Private Beteiligung am neuen Euro-Rettungsplan ist eine Mogelpackung

Am vergangenen Donnerstag haben sich die Staats- und Regierungschefs der Euro-Mitgliedsländer auf einen neuen Rettungsplan für das hoch verschuldete Griechenland geeinigt, der zumindest von den Börsen durch steigende Kurse honoriert wurde. Er setzt sich zunächst zusammen aus neuen finanziellen Hilfen in Höhe von 109 Mrd. Euro, einer Zinsreduktion für die (neuen) EU-Kredite auf 3,5 Prozent bei gleichzeitiger Laufzeitverlängerung auf bis zu 30 Jahren  und einer Beteiligung des privaten Sektors (Banken, Versicherungen, Fonds) in Höhe von rund 50 Mrd. Euro bis 2014. Zusammen ergibt dies einen Betrag in Höhe von 159 Mrd. Euro, auf den das neue Rettungspaket in manchen Veröffentlichungen beziffert wird. Die Beteiligung des privaten Sektors soll sich bis 2019 auf 106 Mrd. Euro weiter erhöhen und damit etwa den gleichen Umfang wie die öffentlichen Hilfen aufweisen. Eine Vorstellung, die sich in der politischen Diskussion bestens verkaufen lässt und die Zustimmung zu dem neuen Paket sicherlich vereinfacht. Der Rettungsplan enthält darüber hinaus jedoch weitere Maßnahmen: So soll ein neuer Fonds gebildet werden, der die im Rahmen der Umschuldung ausgegebenen neuen Staatsanleihen durch Zero-Bonds absichert und so die volle Auszahlung nach 30 Jahren garantiert.  Die Europäische Finanzstabilisierungsfaszilität (EFSF) erhält neue Kompetenzen, zu denen vorbeugende Interventionen am Sekundärmarkt sowie die Rekapitalisierung nationaler Banken (bei einem Default) gehören. Ferner soll Griechenlands Wirtschaft durch technische Hilfen und Zahlungen aus EU-(Struktur-)Fonds gestärkt werden („Marshall-Plan“) und die Defizitquote in allen EWU-Mitgliedsländern, die nicht von Hilfsprogrammen abhängig sind, bis 2013 unter die 3-Prozent-Grenze gesenkt werden.

Besonders von deutscher Seite wurde die private Beteiligung in Höhe von 106 Mrd. Euro bis 2019 als besonderer Erfolg gefeiert. Selbst Josef Ackermann, Chef der Deutschen Bank, erklärte: „Das Paket trifft uns hart.“ Würde diese Aussage zutreffen, hätte er – als einer der Beteiligten am letzten Donnerstag – ein für ihn und die europäischen Banken schlechtes Ergebnis ausgehandelt. Schaut man sich die private Beteiligung jedoch etwas genauer an, dann erkennt man, dass sie eher einem symbolischen Beitrag gleicht; ein Beitrag, den man öffentlichkeitswirksam herausstellen kann, um von den eigentlichen (finanziellen) Zugeständnissen der Mitgliedsländer abzulenken.

Wie kommt es nun zu dem Beitrag von 106 Mrd. Euro? Die Forderungen privater Gläubiger gegenüber Griechenland belaufen sich bis 2019 auf rund 150 Mrd. Euro. Die EU geht nun davon aus, dass 90 Prozent der alten Schuldtitel im Rahmen des Umtauschprogramms, dass bereits in der Zeit von Ende August  bis Anfang September 2011 durchgeführt werden soll, in neue griechische Staatsanleihen überführt werden. Dies entspricht wiederum einem erwarteten Tauschvolumen von 135 Mrd. Euro. Die neuen Staatsanleihen sollen eine Laufzeit von 30 Jahren aufweisen und ihre Konditionen (Nennwertabschlag gegenüber den ursprünglichen Anleihen, Zinsverzicht) sollen so gestaltet sein, dass sich gemessen am Gegenwartswert – also demjenigen Wert, den die Anleihe unter Berücksichtigung der Konditionen zum gegenwärtigen Zeitpunkt besitzt – bei allen Varianten ein Verlust gegenüber den ursprünglichen Anleihen in Höhe von ca. 20 Prozent (das entspricht einem Gegenwartswert von 80 bezogen auf einen ursprünglichen Nennwert von 100) ergibt. Bei einem Tauschvolumen – bezogen auf die ursprünglichen Anleihen – von 135 Mrd. Euro ergibt sich daraus ein Gegenwartswert für die neu ausgegebenen Anleihen in Höhe von 108 Mrd. Euro. Von einigen Rundungsdifferenzen abgesehen handelt es sich hierbei um den – angeblichen – Beitrag des privaten Sektors. Dies ist aber  nur der Brutto- und nicht wie immer wieder zu lesen ist der Nettobeitrag. Der Nettobeitrag im Sinne eines Forderungsverzichts beläuft sich hingegen bis 2019 auf „nur“ 27 Mrd. Euro – also bestenfalls auf die Differenz zwischen dem ursprünglichen Nennwert und dem garantierten Gegenwartswert der neuen Anleihen. Für die deutschen Banken entspricht dies einem Anteil von 900 Mio. Euro. Vergleicht man hingegen den (verbliebenen) Gegenwartswert der alten mit dem Gegenwartswert der neu ausgegebenen Anleihen, so kommt kein Forderungsverzicht mehr zustande, denn der Gegenwartswert einer alten Anleihe mit einer Restlaufzeit von 7 Jahren – die als Durchschnittswert durchaus repräsentativ ist – beträgt ebenfalls ca. 80.

