Die Schweizer Nationalbank (SNB) war mit ihrer Ankündigung einer Wechselkursuntergrenze erfolgreich. Spekulative Kapitalzuflüsse sind eingedämmt und der Aufwertungstrend des Franken ist gestoppt. Exportindustrie und Tourismussektor erhalten eine Verschnaufpause und fordern noch mehr Abwertung und noch mehr monetäre Expansion. Doch diese ist nicht ohne Risiko. Denn nach einer langen Periode von diskretionären Devisenmarktinterventionen und expansiver Geldpolitik zur Abwehr spekulativer Kapitalzuflüsse sitzen die Schweizer Banken auf einem Berg von Liquidität, der den Nährboden für spekulative Blasen und strukturelle Verzerrungen in der kleinen Alpenrepublik bildet.
Mundells „Impossible Trinity“ beschreibt den Zielkonflikt, dem die SNB bei ihrer jüngsten währungspolitischen Entscheidung ausgesetzt war. Grundsätzlich können maximal zwei der drei wirtschaftspolitischen Ziele – Wechselkursstabilität, geldpolitische Autonomie und freier Kapitalverkehr – erreicht werden. Wäre die SNB bei freiem Kapitalverkehr geldpolitisch autonom geblieben, hätte der Exportsektor unter weiteren Aufwertungen geächzt. Wäre bei Fortbestand der geldpolitischen Autonomie der Aufwertungsdruck durch Kapitalverkehrskontrollen vom Franken genommen worden, hätte der Finanzsektor international an Vertrauen verloren. Die Bindung des Franken an den Euro kann folglich als währungspolitischer Spagat zwischen den Interessen von Industrie und Finanzsektor als den beiden wichtigsten Wachstumspfeilern gesehen werden.
Doch auch die ehrwürdige Nationalbank hat gewonnen. Zum einen wurden spekulative Kapitalzuflüsse ausgebremst, die gespeist durch die globale Liquiditätsschwemme ohne großes Risiko auf eine Aufwertung des Franken wetten konnten. Die Zentralbankbilanz der SNB in Abbildung 1 zeigt, dass sich im September 2011 der Aufbau von Devisenreserven seit der Ankündigung des Wechselkursziels deutlich verlangsamt hat. Zudem wurden die aufwertungsbedingten Buchverluste auf diese Devisenreserven (im Geschäftsjahr 2010 satte 32 Milliarden Franken, im ersten Halbjahr 2011 weitere 10 Milliarden Franken) eingedämmt. Der strukturelle Verfall des Eigenkapitals der SNB ist gestoppt (Abbildung 1). Die SNB kann ihre Eigenkapitalbasis wieder stärken, indem sie verzinste Euroaktiva mit der Ausweitung zinsfreier Passiva (Geldschöpfung) finanziert, ohne Bewertungsverluste auf die Währungsreserven erleiden zu müssen.
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Dennoch bleibt die Zentralbank mit den Erblasten des dreijährigen Aufbäumens gegen die Aufwertung belastet. Abbildung 1 zeigt, dass sich das SNB Bilanzvolumen seit Ausbruch der europäischen Finanz- und Schuldenkrise mehr als verdreifacht hat. Zunächst stieg die Geldbasis auf der Grundlage von expansiven Offenmarktgeschäften, Devisenswaps und Krediten an den Stabilisierungsfond, der während der Krise zur Rettung der Union Bank of Switzerland eingerichtet wurde. Ab 2009 beschleunigte sich der Aufbau von Devisenreserven. Der Expansion der Vermögenswerte auf der Aktivseite folgte die Ausweitung der Geldbasis auf der Passivseite der Bilanz. Diese löste seit April 2010 umfassende Sterilisierungsgeschäfte aus. Durch den Verkauf von Zentralbankwertpapieren und durch liquiditätsabsorbierende Repo-Geschäfte wurden exzessives Kreditwachstum und die Gefahr von Spekulationsblasen eingedämmt. Die geldpolitischen Operationen wechselten von der Aktivseite (Kreditgeberzentralbank) auf die Passivseite der Zentralbankbilanz (Kreditnehmerzentralbank).
