass eine reine Logik rationaler Wahl bei perfekt geräumten Märkten eine letztlich ebenso kühne Phantasie ist wie die Vorstellung, man könne die Gesetze des Marktes und der „Leidenschaft des Gelderwerbs“ auf beliebige Weise ignorieren. Soviel zum Grundsätzlichen. Nun zum Aktuellen und damit zur Frage des „Warum und woher“ der aktuellen Krise.
„Keynesianische Situation“?
Kritiker von Keynes haben darauf hingewiesen, dass seine „General Theory“, alles andere als „allgemein“, sondern recht speziell sei. Keynes versuchte, die „stillschweigenden Voraussetzungen“ der klassischen Theorie (vor allem Vollbeschäftigung), die „nur selten oder nie erfüllt sind“, sowohl zu relativieren als auch mit Staatshilfe herbeizuführen. Dabei ging er freilich selbst von Voraussetzungen aus, die zum einen sehr spezifisch die Ausnahmesituation der „großen Depression“ nach 1929 beschreiben, und über deren historische Auslöser zum anderen auch konkurrierende ökonomische Erklärungsmuster plausibel erscheinen (z.B. noch eher „keynesianisch“: Galbraith 1955, deutlich „monetaristischer“: Friedman /Schwartz 1966, oder noch „markt-liberaler“: Rothbard 1963).
Auch der klassische Gelehrtenstreit über die Gründe der Großen Depression kann hier nicht rekapituliert und noch weniger entschieden werden. Interessant bleibt aber die Frage: Ist die damalige Weltwirtschaftskrise mit der heutigen vergleichbar? Aus heutiger Sicht kann man den Vergleich zur „großen Depression“ nur als alarmistisch bezeichnen. Damals ging in den USA oder in Deutschland das Sozialprodukt um über 30% zurück, und von Arbeitslosigkeit waren jeweils mehr als 30% der Arbeitsbevölkerung betroffen. Ungeachtet dieser wohl heute kaum zu gewärtigenden Dimensionen könnten immer noch (a) die Auslöser, (b) die aktuellen Symptome und (c) die notwendigen Rettungsmaßnahmen der aktuellen Krise keynesianisch gedeutet werden.
Die Auslöser der Krise weisen zur „keynesianischen Situation“ freilich am aller wenigsten Vergleichbarkeiten auf. Bekanntlich ging Keynes von einer Krisensituation aus, die in den frühen 1930er Jahren zunächst durch das Zusammentreffen von ängstlicher Unsicherheit sowohl der Konsumenten als auch der Investoren erklärt werden kann – und durch das nach der Börsenkrise gewählte „policy-mix“ aus kontraktiver Geld- und Fiskalpolitik und protektionistischer Handelspolitik zur Weltwirtschaftskrise geriet. In den USA, wo die aktuelle Krise ihren klar bestimmbaren Ursprung nahm, herrschte genau das Gegenteil: eine vor allem durch eine expansive Politik des billigen Geldes ermöglichte und von ausländischem Kredit beförderte Konsum- und Investitionsneigung, die seitens der Privaten und des Staates zu Ausgaben reizte, die durch eigene Ersparnisse schon lange nicht mehr nachhaltig gedeckt waren. Die Verschuldungsquote der Privathaushalte der USA stieg von 50 Prozent des Bruttosozialprodukts (1980) auf etwa 100 Prozent im Jahr 2006. Von keynesianischem „Angstsparen“ kann da sicherlich keine Rede sein. Auch für die Staatsausgaben in den USA (und anderswo) galt schon lange das Motto: „spend now, pay later“. Beides bildete sich im enormen Leistungsbilanzdefizit der USA ab, in einem vulgär-keynesianischen Verbrauch „auf Pump“, der von ausländischen (nicht zuletzt: chinesischen) Krediten finanziert wurde.
Im Ergebnis kann man, grob, festhalten, dass genau die Mittel und Wege, die nach keynesianischer Rezeptur den Weg aus der Krise von 1930 führen sollten, diesmal den Weg in die Krise von 2008 geführt haben. Aktuell kann man zudem befürchten, dass die (vulgär-) keynesianischen Rezepturen aus der Krise von 2008 mit den Wegen in die aktuelle Krise nahezu identisch sind, und damit die nächste Blase schon wieder mit billigem Geld, ungedecktem Kredit, staatlicher Investitionslenkung und mangelnder Haftung füllen (vgl. meinen Beitrag an anderer Stelle).