Diese Maßnahme könnte aber zugleich der geplanten Zinssenkung von Seiten der EFSF entgegenwirken. Die neuen Anleihen sollen entweder durch einen Abschlag auf den ursprünglichen Nennwert bei vergleichsweise hohen Zinsen (bis zu 6,8%) oder durch eine 100-prozentige Auszahlung bei einem entsprechend reduzierten Zinssatz (bis zu 5%) gekennzeichnet sein – in beiden Fällen mit einem Gegenwartswert von 80. Würde sich ein erheblicher Teil der privaten Gläubiger für die Variante mit einem hohen Zinssatz entscheiden, so könnte sich als Ergebnis – trotz sinkender Zinsen durch die EFSF – ein Durchschnittszins für Griechenland einstellen, der nicht deutlich niedriger liegt als der aktuelle Zins.

Einen weiteren Beitrag in Höhe von 12,7 Mrd. Euro sollen Private dadurch erbringen, dass alte Anleihen im Umfang von 32,7 Mrd. Euro zum Preis von ca. 60 durch die EFSF am freien Markt angekauft werden (Kaufsumme entspricht dann ca. 20 Mrd. Euro). Fasst man beide Positionen zusammen, so ergibt sich ein maximaler Nettobeitrag des privaten Sektors zur Griechenlandrettung bis 2019 in Höhe von rund 40 Mrd. Euro; ein Betrag, den die Banken längst abgeschrieben haben und der damit keine ernsthafte Belastung mehr darstellt. Bezieht man den garantierten Gegenwartswert von 80 auf den (wenn auch in den letzten Tagen etwas gestiegenen) Marktpreis von etwa 50 für längerfristige griechische Anleihen, dann handelt es sich aus Sicht der Privaten sogar um ein hervorragendes Ergebnis. Kein Wunder also, dass Bankaktien am vergangenen Freitag einen deutlichen Kursanstieg (Commerzbank +3,7%, Deutsche Bank +1,7%) zu verzeichnen hatten.

Doch selbst dieser Maximalbetrag ist keinesfalls sicher. Wie stets betont wird, ist der Beitrag des privaten Sektors freiwillig. Wenn das Umtauschvolumen jedoch nicht – wie erwartet – bei 90 Prozent sondern darunter liegt, dann reduziert sich der private (Netto-)Beitrag weiter. Ähnlich sieht es beim Rückkauf alter Anleihen durch die EFSF aus. Die Problematik liegt darin, dass mit steigender Unsicherheit hinsichtlich der zukünftigen (Schulden-)Entwicklung die Bereitschaft zum Verkauf steigen wird. Die Bereitstellung weiterer finanzieller Mittel hat diese Unsicherheit aber eher reduziert. Vor diesem Hintergrund sind auch die Kurse bestehender griechischer Staatsschuldtitel nach der Einigung am Donnerstag wieder deutlich gestiegen. Möglicherweise sind nun aber die Privaten nicht mehr bereit, zu einem Preis von 60 (im Verhältnis zu 100 bei normaler Abwicklung) zu verkaufen. Muss die EFSF aber einen höheren Preis für den Rückkauf zahlen, dann vermindert sich der private Beitrag um diese Differenz.

Sinkt die (freiwillige) Umtauschquote deutlich unter die erwarteten 90 Prozent, dann ist ferner damit zu rechnen, dass stattdessen das Ankaufvolumen durch die EFSF entsprechend angehoben wird. Dies hätte auf der einen Seite zur Folge, dass ein deutlich höherer Preis geboten werden müsste. Wenn die Privaten nämlich zu einem Gegenwartswert von 80 nicht zum Umtausch bereit sind, werden sie auch einen Verkauf nicht unter diesem Preis vornehmen. Je stärker das Signal von Seiten der EU ausfällt, im Notfall immer mehr finanzielle Mittel bereit zu stellen, desto sinnvoller ist es, die alten griechischen Staatsanleihen zu halten, da mit einer 100-prozentigen Rückzahlung gerechnet werden kann. All dies senkt aber den privaten Beitrag von maximal 40 Mrd. Euro weiter. Auf der anderen Seite bedeutet ein umfangreicheres Rückkaufprogramm aber auch, dass immer mehr finanzielle Mittel (in diesem Fall indirekt) durch die Mitgliedsländer für Griechenland bereitgestellt werden.

