Traue keinem Griechen, auch wenn er Geschenke bringt! (Laokoon, Priester der Trojaner)
Die Krise des Euro spitzt sich zu. Sie frisst sich in Zeitlupe zum Kern durch. Griechenland war gestern, Italien ist heute. Wird Frankreich morgen sein? Kapital flüchtet aus den europäischen Krisengebieten. Rettungspakete, auch gehebelte, helfen nicht mehr. Das Spiel ist aus. Die Politik ist fiskalisch impotent. Schulden lassen sich nicht mit noch mehr Schulden bekämpfen. Allein die EZB hält den Laden am Laufen. Sie rettet wankende Banken, finanziert insolvente Staaten und stopft Löcher in Zahlungsbilanzen. Das Kind ist schon in den Brunnen gefallen. Mit Maßnahmen akuter Nothilfe versucht die Politik, den Euro am Leben zu halten. Die Gefahr ist groß, dass politischer Unfug dem Euro endgültig den Garaus macht.
Strukturprobleme
Die Ursachen der Probleme sind bekannt. Einige Mitglieder der EWU lebten lange über ihre Verhältnisse. Mit der Einführung des Euro haben private Haushalte in den PIGS auf die hohe staatliche Verschuldung noch einen drauf gesetzt. Die Kreditaufnahme, auch im Ausland, nahm sprunghaft zu. Sinkende Nominalzinsen in der Peripherie und überdurchschnittlich steigende Güterpreise senkten die Realzinsen und verstärkten die Anreize für ein Leben auf Pump. Die privaten Akteure lebten ihre Verschuldungsorgie vor allem im Immobilien- in Irland auch im Finanzsektor aus. Nicht so in Italien. Dort veränderte sich mit dem Euro die Verschuldung kaum (Abb. 2). Sie ist allerdings seit langem viel zu hoch.
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Steigende Güterpreise schlugen sich in steigenden Nominallöhnen nieder. Die Lohnstückkosten stiegen sprunghaft an, die internationale Wettbewerbsfähigkeit der PIGS ging zurück. Wachsende Defizite in den Leistungsbilanzen waren das sichtbare Zeichen dieser Entwicklung. Bis zum plötzlichen Ausbruch der Finanzkrise finanzierten die internationalen Kapitalmärkte die wachsenden Defizite ohne größere Probleme. Das verschärfte die sektoralen strukturellen Fehlentwicklungen. Der Immobiliensektor in den PIGS wurde viel zu groß, der Sektor international handelbarer Güter blieb weiter unterentwickelt.
An den sektoralen Fehlentwicklungen der PIGS trägt der Euro eine gehörige Mitschuld. Die einheitliche Zinspolitik im Euro-Raum war für die Länder der Peripherie zu expansiv, für die Kernländer lange Zeit in den 90er Jahren eher zu kontraktiv. Diese konjunkturellen und sektoralen Fehlentwicklungen wurden lange Zeit nicht zur Kenntnis genommen. Die Freude über den Aufholprozess der Peripherie gegenüber dem Zentrum überdeckte die Fehlallokation. Tatsächlich war aber die Konvergenz nicht mehr als eine wirtschaftliche Fata Morgana. Die Finanzkrise beendete diese Scheinblüte der Peripherie und offenbarte die wahren Verhältnisse.
Systemprobleme
Mit der Finanzkrise kamen die strukturellen Fehlentwicklungen ans Licht. Nun rächte sich die hohe private und staatliche Verschuldung im In- und Ausland. Die Banken in den PIGS kamen finanziell unter Druck. Es blieb den Staaten nichts anderes übrig, als sie vor dem Untergang zu retten. Das war am deutlichsten in Irland, wo der Staat die wichtigsten Banken verstaatlichte und deren teilweise horrende Schulden übernahm. Es galt aber auch für Portugal, Griechenland und Spanien. Überall mussten systemrelevante Banken gerettet werden. Aus der Verschuldungskrise der Banken wurde eine veritable Staatsschuldenkrise.
Der Einbruch der wirtschaftlichen Entwicklung in der Finanzkrise verstärkte diese Probleme. Mit teilweise massiven kreditfinanzierten staatlichen Ausgabenprogrammen versuchten die Länder aus der Krise zu kommen. Das gab der staatlichen Verschuldung einen weiteren Schub. Nicht so in Italien (Abb. 2). Die staatlichen Ausgaben verhielten sich für italienische Verhältnisse weiter unauffällig. Sie blieben bei ungefähr 50% des BIP. Auch die staatliche Verschuldung veränderte sich ab 2008 nicht dramatisch. Die allerdings viel zu hohe Schuldenquote von 120% des BIP wurde weiter fortgeschrieben. Italien ist anders als die PIGS.
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Die Krise in der EWU beruht auf Fehlern im Bauplan des Euro. Eine einheitliche Zinspolitik der EZB für den gesamten Währungsraum ist bei wirtschaftlich heterogenen Mitgliedern problematisch. Die Hoffnung auf ein „bail out“ der Schwachen durch die Starken verstärkt das Problem. Der Euro ist aber auch fehlkonstruiert, weil die Systemrelevanz von Banken nicht adressiert wurde. Es ging nur um die übermäßige Verschuldung von Staaten, nicht um die viel zu hohen Risiken, die Banken eingehen können. Es hilft wenig, die Staaten fiskalisch an die Kandare zu nehmen, wenn systemrelevante Banken riskante Geschäfte machen.
