Politik(er)beratung (7)Zur Rolle von Ökonominnen und Ökonomen in der Politikberatung

«Wieso hat das niemand kommen sehen?» Das fragte Queen Elizabeth II ihre peinlich berührten Gastgeber, als ihr im November 2008 bei einem Besuch der renommierten London School of Economics die Auswirkungen der eben ausgebrochenen globalen Finanzkrise erläutert wurden. Diese oft zitierte Frage fasst eine mögliche Interpretation der Rolle der Ökonomie bei der Politikberatung zusammen: Als es darauf ankam, hatten die Ökonominnen und Ökonomen weder eine brauchbare Prognose zu bieten noch taugten ihre Modelle, um die Auswirkungen dieses Finanzmarkt-Erdbebens auf die Gesamtwirtschaft abzuschätzen. Es gibt allerdings auch eine zweite, völlig diametrale Interpretation des gleichen Ereignisses. Die Ökonomie hat die vorletzte globale Finanzkrise – die Grosse Depression der 1930er-Jahre – so gut analysiert, dass sie beim nächsten Mal die Politik erfolgreich beraten konnte, welche wirtschaftspolitischen Massnahmen nötig waren, um eine Wiederholung dieser Katastrophe zu verhindern. Tatsächlich verhinderte die Kombination ausserordentlicher geldpolitischer Massnahmen, Bankenunterstützung und fiskalpolitischer Reaktionen wohl, dass 2008 eine zweite Grosse Depression ausbrach. Diese wirtschaftspolitische Reaktion beruhte zu einem guten Teil auf der wissenschaftlichen Analyse der Versäumnisse in Beratung und Massnahmen in den 1930er-Jahren.

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BücherMarkt„Einfach zu einfach“Interview mit Prof. Dr. Joachim Weimann

Was genau ist das Problem, um das es in Ihrem Buch geht?

Ausgangspunkt aller Überlegungen sind zwei Phänomene, die die Art und Weise betreffen, wie sich Menschen über ihre Umwelt informieren. Erstens, Menschen besitzen den sogenannten „Sense making Trieb“, d.h. sie wollen verstehen, was um sie herum geschieht. Zweitens, die individuelle Fähigkeit, Dinge verstehen zu können ist sehr begrenzt. Die Welt ist viel zu kompliziert, als dass wir sie verstehen könnten und die Komplexität der Probleme, mit denen wir konfrontiert werden wächst mit hoher Geschwindigkeit. Das führt zu einem massiven Konflikt: Wir wollen verstehen, können es aber nicht.

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Politik(er)beratung (6)
Vertrauen verlangt Verantwortung
Ukraine-Krieg und Ökonomen-Streit

Die Wissenschaft wird mehr gebraucht denn je: Wie lässt sich eine Pandemie in Schach halten, ohne das gesellschaftliche Miteinander abzuwürgen, wie lässt sich die Wirtschaft auf erneuerbare Energien umstellen, ohne unsere industrielle Basis zu zerstören, wie setzt man wirksame Signale gegen den russischen Aggressor in der Ukraine, die man auch langfristig durchhalten kann? Schwere Fragen wie diese verlangen nicht nur nach Antworten der Natur- oder Technikwissenschaften, auch die Sozialwissenschaften, allen voran die Ökonomik, sind unverzichtbar. Schließlich geht es vielfach um die Entscheidungen und das Handeln von Menschen, nicht nur um Viren und Moleküle.

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Politik(er)beratung (5)
Wissenschaftliche Politikberatung als Herausforderung

Was ist die zentrale Herausforderung der wissenschaftlichen Politikberatung und welche Folgen ergeben sich für sie nach der „Zeitenwende“ aus dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine? Grundsätzlich ist wissenschaftliche Politikberatung langfristig, strukturell und konsistent angelegt. Politische Entscheidungen folgen aber in aller Regel politisch geprägten, kurzfristigen, selten gut vorhergesehenen Notwendigkeiten. Dann kommen wissenschaftliche Berater im „stand by“ nur zum Zuge, wenn ihre Kompetenz zu den Umsetzungswünschen und Umsetzungserfordernissen der Politiker passt. Das ist selten der Fall und so ist die meiste Politikberatung bestenfalls „angemaßt“ wissenschaftlich. Diese Beratung muss nicht schlecht sein, sie ist nur nicht wissenschaftlich. Sie schmückt die Beraterin und ermöglicht dem Entscheider eine leichtere Durchsetzung der eigenen Anliegen. Putins Ukrainefeldzug ist ein weiterer Rückschlag für eine rationale Weltpolitik, die sich an den Wohlfahrtsinteressen der Menschen orientiert.

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Einfach zu einfach
Kommen Demokratien noch klar?

Wie konnte es eigentlich passieren, dass wir am 24. Februar aus allen Wolken gefallen sind, weil Putin in die Ukraine einmarschierte? Warum waren wir so ahnungslos, so naiv, so vertrauensselig? Und warum glauben die meisten Russen Putin jeden noch so hanebüchenen Unsinn und wählen ihn und seine Partei? Wie bringen wir diese Dinge mit der Vorstellung zusammen, dass wir aufgeklärt sind, in einer funktionierenden Demokratie leben und Menschen die Lektionen aus der Geschichte gelernt haben?