Am 3. August 2011 machte die SNB jedoch einen entscheidenden Schritt hin zu einer deutlichen monetären Expansion. Da die Nationalbank nicht mehr bereit sei, eine fortwährende Verschärfung der geldpolitischen Rahmenbedingungen tatenlos hinzunehmen, wurde das Sterilisierungsvolumen stark reduziert und die Geldbasis auf der Grundlage von Devisenkäufen nochmals drastisch ausgeweitet. Im Ergebnis sitzt die SNB auf einer aufgeblasenen Geldbasis, die den Zins gegen Null gedrückt hat.
Auch wenn die spekulativen Kapitalzuflüsse durch die Nullzinspolitik und die Ankündigung des Wechselkursziels gestoppt wurden, bedeutet der Verzicht auf die Sterilisierung überschüssiger Bankenliquidität, dass Spekulationsblasen bzw. sektorale Überinvestitionen begünstigt werden. Diese sind beispielsweise bereits im Schweizer Immobiliensektor sichtbar. Dieser Gefahr ist sich auch der Schweizer Bundesrat bewusst. Er plant makroprudenzielle Maßnahmen, um Übertreibungen in einigen Segmenten des Schweizer Finanzmarktes entgegenzuwirken. Die makroökonomische Stabilität ist jedoch gefährdet, solange die für die Banken frei verfügbare Liquidität außerordentlich hoch ist. Dies gilt auch deshalb, weil Schweizer Banken mit dem billigem Geld der SNB unkontrolliert im Ausland spekulieren können.
Doch wo ist der Ausweg? Der optimale Stabilisierungspfad wäre eine geldpolitische Straffung durch die EZB, da Kapital ins Eurogebiet zurückfließen würde. Interventionen gegen den resultierenden Abwertungsdruck würden einen Abbau der Devisenreserven cum monetärer Kontraktion begünstigen. Der resultierende Zinsanstieg sollte im gegenwärtigen Umfeld von reichlich verfügbarer Liquidität willkommen sein. Im Lichte der jüngsten Zinssenkung unter dem neuen EZB-Präsidenten Draghi erscheint diese Option aber in naher Zukunft eher unwahrscheinlich.
Unter dem angekündigten Wechselkursziel kann die SNB bei expansiver Geldpolitik der EZB aber keine monetäre Kontraktion herbeiführen: Bei Sterilisierung der überschüssigen Bankenliquidität würde der Zins steigen, was bei dem gegenwärtigen Festkurs zu neuen Kapitalzuflüssen, Wechselkursstabilisierung und neuen Sterilisierungszyklen führen würde. Diese könnten nur vermieden werden, wenn die SNB die Schweizer Geschäftsbanken zwingen würde trotz geldpolitischer Straffung die Zinsen niedrig zu halten. Dies käme einer Fragmentierung des Schweizer Kapitalmarktes gleich, der der internationalen Reputation des Schweizer Finanzplatzes nicht zuträglich wäre. Die Reduzierung der überschüssigen Bankenliquidität durch den Verkauf von Devisenreserven – und damit der Realisierung der Bewertungsverluste – ist ohne erneute Aufwertung des Franken nicht möglich. Würde eine Aufwertung zugelassen, würden die Probleme folgen, die die SNB in die Wechselkursstabilisierung gedrängt haben.
Die Schweizer Nationalbank bleibt damit den Turbulenzen der europäischen Kapitalmärkte ausgesetzt. Sie trägt durch die Entwertung der eidgenössischen Euroreserven – über Frankenaufwertung oder steigende Euroinflation – die Kosten der Eurokrise mit. Einen großen Freiheitsgrad bei den geldpolitischen Entscheidungen gibt es weder bei festen noch flexiblen Wechselkursen. Die Verantwortung liegt deshalb bei der Finanzpolitik der bevorstehenden Überhitzung entgegenzuwirken. Nur eine sehr restriktive Finanzpolitik, die Budgets bei der Zentralbank parkt, kann in Zukunft Inflationsdruck vermeiden und der Instabilität in Vermögens- und Gütermärkten nachhaltig entgegenwirken.
Literatur
Löffler, Axel / Schnabl, Gunther / Schobert, Franziska (2010): Inflation Targeting by Debtor Central Banks in Emerging Market Economies. CESifo Working Paper 3138.
Hinweis: Axel Löffler ist wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut für Wirtschaftspolitik der Universität Leipzig.
- Geldpolitisches Dilemma und finanzpolitische Herausforderung für die Eidgenossen - 14. November 2011