Lösungen
Die Krise lässt sich nur lösen, wenn an den Ursachen angesetzt wird, den Struktur- und Systemproblemen. Es ist politische Flickschusterei, die Ungleichgewichte nur zu finanzieren. Längst eingetretene reale Lasten müssen endlich getragen werden. Die Strukturprobleme der PI(I)GS bekommt man nur in den Griff, wenn die Löcher in privaten und staatlichen Haushalten und den Leistungsbilanzen gestopft werden. Dazu ist wirtschaftliches Wachstum notwendig. Eine zu hohe Verschuldung bremst es. Das ist bei Schuldenständen der Staaten von über 85%, von Unternehmen bei über 90% und privaten Haushalten von über 85% der Fall.
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Die größten staatlichen Sünder unter den Euro-Wackelkandidaten sind Griechenland, Portugal und Irland. Aber auch Italien schlägt seit langem über die 85%-Stränge (Abb. 3). Nicht so Spanien, zumindest bis jetzt nicht. Bei den privaten Haushalten sind Irland und Portugal tiefrot in den Miesen. Auch Spanien hat die 85%-Marke gerissen. Nicht so Griechenland und noch weniger Italien. Die Schuldenquote liegt knapp über 50%. Bei der Verschuldung der Unternehmen haben Irland, Portugal und Spanien den 90%-Rubikon überschritten. Auch Italien liegt leicht darüber. Allein in Griechenland sind die Unternehmen relativ wenig verschuldet.
Eine Sanierung der Haushalte verringert die Strukturprobleme der Problemländer. Die mangelnde internationale Wettbewerbsfähigkeit der PI(I)GS erfordert aber weitere Schritte. Fehlentwicklungen der Lohnstückkosten müssen korrigiert werden. In einer Währungsunion ist das nur über eine interne Abwertung möglich. Notwendig sind flexiblere Arbeitsmärkte und ein leichterer Zugang von Unternehmen zu den Gütermärkten. Auch die Finanzmärkte müssen grundlegenden Strukturreformen unterzogen werden. Die Eigenkapitalanforderung an Banken muss signifikant erhöht, die Bankenaufsicht gestärkt, ein effektiveres Insolvenzrecht für Banken geschaffen und die Haftung der Verantwortlichen erhöht werden.
Verteilungspoker
Gegenwärtig tobt ein beinharter Verteilungskampf um die Schuldenlasten. Bei der ordnungspolitisch saubersten Lösung trägt der Schuldner die Lasten der Verschuldung. Eigentumsrechte werden garantiert, „moral hazard“ spielt keine Rolle. Die hoch verschuldeten PI(I)GS müssen eine Politik der Austerität fahren und radikale Strukturreformen durchführen. Risikolos ist eine solche Politik allerdings nicht. Zum einen verstärken solche Maßnahmen kurzfristig den wirtschaftlichen Einbruch. Zum anderen wanken systemrelevante Banken der Schuldnerländer und können Finanzinstitute anderswo anstecken. Schließlich ist die Gefahr von sozialen und politischen Unruhen nicht von der Hand zu weisen.
Eine zweite, ordnungspolitisch problematischere Lösung beteiligt die Gläubiger an den Lasten. Sie müssen mehr oder weniger viel „Haare“ lassen. Das trifft nicht nur Banken in den Gläubigerländern, auch die EZB wäre nach ihren Aufkäufen von Staatspapieren der PI(I)GS dabei. Das Problem eines politisch erzwungenen „hair cut“ sind wieder systemrelevante private Banken. Ist der Schuldenschnitt zu groß, können sie ins Wanken geraten. Eine staatlich verordnete Rekapitalisierung ist für den Steuerzahler nicht kostenlos, wenn der Staat mangels privater Beteiligung die Eigenkapitalbasis stärken muss. Der wichtigste Einwand ist allerdings, dass eine solche Lösung das „moral hazard“ der Schuldner verstärkt.
Die Systemrelevanz der Banken erzwingt Lösungen, Schuldenlasten auf Dritte abzuwälzen. Mit dem temporären EFSF und dem permanenten ESM ist der Weg vorgezeichnet. Eurobonds werden kommen. Immer werden die Steuerzahler zur Kasse gebeten. Das fördert „moral hazard“. Der Zwang zu radikalen Reformen sinkt. Schuldner leben weiter über ihre Verhältnisse. Gläubiger gehen weiter zu hohe Risiken ein. Steuerzahler in Retterländern zahlen weiter. Dabei wird es nicht bleiben. Der ESM wird bei einer Verschärfung der Krise eine Banklizenz erhalten, totsicher. Damit wird die EZB noch stärker gezwungen, Staatsschulden zu monetisieren. Zum „moral hazard“ kommt die Gefahr steigender Inflation. Und immer zahlen unbeteiligte Dritte, Steuerzahler und Konsumenten.
Fazit
Die Struktur- und Systemprobleme der EWU lassen sich nicht von heute auf morgen lösen. Es ist ein Bohren dicker Bretter. Wenn aber die Hütte brennt, muss zuerst einmal gelöscht werden. Allerdings darf das Löschwasser das Gebäude nicht auch noch zum Einsturz bringen. Die Notfallmaßnahmen sind so zu wählen, dass „moral hazard“ gering bleibt. Schuldnerländer müssen die Hauptlast tragen, ein Marshall-Plan könnte Hilfe zur Selbsthilfe leisten. Die EWU überlebt nur, wenn nicht zu stark von deutschen Inflationspräferenzen abgewichen wird. Das ist aber ohne eine unabhängige EZB nicht denkbar. Es ist allerdings alles für die Katz, wenn es nicht gelingt, die Systemrelevanz der Banken in den Griff zu bekommen. In einem effizienter regulierten Finanzsektor dürfen Handlung und Haftung nicht mehr auseinanderfallen.
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