Politikversagen als Auslöser der aktuellen (und wohl auch der nächsten) Krise
Hierzu wurde in diesem Blog schon viel geschrieben. Drum hierzu nur noch eine grobe, vielleicht zum Streit der ökonomischen Schulen anstiftende, Einordnung: Expansive Geldpolitik ist für Neo-Keynesianer des einfachen Makro-Lehrbuchs (weit mehr als für Keynes selbst) ein probates Mittel, um die LM-Kurve nach rechts zu verschieben, bis Vollbeschäftigung wieder (und sei es auch nur annähernd) erreicht sei. Für neoklassische Protagonisten der „rationalen Erwartungen“ ist dies bestenfalls nutzlos. Für „Österreicher“ (Mises, Hayek) ist die Überflutung mit Zentralbankgeld und Zirkulationskrediten (Geldschöpfung im Bankensektor) dagegen genau der kritische Auslöser immer wiederkehrender Über- und Fehlinvestitions-Blasen, die zwangsläufig schmerzhafte Krisen herbeiführen müssen (hierzu auch den Beitrag von Joachim Starbatty).
Dies sollte – bei allen technischen Unfeinheiten im Detail einer leicht verstauben „österreichischen“ Konjunkturtheorie – genau die Theorien einer echten Renaissance und Modernisierung empfehlen, die in übermäßiger Geldschöpfung und staatlicher Investitionslenkung die Auslöser von Überinvestitions-Krisen vermuten. Das hat wenig mit Ideologie zu tun. Im Stile eines – gleichzeitig marktliberale Rhetorik vertretenden – „Bastardkeynesianers“ flutete schließlich Alan Greenspan die Märkte immer dann mit Liquidität, wenn ein Abschwung zu befürchten war. Dabei war es spätestens nach der New Economy-Blase offenkundig, dass die überschuldete US-amerikanische Volkswirtschaft eine „Reinigungskrise“ hätte durchlaufen müssen, um notwendige Strukturanpassungen zu vollziehen. Nur: warum haben es so wenige Ökonomen gesehen (und gesagt)?
Ökonomenversagen?
Man hat es zur Zeit nicht leicht als Ökonom. Schließlich erwartet das Publikum der nichtprofessionellen Ökonomen (Geldanleger, Steuerzahler, Wähler, Publizisten oder etwa Bundeswirtschaftsminister) von den „Experten“, dass diese es besser hätten gewusst haben müssen. Wenn dies so wäre, müssten die besten Ökonomen auch die erfolgreichsten Geldanleger oder Hedgefonds-Manager sein. Das ist wohl nicht der Fall (der Nobelpreisträger Myran Scholes hat bekanntlich ein Modell entwickelt, nach dem der Fonds LTCM operierte, dessen Verlust von über 4 Milliarden US-Dollar 1998 eine Finanzkrise auslöste). Risikoloser spekuliert es sich auf dem Wege der Kunden- oder Politikberatung mit dem Geld anderer. Dies gilt vielleicht auch für die letztlich überwiegend von Steuerzahlern finanzierte Ökonomik selbst.
Wenn etwa Paul Krugman einräumt, er habe die Krise so auch nicht vorhergesehen, ehrt ihn dies. Wenn er gleichzeitig in seinem Blog (14.12.2008) verbreitet, ein (wie auch immer konzipiertes) Europa-weites, schuldenfinanziertes Konjunkturpaket habe einen Multiplikator von exakt 2,23, muss man sich fragen, woher nun wiederum dieses überlegene Wissen stammen soll, das uns schon bei der Vorhersicht der großen Krise seltsam abhanden gekommen sein muss. Da wäre der oben zitierte Keynes („wir haben gefehlt in der Herrschaft über eine feinfühlige Maschine, deren Arbeitsweise wir nicht verstehen“) in seiner (zugegeben nicht gerade typischen) Demut glaubwürdiger. Die aktuelle Krise ist vielleicht auch ein chancenreicher Anlass, sich der eigenen Unsicherheit, sei es nun „post-keynesianisch“ oder „hayekianisch“ erneut zu vergewissern: „Wenn wir das Ansehen der Wissenschaft erhalten und die Anmaßung von Wissen, die auf einer oberflächlichen Ähnlichkeit des Verfahrens mit dem der exakten Naturwissenschaften gründet, verhindern wollen, wird viel Mühe auf die Entlarvung solcher Anmaßungen aufgewendet werden müssen, von denen manche jetzt schon geschützte Interessen anerkannter Lehrfächer geworden sind“ (Hayek 1975).