Der EFSF soll es in Zukunft ferner grundsätzlich möglich sein, „freiwillige“ Interventionen in Form eines Ankaufs von Staatsanleihen bedrohter Länder an den Finanzmärkten vorzunehmen, um (vorbeugend) entsprechenden Verwerfungen und Bedrohungen vorzubeugen. Wenn diese gegen den Markttrend erfolgen, werden sie in aller Regel wirkungslos bleiben und zu entsprechenden Verlusten der EFSF führen. Entsprechende Erfahrungen hat man in der Vergangenheit bereits an den Devisenmärkten sammeln können. Viel gravierender ist aber, dass sich dieses Instrument nutzen lässt, um jede nationale Staatsverschuldung über die EFSF zu finanzieren – also auch den letzten Schritt in Richtung Transferunion zu gehen.

Ist Griechenland nun durch dieses Maßnahmenpaket dauerhaft gerettet? Jean-Claude Junker, der Euro-Gruppen-Chef, scheint davon überzeugt. Aus seiner Sicht ist es „das letzte Paket“. An dieser Einschätzung darf man aber getrost zweifeln. Die kurzfristigen Zahlungsverpflichtungen Griechenlands könnten sich – wenn sich alles wie von der EU erwartet entwickelt – zwar deutlich reduzieren. Hinzu kommt eine erhebliche zeitliche Streckung der Rückzahlungsverpflichtungen. Gemeinsam mit den finanziellen Hilfen in Höhe von 109 Mrd. Euro – von denen allerdings rund 60 Mrd. Euro reserviert sind für die Rekapitalisierung griechischer Banken und als Sicherheitsleistung für griechische Banken bei der EZB während eines Default-Zeitraums –   und Privatisierungserlösen von etwa 40 Mrd. Euro wären die Zahlungsverpflichtungen Griechenlands im besten Fall bis etwa 2019 gesichert. Die Gesamt-Schuldensituation Griechenlands  hat sich im Gegensatz dazu aber kaum verändert. So würde der maximale private Beitrag von 40 Mrd. Euro zwar die Belastung insgesamt leicht reduzieren, dafür kommen aber entsprechende Zinszahlungen hinzu, deren endgültige Höhe trotz der Zinssenkung für die öffentlichen Kredite von der EFSF unklar ist. Das Programm fußt letztlich auf dem Prinzip Hoffnung – Hoffnung auf ein schnelles und starkes Wachstum der griechischen Wirtschaft. Nur so könnte Griechenland vielleicht über das Jahr 2019 hinaus seinen dann anfallenden Schuldendienstverpflichtungen nachkommen.

Hinweis: Der Beitrag ist am 25. Juli 2011 als Gastbeitrag auch im Handelsblatt erschienen.

2 Antworten auf „Private Beteiligung am neuen Euro-Rettungsplan ist eine Mogelpackung“

  1. Die jetztigen Probleme haben ihren Ursprung in der Aufnahme Griechenlands in die Währungsunion, ja in der gesamten Konstruktion dieses Währungsverbundes. Nirgendwo sonst gibt es eine gemeinsame Währungen ohne entsprechende gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik. Aber haben die Konstrukteure von damals die ordnungspolitischen Probleme nicht gesehen? Konnte man nicht vorhersehen, daß es im Krisenfall kein Zurück geben wird? Oder haben sie die Bedenken dem Ziel der europäischen Integration bewußt untergeordnet? In letzterem Fall stellt sich die Frage, ob sie den möglichen Schaden zu gering eingeschätzt haben oder ob sie bereit gewesen wären, auch in der jetzt diskutierten Größenordnung für die Integration zu bezahlen? Daß Deutschland von der Einigkeit in Europa profitiert, ist jedem klar. Ob eine gemeinsame Währung dazu notwendig ist und ob diese dazu stark sein muß, ist vielleicht nicht so klar. Auch angesichts der angespannten Lage der Weltwirtschaft scheint ein ordnungspolitisch sauberes Durchkommen jetzt aber nicht mehr möglich zu sein. Das ordnungspolitische Generalversagen ist nicht zu leugnen und muß von seiten der Politik eingestanden werden. Und dennoch muß die Diskussion geführt werden, was uns Geschlossenheit und Solidarität in Europa wert sein muß. Und zwar öffentlich, möglichst allgemein verständlich, auch im Parlament. Denn die künftige Generation wird mit Recht danach fragen, wie diese gigantischen Ausgaben legitimiert wurden.

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