Spätestens mit dem enttäuschenden Sondierungspapier stellt sich heraus, dass das Lockern der Schuldenbremse ein Fehler war. Man kann diesen auch als die Folge eines Scheiterns der ökonomischen Politikberatung interpretieren.
Das Sondierungspapier von Union und SPD wird mit seinen finanz- und wirtschaftspolitischen Teilen von der Fachwelt bisher größtenteils skeptisch beurteilt. Die erhoffte Wirtschaftswende, eine umfassende Neuorientierung hin zu einer auf Effizienz und Wachstum ausgerichteten Politik, bleibt jedenfalls aus. Wenigen Hoffnungsschimmern, wie der vagen Aussicht auf eine Reform der Unternehmensteuern, stehen grobe Schnitzer gegenüber, von der Mietpreisbremse über eine planwirtschaftliche Grünstahlquote bis zur Mütterrente.
Die neue Koalition wird das Geld mit vollen Händen ausgeben, aber sie wird damit vor allem kurzfristige Wünsche zahlreicher Interessengruppen bedienen. Es ist absehbar, dass wegen zahlreicher konsumtiver Ausgabenwünsche auch das neue Sondervermögen nur teilweise zusätzliche Investitionen finanzieren wird. Denn zur Finanzierung von öffentlichem Konsum und Umverteilung werden ohnehin schon geplante Investitionen aus dem Kernhaushalt ins Sondervermögen verschoben werden müssen.
All das ist unerfreulich, aber für diejenigen Ökonomen nicht überraschend, die sich mit Public Choice (also der ökonomischen Theorie der Politik) und Ordnungsökonomik beschäftigt haben. Diese warnten stets davor, dass ein Aufweichen der Schuldenbremse keine neue Welle effizienter Investitionen auslösen wird, sondern dass das Lockern der staatlichen Budgetrestriktion den öffentlichen Konsum anfeuern und vor allem den notwendigen Reformdruck hin zu mehr Wettbewerbsfähigkeit gefährlich reduzieren wird.
Dennoch haben nicht wenige Ökonominnen und Ökonomen in den letzten Jahren gegen die Schuldenbremse argumentiert und gefordert, dass diese entweder gelockert oder ganz beseitigt werden solle. Und damit sind bei weitem nicht nur diejenigen gemeint, die zu Beginn der Sondierungsgespräche gemeinsam mit dem saarländischen Finanzminister einen Plan für ein Sondervermögen und die Ausnahme für Verteidigungsausgaben geschmiedet haben. Wieso konnten diese Kolleginnen und Kollegen, die die relevante polit-ökonomische Literatur ja auch kennen, die Gefahren nicht sehen?
Die Antwort darauf findet man vielleicht, wenn man sich den weiteren Bogen der Debatte um die Schuldenbremse in den letzten Jahren noch einmal in Erinnerung ruft. Während der Corona-Pandemie setzte sich ein positiveres Bild wirtschaftspolitischer Problemlösungsfähigkeit durch als es zuvor vorherrschend war. Dieser Wandel war nicht zuletzt geprägt von gestiegenem Vertrauen auf der persönlichen Ebene, zwischen politikberatender Wissenschaft und der Politik.
In formalen und informalen Austauschen fanden deutlich mehr Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als vorher die Nähe der Mächtigen. Sie genossen dies oft sichtlich, wie zahlreiche Beiträge in Sozialen Medien zeigen. Damit ging persönliche Distanz zur Macht verloren. Was aber viel wichtiger sein dürfte: Es trat eine Tugend ökonomischer Analyse in den Hintergrund, nämlich das Denken in Anreizen und Institutionen. Warum brauchen wir eine Institution wie die Schuldenbremse, wenn man den politischen Akteuren, mit denen man da regelmäßig freundlich interagiert, doch persönlich trauen kann?
Dazu mag in dem einen oder anderen Fall noch eine gewisse Hybris kommen. Wenn man sich für das ökonomische Hirn der Entscheider hält, dann hält man vielleicht auch irgendwann die Mächtigen für die Ausführenden der eigenen ökonomischen Ideen. Man ist also im praktischen Fall davon überzeugt, dass die Politiker, deren Handlungsspielräume man durch Sondervermögen und Ausnahmeregeln deutlich erweitert, diese Spielräume schon sinnvoll nutzen werden – denn man berät sie ja selbst!
So ist es nun nicht gekommen. Zwischen dem Lockern der Schuldenbremse und dem Beschluss der weitestgehend ineffizienten, ja schädlichen Nutzung der neuen Haushaltsspielräume liegt kaum eine Woche. Die Politik folgt, nicht überraschend, ihrer eigenen Logik und nicht dem Ratschlag der sie beratenden Ökonominnen und Ökonomen. Man kann nun hoffen, dass dies auch zu einem Umdenken in der ökonomischen Politikberatung führt.
Distanz zur Macht könnte wieder zu einer Tugend werden. Wenn schon nicht persönlich, dann doch zumindest analytisch. Gute Politikberatung sollte immer berücksichtigen, wie die Spielregeln für die Politik funktionieren und ausgenutzt werden, wenn die Akteure im politischen Betrieb keine Wohlfahrtsmaximierer sind, sondern ihre ganz eigenen Ziele verfolgen. Das ist eigentlich trivial. Vergessen wurde es zuletzt dennoch.