Literatur:
Friedman, M., A, Schwartz (1963), A Monetary History of the United States, 1867 – 1960, Princeton.
Galbraith, J.K. (1955), The Great Crash: 1929, London.
Hayek, F.A.v (1975), Die Anmaßung von Wissen, Stockholm.
Keynes, J.M. (1930), Der große Wirtschaftssturz von 1930, in: Politik und Wirtschaft, ausgewählte Abhandlungen von John Maynard Keynes, Tübingen 1954.
Keynes, J.M. (1936), Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes, Berlin.
Rothbard, M. (1963), America’s Great Depression, Princeton.
Shackle, G.L.S. (1972), Epistemics and Economics. A Critique of Economic Doctrines, Cambridge.
Danksagung:
Viele der hier geäußerten Ideen habe ich gemeinsamen Arbeiten mit Joachim Zweynert zu verdanken. In unserem Artikel in der NZZ etwa herrscht der gleiche Tenor; dazu wird noch ein wohlverstandener „Neo-Liberalismus“ als Gegenentwurf skizziert.
- Gastbeitrag
Macrons Europavision - 8. November 2017 - Gastbeitrag
Zur Zukunft der EU - 9. Mai 2017 - Warum der Europäische Fiskalpakt wichtig wäre … und warum er wohl grandios scheitert. - 30. April 2012
Das Comeback von Keynes ist sicherlich eine sehr unerwartete Begleiterscheinung der aktuellen Krise, hatten doch Generationen von Liberalen viel Schweiß darauf verwandt, die Lehren des Briten zu marginalisieren. Das schien auch gelungen und nun ist Keynes wieder da – so sehr, dass selbst ein jahrzehntelanger Antikeynesianer wie Martin Feldstein kürzlich auf der Jahrestagung der AEA gestand, er sein nun – wenn auch gegen seinen Willen – notgedrungen Keynesianer geworden.
Die Auseinandersetzung gegen Keynes kann man prinzipiell auf zweierlei Weise führen:
– Man attackiert Keynes selbst. Das ist aber nicht einfach, denn erstens liest kaum ein Mensch mehr Keynes und außerdem entzieht sich Keynes bekanntlich einer einfachen Interpretation.
– Man attackiert die Jünger, so wie es Michael Wohlgemuth macht. Das ist einfacher, aber ein paar kritische Kommentare seien doch erlaubt:
1. Es gibt mehrere Keynes-Schulen. Vermisst habe ich den „Finanzmarkt-Keynesianismus“ von Hyman Minsky, der in der Krise viel früher wiederentdeckt wurde als Keynes selbst und sogar den Weg in die Tageszeitungen gefunden hat. Man muss Minsky nicht zustimmen, aber uninteressant ist seine Analyse in der aktuellen Lage nicht.
2. Der Verweis auf die „IS/LM-Keynesianer“ macht es sich in theoretischer Hinsicht aus meiner Sicht zu einfach. Der moderne Keynesianismus, der in den Lehrbüchern seit mindestens zehn Jahren eine wichtige Rolle spielt, ergänzt mikroökonomisch fundierte Modelle in der Tradition von Lucas und Prescott mit unvollkommenen Märkten und der Einführung des Geldes. Auf dieser Basis beruht unter anderem die Debatte um die moderne, modifizierte Phillips-Kurve. Man mag sich fragen, inwieweit das eine angemessene Keynes-Interpretation ist. Aber der moderne Keynesianismus ist in theoretischer Sicht weit über IS/LM hinaus.
3. Ich habe auch Probleme mit Wohlgemuths Betonung der LM-Kurve. Die keynesianische IS-LM-Analyse ging doch von einer zinselastischen Geldnachfrage und einer fast zinsunelastischen Investitionsnachfrage aus. Dann ist die IS-Kurve (nahezu) senkrecht und die LM-Kurve geneigt, während die Monetaristen die LM-Kurve als (nahezu) senkrecht, sprich weitgehend zinsunelastisch, postulierten. In einer solchen Situation ist Fiskalpolitik sehr viel effizienter als Geldpolitik und um Fiskalpolitik ging es Keynes nicht zufällig. Greenspans Geldpolitik als „vulgärkeynesianisch“ zu bezeichnen scheint mir daher nicht angemessen; ehrlich gesagt ist mir sogar unverständlich, wie man auf eine solche Idee kommen kann. Wenn Geldpolitik in der Krise alleine wirkte, bräuchte man überhaupt keinen Keynes.
