Deutschland hat abhängig von dem gewählten Indikator und von den Vergleichsländern eine Dienstleistungslücke. Dieses Konzept vernachlässigt aber länderspezifische Spezialisierungsvorteile und den damit einhergehenden Erfolg sowie die Zusammenarbeit von Industrie und Dienstleistungen.
Infolge der globalen Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise, die vor allem im Winterhalbjahr 2008/2009 für Furore sorgte, wurde auch kritisiert, die deutsche Wirtschaft werde stärker beeinträchtigt, weil die Industrie und der Export von Industriewaren hierzulande eine größere Rolle spielen als in anderen Ländern. Vor diesem Hintergrund wird ein weiteres Mal auch die Frage aufgeworfen, ob Deutschland spiegelbildlich zu seiner starken Industriefokussierung eine Dienstleistungslücke hat.
Messung einer Dienstleistungslücke
Zur Bestimmung einer Dienstleistungslücke müssen zunächst einmal die Vergleichsländer und die ökonomischen Messgrößen festgelegt werden. Dabei kommen mehrere Möglichkeiten in Betracht:
In Strukturanalysen werden oftmals die Branchenanteile an der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung oder an der Beschäftigung ermittelt. Dies soll zeigen, welche Bedeutung die einzelnen Wirtschaftszweige für das volkswirtschaftliche Produktionsergebnis, die damit entstehenden Erwerbs- und Vermögenseinkommen und für die Beschäftigung haben.
Ergänzend kann das Tätigkeitsprofil der Erwerbstätigen analysiert werden. Entscheidend für die Dienstleistungsintensität ist letztlich nicht, in welchem Sektor die Erwerbstätigen beschäftigt sind, sondern, was sie tatsächlich tun. So werden beispielsweise in vielen Industrieunternehmen eine Vielzahl von Dienstleistungen – wie Werbung oder Buchführung – ausgeübt.
Außerdem kann die Anzahl der Beschäftigten eines Sektors oder einer Tätigkeit auf die Gesamtzahl der Einwohner eines Landes bezogen werden. Dies zeigt, wie gut die Bevölkerung insgesamt mit Dienstleistungen versorgt wird.
Nicht zuletzt kann zur Bestimmung einer Dienstleistungslücke auch die Struktur der Exporte und des Konsums betrachtet werden. Dies kann andeuten, ob ein Land zum einen sein Exportpotenzial bezüglich der globalen Servicenachfrage adäquat ausschöpft. Zum anderen kann überprüft werden, ob es eine Dienstleistungslücke beim inländischen Konsum gibt.
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Internationaler Vergleich
In einem Vergleich von sieben Ländern hatte Deutschland im Jahr 2008 bei der Bruttowertschöpfung mit 69 Prozent den geringsten Dienstleistungsanteil, liegt aber nahe bei Italien, Japan und Schweden (Abbildung). In den USA und Frankreich beläuft sich das Dienstleistungsgewicht auf fast 78 Prozent der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung. Höher ist der deutsche Serviceanteil bei der Beschäftigung mit 72 Prozent. Hier liegen das Vereinigte Königreich mit 81 Prozent vor, Italien und Japan mit 68 Prozent hinter Deutschland. Bei den Servicebeschäftigten bezogen auf die Bevölkerung steht Deutschland im Mittelfeld, wobei seit 2000 große Fortschritte erzielt wurden. Beim Konsum ergibt sich nur im Vergleich mit Japan und den USA eine nennenswerte Dienstleistungslücke. Beim Export fallen Deutschland und Japan zurück. Hier ist der Serviceanteil in UK, USA und Schweden deutlich höher.
Interpretationsgrenzen
Das Konzept der Dienstleistungslücke ist allerdings umstritten:
1. Im modernen Wirtschaftsleben arbeiten Industrie- und Dienstleistungsunternehmen eng zusammen. Diese Kombination von Waren und produktbegleitendem Service erschwert die traditionelle Aufspaltung in Industrie und Dienstleistungen. Dies schränkt die Interpretation einer Sektorlücke ein.
2. Die kurze Bestandsaufnahme für das Jahr 2008 hat gezeigt, dass mehrere Indikatoren zur Messung einer Dienstleistungslücke nicht unbedingt eine eindeutige Aussage zulassen.
3. Anteile an der Wertschöpfung, Beschäftigung, Export usw. sagen nur eingeschränkt etwas über die zugrunde liegende Dynamik und über den Erfolg der Sektoren aus. Ein rückläufiger Anteil bedeutet also nicht, dass ein Wirtschaftszweig nicht erfolgreich ist.
4. Jede Länderauswahl ist beliebig und damit hängt auch die Diagnose einer Lücke von den ausgewählten Ländern ab.
5. Eine Lücke gegenüber einem Land oder gegenüber einer Ländergruppe suggeriert eine Zielgröße oder ein Vorbild. Dies ignoriert aber länderspezifische und historisch gewachsene Spezialisierungsvorteile. Die globale Krise führt möglicherweise sogar zu einer Neubewertung dieser Orientierungsländer hinsichtlich der „richtigen“ Wirtschaftsstruktur und der daraus folgenden „Lücken“ anderer Länder.
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Ein Beispiel.
Wirtschaftsprüfer fehlen in Deutschland – gemessen an GB gibt es hier weniger als Hälfte (normiert auf 100T Einwohner). Aus der NS-Zeit stammende Vorschriften – § 9 WPO – hindern Studienabsolventen in D, den Abschluß als Wirtschaftsprüfer zu machen.
Denn – Voraussetzung dafür ist eine 3-jährige Mitarbeit – „Praxisphase“ – in einem Unternehmen der Branche. In den USA wird man dagegen schon zum Ende des Studiums zum CPA-Examen zugelassen.
Normalerweise gilt ein akademisches Berufsexamen als „berufsqualifizierend“, im Lehramt, in der Medizin, und in Jura werden auch praktische Tätigkeiten vor einer Zulassung verlangt. Nur, in diesen Bereichen existiert eine Verpflichtung zur Übernahme in einen Vorbereitungsdienst, was für die Wirtschaftsprüfer jedoch nicht gilt.
Nicht alle Bewerber, die sich für das Schürfen von Zahlenfriedhöfen interessieren, werden von Unternehmen der Branche eingestellt, und können damit überhaupt eine Zulassung zur Prüfung bekommen.
Und wenn die Kandidaten das Examen anstreben, ist das Verfahren, mit dem die WP-Kammer die Kandidaten prüft, übermäßig streng – hohe Durchfallquoten – und verglichen mit dem US-Test auch zweifelhaft objektiv.
Das ist die Realität der „Servicewüste Deutschland“: Zusätzliche Kandidaten werden vom Arbeitsmarkt ferngehalten, um die guten Einkommen der Kammer-Mitglieder zu schützen.