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Politik(er)beratung (3)
Politikberatung in Österreich im Unterschied zu Deutschland
Einige persönliche Anmerkungen*

1. Meine Tätigkeiten in der Politikberatung
Von 1995 bis 2018 war ich neben meinen Aufgaben als Hochschullehrer in der Forschung und Lehre auch in der Politikberatung hauptsächlich in den Feldern der Finanz-, Forschungs-, Innovations- und in der Umweltpolitik auf der Bundes- und Landes-Ebene (hier in Oberösterreich) tätig. Die hauptsächlichen Bereiche waren: Schattenwirtschaft, Steuerhinterziehung, Förderalismus, ökosoziale Marktwirtschaft und Politische Ökonomie (Public Choice). Zusätzlich habe ich auch beratend bei Parlamentsausschüssen im österreichischen Nationalrat, im deutschen Bundestag und in EU-Kommissionen mitgewirkt. Die Beratung erfolgte in Form von schriftlichen Stellungnahmen/Gutachten und Diskussionen sowie Gesprächen mit den betroffenen Politikern oder Spitzenbeamten.

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Politik(er)beratung (2)
Mehr Forschungsbasierung der (Bundes)Politik (?)

Es fällt auf, dass im Koalitionsvertrag der „Ampel-Regierung“ offenkundig zahlreiche Aspekte und Vorhaben nicht bis ins Detail formuliert wurden. Dies birgt zwar einerseits Umsetzungsrisiken, andererseits – und vor allem – auch Chancen auf den Einbezug externen Sachverstands, nicht zuletzt auch der Zivilgesellschaft. Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich aber nur mit einem speziellen externen Sachverstand, nämlich der von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die die Politik beraten (wollen).  Auch zum Thema wissenschaftliche Fundierung und wissenschaftliche Beratung stehen im Koalitionsvertrag interessante Passagen – dabei ist die Berufung eines wissenschaftlichen Expertengremiums, das die Pandemie-Bekämpfung unterstützen soll, durch Bundeskanzler Scholz von Interesse. Am Ende dieses Beitrags wird auf dieses Gremium eingegangen, das das im Koalitionsvertrag als „wissenschaftlicher Pandemierat“ angekündigt wurde und das zum Zeitpunkt des redaktionellen Abschlusses dieses Beitrags zum ersten Mal getagt hat (ohne Ergebnisse zu veröffentlichen). Zuvor werden die eingangs erwähnten einschlägigen Passagen des Koalitionsvertrags diskutiert.[1]

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Junge Autoren
Werturteile in der wirtschaftswissenschaftlichen Politikberatung

Bild: Pixabay

Bereits im Jahr 1909 verkündete Max Weber, dass das „Hineinmengen eines Seinsollens in wissenschaftliche Fragen (…) eine Sache des Teufels“ sei, und auch unter den heutigen Ökonomen fühlen sich viele der Aufforderung verpflichtet, dass Forschung und das Beschreiben wirtschaftlicher Zusammenhänge keiner persönlichen Wertung bedürfe und somit subjektive Werturteile abzulehnen seien. Doch nicht nur Ökonomen, sondern auch Journalisten, andere Wissenschaftler und die breite Öffentlichkeit bestehen darauf, dass wissenschaftliche Untersuchungen werturteilsfrei sein sollten (Kitcher 2013). So werden Werturteile und Wissenschaft wie „Öl und Wasser“ (Longino 1983) als zwei Elemente angesehen, die nicht miteinander vermischt werden sollen.

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Gastbeitrag
Die Wahrnehmung wissenschaftlicher Politikberater erfolgt in Lagern

Linke Politiker, so wird behauptet, berufen sich gerne auf Wirtschafts- und Sozial-Wissenschaftler, die Verteilungsfragen bearbeiten, und liberal-konservative Politiker beriefen sich gerne auf marktliberal oder ordnungspolitisch orientierte Ökonomen und Juristen. Freilich sollte wissenschaftliche Politikberatung nicht mit Meinungen und Werturteilen operieren, sondern unvoreingenommen evidenzbasierte Erkenntnisse der Politik und der Öffentlichkeit vermitteln. Das ist aber nicht leicht, da zum einen Politiker und Medien Interesse daran haben können, dass bestimmte Erkenntnisse von den Wissenschaftlern selbst positiv oder negativ bewertet werden. Und auch Wissenschaftler versuchen immer wieder, ihre eigene Meinung zu transportieren: an die Politik und an die Öffentlichkeit. Selbst wenn Wissenschaftler mit reinen Meinungsäußerungen zurückhaltend sind, beruhen ihre Aussagen schlussendlich auf Werturteilen. Sie müssen in ihren Modellen theoretische Annahmen treffen und auch die Auswahl von Forschungsfragen beruht notwendigerweise auf vor-wissenschaftlichen Werturteilen. Deswegen ist es nicht erstaunlich, dass von der Politik Wissenschaftler unterschiedlich gerne gesehen und gehört werden.

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