Dazu etwas Dogmengeschichte: Manche frühen Keynesianer haben sich überhaupt nicht um Geldpolitik gekümmert; die Besten unter ihnen wie Samuelson und Tobin waren nicht so blind gegenüber der Geldpolitik, haben sie aber nicht als ausreichend betrachtet. Lockere Geldpolitik ist in der Krise hilfreich, aber nicht die zentrale Politikmaßnahme. Es war doch Friedman, der den Keynesianern „money matters“ entgegenschleuderte.
Kulminiert ist das Ganze in dem Symposium Anfang der siebziger Jahre um Friedmans Monetarismus mit Brunner/Meltzer, Tobin und Davidson als Diskutanten (das Ganze wurde seinerzeit auch veröffentlicht und ich gehörte noch zu der Studentengeneration, die das lesen musste). Tobin stellte fest, das der Hauptunterschied zwischen ihm und Friedman die Gestalt der LM-Kurve darstellt und wie die LM-Kurve aussieht, sei letztlich eine empirische Frage.
Ich hatte in den neunziger Jahren Gelegenheit, mit Tobin und Meltzer darüber zu sprechen und beide vertraten die Aufassung, dass abgesehen von ideologischen Differenzen der Monetarismus/Keynesianismus-Streit eine empirische Frage im Zusammenhang mit der Zinselastizität der Geldnachfrage gewesen sei.
Brunner/Meltzer hatten auch die IS/LM-Analyse abgelehnt (derer sich Friedman bedient hatte), aber da war Tobin bei ihnen, weil er wie sie Portfoliomodelle entwickelt hatte. Tobin hat IS/LM als ein aus didaktischen Gründen sinnvolles Modell für Erstsemester betrachtet, aber nicht als mehr. Friedman hingegen besaß wenig Interesse an solchen komplizierteren Modellen in seinen Debatten mit den Keynesianern, obwohl er in seinen Arbeiten aus den fünfziger Jahren selbst mit einem Portoliomodell arbeitete.
Ich finde es daher nicht statthaft, Keynesianismus auf IS/LM zu reduzieren. Erwähnt sei auch, dass sich Hicks im Alter von IS/LM, das immerhin von ihm stammte, als adäquater Keynes-Interpretation distanziert hatte.
4. Immer wieder lesenswert ist Carl-Christian von Weizsäckers Beitrag „Hayek und Keynes“ aus dem Ordo-Jahrbuch 2005. Weizsäcker zeigt dort, dass beide Schulen voneinander lernen können. Das setzt aber gegenseitigen Respekt voraus.
5. In diesem Sinne: Die Idee, Ökonomen, deren Ansichten man nicht teilt, mit dem Wort „vulgär“ zu bezeichnen, stammt nach meiner bescheidenen Kenntnis von Karl Marx. Ob das eine Referenz für einen Liberalen sein mag, überlasse ich dem geschätzten Autor aus dem Eucken-Institut.
6. Es ist lehrreich, das mittlerweile veröffentlichte Protokoll der Geheimtagung der List-Gesellschaft aus dem Jahre 1931 zu lesen. Dort optierten auch Röpke und Eucken, und dabei Röpke mehr als Eucken, angesichts des Ausmaßes der Krise für staatliche expansive Makropolitik (damals nannte man das nicht so). Röpkes Theorie der sekundären Depression, die Staatshandeln begründet, wird man Ordoliberalen hoffentlich nicht vorstellen müssen. Röpke und Eucken hatten damals erkannt, dass es Sondersituationen geben kann, in denen die reine Lehre nichts mehr hilft. Ihre deutschen Nachfolger scheinen sich damit heute schwer zu tun. Interessant im Zusammenhang mit Punkt 5: Auf dieser Tagung wandte sich am entschiedendsten Rudolf Hilferding gegen expansive Politik – und der war Marxist.
7. Das erinnert an ein Bonmot des Berliner Ökonomen Hajo Riese: Es gibt, bei allen Unterschieden, mehr Parallelen zwischen Hayek und Marx als man denken sollte. Auch darüber lohnt es sich in der aktuellen Krise nachzudenken.
Mit Augenzwinkern zwei Anmerkungen:
1.Von Keynes lernen, heißt flexibel sein – bis zur Labilität!
2.Rationale Erwartungen lassen sich durchaus zur Erklärung von Zyklen anführen: Das Wissen ist so subjektiv, dass der Zyklusablauf unmöglich prognostizierbar ist. Oder: Das Gewinnstreben der Unternehmer bringt diese zum Ausnutzen niedriger Zinsen, gleichsam gezwungen durch die Konkurrenz. Oder – mein Favorit: Die Unternehmer geben sich der Illusion hin, Staatsinterventionen seien nützlich, eine Geldmengenauswertung wäre eine Wachstum fördernde Politik. Leider ist dies Betrug und hat „Betrugszyklen“ (Philipp Bagus) zur Folge.
Sehr geehrter Herr Wohlgemuth,
dass ist doch wirklich nicht ganz fair Krugman über einen Multiplikator von 2,23 aus einem Blog-Beitrag (keine wissenschaftliche Arbeit) in die „Feinsteuerungsecke“ zu stehlen.
Er hat meines Erachtens nur versucht, mit Hilfe einer sehr reduzierten Modellrechnung deutlich zu machen, dass die EU sich in einer Art Gefangenendilemma befindet, sobald die EU-Finanzminister sich dazu entscheiden, etwas gegen die Krise unternehmen zu wollen (scheint ja der Fall zu sein – s. Link Dani Rodrik Blog).
Wenn wir davon ausgehen, dass wir uns in einer globalen Krise befinden, die mehr oder weniger jedes Land trifft, dann sieht sich jeder Finanzminister einem Trade-Off zwischen zwei Ungütern gegenüber: Erst einmal möchte er sein Budget nicht unnötig belasten, zweitens (u. U.) die Auswirkungen der Krise bekämpfen.
Da der Handel der EU-Länder untereinander stark ausgeprägt ist, Deutschland also einen Teil seiner inländischen Nachfrage z. B. mit französischen Gütern befriedigt, spüren auch die Franzosen positive Auswirkungen eines deutschen Konjunkturpakets (gilt natürlich auch umgekehrt).
Wenn die Finanzminister jetzt an keine EU-weiten Regeln gebunden sind, gemeinsam zu handeln, hat jeder Finanzminister einen gewissen Anreiz, die Hände in den Schoß zu legen, sich auf seine „außergewöhnliche“ Situation zu berufen und die anderen machen zu lassen.
Das war meines Erachtens die „Gefahr“ die Krugman gesehen hat und nicht die Verkündigung, dass Fiskalpolitik einen Multiplikator von 2,xx aufweist.
Die EU Fiskalpolitik-Rechnung (Krugman):
http://krugman.blogs.nytimes.com/2008/12/14/european-macro-algebra-wonkish/
Weltweite Konjunkturmaßnahmen (Rodrik):
http://rodrik.typepad.com/dani_rodriks_weblog/2009/03/getting-the-global-stimulus-numbers-right.html
Außerdem ist es ja auch nicht so, dass Krugman (bzw. die Neokeynesianer) die Einsprüche der neoklassischen Ökonomen seit den 80ern ignoriert hätte. Im Gegenteil, die Neokeynesianer setzen sich doch bis heute intensiv mit der Mikrofundierung und rationalen Erwartungen auseinander:
“(…) One group went down the “new Keynesian“ route, arguing that something such as small costs of changing prices must explain the rigidity we actually seem to see. This group isn’t averse to putting a lot of rationality into its models, but it’s willing to accept aspects of the world that seem clear in the data, even if it can’t (yet?) be fully explained in terms of deep foundations.
The other group decided that since they couldn’t come up with a rigorous microfoundation for price stickiness, there must not be any price stickiness: recessions are the result of adverse technological shocks, not demand shocks.
And the latter group, the equilibrium macro side, was so convinced of the logical correctness of its position that schools dominated by that view stopped teaching demand-side economics. (Schools dominated by new Keynesians, on the other hand, did teach real business cycle theory.)“
http://krugman.blogs.nytimes.com/2009/03/01/equilibrium-decadence-wonkish/
Gruß
Knut